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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, August 2005, Seite 17

Frankreichs neue Einwanderungspolitik

Quoten für die ›Guten‹, Repression gegen den Rest

Beim Innenministergipfel der sog. G5-Staaten, also der Länder, die bei der Zusammenarbeit in repressiven Dingen einen »harten Kern« der EU bilden wollen (Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien), am 5.Juli 2005 in Evian konnte der französische Innenminister und konservative Parteiführer Nicolas Sarkozy seine Amtskollegen für die Ideen gemeinsamer Kollektivabschiebungen größerer Gruppen von unerwünschten Migranten gewinnen. Gedacht ist dabei etwa an die Einrichtung von Sonderflügen, um die Abschiebungen wirtschaftlich rentabler zu gestalten.
Sarkozy warb dabei auch für seine Idee, die Herkunftsländer für einen »Deal« zu gewinnen: Wenn deren Regierungen möchten, dass ihre Hochqualifizierten in Frankreich oder Europa arbeiten dürfen — in der Hoffnung, dass diese Gelder nach Hause an ihre Familien überweisen und so die Nationalökonomien am Laufen halten —, dann sollen sie gefälligst ihre Hungerleider bereitwillig zurücknehmen.
»Bisher kann nie mehr als ein Drittel der angeordneten Abschiebungen wirklich durchgeführt werden«, bemängelte Sarkozy, »weil die Konsulate ihrer Herkunftsländer Schwierigkeiten bei der Rücknahme« der Unerwünschten bereiteten.
Das will der Minister jetzt geändert wissen: Nur jene Länder sollen bei der Vergabe von Visa an ihre Bürger (oder Untertanen) »großzügig« behandelt werden, deren Konsulate bereitwillig »Passierscheine« für Abzuschiebende aus Frankreich ausstellen. Denn ohne ein solches diplomatisches Dokument, das den (unfreiwilligen) Grenzübertritt erlaubt, können Abschiebekandidaten nicht außer Frankreichs Lande geschafft werden.
Der vorgeschlagene Deal bedeutet jedoch für die Herkunftsländer, dass ihnen ihre gut ausgebildeten Bildungseliten abgeworben werden, während ihnen die Hungerleider und Überflüssigen zurückgeschickt werden. Von vornherein mitbedacht ist auch, dass ein gewisser Anteil der Letztgenannten »illegal« in den Metropolenstaaten bleiben wird: Sie bilden das weitgehend entrechtete, und durch den gewachsenen polizeilichen Druck gefügig gemachte Subproletariat für die am geringsten geachteten Tätigkeiten.
Die regierende konservative Einheitspartei UMP (2002 als neue Sammlungsbewegung von Neogaullisten, Liberalen und Marktradikalen gegründet) bereitet sich darauf vor, das Thema »Immigration« in den kommenden Monaten erneut in den Mittelpunkt zu rücken.
Gelingt dieses Vorhaben, würde die Frage der Einwanderung die beiden in den letzten Jahren dominierenden Superthemen »Innere Sicherheit« und »Soziales« ablösen. Die Einwanderungspolitik war in den Jahren von 1983 bis etwa 1997 ein zentrales Thema der französischen Innenpolitik.

Sarkozys Doppelstrategie

Sarkozy, der neue »Superstar« der konservativen Rechten, will diese Politik nun nach beiden Seiten hin kräftig weiterentwickeln. Sowohl in repressiver Richtung (gegen unerwünschte Einwanderer), als auch in integrativer Richtung (Herausbildung einer schmalen Einwanderer-»Elite«).
Zunächst zum repressiven Flügel des Regierungsprogramms. Halbwegs realistischerweise schätzt die französische Regierung die derzeit »illegal« sich im Lande aufhaltenden Einwanderer (die »sans papiers«, Einwanderer »ohne Dokumente«) auf 200000—400000. Diese illegalisierten und entsprechend prekarisierten Einwanderer bilden ein fest in den Bedarf der Wirtschaft eingeplantes Potenzial »flexibel« einsetzbarer Arbeitskräfte für bestimmte Sektoren wie die Bauindustrie, das Reinigungsgewerbe und die Gastronomie.
Allerdings glaubt die konservative und äußerst wirtschaftsnahe Regierung, dass diese Zahl »illegaler« Einwanderer jene der nützlicherweise »vorrätig zu haltenden« Arbeitskräfte tendenziell übersteige — zumal die bürgerliche Rechte davon ausgeht, dass infolge der EU-Osterweiterung eine neue innereuropäische »Billiglohnkonkurrenz« entsteht.
Gleichzeitig spricht sich Sarkozy, unter dem Begriff der »ausgewählten Zuwanderung« (immigration choisie), für jährlich vorab festzulegende Quoten von Neuzuwanderern aus. Dabei soll nach Kriterien, zu denen vor allem das Alter und die berufliche Qualifikation zählen sollen, das Ausmaß der erwünschten Neueinwanderer jedes Jahr neu festgelegt werden.
Sarkozy denkt dabei vor allem an »Facharbeitskräfte, Unternehmensgründer, Wissenschaftler und Universitätsprofessoren«. Zum Vorbild hat er sich dabei das kanadische System erkoren, wobei in dem nordamerikanischen Land (das einen sehr aufnahmefähigen Arbeitsmarkt hat) allerdings deutlich großzügigere Quoten bestehen, als sie in Frankreich in näherer Zukunft zu erwarten sind.
Sarkozy hat auch keinen Zweifel daran gelassen, dass die Einwanderung, die auf der Grundlage einer an Berufsbildern bemessenen Bedarfsabschätzung erfolgen soll, auf Kosten der Zuwanderung durch Familiennachzug und humanitäre Gründe gehen soll. Zwar möchte er die drei Kategorien (wirtschaftlicher Bedarf, familiäre Gründe und humanitäre Motive) im Prinzip beibehalten.
Doch kündigte der Innenminister gleichzeitig eine Verschärfung der Regeln bzw. der Praxis beim Familiennachzug an: Künftig solle »rigoroser« auf die Einhaltung der Bedingungen für den Familiennachzug geachtet werden, also auf vorhandenen Wohnraum und vorhandenes Einkommen der versorgungspflichtigen Angehörigen in Frankreich. Auch solle das Kriterium der »Integration« der bereits in Frankreich lebenden Familie schärfer geprüft werden.
Ferner will er schärfer gegen die »Umgehung der Regeln«, etwa durch Scheinheiraten, vorgehen, sowie die Inanspruchnahme der medizinischen Nothilfe AME, die auch illegalen Einwanderern bei medizinischen Ernstfällen eine Krankenhausbehandlung erlaubt, beschränken und kontrollieren.
Der dritte Aspekt von Sarkozys Politik ist die »gelungene Integration«. Zu ihr sollen bspw. Aufnahmequoten für Kandidaten aus Einwanderer- und Unterschichtsvierteln (etwa in den Trabantenstädten) an den französischen Elitehochschulen beitragen.
Eine solche Quotenregelung existiert bereits am Institut d‘Etudes Politiques (IEP) in Paris, wo eine Elite aus den allerbesten Absolventen der in »sozialen Problemvierteln« gelegenen Schulen aufgenommen wird, ohne dass diese das normalerweise erforderliche und sehr selektive Aufnahmeverfahren bestehen müssten. Sarkozy will so Kontingente von 5—10% der Plätze an Elitehochschulen für die Herausbildung einer (Wissens-)Elite aus der Nachkommenschaft der in Frankreich lebenden Einwandererfamilien reserviert wissen.

Die Wut der Basis

Als er dies Anfang Juni auf einer von der Regierungspartei organisierten Veranstaltung kundtat, kam es jedoch zu Unruhe im Publikum. Wutentbrannt griff ein Teilnehmer zum Saalmikrofon und meinte, es bestehe »eine Unvereinbarkeit zwischen der christlichen und der muslimischen Religion«, weshalb es eine unsinnige Vorstellung sei, »die Muslime integrieren zu können«. Das veranlasste den auf dem Podium sitzenden Medizinprofessor und Kardiologie-Experten Salem Kacet von der Universitätsklinik Lille — offenkundig auf die extreme Rechte anspielend — zu der Unmutsäußerung: »Bei welcher Partei bin ich hier eigentlich?«
Ein anderer Teilnehmer aus dem UMP-Publikum hielt der Forderung eines Podiumsdiskutanten nach besserer Vertretung der Minderheiten in den Medien und vor allem im Fernsehen entgegen: »Ich bin auch eine Minderheit, ich bin blond und blauäugig!« Worauf der Podiumsteilnehmer Amirouche Laďdi antwortete: »Ja, aber Sie erleiden keine gewalttätigen Polizeikontrollen!«
Bis die reaktionäre Parteibasis also mit den Erfordernissen einer am Bedarf der modernen Ökonomie orientierten Zuwanderungspolitik versöhnt sein wird, hat die Regierung also anscheinend noch zu tun.

Bernhard Schmid, Paris

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