SoZSozialistische Zeitung |
Die Beziehungen zwischen Deutschland und Brasilien haben eine lange
Tradition. Was die Auswanderung angeht, haben die Deutschen seit 180 Jahren besonders Südbrasilien
geprägt und Deutschland ist derzeit das europäische Land mit der größten Zahl an
Brasilianern.
Intensiver sind noch die wirtschaftlichen
Beziehungen zwischen beiden Ländern. Rund 1200 deutsche Betriebe haben Niederlassungen in Brasilien,
besonders im Südwesten des Landes. Brasilien gilt als einer der bedeutendsten Industriestandorte
Deutschlands im Ausland.
Die Importe brasilianischer Produkte nach
Deutschland sind ein weiteres Merkmal der wirtschaftlichen Verflechtung beider Länder. Agrarprodukte
und Rohstoffe führen allerdings immer noch die Liste deutscher Importe aus Brasilien an. Es handelt
sich um eine typisch ungleiche Wirtschaftsbeziehung, wobei einerseits Brasilien auf die intensive
Ausbeutung seiner immensen Naturressourcen setzt und Deutschland andererseits seinen hoch entwickelten
Technik- und Industriestandard in der »internationalen Zusammenarbeit« anbietet.
Kaffee ist dafür ein illustratives
Beispiel: Brasilien ist weltweit größter Kaffeeproduzent und Deutschland, wo keine einzige Bohne
produziert wird, ist weltweit größter Exporteur von Kaffeeprodukten. Die Ergebnisse können
nicht anders sein: Deutschland, mit seiner auf industrialisierte Produkte ausgerichteten Wirtschaft,
profitiert ungeheuer vom Import billiger Rohstoffe, denn die sozialen und ökologischen Kosten werden
durch den »Freihandel« externalisiert und die vorherrschende brasilianische Wirtschaftpolitik
glaubt weiter an den wirtschaftlichen Fortschritt, der durch Technologieimport und Investitionsanreize
mittels wachsender Präsenz ausländischer Konzerne im Lande ermöglicht werden soll.
Anderseits engagiert sich Deutschland mit
einer Reihe von Projekten zur Förderung der brasilianischen Entwicklung, die über die
Wirtschafts- und Handelsinteressen hinaus zur Verringerung der sozialen Ungleichheit und zur Entwicklung
einer demokratischen Zivilgesellschaft beitragen sollen.
So ist ein vielfältiges Netz zwischen
deutschen und brasilianischen Organisationen entstanden, das Initiativen fördert, um neue Wege der
Partnerschaft zwischen sozialen Bewegungen und Menschenrechts-, Umwelt- und Gewerkschaftsorganisationen
einzuschlagen.
Der Widerspruch ungleicher Beziehungen besteht
jedoch weiter und prägt auch weiterhin die deutsch-brasilianischen Regierungsverhandlungen, auch wenn
diese zunehmend kritisch thematisiert werden. Der Diskurs, der in den deutsch-brasilianischen
Wirtschaftstreffen sowohl von der Unternehmerschaft als auch von Regierungen geführt wird,
beschränkt sich im Wesentlichen auf Technologietransfer und Marktöffnung, was wiederum die
historische deutsche Überlegenheit und die Unterwerfung der brasilianischen Eliten und Regierungen zum
Ausdruck bringt.
Es handelt sich um das alte
Entwicklungskonzept, das auf unbegrenztes Wirtschaftswachstum, Ausbeutung der Naturressourcen und bestimmte
Formen der Industrialisierung setzt und darauf hofft, dass Brasilien nach dem Vorbild der
Industrieländer mehr Reichtum schaffe und sich aus dem Kontext der »Unterentwicklung«
befreien könne.
Die Ergebnisse dieser Entwicklungspolitik haben jedoch weltweit längst ihre Ineffizienz bewiesen:
die existierende Ungleichheit ist die größte aller Zeiten: 1% der Reichsten besitzen weltweit
soviel Reichtum wie die 57% der Ärmsten zusammen! Und die Armut steigt: 1,2 Milliarden Menschen sind
gezwungen, mit weniger als 1 US-Dollar am Tag zurechtzukommen.
Nach den aktuellen Berichten der UN-
Welternährungsorganisation FAO betrifft der Hunger 50 Millionen Menschen mehr als vor 20 Jahren,
obwohl die Nahrungsmittelproduktion in derselben Zeit um 15% gestiegen ist: Es hungern weltweit 850
Millionen Menschen, wovon 70% Bauern und Landlose sind.
Neu in diesem Kontext sind der an Bedeutung
zunehmende Globalisierungsdiskurs und die Tendenz, im Freihandel eine Alternative für die Länder
des Südens zu sehen. Die ständige Globalisierungspropaganda funktioniert dabei als
Verschleierungsstrategie der Verantwortlichen für die Zunahme weltweiter sozialer Ungleichheit.
Man will die Opfer dieses Politik- und
Wirtschaftsmodells glauben machen, dass die aus diesem Prozess resultierende Übermacht des Kapitals
kein Ergebnis konkreter politischer Entscheidungen sowohl der Regierungen der Industrieländer als auch
von internationalen Organisationen wie Weltbank, IWF und WTO wäre.
Der Prozess einer Öffnung der nationalen
Märkte für die »internationalen Kapitalflüsse« hat, in der Form, wie er derzeit
stattfindet, nicht einmal den Begriff Globalisierung verdient. Er betrifft nämlich den Globus sehr
unterschiedlich und schließt den größten Teil der Menschen sogar aus.
Anstatt den wirtschaftlichen, technologischen,
wissenschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen den Völkern zu potenzieren und die Ungleichheit
zielstrebig abzubauen, wird die in der kapitalistischen Produktionsweise inhärente soziale
Ungleichheit und Ungerechtigkeit verschärft und globalisiert.
Mit anderen Worten: der Zugang zu den
Produktionsmitteln wird auf immer weniger Gruppen von Menschen begrenzt und die Ausbeutung des Menschen und
der Natur nimmt in einem bisher nicht gekannten Maße zu. Der politisch oder militärisch
durchgesetzte Freihandel wird paradoxerweise als Lösung dargestellt, als Chance für die
Länder der Dritten Welt.
In Wahrheit schafft er aber die idealen
Bedingungen für die Unterwerfung von Ländern, die nach Jahrhunderten der Kolonial- und
Imperialismusgeschichte in extremer Ungleichheit vor der Konkurrenz mit den wenigen tatsächlichen
Gewinnern dieser Art von Globalisierung stehen.
Da der gesellschaftliche Reichtum in den
starken Ländern zu einem großen Teil auf der Ausbeutung der armen Länder beruht, wird die
soziale Ungleichheit durch den Freihandel und die wachsende Globalisierung des Kapitals vertieft. Fand die
Ausbeutung von Mensch und Natur zu anderen Zeiten durch den Kolonialismus statt, so wird die Verschuldung
der Länder zum Instrument, mit der die Herrschaft des Nordens über den Süden zementiert
wird.
Die verschuldeten Länder, die ihre
Schulden bereits mehrfach zurückgezahlt haben, aber wegen der hohen Zinsen weiterhin und teilweise
zunehmend verschuldet sind, werden gezwungen, sich an die von den internationalen Organisationen (wie IWF,
Weltbank und WTO, in denen auch die deutsche Regierung einen wichtigen Einfluss ausübt) gestellten
Bedingungen anzupassen.
Diese »Finanzfalle« ist ein Ergebnis
politischer Entscheidungen, die durch die Regierungen der Industrieländer zustande gekommen sind und
die von diesen aufrechterhalten werden, zum Teil sogar im Einverständnis mit den Regierungen der sog.
Entwicklungsländer.
Der Sojaimport aus Brasilien ermöglicht z.B. die Fortsetzung der Massentierhaltung in der EU auch
nach dem BSE-Skandal, nach dem die Verwendung von Tiermehl als Futtermittel verboten wurde. Soja ist der
ideale Ersatz für das Tiermehl, denn es gibt kein anderes Produkt, das so billig ist und gleichzeitig
einen so hohen Eiweißanteil enthält wie Sojaschrot.
Deutschland importiert jährlich etwa 3
Millionen Tonnen Sojaschrot, größtenteils aus Brasilien, dem Land, in dem Soja mit den geringsten
Betriebskosten der Welt produziert wird, denn die sozialen und ökologischen Kosten werden nicht im
»Freihandel« internalisiert.
Länder wie Deutschland sind also an der
brasilianischen Sojaproduktion interessiert und mit dem angeblichen Ziel einer Entwicklungshilfe wird die
Ausbreitung der Sojamonokultur in Brasilien durch deutsche Institutionen finanziert. Sowohl die WestLB als
auch die Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) haben z.B. die Maggi-Gruppe in Brasilien
mit Krediten unterstützt. Deren Besitzer, Blairo Maggi, ist der weltweit größte
Sojaproduzent und gleichzeitig Gouverneur von Mato Grosso, dem Bundesland mit der größten
Entwaldung Brasiliens. Der »Sojabaron« und Gouverneur, der absolute Entwaldungsmeister
Brasiliens, ist vor kurzem von Greenpeace als Kettensäger des Jahres bezeichnet worden, denn er ist
allein für 48% der Umweltzerstörung des Landes in den Jahren 2003 und 2004 verantwortlich.
Die Kreditvergabe an Maggi macht die
Widersprüchlichkeit des Diskurses der deutschen Regierung in Bezug auf ihre soziale und
ökologische Verantwortung mit den Entwicklungsländern deutlich, denn deutsche Institutionen und
sogar öffentliche Gelder führen zur wachsenden Zerstörung der Umwelt und der Lebensgrundlage
von Millionen Menschen in Brasilien.
Die Art und Weise, wie Brasilien sich in Bezug auf die Öffnung der Märkte verhält, ist
auch bezeichnend. Indem die Regierung Lula versucht, sich der Politik vorheriger Regierungen
entgegenzusetzen, die auf Privatisierung und der »Anziehung ausländischer Investoren«
beruhte (das Merkmal der ersten Amtsperiode der Vorgängerregierung Cardoso), kehrt sie zu dem auf
Agrarexporte ausgerichteten Modell zurück und wird zur »Geisel« des Agrobusiness.
Die Wiederentdeckung und Förderung einer
auf Agrarexporte basierenden Entwicklungspolitik, in der der Freihandel als Chance gesehen wird, löst
aber nicht das zentrale Problem der Verwundbarkeit der brasilianischen Wirtschaft, denn die hohen Zinsen
führen zu weiterer Verschuldung.
Allein im Jahr 2004 musste Brasilien 49
Milliarden US-Dollar für die Außenschuld aufbringen, und die ersten positiven Ergebnisse der
Außenhandelsbilanz reichen bei weitem nicht aus, um die Verschuldungskrise zu lösen. Die
Ausbreitung der Sojaproduktion, die bis zum Jahre 2020 auf 90 Millionen Hektar geschätzt wird (davon
16 Millionen Hektar Savannen und 6 Millionen Hektar Regenwald eine Fläche, die beinahe der von
Großbritannien entspricht), muss als Teil dieser makropolitischen Strategie verstanden werden, in der
wenig Rücksicht auf ökologische und soziale Risiken und Auswirkungen genommen wird.
Der Einsatz des Gensojas verschärft diese
Situation, denn sie wird als Chance zum Sojaanbau auf riesigen Flächen mit geringem Arbeitseinsatz
betrachtet. So bekommt die Regierung die Unterstützung der Sojaproduzenten, besonders der
Großgrundbesitzer, was wiederum ihr Konzept von Regierbarkeit stärkt.
Die wichtigsten sozialen und ökologischen
Auswirkungen einer Expansion der Sojamonokultur in Brasilien sind die fortschreitende Entwaldung, der
zunehmende Einsatz von Agrargiften, die Zerstörung der Ernährungssouveränität von
Indianervölkern und Kleinbauern, die Bodenkonzentration, die Landflucht und Zunahme der
städtischen Elendsviertel sowie die Armut auf dem Land.
Um die Ausbreitung der Sojamonokultur
voranzutreiben, sind eine Reihe von Infrastrukturprojekten vorgesehen, deren Finanzierung insbesondere
deutsche Investoren interessiert mit katastrophalen sozialen und ökologischen Konsequenzen, wie
z.B. dem weiteren, zerstörerischen Bau von Staudämmen, der Umleitung von Flüssen und ihrer
Umwandlung in Wasserstraßen.
Der Nord-Süd-Konflikt wird am Beispiel
der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Brasilien sehr deutlich. Obwohl die
deutsche Entwicklungshilfe für Brasilien wichtig ist, übt sie eine kompensatorische Funktion aus,
denn die Prioritäten der deutschen Regierung in der Zusammenarbeit sind in erster Linie auf die
Potenzierung der wirtschaftlichen Chancen deutscher Unternehmen gerichtet.
Es handelt sich um die Stärkung einer
ungleichen und ungerechten Struktur, die für ganz Brasilien negative soziale und ökologische
Auswirkungen hat, auch wenn eine Minderheit brasilianischer Wirtschaftsgruppen davon profitiert.
Die brasilianische Regierung begünstigt
mit ihrer makroökonomischen Politik die historischen Eliten im Lande, die weiter daran interessiert
sind, ihren beschränkten Wirtschaftsinteressen nachzugehen. Die deutsche Regierung hat dabei versagt,
ihre aus dem internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte erwachsenden
Pflichten einzuhalten.
Mit diesem Vertragswerk hat sie sich dazu
verpflichtet, die Menschenrechte in den Entwicklungsländern zu respektieren, zu schützen und
Regierungen dabei zu helfen, deren Durchsetzung zu gewährleisten, sei es durch direkte
Aktivitäten oder durch ihren Einfluss auf internationale Organisationen.
Antônio Andrioli
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