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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2005, Seite 3

VW

Die Wolfsburg im Belagerungszustand

Was die Süddeutsche Zeitung und das Handelsblatt, die FDP und Ministerpräsident Wulff antreibt, aus einem normalen Skandal eine »Systemfrage« zu machen, hat der Professor für Automobilwirtschaft, Ferdinand Duddenhöffer, am besten auf den Punkt gebracht: »Die Ära Piech war geprägt durch sehr enge Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen, wie etwa dem Betriebsrat, wie dem Personalbereich, wie dem Land. Und diese sehr engen Verstrickungen sind eine der Ursachen für die heutigen Skandale und die haben auch dazu geführt, dass VW eben heute nicht richtig wettbewerbsfähig am Markt agieren kann.«

Folgt man der Chronologie der Ereignisse, waren es zunächst die Bereicherungsprojekte des Skoda-Personalvorstands Schusters und des Leiters der Wolfsburger Abteilung Personalprojekte, Gebauer, die den Skandal auslösten. Was als Angola-Connection und Luxemburg-Connection bezeichnet worden ist, waren nichts anderes als völlig übliche Versuche von Managern, nicht nur viel Geld zu verdienen, sondern reich zu werden. Damit reihen sich die beiden Selbstbediener bei VW/Skoda zeitlich ein zwischen die DaimlerChrysler-Manager, gegen die die Staatsanwaltschaft seit Monaten ermittelt und das Infineon-Vorstandsmitglied von Zitzewitz, der am 15.Juli zurücktrat — wegen Anfangsverdacht auf Bestechlichkeit, Untreue und Steuerhinterziehung.
Die sich in Managerkreisen ausbreitende besondere kriminelle Energie erhält durch Reduzierung von Fertigungstiefen, Outplacement und neuartigen Zuliefererketten erst den neuartigen Nährboden, auf dem sie in immer anderen Varianten wachsen und gedeihen kann. Dass gerade im Bereich der Automobilproduktion gnadenlose Erpressung der Unterlieferanten Methode ist, gilt nicht als kriminell.
Wehren können sich diese Firmen nur durch Umwälzung der erzwungenen Preisreduzierungen als Kostensenkungsprogramme — zumeist gegen die eigenen Beschäftigten und mit Senkung der Produktqualitäten. Oder sie verschaffen sich die überlebensnotwendigen Aufträge durch Bestechung — vornehm ausgedrückt: Vorteilgewährung. Was bei VW/Skoda eine gewisse neue Qualität darstellt, ist die Organisierung von Vertriebs- und Dienstleistungsfirmen durch hoch angesiedelte Manager ausschließlich zu ihren privaten Gunsten.
Teil dieses Geflechts war »Deutschlands mächtigster Betriebsratsvorsitzender«, der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Volkert. Nach anfänglichem Zögern gab er zu, Teilhaber der tschechischen Firma F-BEL gewesen zu sein, die sich als Entwicklungsbüro um den Bau eines 80 Millionen Euro teuren Autoforums in Prag beworben hatte. Ohne Unrechtsbewusstsein erklärte er, er habe sich keiner kriminellen Handlungen schuldig gemacht. Seinen anfänglich mit lang geplanten und verabredeten Ausstiegswünschen begründeten Rücktritt begründet er heute damit, die Betriebsratsgremien nicht durch die Vorwürfe belasten zu wollen.
Ob die verdeckte Teilhabe an einer Firma, die mit dem eigenen Arbeitgeber in Geschäftsbeziehungen tritt, als kriminell zu bezeichnen ist, mag dahin gestellt sein — in den meisten Unternehmen ist es auf jeden Fall untersagt. Was Volkert angeht, hat er als Betriebsratsvorsitzender mit dieser Beteiligung sozusagen objektiv die Seite gewechselt, ist zum Unternehmer geworden und hat die Anteile erst dann verkauft, als die gesamte Firma F-BEL 2004 verkauft wurde.
Damit ist es ihm gelungen, das Fehlverhalten des früheren IG-Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler zu toppen, der — aus heutiger Sicht — lediglich von Insidergeschäften im Peanutsbereich profitiert hatte. Darüber hinaus gelang ihm eine bisher einmalige Interpretation dessen, was bei VW »auf gleicher Augenhöhe« bedeuten kann.
Zu Crime gehört auch eine gewisse Portion Sex, ein Thema, auf das sich die Boulevardpresse mit Vergnügen stürzen konnte und wo bislang kaum etwas belegt werden konnte.
Allem Anschein nach stehen zwei Sachverhalte fest: Hartz hat sich mehrfach libidinöser Dienstleistungen bedient und es gab einen Fonds, aus dem etwa 780000 Euro als Eigenbelege für Betriebsratsspesen durch Gebauer abgerechnet worden sind. Ob damit Reisen an andere Betriebsstandorte, das Taschengeld für die mitreisende Ehefrau, der Kaffee im Betriebsratsbüro oder Sex bezahlt wurde, ein Fonds, bei dem man sich als Betriebsrat ohne Abrechnung und Kontrolle bedienen kann, ist eine »Anfütterung« (H.Leyendecker) und muss über kurz oder lang als Honigfalle wirken.
Nach dem Motto »Dem Betriebsrat auf Augenhöhe begegnen« wurde dieser Fonds auf Weisung von Hartz eingerichtet und diejenigen, die sich daraus bedienten, bleiben heute daran kleben. Was jedem neu gewählten Betriebsratsmitglied in Grundseminaren eingehämmert wird, dass man sich weder persönlich noch finanziell in besondere Abhängigkeiten vom Unternehmen begeben darf, dass man bei formalen Dingen absolut korrekt sein muss, scheint in Wolfsburg in Vergessenheit geraten zu sein.
Das solch ein Umgang mit Geld innerhalb der Belegschaft als Kauf des Betriebsrats und Schmierungsprozess wirken muss, haben die Teile der Interessenvertretung, die Einfluss auf den Umgang mit diesem Fonds hatten, selber zu vertreten. Die wahren Motive werden allerdings eher im grenzenlosen Vertrauen gegenüber der Person Peter Hartz, in der Überschätzung der eigenen Unangreifbarkeit und in einer fast aristokratisch anmutenden Überheblichkeit gegenüber der Belegschaft liegen. Wenn der Nachfolger von Volkert, Bernd Osterloh, für die Zukunft gläserne Kassen zusichert, ist das zu begrüßen. Ein gewisses Maß an Selbstkritik für sein eigenes Mittun als stellvertretender BR-Vorsitzender in der Vergangenheit hätte diese Aussage allerdings auch glaubhaft gemacht.
Uwe Fritsch, Betriebsratsvorsitzender im VW-Werk Braunschweig, erläutert das VW- Modell folgender Maßen: »Das VW-Modell, für das der zurückgetretene Personalchef Peter Hartz stand, bedeutete nachhaltige Profitsicherung unter Berücksichtigung sozialer Aspekte, des Erhalts der Standorte und der Vermeidung von Entlassungen.« Gegen den Widerstand von Piech war Hartz 1993 zum Personalchef berufen worden. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt setzte er sich mit seinem Modell der Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 28,5 Stunden mit Einkommenseinbußen gegen den anfänglichen Widerstand des Betriebsrats und der IG Metall durch — bislang eines der nachhaltigsten Belege für die arbeitsplatzschaffende oder -sichernde Wirkung von Arbeitszeitverkürzung.
Der Betriebsrat, gewohnt im Aufsichtsrat durch die sozialdemokratischen Stimmen des Landes Niedersachsen über große Einflussnahme auf strategische Entscheidungen zu verfügen, reihte sich recht schnell in das betriebsorganisatorische Konzept der »atmenden Fabrik« des Peter Hartz ein. Die Kritik etwa am Modell »5000 x 5000« oder an der Kostensenkungsoffensive im Rahmen der Tarifrunde im letzten Jahr kam mehr aus Richtung der IG Metall als vom Betriebsrat. Durch die Positionierung von Volkert — »Jobs oder Mäuse« — wurde die eigene Verhandlungsposition geschwächt und schon frühzeitig ein Eingehen auf die Wünsche der Gegenseite signalisiert.
Angesichts der weltweiten Überproduktionskrise im Automobilsektor wird dieses korporatistische Modell in Frage gestellt. Der Vorstandsvorsitzende Pitschetsrieder scheint mit dem VW-Markenchef Bernhard jemanden gefunden zu haben, der die Senkung der Kosten um 10 Milliarden Euro bis 2008 auch durch weitere Angriffe auf tarifliche Vereinbarungen umsetzen will.
Die Verschiebung der Personalverantwortlichkeit auf die einzelnen Betriebe wird die Kompetenzen eines Nachfolgers von Hartz einschränken und die zentralisierten »Win-win-Abkommen« der letzten Jahre aushebeln. Der Druck auf die Landesregierung, sich von ihren Anteilen an VW zu trennen, wird anhalten, um die staatliche Sperrminorität zu beseitigen.
45000 Menschen beteiligten sich am 16.Juli an dem Sommerfest der IG Metall in Wolfsburg, eine Abstimmung mit den Füßen, wie eine Lokalzeitung anmerkte. Ohne interne Aufarbeitung der Ereignisse und Neupositionierung der eigenen Politik wird man allerdings weder angeschlagenes Vertrauen wiedergewinnen können, noch den zu erwartenden Angriffen auf Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Einkommen erfolgreichen Widerstand entgegen setzen können.

Udo Bonn

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