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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2005, Seite 14

Deutschland, Brasilien und der Nord-Süd-Konflikt

Ungleiche Beziehungen

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien haben eine lange Tradition. Was die Auswanderung angeht, haben die Deutschen seit 180 Jahren besonders Südbrasilien geprägt und Deutschland ist derzeit das europäische Land mit der größten Zahl an Brasilianern.
Intensiver sind noch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Rund 1200 deutsche Betriebe haben Niederlassungen in Brasilien, besonders im Südwesten des Landes. Brasilien gilt als einer der bedeutendsten Industriestandorte Deutschlands im Ausland.
Die Importe brasilianischer Produkte nach Deutschland sind ein weiteres Merkmal der wirtschaftlichen Verflechtung beider Länder. Agrarprodukte und Rohstoffe führen allerdings immer noch die Liste deutscher Importe aus Brasilien an. Es handelt sich um eine typisch ungleiche Wirtschaftsbeziehung, wobei einerseits Brasilien auf die intensive Ausbeutung seiner immensen Naturressourcen setzt und Deutschland andererseits seinen hoch entwickelten Technik- und Industriestandard in der »internationalen Zusammenarbeit« anbietet.
Kaffee ist dafür ein illustratives Beispiel: Brasilien ist weltweit größter Kaffeeproduzent und Deutschland, wo keine einzige Bohne produziert wird, ist weltweit größter Exporteur von Kaffeeprodukten. Die Ergebnisse können nicht anders sein: Deutschland, mit seiner auf industrialisierte Produkte ausgerichteten Wirtschaft, profitiert ungeheuer vom Import billiger Rohstoffe, denn die sozialen und ökologischen Kosten werden durch den »Freihandel« externalisiert und die vorherrschende brasilianische Wirtschaftpolitik glaubt weiter an den wirtschaftlichen Fortschritt, der durch Technologieimport und Investitionsanreize mittels wachsender Präsenz ausländischer Konzerne im Lande ermöglicht werden soll.
Anderseits engagiert sich Deutschland mit einer Reihe von Projekten zur Förderung der brasilianischen Entwicklung, die über die Wirtschafts- und Handelsinteressen hinaus zur Verringerung der sozialen Ungleichheit und zur Entwicklung einer demokratischen Zivilgesellschaft beitragen sollen.
So ist ein vielfältiges Netz zwischen deutschen und brasilianischen Organisationen entstanden, das Initiativen fördert, um neue Wege der Partnerschaft zwischen sozialen Bewegungen und Menschenrechts-, Umwelt- und Gewerkschaftsorganisationen einzuschlagen.
Der Widerspruch ungleicher Beziehungen besteht jedoch weiter und prägt auch weiterhin die deutsch-brasilianischen Regierungsverhandlungen, auch wenn diese zunehmend kritisch thematisiert werden. Der Diskurs, der in den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstreffen sowohl von der Unternehmerschaft als auch von Regierungen geführt wird, beschränkt sich im Wesentlichen auf Technologietransfer und Marktöffnung, was wiederum die historische deutsche Überlegenheit und die Unterwerfung der brasilianischen Eliten und Regierungen zum Ausdruck bringt.
Es handelt sich um das alte Entwicklungskonzept, das auf unbegrenztes Wirtschaftswachstum, Ausbeutung der Naturressourcen und bestimmte Formen der Industrialisierung setzt und darauf hofft, dass Brasilien nach dem Vorbild der Industrieländer mehr Reichtum schaffe und sich aus dem Kontext der »Unterentwicklung« befreien könne.

Globalisierung von Ungleichheit

Die Ergebnisse dieser Entwicklungspolitik haben jedoch weltweit längst ihre Ineffizienz bewiesen: die existierende Ungleichheit ist die größte aller Zeiten: 1% der Reichsten besitzen weltweit soviel Reichtum wie die 57% der Ärmsten zusammen! Und die Armut steigt: 1,2 Milliarden Menschen sind gezwungen, mit weniger als 1 US-Dollar am Tag zurechtzukommen.
Nach den aktuellen Berichten der UN- Welternährungsorganisation FAO betrifft der Hunger 50 Millionen Menschen mehr als vor 20 Jahren, obwohl die Nahrungsmittelproduktion in derselben Zeit um 15% gestiegen ist: Es hungern weltweit 850 Millionen Menschen, wovon 70% Bauern und Landlose sind.
Neu in diesem Kontext sind der an Bedeutung zunehmende Globalisierungsdiskurs und die Tendenz, im Freihandel eine Alternative für die Länder des Südens zu sehen. Die ständige Globalisierungspropaganda funktioniert dabei als Verschleierungsstrategie der Verantwortlichen für die Zunahme weltweiter sozialer Ungleichheit.
Man will die Opfer dieses Politik- und Wirtschaftsmodells glauben machen, dass die aus diesem Prozess resultierende Übermacht des Kapitals kein Ergebnis konkreter politischer Entscheidungen sowohl der Regierungen der Industrieländer als auch von internationalen Organisationen wie Weltbank, IWF und WTO wäre.
Der Prozess einer Öffnung der nationalen Märkte für die »internationalen Kapitalflüsse« hat, in der Form, wie er derzeit stattfindet, nicht einmal den Begriff Globalisierung verdient. Er betrifft nämlich den Globus sehr unterschiedlich und schließt den größten Teil der Menschen sogar aus.
Anstatt den wirtschaftlichen, technologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen den Völkern zu potenzieren und die Ungleichheit zielstrebig abzubauen, wird die in der kapitalistischen Produktionsweise inhärente soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit verschärft und globalisiert.
Mit anderen Worten: der Zugang zu den Produktionsmitteln wird auf immer weniger Gruppen von Menschen begrenzt und die Ausbeutung des Menschen und der Natur nimmt in einem bisher nicht gekannten Maße zu. Der politisch oder militärisch durchgesetzte Freihandel wird paradoxerweise als Lösung dargestellt, als Chance für die Länder der Dritten Welt.
In Wahrheit schafft er aber die idealen Bedingungen für die Unterwerfung von Ländern, die nach Jahrhunderten der Kolonial- und Imperialismusgeschichte in extremer Ungleichheit vor der Konkurrenz mit den wenigen tatsächlichen Gewinnern dieser Art von Globalisierung stehen.
Da der gesellschaftliche Reichtum in den starken Ländern zu einem großen Teil auf der Ausbeutung der armen Länder beruht, wird die soziale Ungleichheit durch den Freihandel und die wachsende Globalisierung des Kapitals vertieft. Fand die Ausbeutung von Mensch und Natur zu anderen Zeiten durch den Kolonialismus statt, so wird die Verschuldung der Länder zum Instrument, mit der die Herrschaft des Nordens über den Süden zementiert wird.
Die verschuldeten Länder, die ihre Schulden bereits mehrfach zurückgezahlt haben, aber wegen der hohen Zinsen weiterhin und teilweise zunehmend verschuldet sind, werden gezwungen, sich an die von den internationalen Organisationen (wie IWF, Weltbank und WTO, in denen auch die deutsche Regierung einen wichtigen Einfluss ausübt) gestellten Bedingungen anzupassen.
Diese »Finanzfalle« ist ein Ergebnis politischer Entscheidungen, die durch die Regierungen der Industrieländer zustande gekommen sind und die von diesen aufrechterhalten werden, zum Teil sogar im Einverständnis mit den Regierungen der sog. Entwicklungsländer.

Beispiel Sojaimport

Der Sojaimport aus Brasilien ermöglicht z.B. die Fortsetzung der Massentierhaltung in der EU auch nach dem BSE-Skandal, nach dem die Verwendung von Tiermehl als Futtermittel verboten wurde. Soja ist der ideale Ersatz für das Tiermehl, denn es gibt kein anderes Produkt, das so billig ist und gleichzeitig einen so hohen Eiweißanteil enthält wie Sojaschrot.
Deutschland importiert jährlich etwa 3 Millionen Tonnen Sojaschrot, größtenteils aus Brasilien, dem Land, in dem Soja mit den geringsten Betriebskosten der Welt produziert wird, denn die sozialen und ökologischen Kosten werden nicht im »Freihandel« internalisiert.
Länder wie Deutschland sind also an der brasilianischen Sojaproduktion interessiert und mit dem angeblichen Ziel einer Entwicklungshilfe wird die Ausbreitung der Sojamonokultur in Brasilien durch deutsche Institutionen finanziert. Sowohl die WestLB als auch die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) haben z.B. die Maggi-Gruppe in Brasilien mit Krediten unterstützt. Deren Besitzer, Blairo Maggi, ist der weltweit größte Sojaproduzent und gleichzeitig Gouverneur von Mato Grosso, dem Bundesland mit der größten Entwaldung Brasiliens. Der »Sojabaron« und Gouverneur, der absolute Entwaldungsmeister Brasiliens, ist vor kurzem von Greenpeace als Kettensäger des Jahres bezeichnet worden, denn er ist allein für 48% der Umweltzerstörung des Landes in den Jahren 2003 und 2004 verantwortlich.
Die Kreditvergabe an Maggi macht die Widersprüchlichkeit des Diskurses der deutschen Regierung in Bezug auf ihre soziale und ökologische Verantwortung mit den Entwicklungsländern deutlich, denn deutsche Institutionen und sogar öffentliche Gelder führen zur wachsenden Zerstörung der Umwelt und der Lebensgrundlage von Millionen Menschen in Brasilien.

Irrweg Freihandel

Die Art und Weise, wie Brasilien sich in Bezug auf die Öffnung der Märkte verhält, ist auch bezeichnend. Indem die Regierung Lula versucht, sich der Politik vorheriger Regierungen entgegenzusetzen, die auf Privatisierung und der »Anziehung ausländischer Investoren« beruhte (das Merkmal der ersten Amtsperiode der Vorgängerregierung Cardoso), kehrt sie zu dem auf Agrarexporte ausgerichteten Modell zurück und wird zur »Geisel« des Agrobusiness.
Die Wiederentdeckung und Förderung einer auf Agrarexporte basierenden Entwicklungspolitik, in der der Freihandel als Chance gesehen wird, löst aber nicht das zentrale Problem der Verwundbarkeit der brasilianischen Wirtschaft, denn die hohen Zinsen führen zu weiterer Verschuldung.
Allein im Jahr 2004 musste Brasilien 49 Milliarden US-Dollar für die Außenschuld aufbringen, und die ersten positiven Ergebnisse der Außenhandelsbilanz reichen bei weitem nicht aus, um die Verschuldungskrise zu lösen. Die Ausbreitung der Sojaproduktion, die bis zum Jahre 2020 auf 90 Millionen Hektar geschätzt wird (davon 16 Millionen Hektar Savannen und 6 Millionen Hektar Regenwald — eine Fläche, die beinahe der von Großbritannien entspricht), muss als Teil dieser makropolitischen Strategie verstanden werden, in der wenig Rücksicht auf ökologische und soziale Risiken und Auswirkungen genommen wird.
Der Einsatz des Gensojas verschärft diese Situation, denn sie wird als Chance zum Sojaanbau auf riesigen Flächen mit geringem Arbeitseinsatz betrachtet. So bekommt die Regierung die Unterstützung der Sojaproduzenten, besonders der Großgrundbesitzer, was wiederum ihr Konzept von Regierbarkeit stärkt.
Die wichtigsten sozialen und ökologischen Auswirkungen einer Expansion der Sojamonokultur in Brasilien sind die fortschreitende Entwaldung, der zunehmende Einsatz von Agrargiften, die Zerstörung der Ernährungssouveränität von Indianervölkern und Kleinbauern, die Bodenkonzentration, die Landflucht und Zunahme der städtischen Elendsviertel sowie die Armut auf dem Land.
Um die Ausbreitung der Sojamonokultur voranzutreiben, sind eine Reihe von Infrastrukturprojekten vorgesehen, deren Finanzierung insbesondere deutsche Investoren interessiert — mit katastrophalen sozialen und ökologischen Konsequenzen, wie z.B. dem weiteren, zerstörerischen Bau von Staudämmen, der Umleitung von Flüssen und ihrer Umwandlung in Wasserstraßen.
Der Nord-Süd-Konflikt wird am Beispiel der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien sehr deutlich. Obwohl die deutsche Entwicklungshilfe für Brasilien wichtig ist, übt sie eine kompensatorische Funktion aus, denn die Prioritäten der deutschen Regierung in der Zusammenarbeit sind in erster Linie auf die Potenzierung der wirtschaftlichen Chancen deutscher Unternehmen gerichtet.
Es handelt sich um die Stärkung einer ungleichen und ungerechten Struktur, die für ganz Brasilien negative soziale und ökologische Auswirkungen hat, auch wenn eine Minderheit brasilianischer Wirtschaftsgruppen davon profitiert.
Die brasilianische Regierung begünstigt mit ihrer makroökonomischen Politik die historischen Eliten im Lande, die weiter daran interessiert sind, ihren beschränkten Wirtschaftsinteressen nachzugehen. Die deutsche Regierung hat dabei versagt, ihre aus dem internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erwachsenden Pflichten einzuhalten.
Mit diesem Vertragswerk hat sie sich dazu verpflichtet, die Menschenrechte in den Entwicklungsländern zu respektieren, zu schützen und Regierungen dabei zu helfen, deren Durchsetzung zu gewährleisten, sei es durch direkte Aktivitäten oder durch ihren Einfluss auf internationale Organisationen.
Antônio Andrioli

Anfang Juli fanden in der brasilianischen Stadt Fortaleza die 23.Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftstage und die 32.Sitzung der Deutsch-Brasilianischen Wirtschaftskommission statt. Obiger Text basiert auf einem Beitrag, den unser Autor auf einer Podiumsdiskussion im Rahmen des evangelischen Kirchtags 2005 zum Thema »Weltpartnerschaft« gehalten hat. Die Podiumsdiskussion wurde auch in Teilen der bürgerlichen Presse behandelt, da es Antônio Andrioli gewagt hatte, den mit auf dem Podium sitzenden Bundeskanzler Schröder wegen dessen Entwicklungspolitik scharf anzugreifen.


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