SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 3

Was erwarten wir von der Linkspartei?

Im deutschen Verb »erwarten« steckt eine doppelte Bedeutung: Es kann die (passive) Haltung »warten auf«, »zuversichtlich hoffen« ausdrücken — es erwartet uns etwas. Darin steckt aber auch die (aktive) Bedeutung: ausschauen, bewachen, in Hab-Acht- Stellung gehen — wir fordern etwas ein. Die Wählerinnen und Wähler dieser Partei am 18.September werden zwischen Hoffen und Skepsis schwanken. Das ist charakteristisch für eine Situation, in der eine Partei links von SPD und Grünen, die auf Anhieb im Bundestag die drittstärkste Kraft werden kann, einerseits für die bundesdeutsche Politik ein unerhörtes Novum ist, andererseits das Personal, das die neue Fraktion bilden soll, in der Vergangenheit eher für Anpassungskurs als für kraftvolle Opposition stand. Damit Hoffnungen nicht betrogen werden, muss aus der Skepsis aktives Einfordern werden. Sagen wir: ein Programm »Fördern und fordern« für die neue Linkspartei. In diesem Sinne: Was erwarten wir von dieser Partei und ihrer Bundestagsfraktion?
Wenden wir uns zunächst dem ersten Wortsinn zu: Was erwartet uns? Das Wahlprogramm der Linkspartei unterscheidet sich in den Grundaussagen nicht sehr von der Stoßrichtung der »10 Punkte aus dem Wahlmanifest der WASG«. Es ist an vielen Stellen erheblich präziser, an anderen geht es darüber hinaus, in einigen Punkten bleibt es auch deutlich dahinter zurück, am auffälligsten: Das klare Nein der WASG zur EU-Verfassung fehlt im Wahlprogramm der Linkspartei.
Beide Programme sind in der Hauptsache defensiv und entwickeln Gegenentwürfe nur in Ansätzen und in Teilbereichen — doch das ist Ausdruck der politischen Schwäche der bundesdeutschen Linken insgesamt. Dessen ungeachtet bieten sie eine brauchbare Grundlage für den ersten Schritt, der heute notwendig zu tun ist, weshalb auch viele bisherige Nichtwähler und Skeptiker dieser Partei am 18.September ihre Stimme geben werden: Ein klares, konsequentes und kompromissloses Nein zu jeder weiteren neoliberalen Zurichtung unserer Gesellschaft.
Von einer Linkspartei die Einhaltung ihres Wahlprogramms zu fordern scheint eine Plattitüde, ist es aber nicht. Der Druck zur angeblichen »Realpolitik«, also zur Anpassung der eigenen Forderungen an ein Niveau, wo sie auch rückschrittlicheren Kräften noch akzeptabel erscheinen, ist groß. Es ist dieser Druck, der die sozialdemokratischen Regierungsparteien in Europa zur Übernahme des neoliberalen Programms gedrängt hat. Er manifestiert sich an der Spitze der Linkspartei schon vor der Wahl: Da wird der im Wahlprogramm geforderte gesetzliche Mindestlohn von 1400 Euro bereits auf 1200 Euro herunter gekocht — also auf das Niveau, das derzeit vom Ver.di-Bundesvorstand diskutiert wird. Die IG Metall sträubt sich, wie man weiß, überhaupt gegen einen gesetzlichen Mindestlohn. Kann man als Linkspartei im Parlament über das Forderungsniveau der Gewerkschaften hinausgehen? Man wird es müssen, will man den Teufelskreis der Selbstlähmung durchbrechen: die Partei geht nicht weiter als die Bewegung und die Bewegung nicht weiter, als die politischen Verhältnisse ihr dies erlauben. 1400 Euro brutto für eine Alleinerziehende bedeuten etwas über 1000 Euro netto, das ist kohärent mit den 750 Euro Grundsicherung, die gleichzeitig gefordert werden. Eine Absenkung auf 1200 Euro würde bedeuten, man akzeptiert die Höhe des ALG II, wie sie derzeit ist. Hier erwarten uns also Einbrüche.

Was erwartet uns noch? Vor allem dies: eine parteipolitisch offene Situation. Denn die Fraktion, die in den Bundestag gewählt wird, hat nicht eine Partei im Rücken, sondern zwei, die miteinander kooperieren, aber auch konkurrieren — in Westdeutschland, im Bundestag, am stärksten in Berlin. Beide sind die Verpflichtung eingegangen, in der kommenden Legislaturperiode eine gemeinsame Partei zu bilden. Dies wird unter Bedingungen geschehen, wo die WASG die PDS im Westen an Wählerstimmen und Mitgliederzahlen deutlich überflügeln wird. Die Konkurrenzsituation verschafft den Linken in beiden Parteien — zumal wenn die sozialen Proteste wieder zunehmen — einen gewissen Spielraum, vor allem wenn sie ab sofort gemeinsam agieren, im Hinblick nicht auf ihre jeweilige alte, sondern auf eine gemeinsame neue Partei. Inhaltliche Verwerfungen und Abgrenzungen, die aus organisationspolitischem Egoismus und aus der Verteidigung von Posten begründet sind, sollte man getrost den Rechten überlassen. Die PDS ist da mehr belastet, weil sie bürokratisch verknöcherter ist als die WASG.
Es ist bei dieser Konstellation keineswegs ausgemacht, dass die Fusion der beiden Parteien nur von oben erfolgt. Mindestens in der WASG könnte man durchsetzen, dass eine neue Partei auch einen neuen Parteibildungsprozess erfordert — also die Türen weit aufsperren und landauf, landab die Bildung von konstituierenden Strukturen ermuntern, aus denen die neue Partei hervorgehen muss. Alle, soziale Bewegungen wie auch interessierte Einzelpersonen, Künstler, Intellektuelle und vor allem die vom neoliberalen Kahlschlag Betroffenen sind einzuladen, daran mitzuwirken. Wenn eine neue Linkspartei Erfolg haben will, dann muss sie deren Partei sein. Das ist die Chance, die sich nach einer erfolgreichen Bundestagswahl bietet — sie muss mit aller Energie durchgesetzt werden.

Was müssen wir einfordern? Die Linkspartei stellt eine Chance dar, weil sie ein organisierter Ausdruck dafür ist, dass eine Alternative zum Neoliberalismus möglich ist. Der jahrelange Bann, der von dem Machtwort »TINA« ausging, ist gebrochen. Eine antineoliberale Fraktion im Bundestag schafft die Möglichkeit, in einer breiten Öffentlichkeit überhaupt wieder eine gesellschaftliche Debatte über Systemalternativen zu führen. Das sollen diese Fraktion und die hinter ihr stehenden Parteien auch tun! Sie müssen nicht von vornherein alle Antworten parat haben, aber sie dürfen auch nicht so tun, als hätten sie sie. Sie müssen den Dialog mit den Opfern neoliberaler Politik organisieren, und sie müssen ihre Strukturen so gestalten, dass diese sie beeinflussen können. Ihre Mitglieder, ihre Wählerinnen und Wähler, die sozialen Bewegungen müssen über die politischen Aussagen einer Linkspartei und die Arbeit ihrer Fraktion mitbestimmen können.
Die Fraktion muss den Elfenbeinturm des Parlaments verlassen, sie darf die Parteien nicht als Wasserträgerinnen für ihre Parlamentsarbeit missbrauchen, und die Parteien (insbesondere die WASG) dürfen sich nicht damit zufrieden geben, dass die Fraktion und die mediale Öffentlichkeit, die ihr zuteil wird, den einzigen oder auch nur wichtigsten Zugang zur Gesellschaft darstellen.
Die Wählerinnen und Wähler der Linkspartei sind noch weit davon entfernt, diese Partei als ihre Interessenvertretung im Parlament anzusehen. Dafür ist das Misstrauen gegenüber der Parteiform zu groß, die bisherigen Erfahrungen mit SPD, Grünen und PDS zu schlecht. Der zu erwartende Wählerzuspruch am 18.September enthält vor allem Vorschusslorbeeren, er steht unter dem Unschuldsvorbehalt des »ersten Mals«. Er hat sich schnell abgenutzt, wenn den politisch Verantwortlichen nicht mehr einfällt, als business as usual im Parlament.
Am 18.September werden wir nicht mehr haben als eine auf die Schnelle zusammen gezimmerte Fraktion. Eine neue Linkspartei, die diesen Namen verdient, ist ein ganz anderes Ding. Da geht es um weit mehr als um die Aufstellung gemeinsamer Kandidatenlisten. Es geht, um es verkürzt auszudrücken, darum, das Scheitern der sozialdemokratischen wie der »kommunistischen« Tradition der Arbeiterbewegung zum bewussten Ausgangspunkt für eine neue Konzeption von Partei, ihrem Verhältnis zu sozialen Bewegungen und ihrem Agieren im Parlament zu nehmen.

Zum letzten Aspekt seien ein paar Sätze gesagt, denn die Wahlerklärungen beider Parteien sind an diesem Punkt am schwächsten. Zu den zentralen Fragen, die sich heute stellen, gehört neben dem Ausweg aus der Massenarbeitslosigkeit, einer Antwort auf die Energiekrise und auf die Zunahme von persönlicher und staatlicher/militärischer Gewalt auch die zunehmende Delegitimierung der bürgerlich-repräsentativen Demokratie, die Aushöhlung und bürokratische Erstarrung parlamentarischer Institutionen, die Unterminierung von Konzepten wie Volkssouveränität oder Gewaltenteilung, die Re-Feudalisierung von Machtstrukturen.
Eine Linkspartei, die der populistischen Politikerschelte etwas entgegensetzen will, muss damit anfangen, nach allen Regeln der Kunst eine Kritik der bestehenden politischen Machtverhältnisse und der Ohnmacht des Parlaments vorzutragen. Dabei geht es nicht darum, nach der Manier der KPD Ende der 20er Jahre das Parlament als Schwatzbude zu titulieren. Es geht darum, der schleichenden Tendenz, nach dem »starken Mann« zu rufen, etwas entgegenzusetzen, und das kann nicht die Verteidigung der bestehenden Strukturen sein. Das Wort Demokratie muss mit neuem Inhalt gefüllt, es müssen Konzepte partizipativer Demokratie und neue Vertretungsformen entwickelt werden, die die Menschen davon überzeugen, dass politisches Engagement sich lohnt, dass sie selbst in ihrem Umkreis politischen Einfluss ausüben können und dass eine Linkspartei von ihnen mehr will als nur ihre Stimme am Wahltag. Eine Fraktion, die in den Bundestag mit einem Konzept der Reform der politischen Institutionen einzöge, wäre eher davor gefeit, sich diesem Betrieb anzupassen; sie hätte ihren Schwerpunkt nicht mehr im (bestehenden) Parlament.

Wir haben jetzt die Chance, über diese und andere Fragen offen zu diskutieren. Wir können nicht erwarten, dass eine neue Partei, die aus den alten Fehlern gelernt hat, frisch gebacken vom Himmel fällt. Das ist ein Lernprozess, und wir stehen erst am Anfang. Wir werden Zeit dafür brauchen. Möglicherweise erweist sich auch diese Linkspartei als Fehlschlag und wir benötigen mehrere Anläufe. In jedem Fall ist der Lernprozess keine Einbahnstraße: Wie eine neue Linkspartei sich nicht darauf beschränken kann, Fraktionen in die Parlamente zu schicken, sondern mit ihrer Arbeit den gesellschaftlichen Widerstand stärken muss, so können soziale Bewegungen sich nicht damit begnügen, einer solchen Partei Forderungspakete vor die Tür zu stellen.
Sie müssen den Willen entwickeln, selber zu einem politischen Akteur zu werden und mit einer Partei in einen aktiven Dialog treten, sie müssen Kritik an der Verselbstständigung einer Partei mit Konzepten für andere Formen der politischen Vertretung beantworten. Dafür müssen sie sich zu einem gesellschaftlichen Subjekt formieren, handlungsfähig werden. Sie müssen aufhören, dem Trugschluss nachzulaufen, man könne mit außerparlamentarischem Protest allein die gesellschaftlichen Verhältnisse verändern, ohne Fragen nach den Strukturen der politischen Macht aufzuwerfen. Sie müssen zu einem ernst zu nehmenden Partner für gesellschaftliche und politische Veränderung werden. Beides gehört unauflöslich zusammen.
Deswegen ist, zugespitzt gesagt, der Prozess der Sozialforen auch nicht etwas der Herausbildung einer neuen Linkspartei entgegengesetztes, sondern komplementäres.

Angela Klein

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang