SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2005, Seite 12

EU-Referendum in den Niederlanden

Votum gegen Neoliberalismus

Das Resultat des niederländischen Referendums zum EU-Verfassungsvertrag ist ein klares Votum gegen das neoliberale Projekt, nicht jedoch gegen Europa, die europäische Zusammenarbeit und Integration oder gegen die Europäische Union. Dies bedeutet nicht, dass das Votum ausschließlich links oder progressiv war. Traditionalistische, christliche, nationalistische und immigrantenfeindliche Gefühle spielten auch eine Rolle. Doch die Kampagne wurde von ihnen gewiss nicht dominiert.

Bei einer Beteiligung von 63% stimmten 62% der Stimmberechtigten gegen die europäische Verfassung. Die Wahlbeteiligung war höher als bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2004 oder bei den Kommunalwahlen 2002.
Die Klassenbasis des Nein war klar. Je schlechter ausgebildet die Abstimmenden waren, desto wahrscheinlicher stimmten sie mit Nein. Von den Personen mit Hochschulabschluss stimmten 51% mit Nein; bei Menschen mit Hauptschulabschluss waren es 82%, bei Abstimmenden mit höherer Schulbildung, aber ohne Hochschulabschluss 72%. Je geringer das Einkommen, desto wahrscheinlicher war die Entscheidung für das Nein. Bei den höchsten Einkommen hatte das Nein eine knappe Mehrheit, während zwei Drittel der Personen mit mittlerem oder niedrigerem Einkommen mit Nein stimmten. Unter den Frauen war das Nein deutlich stärker vertreten als bei den Männern.
Im ärmsten Stimmbezirk des Landes, Reinderland im Osten der Provinz Groningen, stimmten 84,6% mit Nein. Höher war der Anteil der Nein- Stimmen nur noch im orthodox-protestantischen Fischerdorf Urk, wo 91,6% mit Nein stimmten.
Einer Mehrheit für das Ja gab es nur in etwa zwanzig kleineren Stimmbezirke mit einer wohlhabenderen Bevölkerung im Zentrum und im Süden des Landes. Den höchsten Anteil hatte das Ja in Rozendaal mit 62,7%. In den Städten war dieser Trend auch offensichtlich: je wohlhabender eine Gemeinde, desto mehr Menschen stimmten mit Ja.
Von den Anhängern der sozialdemokratischen PvdA stimmten 55% gegen die Verfassung. Unter den Unterstützern von Groen-Links stimmte mit 52% eine knappe Mehrheit für Ja. Auch von den Wählern der sehr EU-freundlichen liberalen Partei D66 stimmten immerhin 45% mit Nein. Nur bei den Anhängern der regierenden christdemokratischen CDA gab es mit 80% eine klare Mehrheit für das Ja. Von den Wählern der rechtsliberalen VVD stimmten fast 40% mit Nein.
Dagegen war bei den Anhängern der Parteien, die zum Nein aufriefen, die Anzahl der für ein Ja Votierenden äußerst gering. Nur bei den Unterstützern der orthodox-protestantischen Christlichen Union erreichten die Ja-Stimmen etwas mehr als 10%.
Das Ergebnis ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass die traditionellen Parteien, die sich für das Ja aussprachen — die Regierungsparteien CDA, VVD und D66 sowie die Oppositionsparteien PvdA und Groen-Links — über 85% der Parlamentssitze verfügen. Die einzigen Abgeordneten, die gegen die Verfassung sind, repräsentieren die Sozialistische Partei (SP, eine Partei maoistischen Ursprungs, die sich in den letzten Jahren zur größten politischen Kraft links von der Sozialdemokratie entwickelt hat und über acht Abgeordnete im Parlament verfügt), die zwei kleinen orthodox-protestantischen Parteien, die Reste der rechten Partei von Pim Fortuyn sowie Geert Wilders, ein rechter Abgeordneter, der sich von der VVD getrennt hat.
Außerdem unterstützte nahezu die gesamte »Zivilgesellschaft« den Verfassungsvertrag: die Führungen der Gewerkschaften, die größten Umweltorganisationen, die kleineren und mittleren Unternehmerverbände, Amnesty International, Greenpeace und entwicklungspolitische NGOs. Nur eine begrenzte Anzahl kleinerer Umwelt- und Tierrechtsorganisationen war dagegen.
Das Ergebnis enthüllt nicht nur einen Abgrund zwischen Bürgern und Politikern, sondern auch eine vertikale Spaltung in faktisch allen gesellschaftlichen Organisationen. Ihre Führungen unterstützten die Verfassung, während ein hoher Anteil ihrer Mitglieder sie ablehnte.
Die stärkste Kraft im Lager des Nein war zweifellos die SP, die sowohl in den Medien als auch auf der Straße eine sehr aktive Kampagne durchführte. Diese betonte die Notwendigkeit, die Niederlande zu retten, da diese Verfassung Europa in einen Superstaat und Holland in eine Provinz verwandele.
Selbstverständlich spielten alle möglichen, sich vermischenden Motive beim Sieg des Nein eine Rolle: eine weitverbreitete Aversion gegen die neoliberale Regierungspolitik und gegenüber Politikern im Allgemeinen; Opposition gegen ständige Einmischungen aus Brüssel; Furcht vor dem Verlust nationaler Identität; christliche und nationalistische Motive; ein intensiver Ärger über die Arroganz des Ja-Lagers. Es ist schwierig zu beurteilen, welche Elemente letztlich entscheidend waren. Es gibt jedenfalls einen breiten Konsens darüber, dass die Kampagne nicht antieuropäisch war, sondern sich mehr dagegen richtete, wie Europa funktioniert. Sicher ist auch, dass der Ex-VVD-Rebell Wilders mit seiner antitürkischen und antimuslimischen Kampagne keine vorherrschende Rolle gespielt hat.
Generell kann man das Ergebnis als eine unzweideutige Ablehnung des neoliberalen Projekts interpretieren und feststellen, dass insbesondere die Linke dieser Kampagne ihren Stempel aufgedrückt hat.

Willem Bos, Rotterdam

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