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Die Berliner Symphoniker erhalten seit dem 1.September letzten Jahres keine Zuwendungen mehr vom
Senat. Was tun Sie jetzt?
Das kam für uns nicht überraschend. 1993 hatte der Senat schon einmal versucht, das Orchester
im Rahmen der Schließung des Schiller-Theaters platt zu machen. Das gleiche geschah 1998 wieder, immer mit
der fadenscheinigen Begründung, das Land Berlin hat kein Geld; im Juli 2003 kündigte der SPD-PDS-
Senat dies zum dritten Mal an. Wie in den Jahren davor haben wir uns wieder zur Wehr gesetzt über
das Parlament, den Haushaltsausschuss, den Kulturausschuss. Wir hatten starke Rückendeckung für unser
Anliegen. Trotzdem haben der Regierende Bürgermeister und der Kultursenator die Streichung vehement
durchgezogen und das Parlament dafür benutzt. Das muss man so sagen, denn ich weiß, dass massiv gegen
die Abgeordneten vorgegangen wurde, die für uns hätten stimmen können. Die Vorsitzende des
Kulturausschusses hat sich der Stimme enthalten, denn ihr wurde gedroht, sie würde sonst ihre Position als
Sprecherin der SPD-Fraktion verlieren. Abgeordnete haben gesagt, die Abstimmung über die Berliner
Bankgesellschaft war ein Kinderspiel im Vergleich.
Das hat uns wiederum ermutigt, nicht klein
beizugeben. Wir haben versucht, beim Oberverwaltungsgericht Bestandsschutz zu erwirken schließlich
hat das Abgeordnetenhaus zweimal, 1993 und 1998, einen Senatsbeschluss zur Schließung des Orchesters
rückgängig gemacht. Doch das OVG hat das Bestandsschutzargument nicht anerkannt. Schon bei der
Ankündigung des Senators, die Subventionen einzustellen, hätten alle Beschäftigten entlassen
werden müssen trotz der bestehenden Verträge. Was für ein merkwürdiger Beschluss.
So wurden die Zuwendungen zum 31.8.2004
eingestellt. Ich hatte noch versucht, mit der Gewerkschaft und den Musikern ein Agreement zu finden, dass sie
den Trägerverein nicht verklagen, weil wir keine Kündigungsfristen einhalten konnten. Da hat die
Gewerkschaft aber nicht mitgespielt, folglich blieb uns nichts anders übrig, als Insolvenz anzumelden,
weil wir im September die Musikergehälter nicht hätten zahlen können. Es wurde ein
Insolvenzverwalter eingesetzt, der hat gegen unseren Willen eine GmbH gegründet, er wollte uns zum ersten
privatwirtschaftlich betriebenen Orchester machen. Damit ist er jämmerlich gescheitert. So hat er Ende
März den Orchesterbetrieb kurzerhand eingestellt das haben wir aus der Zeitung erfahren. Alle
Projekte und Verträge, die ich zwischenzeitlich ausgehandelt hatte, wurden abgesagt, endlos viele
Rechnungen nicht bezahlt, die Musiker nicht bezahlt, die Bürodamen nicht bezahlt wir wurden in den
Ruf gebracht, dass wir unseren Verpflichtungen nicht nachkommen. Deshalb arbeite ich hier jetzt als Intendant
des Berolina-Orchesters e.V., damit das Schiffchen wieder gerade gesteuert wird.
Die Musiker haben seit Februar/März kein Geld
bekommen, sie werden auf einen Teil ihres Geldes verzichten müssen das ist eine sehr, sehr
üble Sache.
Was ist das Berolina-Orchester?
Der Berolina Orchester e.V. wurde nach dem Fall der Mauer gegründet. Im Einigungsvertrag war das
kleine Rundfunkorchester Berlin aus dem Ostteil der Stadt einfach vergessen worden. Die Berliner Symphoniker
haben sich mit ihnen solidarisiert, wir wollten sie in unser Orchester aufnehmen. Dafür hatten wir 6
Millionen Mark besorgt, das hätte für zwei, drei Jahre gereicht. Als 1993 das Schillertheater
geschlossen wurde und der damalige Senat zugleich unser Orchester zur Disposition stellen wollte was
damals nicht klappte , kam die Frage auf: Wo sind denn die dafür vorgesehenen Subventionen
geblieben? Da hieß es: Die sind im Landeshaushalt verschwunden.
Zwei Jahre lang haben wir aus Lottomitteln
Konzerte für Hochschulabsolventen gestellt, damit sie eine Starthilfe für die Karriere haben. Dann
wurden auch die Lottomittel eingestellt und wir mussten diese Tätigkeit aufgeben. Danach schlummerte der
Verein vor sich hin, bis wir ihn jetzt wieder hervorgeholt haben. Er ist gemeinnützig, mit ihm konnten wir
das Orchester Berliner Symphoniker auffangen.
Sie sagen, ein privat finanziertes Orchester funktioniert nicht?
Nein, ganz einfach deshalb, weil wir in Deutschland ein ganz anderes Steuersystem als in Amerika haben.
Was man hierzulande von der Steuer absetzen kann, reicht zur Finanzierung eines Musikers nie aus. Hier
können sie deshalb keine Subventionssumme von 3 Millionen Euro über Private aufbringen. Keine Firma
gibt Geld, damit es in Personal investiert wird. Wir bekommen mal einen Zuschuss für die Plakatierung,
für ein Programmheft, für das Engagement von einem Solisten oder Dirigenten. Aber die
Grundausstattung kommt nicht von Privat, die muss der Staat leisten. Das gleiche gilt für Schulen und
andere öffentliche Einrichtung. Von der Industrie bekommt man nur die Events finanziert, darin können
die sich sonnen. Ich habe einmal viel Zeit und Energie daran gesetzt, einen Paten für eine 2.Geige zu
finden. Das war nicht möglich. Selbst Banken scheuen eine längerfristige Bindung.
Obwohl Sie ein erfolgreiches Orchester sind! Ist das bei den Berliner Philharmonikern auch so?
Bei denen ist die Grundfinanzierung ja da, auch üppig. Die Deutsche Bank finanziert ihnen das
Education-Programm, das ist nur ein kleiner Bruchteil von ihren Ausgaben. Das ist sehr pressewirksam…
Doch die Berliner Symphoniker waren die ersten,
die mit musikpädogogischen Programmen aufgetreten sind. Vor zwanzig Jahren haben wir angefangen, eine
Konzertreihe dafür zu installieren, sie heißt »Konzerte für die ganze Familie«, und
läuft jeweils am Sonntagnachmittag um 16 Uhr in der Philharmonie. Die Konzerte sind sehr gut besucht, die
Kinder gehen mit ihren Eltern und Großeltern hin. Damit haben wir sehr schöne Erfahrungen gemacht.
Wir können damit Kinder bis 12, 13, 14 Jahre binden. Dann driften sie in die Rock- und Popmusik ab, wenn
sie nicht gerade ein Instrument spielen, und kommen dann wieder, wenn sie selber eine Familie haben. Das ist
für uns eine Bestätigung dafür, dass musikpädagogische Arbeit einen langen Atem braucht,
das ist keine Kurzzeitinvestition wie in der Industrie. Viele unserer Abonnenten sind Menschen, die unsere
Konzerte besucht haben, als sie selber Kinder waren.
Sie spielen für die Familien… Was
spielen Sie so?
Ganz unterschiedlich. Standardstücke sind
natürlich »Peter und der Wolf« oder »Der Karneval der Tiere«. Aber wir nehmen auch mal
eine Sinfonie von Dvorák und erklären an ihr die Instrumente, die Themen, was der Komponist sich
dabei gedacht hat… So was geht immer mit der »Moldau«, mit »Peer Gynt«, Mozart
natürlich… Das sind sehr erfolgreiche Konzerte. Es ist aber nur das Sahnehäubchen von dem, was
wir tun. Die Kärrnerarbeit ist, wenn das Orchester in die Schule geht und die Instrumente vorführt.
Manchmal lassen wir sie auch auf den Instrumenten spielen, so entwickeln sie eine Beziehung zum Musiker oder
zum Instrument. Das ist unglaublich wichtig. Früher wenn wir in der Klasse gefragt haben: »Wer von
euch spielt ein Instrument?«, ging bei mindestens der Hälfte der Schüler die Hand hoch. Heute
sind es drei, vier, wenn Sie Glück haben.
In welche Bezirke gehen Sie da?
Natürlich Zehlendorf, Grunewald. Aber auch Marzahn und Hellersdorf, ausgesprochene
Arbeiterbezirke, auch Kreuzberg, wo der Ausländeranteil sehr hoch ist. Wenn wir das vorführen, fragen
die Kinder, wo man das lernen kann. Nach einem halben, dreiviertel Jahr kommen wir wieder in die Schulen. Dann
erleben wir selbst in den Arbeiterbezirken und Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil ganz große
Erfolge. Dann sind es nämlich plötzlich nicht mehr fünf Hände, die hochgehen, sondern zehn.
Das hat uns in unserer Arbeit immer wieder sehr bestärkt.
Mit den Hochschulen haben wir eine enge
Kooperation, weil wir Abschlussprüfungen und Tonmeisterprüfungen am Semesterende abnehmen. Da
knirscht es jetzt auch, weil auch die Hochschulen kein Geld haben, trotzdem für die
Abschlussprüfungen Orchester brauchen, weil die Absolventen ein öffentliches Konzert machen sollen.
Was passiert? Die Hochschulen versuchen auszuweichen auf Stettin, Posen und andere polnische Orchester, die
preiswerter sind. Das ist die Globalisierung. Berlin ist 60 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Ich
musste deswegen in der Übergangszeit die Aushilfssätze der Musiker um 1015% kürzen.
Was machen die Musiker denn jetzt?
Sie sind arbeitslos. Das Problem beginnt, wenn im nächsten Jahren das Arbeitslosengeld
ausläuft und sie in Hartz IV kommen… Für die zwischen 40 und 50 ist die Chance auf dem Markt
gleich Null. Ein paar haben ein anderes Engagement bekommen, aber der größere Teil ist geblieben.
Deshalb versuche ich auch, soviel Angebote wie möglich an Land zu ziehen. Aber wir haben immer die
Konkurrenz der subventionierten Orchester in Berlin, und wir haben die Konkurrenz aus dem gesamten Ostblock.
Mein Bestreben ist es, mit Hilfe einer kleinen Konzertreihe wenigstens unsere 2500 Abonnenten an uns zu binden,
damit sie nicht abwandern.
Es gibt acht Orchester in Berlin. Da sagt manch einer, das ist zu viel. Wie sieht es anderswo
aus?
Wir haben 3,5 Millionen Einwohner in Berlin, drei Opernhäuser, zwei Rundfunkorchester, die
Philharmoniker als Staatsorchester, die Berliner Symphoniker als musikpädogogisches Orchester und das
Berliner Sinfonieorchester. München hat bei 1,5 Millionen Einwohner auch fünf, sechs Orchester: zwei
Rundfunkorchester, die Münchener Symphoniker, die Nationaloper, das Gärtnerplatztheater… Das
Problem in Berlin ist das arme Umland.
Wir hier haben keine große Industrie, die ist
nach der Kubakrise abgewandert. Kleinere Betriebe sind nachgekommen, von denen manche lieber ins Umland gehen.
Was hat Berlin denn zu bieten? Meines Erachtens Wissenschaft, Forschung und Kultur, das ist das einzige, womit
man auch Touristenströme anziehen kann. Trotz der großen Konkurrenz können wir uns seit 40
Jahren als sozial engagiertes und verhältnismäßig preiswertes Orchester sehr erfolgreich
behaupten. Deshalb ist es für mich so unverständlich, dass man uns die Subventionen gestrichen hat.
Wir haben einen Etat von 4 Millionen. Davon
bekamen wir 3 Millionen als Subvention, eine Million haben wir eingespielt, etwa 25%. Im Bundesdurchschnitt
liegt das Einspielergebnis eines Orchesters bei 1214%!
Was heißt hier zuviel Kultur? Wir sprechen
über 1,3% des Landeshaushalts, 735 Millionen, da sind die Schulen mit drin, die Philharmoniker, die
Opernhäuser, die Museen usw.
Es ist albern, mit dieser Begründung so ein
sozial engagiertes Orchester platt zu machen. In Wirklichkeit waren wir durch den eingetragenen Verein das
schwächste Glied, bei den anderen sind überall Tarifverträge in Kraft, da wäre man so
schnell nicht rangekommen.
Außerdem wollte man hier ein Exempel
statuieren. Berlin hat den Bund in Karlsruhe verklagt, weil es mehr Geld will. Da wollte man guten Willen unter
Beweis stellen: Seht her, wir machen sogar ein Orchester platt… Das war eine politische Entscheidung,
wirtschaftlich hat sie keine Bedeutung.
Sie sind in bemerkenswerter Weise an die Öffentlichkeit getreten.
Ja. Wir haben ca. 80000 Unterschriften gesammelt und dem Parlament übergeben
waschkörbeweise. Die Parlamentarier, die uns unterstützten, haben uns immer wieder gesagt: Macht so
viel Krach wie es geht, am besten, ihr kippt einen Flügel vom Brandenburger Tor… Das haben wir nicht
getan, weil wir unsere Instrumente nicht kaputt machen wollen. Aber wir haben alles versucht, öffentlichen
Druck zu machen. Wir wollten auf die gesellschaftlichen Folgen hinweisen die stehen allen Musikern klar
vor Augen. Wenn wir wegfallen, kommen viele andere hinterher, Orchester und Theater werden geschlossen, schon
ist die Rede davon, ob wir zwei Musikhochschulen in der Stadt brauchen, wir bilden dann nicht mehr so viele
Musiker aus, dann gibt es keine Musiklehrer mehr das hat weitreichende Folgen.
Was würden Sie jemandem antworten, der Sie fragt: Wozu braucht man Musik?
Musik ist eine Lebensform für jeden Einzelnen, eine Überlebensfrage.
Was machen die Kinder, die sonntags nachmittags
nicht mehr ins Konzert gehen und kein Instrument mehr lernen? Einige werden in den Sport ausweichen, andere
kommen auf die schiefe Bahn. Wir haben immer gesagt: Ein Kind, das sich künstlerisch betätigt, nimmt
kein Messer in die Hand. Die Beschäftigung mit den Künsten ist aufbauend, für Menschen
lebensnotwendig. Was wir heute an Kunst und Kultur einsparen, zahlen wir in wenigen Jahren in die sozialen
Sicherungssysteme. Das ist das eine. Das andere ist: An der Kunst hängt die kulturelle Identität
unseres Landes. Und schließlich ist die Kultur auch ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor. Jeder Euro,
den die öffentliche Hand in Kultur investiert, kommt 1,3fach zurück…
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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