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Im deutschen Verb »erwarten« steckt eine doppelte Bedeutung: Es
kann die (passive) Haltung »warten auf«, »zuversichtlich hoffen« ausdrücken
es erwartet uns etwas. Darin steckt aber auch die (aktive) Bedeutung: ausschauen, bewachen, in Hab-Acht-
Stellung gehen wir fordern etwas ein. Die Wählerinnen und Wähler dieser Partei am
18.September werden zwischen Hoffen und Skepsis schwanken. Das ist charakteristisch für eine
Situation, in der eine Partei links von SPD und Grünen, die auf Anhieb im Bundestag die
drittstärkste Kraft werden kann, einerseits für die bundesdeutsche Politik ein unerhörtes
Novum ist, andererseits das Personal, das die neue Fraktion bilden soll, in der Vergangenheit eher für
Anpassungskurs als für kraftvolle Opposition stand. Damit Hoffnungen nicht betrogen werden, muss aus
der Skepsis aktives Einfordern werden. Sagen wir: ein Programm »Fördern und fordern«
für die neue Linkspartei. In diesem Sinne: Was erwarten wir von dieser Partei und ihrer
Bundestagsfraktion?
Wenden wir uns zunächst dem ersten
Wortsinn zu: Was erwartet uns? Das Wahlprogramm der Linkspartei unterscheidet sich in den Grundaussagen
nicht sehr von der Stoßrichtung der »10 Punkte aus dem Wahlmanifest der WASG«. Es ist an
vielen Stellen erheblich präziser, an anderen geht es darüber hinaus, in einigen Punkten bleibt
es auch deutlich dahinter zurück, am auffälligsten: Das klare Nein der WASG zur EU-Verfassung
fehlt im Wahlprogramm der Linkspartei.
Beide Programme sind in der Hauptsache
defensiv und entwickeln Gegenentwürfe nur in Ansätzen und in Teilbereichen doch das ist
Ausdruck der politischen Schwäche der bundesdeutschen Linken insgesamt. Dessen ungeachtet bieten sie
eine brauchbare Grundlage für den ersten Schritt, der heute notwendig zu tun ist, weshalb auch viele
bisherige Nichtwähler und Skeptiker dieser Partei am 18.September ihre Stimme geben werden: Ein
klares, konsequentes und kompromissloses Nein zu jeder weiteren neoliberalen Zurichtung unserer
Gesellschaft.
Von einer Linkspartei die Einhaltung ihres
Wahlprogramms zu fordern scheint eine Plattitüde, ist es aber nicht. Der Druck zur angeblichen
»Realpolitik«, also zur Anpassung der eigenen Forderungen an ein Niveau, wo sie auch
rückschrittlicheren Kräften noch akzeptabel erscheinen, ist groß. Es ist dieser Druck, der
die sozialdemokratischen Regierungsparteien in Europa zur Übernahme des neoliberalen Programms
gedrängt hat. Er manifestiert sich an der Spitze der Linkspartei schon vor der Wahl: Da wird der im
Wahlprogramm geforderte gesetzliche Mindestlohn von 1400 Euro bereits auf 1200 Euro herunter gekocht
also auf das Niveau, das derzeit vom Ver.di-Bundesvorstand diskutiert wird. Die IG Metall sträubt
sich, wie man weiß, überhaupt gegen einen gesetzlichen Mindestlohn. Kann man als Linkspartei im
Parlament über das Forderungsniveau der Gewerkschaften hinausgehen? Man wird es müssen, will man
den Teufelskreis der Selbstlähmung durchbrechen: die Partei geht nicht weiter als die Bewegung und die
Bewegung nicht weiter, als die politischen Verhältnisse ihr dies erlauben. 1400 Euro brutto für
eine Alleinerziehende bedeuten etwas über 1000 Euro netto, das ist kohärent mit den 750 Euro
Grundsicherung, die gleichzeitig gefordert werden. Eine Absenkung auf 1200 Euro würde bedeuten, man
akzeptiert die Höhe des ALG II, wie sie derzeit ist. Hier erwarten uns also Einbrüche.
Was erwartet uns noch? Vor allem dies: eine parteipolitisch offene Situation. Denn die Fraktion,
die in den Bundestag gewählt wird, hat nicht eine Partei im Rücken, sondern zwei, die miteinander
kooperieren, aber auch konkurrieren in Westdeutschland, im Bundestag, am stärksten in Berlin.
Beide sind die Verpflichtung eingegangen, in der kommenden Legislaturperiode eine gemeinsame Partei zu
bilden. Dies wird unter Bedingungen geschehen, wo die WASG die PDS im Westen an Wählerstimmen und
Mitgliederzahlen deutlich überflügeln wird. Die Konkurrenzsituation verschafft den Linken in
beiden Parteien zumal wenn die sozialen Proteste wieder zunehmen einen gewissen Spielraum,
vor allem wenn sie ab sofort gemeinsam agieren, im Hinblick nicht auf ihre jeweilige alte, sondern auf eine
gemeinsame neue Partei. Inhaltliche Verwerfungen und Abgrenzungen, die aus organisationspolitischem
Egoismus und aus der Verteidigung von Posten begründet sind, sollte man getrost den Rechten
überlassen. Die PDS ist da mehr belastet, weil sie bürokratisch verknöcherter ist als die
WASG.
Es ist bei dieser Konstellation keineswegs
ausgemacht, dass die Fusion der beiden Parteien nur von oben erfolgt. Mindestens in der WASG könnte
man durchsetzen, dass eine neue Partei auch einen neuen Parteibildungsprozess erfordert also die
Türen weit aufsperren und landauf, landab die Bildung von konstituierenden Strukturen ermuntern, aus
denen die neue Partei hervorgehen muss. Alle, soziale Bewegungen wie auch interessierte Einzelpersonen,
Künstler, Intellektuelle und vor allem die vom neoliberalen Kahlschlag Betroffenen sind einzuladen,
daran mitzuwirken. Wenn eine neue Linkspartei Erfolg haben will, dann muss sie deren Partei sein. Das ist
die Chance, die sich nach einer erfolgreichen Bundestagswahl bietet sie muss mit aller Energie
durchgesetzt werden.
Was müssen wir einfordern? Die Linkspartei stellt eine Chance dar, weil sie ein organisierter
Ausdruck dafür ist, dass eine Alternative zum Neoliberalismus möglich ist. Der jahrelange Bann,
der von dem Machtwort »TINA« ausging, ist gebrochen. Eine antineoliberale Fraktion im Bundestag
schafft die Möglichkeit, in einer breiten Öffentlichkeit überhaupt wieder eine
gesellschaftliche Debatte über Systemalternativen zu führen. Das sollen diese Fraktion und die
hinter ihr stehenden Parteien auch tun! Sie müssen nicht von vornherein alle Antworten parat haben,
aber sie dürfen auch nicht so tun, als hätten sie sie. Sie müssen den Dialog mit den Opfern
neoliberaler Politik organisieren, und sie müssen ihre Strukturen so gestalten, dass diese sie
beeinflussen können. Ihre Mitglieder, ihre Wählerinnen und Wähler, die sozialen Bewegungen
müssen über die politischen Aussagen einer Linkspartei und die Arbeit ihrer Fraktion mitbestimmen
können.
Die Fraktion muss den Elfenbeinturm des
Parlaments verlassen, sie darf die Parteien nicht als Wasserträgerinnen für ihre Parlamentsarbeit
missbrauchen, und die Parteien (insbesondere die WASG) dürfen sich nicht damit zufrieden geben, dass
die Fraktion und die mediale Öffentlichkeit, die ihr zuteil wird, den einzigen oder auch nur
wichtigsten Zugang zur Gesellschaft darstellen.
Die Wählerinnen und Wähler der
Linkspartei sind noch weit davon entfernt, diese Partei als ihre Interessenvertretung im Parlament
anzusehen. Dafür ist das Misstrauen gegenüber der Parteiform zu groß, die bisherigen
Erfahrungen mit SPD, Grünen und PDS zu schlecht. Der zu erwartende Wählerzuspruch am 18.September
enthält vor allem Vorschusslorbeeren, er steht unter dem Unschuldsvorbehalt des »ersten
Mals«. Er hat sich schnell abgenutzt, wenn den politisch Verantwortlichen nicht mehr einfällt,
als business as usual im Parlament.
Am 18.September werden wir nicht mehr haben
als eine auf die Schnelle zusammen gezimmerte Fraktion. Eine neue Linkspartei, die diesen Namen verdient,
ist ein ganz anderes Ding. Da geht es um weit mehr als um die Aufstellung gemeinsamer Kandidatenlisten. Es
geht, um es verkürzt auszudrücken, darum, das Scheitern der sozialdemokratischen wie der
»kommunistischen« Tradition der Arbeiterbewegung zum bewussten Ausgangspunkt für eine neue
Konzeption von Partei, ihrem Verhältnis zu sozialen Bewegungen und ihrem Agieren im Parlament zu
nehmen.
Zum letzten Aspekt seien ein paar Sätze gesagt, denn die Wahlerklärungen beider Parteien
sind an diesem Punkt am schwächsten. Zu den zentralen Fragen, die sich heute stellen, gehört
neben dem Ausweg aus der Massenarbeitslosigkeit, einer Antwort auf die Energiekrise und auf die Zunahme von
persönlicher und staatlicher/militärischer Gewalt auch die zunehmende Delegitimierung der
bürgerlich-repräsentativen Demokratie, die Aushöhlung und bürokratische Erstarrung
parlamentarischer Institutionen, die Unterminierung von Konzepten wie Volkssouveränität oder
Gewaltenteilung, die Re-Feudalisierung von Machtstrukturen.
Eine Linkspartei, die der populistischen
Politikerschelte etwas entgegensetzen will, muss damit anfangen, nach allen Regeln der Kunst eine Kritik
der bestehenden politischen Machtverhältnisse und der Ohnmacht des Parlaments vorzutragen. Dabei geht
es nicht darum, nach der Manier der KPD Ende der 20er Jahre das Parlament als Schwatzbude zu titulieren. Es
geht darum, der schleichenden Tendenz, nach dem »starken Mann« zu rufen, etwas entgegenzusetzen,
und das kann nicht die Verteidigung der bestehenden Strukturen sein. Das Wort Demokratie muss mit neuem
Inhalt gefüllt, es müssen Konzepte partizipativer Demokratie und neue Vertretungsformen
entwickelt werden, die die Menschen davon überzeugen, dass politisches Engagement sich lohnt, dass sie
selbst in ihrem Umkreis politischen Einfluss ausüben können und dass eine Linkspartei von ihnen
mehr will als nur ihre Stimme am Wahltag. Eine Fraktion, die in den Bundestag mit einem Konzept der Reform
der politischen Institutionen einzöge, wäre eher davor gefeit, sich diesem Betrieb anzupassen;
sie hätte ihren Schwerpunkt nicht mehr im (bestehenden) Parlament.
Wir haben jetzt die Chance, über diese und andere Fragen offen zu diskutieren. Wir können
nicht erwarten, dass eine neue Partei, die aus den alten Fehlern gelernt hat, frisch gebacken vom Himmel
fällt. Das ist ein Lernprozess, und wir stehen erst am Anfang. Wir werden Zeit dafür brauchen.
Möglicherweise erweist sich auch diese Linkspartei als Fehlschlag und wir benötigen mehrere
Anläufe. In jedem Fall ist der Lernprozess keine Einbahnstraße: Wie eine neue Linkspartei sich
nicht darauf beschränken kann, Fraktionen in die Parlamente zu schicken, sondern mit ihrer Arbeit den
gesellschaftlichen Widerstand stärken muss, so können soziale Bewegungen sich nicht damit
begnügen, einer solchen Partei Forderungspakete vor die Tür zu stellen.
Sie müssen den Willen entwickeln, selber
zu einem politischen Akteur zu werden und mit einer Partei in einen aktiven Dialog treten, sie müssen
Kritik an der Verselbstständigung einer Partei mit Konzepten für andere Formen der politischen
Vertretung beantworten. Dafür müssen sie sich zu einem gesellschaftlichen Subjekt formieren,
handlungsfähig werden. Sie müssen aufhören, dem Trugschluss nachzulaufen, man könne mit
außerparlamentarischem Protest allein die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, ohne
Fragen nach den Strukturen der politischen Macht aufzuwerfen. Sie müssen zu einem ernst zu nehmenden
Partner für gesellschaftliche und politische Veränderung werden. Beides gehört
unauflöslich zusammen.
Deswegen ist, zugespitzt gesagt, der Prozess
der Sozialforen auch nicht etwas der Herausbildung einer neuen Linkspartei entgegengesetztes, sondern
komplementäres.
Angela Klein
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