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Als am Sonntagabend um 10 Uhr die letzten Wahllokale schlossen, fiel das
Resultat herunter wie das Fallbeil einer Guillotine. In den letzten Tagen vor der Abstimmung hatten die
Umfragen eine Mehrheit für das Nein vorausgesagt. Doch das Ausmaß der Mehrheit, fast 55%, war
absolut unzweideutig.
Klar war auch, dass Sieger dieser Schlacht ein »Nein von links« war. Dies wurde
schließlich auch von den Medien, die nahezu unisono Verfechter des Ja waren, anerkannt. Natürlich
beanspruchten die Führer der extremen Rechten, Jean-Marie Le Pen und Philippe de Villiers, im
Fernsehen den Sieg. Aber die soziale und politische Zusammensetzung der abgegebenen Stimmen zeigt, dass das
Gros der Nein-Stimmen nicht von ihren Anhängern kam.
Bei den sozialen Gruppen stimmten 81% der
gewerblich Beschäftigten, 79% der Erwerbslosen und 60% der Angestellten mit Nein. Die einzigen
Gruppen, bei denen das Ja überwog, waren leitende Angestellte und intellektuelle Berufe (62%), jene
mit einer Universitätsausbildung (57%) und Rentner (56%).
Eine Analyse der Stimmabgabe nach
Altersgruppen zeigt, dass das Nein mit 59% unter den 18- bis 34-Jährigen und mit 65% bei den 35- bis
49-Jährigen vorne lag. Eine Mehrheit für das Ja gab es nur bei den Personen über 65 Jahre.
67% der Linkswähler stimmten mit Nein fast einmütig die Anhänger der
Französischen Kommunistischen Partei (PCF) und der revolutionären Linken (LCR und Lutte
Ouvrière), aber auch 59% der Anhänger der sozialdemokratischen PS und 64% der Unterstützer
der Grünen. Unter den Personen ohne Parteipräferenzen lag das Nein mit 61% vorne. Nur die
Anhänger der beiden dominierenden Rechtsparteien UMP und UDF stimmten massiv (76%) für die
Verfassung.
Wenn wir die extreme Rechte bei 15% der
Wählerschaft ansetzen, bedeutet dies, dass die übrigen 40% für das Nein von der Linken und
der Gruppe ohne Parteibindung kommen. Auf die Frage nach den Gründen für ihre Entscheidung, gaben
diejenigen, die mit Nein abgestimmt haben, die wirtschaftliche und soziale Situation in Frankreich, vor
allem das Thema »Arbeitslosigkeit«, sowie den »zu liberalen« Charakter des
Verfassungsvertrags an.
35% von ihnen hoffen, dass der
Verfassungsvertrag neu ausgehandelt wird. Dies bestätigt die Aussage der Vertreter der Kampagne des
»Nein von links«, wonach die meisten Menschen, die mit Nein gestimmt haben, dies nicht taten,
weil sie chauvinistisch oder antieuropäisch gesinnt wären. Sie stimmten vielmehr gegen den
Neoliberalismus und seine verheerenden Auswirkungen in Frankreich und in Europa.
Nicht alle Verlierer gehören zur Rechten.
Die Leitungsmehrheiten der PS und der Grünen wurden von ihren eigenen Anhängern desavouiert und
in beiden Parteien sind harte Auseinandersetzungen zu erwarten. PS-Führer wie François Hollande,
Dominique Strauss-Kahn und Lionel Jospin, die für das Ja eintraten, werden wohl kaum Befürwortern
des Nein wie Laurent Fabius, Henri Emmanuelli und Jean-Luc Mélenchon die Partei überlassen.
Auf europäischer Ebene wurde
natürlich nicht »Europa« destabilisiert, sondern das neoliberale Projekt der EU. Es scheint,
dass die europäischen Führer der Rechten wie der »Linken« keinerlei Lehren aus dieser
Niederlage ziehen. Am Abend nach der Abstimmung erschien einer nach dem anderen im Fernsehen, um die
widerspenstigen Franzosen zu tadeln und zu verkünden, dass die Dinge wie gewohnt weiter gehen
würden.
Natürlich werden sich die meisten von
ihnen nicht mit einem Referendum herumschlagen müssen, da sie den parlamentarischen Weg zur
Ratifizierung gewählt haben. Was die Verteidiger der Verfassung auch immer sagen, das
französische Nein kann die Debatte über Europa eröffnen, die bislang in den meisten
Ländern der EU noch gar nicht stattgefunden hat. Die Gegner des neoliberalen Europa haben die Chance,
in die Offensive zu gehen, nicht nur für die Ablehnung dieser Verfassung, sondern auch für einen
Bruch mit der undemokratischen Art und Weise, wie sie entstanden ist, und zu fordern, dass die Völker
Europas verfassunggebende Versammlungen wählen, um neue Vorschläge zu entwerfen. Die LCR hat zu
einem Europäischen Sozialforum aufgerufen, das den weiteren Weg diskutieren soll.
In Frankreich eröffnet der Sieg des Nein
auf der Linken neue Möglichkeiten für den Aufbau einer radikalen antikapitalistischen Kraft. Die
Monate der Zusammenarbeit zwischen Aktiven verschiedener Parteien und Parteilosen, der Zusammenarbeit mit
Aktiven aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen haben eine reale Dynamik geschaffen und Erwartungen
geweckt. Begonnen haben bereits Diskussion darüber, wie eine linke Kraft aufgebaut werden kann, die
mit dem bricht, was in Frankreich alternance genannt wird das Muster, nach dem es einen
regelmäßigen Wechsel von Regierungen der Rechten und der Linken gibt, bei gleichzeitig hohem Grad
der Kontinuität ihrer jeweiligen neoliberalen Politik.
Murray Smith, Paris
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