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In den linken sozialen Bewegungen hierzulande dominiert gegenwärtig die
Einstellung, sich nicht oder nur am Rande mit dem Projekt der Linkspartei zu befassen. Zu irritierend sind
einige Äußerungen von Oskar Lafontaine, zu sehr dominieren ältere Herren, zu sehr wird die
inhaltliche Ausrichtung insbesondere der WASG auf »Anti-Hartz IV« enggeführt.
Man wisse ja, wo die Partei in einem Jahr stehe, wird abwinkend festgestellt: Die Abgeordneten und
Parteibürokratie werden den Laden dominieren, schon aufgrund der zeitlichen und materiellen
Möglichkeiten wie auch wegen der mit den Mandaten verbundenen finanziellen Interessen.
Die Erfahrungen zeigen auch, dass emanzipative
Politik von Parteien ein Stück weit gegen die staatlichen Strukturen durchgesetzt werden muss. Das ist
angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Verhältnisse kaum sichtbar. Ein demokratisches Projekt
steht jedenfalls nicht sehr weit oben auf der Tagesordnung. Es dominieren defensive Kämpfe (die
deswegen nicht falsch sind). Die Regeln von Parlamentarismus und Öffentlichkeit wirken oft
stärker auf Parteien, zumal auf kleine, als umgekehrt.
Drei Gründe und eine strategische Möglichkeit könnten dafür sprechen, sich dennoch
genauer damit auseinander zu setzen. Die nur in der Zukunft zu beantwortende Frage ist dabei, wie eine
relevante Linke in diesem Land wieder entstehen kann. Zum einen können einer linken Partei durchaus
Reflexionsfähigkeit und Lernprozesse zugestanden werden.
Die jüngsten Erfahrungen von
Bündnisgrün und PDS liegen ja auf der Hand. Dies ist aber nur möglich, wenn die Partei nicht
autistisch bleibt und sich für eine wirkliche Repräsentanz linker Politik hält. Grundlage
solchen Lernens ist die systematische und notwendig spannungsgeladene Öffnung zu linken Bewegungen wie
auch zu kritischen Intellektuellen.
Sowohl PDS wie auch WASG sind für beide
Spektren bislang nicht attraktiv. Ein nichtinstrumentelles Verhältnis von einer Partei zu Bewegungen
und Intellektuellen kann nicht postuliert werden, sondern setzt Vertrauen voraus. Das wiederum entsteht
dadurch, dass Kritik zugelassen und produktiv verarbeitet wird. Dass Streitkultur und Pluralität als
notwendig erachtet wird.
Die Grünen sind ein Beispiel, wie das ab
einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr funktionierte. Dennoch sollte man mögliche Lernprozesse nicht
von vornherein ausschließen. In der PDS habe ich den Eindruck, dass in den vergangenen Jahren
interessante Entwicklungen stattgefunden haben.
Zweitens: Die Partei selbst, oder zumindest
relevante Teile, könnte merken, dass eine Öffnung hin zu sozialen Bewegungen sinnvoll ist. In der
Parteienkonkurrenz werden sich SPD und Bündnisgrün programmatisch wieder nach links bewegen,
freilich ohne den Glaubwürdigkeitsverlust ernsthaft aufhalten zu können.
Die Linkspartei könnte in der
Parteienkonkurrenz punkten. Voraussetzung ist, wie gesagt, ein glaubwürdiger, d.h.
nichtinstrumenteller Umgang mit Bewegungen. Nichts wäre tumber, als wenn die Partei ab Ende September
sich zum »parlamentarischen Arm« sozialer Bewegungen deklariert.
Wenn das deutlich wird (je früher, desto
besser), dann bestehen auch Chancen, dass sich die Partei programmatisch öffnet hin zu
antirassistischen und feministischen, friedenspolitischen und sozialökologischen Fragen, hin zu
internationalistischen und weltwirtschaftlichen Widersprüchen der derzeit keynesianischen Ausrichtung.
Das ist nun keine naive Wunschliste, sondern
eine Aufforderung an jene Kräfte in der Partei und um sie herum, die an einer starken und pluralen
Linken in diesem Land interessiert sind, sich den Themen zu stellen, Austausch zu suchen, die Partei nicht
zu wichtig zu nehmen. Für die Bewegungen hieße das, inhaltliche und organisatorische
Möglichkeiten sorgfältig auszuloten.
Den dritten Grund, sich aus der Perspektive
von sozialen Bewegungen und parteifernen Intellektuellen doch intensiver mit dem Projekt zu befassen, geben
die Verhältnisse selbst. Die aktuelle politische Situation kann man so umreißen, dass wir
zumindest eine Legitimationskrise des Neoliberalismus erleben, die ein solches Projekt überhaupt
möglich macht. Gleichzeitig deutet viel darauf hin, dass wir es mehr und mehr mit einer
autoritären Variante des Neoliberalismus zu tun bekommen. Die Partei lebt ja nicht von einem
attraktiven Gegenentwurf, sondern von einer defensiven Haltung in Bezug auf diese Entwicklungen mit ihrem
vorläufigen Höhepunkt von Hartz IV.
Die Linkspartei repräsentiert wie
bisher die PDS in Ostdeutschland Erfahrungen von Marginalisierung und Elend sowie Abstiegsangst. Das
muss parteipolitisch wirklich nicht von Rechtsaußen bedient werden. Im Gegensatz zu den
Bündnisgrünen geht die Linkspartei zwar noch nicht einmal aus sozialen Bewegungen in West- und
Ostdeutschland hervor. Das ist aber kein Grund, dass sie noch schneller unattraktiv werden muss für
linke Bewegungen als die Bündnisgrünen.
Deutlicher als noch vor fünfzehn oder dreißig Jahren ist auch, dass Parlamente immer
stärker zu Akklamationsmaschinen und öffentlichen Bühnen pseudokontroverser
Auseinandersetzungen geworden sind. Das bedeutet nicht, dass »man« nichts machen kann, denn
natürlich ist es in bestimmten Fragen wichtig, dass es linke Opposition und alternative
Vorschläge in Parlamenten gibt.
Die Zähmung der immer arroganter
werdenden politisch und ökonomisch herrschenden Klasse an der einen oder andren Stelle ist sinnvoll.
Aber die Wiederherstellung demokratischer Strukturen und Prozesse, zu denen auch Parlamente gehören,
in einer globalisierten Welt ist ein komplexerer Prozess und ohne breite soziale Kämpfe und
weitreichende Vorschläge gar nicht denkbar. Das beträfe übrigens auch die mögliche
Beteiligung der Linkspartei an Landesregierungen. Handlungsspielraum dort muss ja erst wieder
grundsätzlich gegen mächtige und international organisierte Kräfte gewonnen werden.
Damit öffnen sich strategische
Möglichkeiten. Wenn die Partei sich zurücknimmt, könnte sich eine Perspektive öffnen,
die auch in den Bewegungen dringend diskutiert werden muss: Nämlich die inhaltlich-strategische und
organisatorische Rekonstruktion einer pluralen Linken hierzulande. Dieser Aspekt scheint mir zentral.
Insofern müsste die aktuelle Diskussion
ein Stück weit wieder von der Linkspartei weggeführt und in einen größeren Kontext
gestellt werden. Was wird eigentlich jenseits der dann anlaufenden parlamentarischen Arbeit
nach der Wahl? Öffnet sich ein »Möglichkeitsfenster« für die Rekonstruktion einer
relevanten Linken hierzulande?
Anerkannt werden muss in der Partei und in
ihrem Umfeld, jenseits von öffentlicher Aufmerksamkeit und Wahlarithmetik: Wirkliche Alternativen
entstehen nicht durch eine Partei und ein Programm, um der neoliberalen SPD und Bündnisgrünen
Wahlstimmen abzunehmen, sondern durch eine Veränderung gesellschaftlicher
Kräfteverhältnisse, dominanter Orientierungen und ein sich nach und nach entwickelndes gegen-
hegemoniales Projekt.
Dann können aus der gegenwärtigen
Angst von vielen Menschen wieder befreiende Lebens- und Handlungsentwürfe entstehen. Dann kann
intensiviert werden, was an den Rändern der Gesellschaft längst und kontrovers diskutiert wird:
Was nämlich angemessene Formen solidarischen, demokratischen und auch Wohlstand schaffenden
Zusammenlebens sind.
Das geschieht an vielen Orten etwa in
Betrieben, Schulen, Hochschulen, Medien, alltäglichen Beziehungen. Wichtig wäre dabei etwa, dass
die Gewerkschaften bzw. relevante Teile in ihnen wirklich mit der Sozialdemokratie brechen.
Eine wirkliche Linkspartei, die ja zweifellos
stärker in der Öffentlichkeit vertreten ist, könnte das Stimmungsklima leicht verschieben
und damit Denk- und Handlungsräume öffnen, die in der vermeintlichen Alternativlosigkeit des
Neoliberalismus dringend notwendig sind. Sie könnte in Auseinandersetzungen mit Bewegungen und
Intellektuellen die Grenzen ihrer aktuellen traditionell-sozialdemokratischen Positionen verschieben. Etwa
die Widersprüche anerkennen, die sich im Land des »Export-Weltmeisters« ergeben für die
Entwicklung einer solidarischen und ökologischen Weltordnung, was nämlich den radikalen Umbau von
Produktions- und Konsummustern beinhaltet. Sie müsste feministische und antirassistische Positionen
systematisch berücksichtigen, sich einlassen auf die zentrale und in den Bewegungen längst
diskutierte Frage der Entkopplung von Einkommen und Lohnarbeit.
Ich bleibe, zugegebenermaßen, skeptisch.
Natürlich wird es Verschiebungen geben. Insbesondere die entwicklungs- und umweltpolitischen
»Szenen« werden weit weniger auf staatliche Ressourcen zurückgreifen können wie bisher,
die »zivilgesellschaftlichen Verteilungskämpfe« werden stärker werden. Die Form einer
Partei hat im parlamentarischen System immer etwas Ausschließendes.
Es wird einen Anpassungsprozess an
parlamentarisch-repräsentative Abläufe geben und in der breiten Öffentlichkeit müssen
die Argumente »vernünftig«, d.h. technokratisch und umsetzbar sein. Lafontaine und Gysi
werden durch die Talk-Shows gereicht werden und versuchen, auf einer Verteidigung des Sozialstaats zu
bestehen. Linke Sozialstaatskritik und öffnende Perspektiven sind nicht sichtbar. Das ist
wahrscheinlich.
Aber es könnte sich auch anders
entwickeln. Vor fünf Jahren hat hierzulande auch niemand gedacht, dass aus der Initiative einiger NGOs
mit Attac ein politisch wichtiger, sich produktiv streitender politischer Akteur werden würde.
Deshalb plädiere ich dafür, dass sich die linken Bewegungen etwas systematischer mit den
Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Gefahren der Linkspartei auseinandersetzen. Im klärenden
Streit und sich nicht dem Rhythmus des Wahlkampfs anpassend.
Das bedeutet auch nicht, nun Forderungen zu
stellen, die im Wahlprogramm auftauchen sollen (das ist ja umgekehrt ein Instrumentalisierungsversuch der
Partei durch Teile der Bewegungen). Aber ein genaues Ausloten gegenseitigen Umgangs miteinander, was
angesichts der aktuellen Programmatik sicherlich nicht heißt Wahlaufruf oder formelle Allianzen.
Für die Linkspartei heißt das: Wenn
sie ihre politische Bedeutung stärken will, muss sie sich zurücknehmen. Sie muss anerkennen, dass
die Neugründung einer relevanten Linken ein breiter Prozess ist und schon einiges in den Bewegungen
geschehen ist. Die Linkspartei hätte ohne die Kritik vielfältiger Bewegungen in den vergangenen
Jahren ja gar nicht ihr Potenzial. Eine Partei kann nur ein Teil gesellschaftlicher Veränderungen sein
und das Engagement von Millionen von Menschen für eine bessere Gesellschaft in unterschiedlichen
Zusammenhängen nicht ersetzen.
Sie kann dieses Engagement auch nicht einfach
herstellen, sondern allenfalls in umsichtigem Handeln für bestimmte Fragen bündeln. Ansonsten
werden wir ein kurzes Strohfeuer erleben, das zum x-ten Male und unterstützt von den herrschenden
Kräften die Illusion des Parlamentarismus nährt.
Ulrich Brand
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