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Beim Innenministergipfel der sog. G5-Staaten, also der Länder, die bei der
Zusammenarbeit in repressiven Dingen einen »harten Kern« der EU bilden wollen (Frankreich,
Deutschland, Großbritannien, Italien, Spanien), am 5.Juli 2005 in Evian konnte der französische
Innenminister und konservative Parteiführer Nicolas Sarkozy seine Amtskollegen für die Ideen
gemeinsamer Kollektivabschiebungen größerer Gruppen von unerwünschten Migranten gewinnen.
Gedacht ist dabei etwa an die Einrichtung von Sonderflügen, um die Abschiebungen wirtschaftlich rentabler
zu gestalten.
Sarkozy warb dabei auch für seine Idee, die
Herkunftsländer für einen »Deal« zu gewinnen: Wenn deren Regierungen möchten, dass
ihre Hochqualifizierten in Frankreich oder Europa arbeiten dürfen in der Hoffnung, dass diese
Gelder nach Hause an ihre Familien überweisen und so die Nationalökonomien am Laufen halten ,
dann sollen sie gefälligst ihre Hungerleider bereitwillig zurücknehmen.
»Bisher kann nie mehr als ein Drittel der
angeordneten Abschiebungen wirklich durchgeführt werden«, bemängelte Sarkozy, »weil die
Konsulate ihrer Herkunftsländer Schwierigkeiten bei der Rücknahme« der Unerwünschten
bereiteten.
Das will der Minister jetzt geändert wissen:
Nur jene Länder sollen bei der Vergabe von Visa an ihre Bürger (oder Untertanen)
»großzügig« behandelt werden, deren Konsulate bereitwillig »Passierscheine«
für Abzuschiebende aus Frankreich ausstellen. Denn ohne ein solches diplomatisches Dokument, das den
(unfreiwilligen) Grenzübertritt erlaubt, können Abschiebekandidaten nicht außer Frankreichs
Lande geschafft werden.
Der vorgeschlagene Deal bedeutet jedoch für
die Herkunftsländer, dass ihnen ihre gut ausgebildeten Bildungseliten abgeworben werden, während
ihnen die Hungerleider und Überflüssigen zurückgeschickt werden. Von vornherein mitbedacht ist
auch, dass ein gewisser Anteil der Letztgenannten »illegal« in den Metropolenstaaten bleiben wird:
Sie bilden das weitgehend entrechtete, und durch den gewachsenen polizeilichen Druck gefügig gemachte
Subproletariat für die am geringsten geachteten Tätigkeiten.
Die regierende konservative Einheitspartei UMP
(2002 als neue Sammlungsbewegung von Neogaullisten, Liberalen und Marktradikalen gegründet) bereitet sich
darauf vor, das Thema »Immigration« in den kommenden Monaten erneut in den Mittelpunkt zu
rücken.
Gelingt dieses Vorhaben, würde die Frage der
Einwanderung die beiden in den letzten Jahren dominierenden Superthemen »Innere Sicherheit« und
»Soziales« ablösen. Die Einwanderungspolitik war in den Jahren von 1983 bis etwa 1997 ein
zentrales Thema der französischen Innenpolitik.
Sarkozy, der neue »Superstar« der konservativen Rechten, will diese Politik nun nach beiden Seiten
hin kräftig weiterentwickeln. Sowohl in repressiver Richtung (gegen unerwünschte Einwanderer), als
auch in integrativer Richtung (Herausbildung einer schmalen Einwanderer-»Elite«).
Zunächst zum repressiven Flügel des
Regierungsprogramms. Halbwegs realistischerweise schätzt die französische Regierung die derzeit
»illegal« sich im Lande aufhaltenden Einwanderer (die »sans papiers«, Einwanderer
»ohne Dokumente«) auf 200000400000. Diese illegalisierten und entsprechend prekarisierten
Einwanderer bilden ein fest in den Bedarf der Wirtschaft eingeplantes Potenzial »flexibel«
einsetzbarer Arbeitskräfte für bestimmte Sektoren wie die Bauindustrie, das Reinigungsgewerbe und die
Gastronomie.
Allerdings glaubt die konservative und
äußerst wirtschaftsnahe Regierung, dass diese Zahl »illegaler« Einwanderer jene der
nützlicherweise »vorrätig zu haltenden« Arbeitskräfte tendenziell übersteige
zumal die bürgerliche Rechte davon ausgeht, dass infolge der EU-Osterweiterung eine neue
innereuropäische »Billiglohnkonkurrenz« entsteht.
Gleichzeitig spricht sich Sarkozy, unter dem
Begriff der »ausgewählten Zuwanderung« (immigration choisie), für jährlich vorab
festzulegende Quoten von Neuzuwanderern aus. Dabei soll nach Kriterien, zu denen vor allem das Alter und die
berufliche Qualifikation zählen sollen, das Ausmaß der erwünschten Neueinwanderer jedes Jahr neu
festgelegt werden.
Sarkozy denkt dabei vor allem an
»Facharbeitskräfte, Unternehmensgründer, Wissenschaftler und Universitätsprofessoren«.
Zum Vorbild hat er sich dabei das kanadische System erkoren, wobei in dem nordamerikanischen Land (das einen
sehr aufnahmefähigen Arbeitsmarkt hat) allerdings deutlich großzügigere Quoten bestehen, als sie
in Frankreich in näherer Zukunft zu erwarten sind.
Sarkozy hat auch keinen Zweifel daran gelassen,
dass die Einwanderung, die auf der Grundlage einer an Berufsbildern bemessenen Bedarfsabschätzung erfolgen
soll, auf Kosten der Zuwanderung durch Familiennachzug und humanitäre Gründe gehen soll. Zwar
möchte er die drei Kategorien (wirtschaftlicher Bedarf, familiäre Gründe und humanitäre
Motive) im Prinzip beibehalten.
Doch kündigte der Innenminister gleichzeitig
eine Verschärfung der Regeln bzw. der Praxis beim Familiennachzug an: Künftig solle
»rigoroser« auf die Einhaltung der Bedingungen für den Familiennachzug geachtet werden, also auf
vorhandenen Wohnraum und vorhandenes Einkommen der versorgungspflichtigen Angehörigen in Frankreich. Auch
solle das Kriterium der »Integration« der bereits in Frankreich lebenden Familie schärfer
geprüft werden.
Ferner will er schärfer gegen die
»Umgehung der Regeln«, etwa durch Scheinheiraten, vorgehen, sowie die Inanspruchnahme der
medizinischen Nothilfe AME, die auch illegalen Einwanderern bei medizinischen Ernstfällen eine
Krankenhausbehandlung erlaubt, beschränken und kontrollieren.
Der dritte Aspekt von Sarkozys Politik ist die
»gelungene Integration«. Zu ihr sollen bspw. Aufnahmequoten für Kandidaten aus Einwanderer- und
Unterschichtsvierteln (etwa in den Trabantenstädten) an den französischen Elitehochschulen beitragen.
Eine solche Quotenregelung existiert bereits am
Institut dEtudes Politiques (IEP) in Paris, wo eine Elite aus den allerbesten Absolventen der in
»sozialen Problemvierteln« gelegenen Schulen aufgenommen wird, ohne dass diese das normalerweise
erforderliche und sehr selektive Aufnahmeverfahren bestehen müssten. Sarkozy will so Kontingente von
510% der Plätze an Elitehochschulen für die Herausbildung einer (Wissens-)Elite aus der
Nachkommenschaft der in Frankreich lebenden Einwandererfamilien reserviert wissen.
Als er dies Anfang Juni auf einer von der Regierungspartei organisierten Veranstaltung kundtat, kam es
jedoch zu Unruhe im Publikum. Wutentbrannt griff ein Teilnehmer zum Saalmikrofon und meinte, es bestehe
»eine Unvereinbarkeit zwischen der christlichen und der muslimischen Religion«, weshalb es eine
unsinnige Vorstellung sei, »die Muslime integrieren zu können«. Das veranlasste den auf dem
Podium sitzenden Medizinprofessor und Kardiologie-Experten Salem Kacet von der Universitätsklinik Lille
offenkundig auf die extreme Rechte anspielend zu der Unmutsäußerung: »Bei welcher
Partei bin ich hier eigentlich?«
Ein anderer Teilnehmer aus dem UMP-Publikum hielt
der Forderung eines Podiumsdiskutanten nach besserer Vertretung der Minderheiten in den Medien und vor allem im
Fernsehen entgegen: »Ich bin auch eine Minderheit, ich bin blond und blauäugig!« Worauf der
Podiumsteilnehmer Amirouche Laďdi antwortete: »Ja, aber Sie erleiden keine gewalttätigen
Polizeikontrollen!«
Bis die reaktionäre Parteibasis also mit den
Erfordernissen einer am Bedarf der modernen Ökonomie orientierten Zuwanderungspolitik versöhnt sein
wird, hat die Regierung also anscheinend noch zu tun.
Bernhard Schmid, Paris
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