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Seit mehr als zwanzig Jahren forscht Beverly J. Silver unter anderem in der
World Labor Research Group am Fernand Braudel Center der Binghamton Universität im Bundestaat New
York. Ihr Schwerpunkt ist die historische Entwicklung der Arbeiterunruhen seit den 1870er Jahren. Ihr Fokus
ist dabei global, die Einflüsse kommen aus der operaistischen Bewegung wie aus der Weltsystemschule.
Bei der Darstellung ihrer Arbeiten, einer Übersicht der Schwankungen und Verlagerungen der
Arbeiterunruhen, stützt sie sich auf die umfangreiche Datenbank, die am Fernand Braudel Center auf
Grundlage von Zeitungsartikeln erstellt wurde.
Einige ihrer Ergebnisse überraschen
nicht. Zum Beispiel der Rückgang der Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital während der
Weltkriege zugunsten einer national ausgerichteten Arbeiterklasse. Der Wert des Buchs liegt vor allem in
der Darlegung der verschiedenen Einflüsse auf die unterschiedliche Stärke der Arbeiterbewegung in
verschiedenen Phasen der kapitalistischen Entwicklung. Ausgangspunkt sind für sie Theoreme von Karl
Marx und Karl Polanyi.
Polanyi betont die Besonderheit der Ware
Arbeitskraft auf dem Markt. Das Arbeitsvermögen ist keine für den Markt produzierte Ware, die
Reduzierung dieses Vermögens auf die Ware Arbeitskraft ruft immer wieder Gegenbewegungen auf den Plan,
die den Warencharakter der Arbeitskraft einzuschränken suchen.
Karl Marx sieht den Knackpunkt in der
Produktion, wo die Ware Arbeitskraft nicht wie jede andere Ware benutzt werden kann. Die Menschen, an die
sie gebunden ist setzten sich immer wieder zur Wehr.
Diesen beiden Bewegungsmotoren der
Arbeiterbewegung gibt Beverly J. Silver in ihrem Buch eine empirisch abgesicherte Gestalt. Für alle,
die das Ende der Arbeiterbewegung prophezeit haben, ist dies natürlich ein Schlag ins Gesicht. Die
unterschiedlichen Möglichkeiten der Produzierenden, in den Produktionsprozess einzugreifen, beschreibt
sie am Übergang von der Textilindustrie als wichtigste Industrie im 19.Jahrhundert zur der das
20.Jahrhunderts beherrschenden Automobilindustrie.
Offen bleibt auch für sie, welche
Industrie die Automobilindustrie ablösen wird und wie sich die Möglichkeiten von Widerstand gegen
die Ausbeutungslogik in Zukunft entwickeln wird. Aber sie lässt deutlich werden, es gibt die
Möglichkeiten einer internationalen Solidarität, und das Kapital ist, gleichgültig wohin es
geht, nicht sicher vor Erhebungen gegen seine Ausbeutung.
Sie benennt allerdings Sektoren, die das
Potenzial für eine dominante Rolle hätten: Die Halbleiterindustrie und verschieden Bereiche des
Dienstleistungssektors, die Telekommunikation und den Reinigungsbereich, den Bildungsbereich sowie die
personalen Dienstleistungen.
Wichtig ist das Buch vor allem auch, weil der
Blickwinkel auf die zeitlich begrenzten Lösungsmöglichen der Verwertungsschwierigkeiten des
Kapitals der des Widerstands ist. Sie verherrlicht dabei diese Bewegung keineswegs, sondern legt die
Bedingungen auf, unter denen sie sich entwickeln, zurückweichen und wie der Widerstand sich neu
zusammensetzt.
Beverly J. Silver weist zu Beginn des Buchs
auf verschiedene Überdeterminierungen der Klassenfrage hin: »So bezieht sich eine zentrale
feministische Kritik an den vorherrschenden Arbeiterstudien auf deren Unfähigkeit, die Verbreitung und
Bedeutung von Ausgrenzungsstrategien zu erkennen. Traditionellerweise haben die Arbeiterstudien eine
Geschichte der Klassenbildung erzählt, in der es vor allem um Handwerker und gelernte Arbeiter in
Westeuropa und den USA geht, die sich angesichts ihrer Proletarisierung und Dequalifizierung politisch
organisierten und der Bedrohung ihres Lebensunterhalts und ihrer traditionellen Arbeitsweise widersetzten.
Wie feministische Wissenschaftlerinnen herausgearbeitet haben, wird dadurch, dass bestimmte Akteure
implizit als prototypische oder universelle Subjekte der Klassenbildung definiert werden, der Eindruck
erweckt, Rasse (weiß) und Geschlecht (männlich) dieser historisch spezifischen Akteure seien
unbedeutend. Das führt dazu, dass die Art und Weise, in der ›sowohl Geschlecht als auch Rasse
… konstitutiv für Klassenidentitäten waren‹, ausgeblendet wird.«
Im Verlauf des Buchs spielt diese
Einschätzung allerdings nur in Bezug auf die Mobilisierung der jeweiligen nationalen Arbeiterklasse
auf das nationale Projekt noch eine wesentliche Rolle.
Übersetzt wurde der Band von der Gruppe
Wildcat, die auch noch in Anhängen die Datenbank der World Labor Group und die Systematik der
Datenerfassung vorstellt. Dies ist sicher nicht nur aufgrund der Besonderheit dieser Datenbank eine
wichtige Ergänzung. Doch bleibt die Frage, wie diese weitgehend quantitative Erfassung aus
bürgerlichen Zeitungen ausreicht, um viele der dargestellten Entwicklungen ausreichend zu
begründen.
Dies macht sich besonders bemerkbar bei der
Beschreibung der Parallelen zwischen der Arbeiterbewegung am Ende des 19. und am Anfang des
21.Jahrhunderts. Der Zusammenbruch des RGW, egal wie man selbst zum Charakter dieser Staaten steht, hatte
einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf die Arbeiterbewegung weltweit gehabt, wenn auch in
unterschiedlichem Maße. Dass diese Einflüsse sich schwerlich aus der New York Times
herausextrahieren lassen, ist unschwer nachzuvollziehen.
Trotz solcher Einschränkungen ist Forces
of Labor ein überfälliger und daher umso notwendiger Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung
und gehört ins obligatorische Handgepäck der Weiterentwicklung von Perspektiven emanzipatorischer
sozialer Bewegungen.
Dies ganz im Sinne von Beverly J. Silvers:
»Die ultimative Herausforderung, vor der die Arbeiterinnen und Arbeiter der Welt zu Beginn des
21.Jahrhunderts stehen, ist also der Kampf nicht nur gegen die eigene Ausbeutung und den eigenen
Ausschluss, sondern für eine internationale Ordnung, die den Profit tatsächlich der
Existenzsicherung aller unterordnet.«
Thomas Schroedter
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