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Groß sind Aufregung, Wut und Enttäuschung in Wolfsburg und weit
darüber hinaus. Aufregung und Wut über die Raffkementalität von Managern, die
»Scheinfirmen« gründen, um an Volkswagen doppelt zu verdienen, Enttäuschung
darüber, dass der ehemalige Betriebsratsvorsitzende daran beteiligt war. Es fällt nicht leicht,
die Vorgänge auseinander zu halten, richtig zu sortieren und vor allem richtig zu bewerten.
Der ehemals hohe Personalmanager Helmuth Schuster (Leiter des Zentralen Personalwesens Konzern,
Personalvorstand Skoda, Redakteur aller drei »Bücher« unter der Autorenschaft von Hartz
sowie »rechte Hand« von Hartz in der »Hartz-Kommission«) hat gemeinsam mit dem ehemals
kleinen Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer (Leiter einer kleinen Abteilung im Personalwesen) diverse
Firmen in mehreren Ländern gegründet, um an deren Geschäften mit Volkswagen zu verdienen. Ob
das im Rahmen von Verfassung und Wirtschaftsordnung kriminell ist, wird eventuell von Gerichten
geklärt.
Im Zusammenhang mit ähnlichen
Vorgängen in vielen Unternehmen in diesem Land und lächerlichen Verurteilungen ist wohl eher
davon auszugehen, dass gegen das bürgerliche Recht nicht oder nur geringfügig verstoßen
wurde. Das aktuelle Lehrstück hierfür ist die »Verurteilung« des mehrere Jahre
»untergetauchten« geheimdienstlichen Rüstungsmanagers Holger Pfahls, der wegen
Bestechlichkeit und Unterschlagung in Millionenhöhe auf freien Fuß gesetzt wird. Selbst ein VW-
Aufsichtsratsmitglied (Walter Hirche, Niedersachsens FDP-Wirtschaftsminister) bezweifelt, dass alles
ans Tageslicht kommt, »weil die Verflechtungen so vielfältig sind, dass möglicherweise
auch Herr Gebauer nicht alles auf den Tisch legt«. Und Hartz hat gar nichts auf den Tisch zu legen?
Vielleicht haben Schuster und Gebauer nur das
gemacht, was viele Unternehmen, Volkswagen eingeschlossen, zur Unternehmensstrategie entwickelt haben:
Outsourcing zwecks Profiterhöhung. Einer der selbst ernannten Autoexperten, Wolfgang Meinig von der
Uni Bamberg, spricht offen von »Zahlungen, die VW fordert, damit jemand in den erlauchten Kreis der
Zulieferer kommt«. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer in der gesamten Automobilindustrie
üblichen Praxis und von sechs- bis siebenstelligen Summen. An viel mehr Geld und viel legaler kommt
man da doch, wenn man gleich selbst Firmen gründet, die mit VW Geschäfte machen. Das Netz von
Volkswagen umfasst inzwischen weit über 100 Unternehmen, die es beherrscht, und nochmals viel mehr
Unternehmen, an denen VW maßgeblich beteiligt ist. Der Betriebsratsvorsitzende hat als
Aufsichtsratsmitglied an vielen diesbezüglichen Entscheidungen mitgewirkt. Wer prüft eigentlich,
welcher Manager wo sein Geld und seine Finger drin hat?
Der ehemalige »mächtigste Betriebsrat Deutschlands« verschiedene Journalisten
haben ihn so bezeichnet , Klaus Volkert, ist zurückgetreten, weil er bei der Beteiligung an den
Geschäften von Schuster und Gebauer erwischt worden ist. Wäre Schuster nicht aufgeflogen
vielleicht wollte man Hartz ja auf diesem Weg loswerden , wäre auch Volkert nicht erwischt
worden.
Sich als Betriebsrat an solchen
Geschäften zu beteiligen, ist unanständig, politisch und moralisch unvertretbar und zeugt von
eher geringer Weitsicht, weil man sich damit in die Hände von windigen Managern gibt. Aber es passt
ins Bild eines »mächtigen Betriebsrats«, dessen größte Sorge wohl darin besteht,
»auf Augenhöhe« mit dem Management zu sprechen. Augenhöhe bedeutet dann eben auch
Designer-Anzüge und teure Zigarren wenn die aus Kuba sind, bekommt selbst die
»Augenhöhe« noch einen antiamerikanischen Touch.
Die »Augenhöhe« als kollektive
Kraft der organisierten Beschäftigten, ein Warnstreik z.B., ist für solche Interessenvertreter
allenfalls Instrument, ihre eigene Machtposition zu demonstrieren und zu verbessern. Deshalb wurden ihm
wahrscheinlich das Bundesverdienstkreuz und der niedersächsische Verdienstorden verliehen. Deshalb
wohl verlieh ihm die Uni Braunschweig »Grad und Würde eines Doktors der Staatswissenschaften
Ehren halber (Dr.rer.pol.h.c.) in Anerkennung seiner herausragenden innovativen Leistung bei der
Weiterentwicklung der industriellen Beziehungen sowie bei der Gestaltung moderner Betriebs-, Arbeits- und
Unternehmensstrukturen«.
Mächtig war er auch durch diese
Hofierung, selbstverständlich wussten die Hofierenden nichts über die Geschäfte hinter den
Kulissen. Interessant auch das Bild, das eine Außenstehende, die brasilianische Bekannte von Volkert,
im NDR-Film wiedergibt: »Er ist ein hervorragender Manager, der respektiert werden sollte. Er hat
Volkswagen sein gesamtes Leben verschrieben.«
Wütend und enttäuscht über
diesen Volkert sind viele Kolleginnen und Kollegen, weil er alle bis zum letzten Tage belogen hat, als er
bei der Betriebsversammlung erklärte, er träte aus Altersgründen zurück. Am 3.August
2005 äußerte sich Volkert in dem tendenziell antigewerkschaftlichen NDR-Film zu den
Vorwürfen erstmals öffentlich und erkläret: »Ich habe im privatem Bereich vielleicht
nicht alles richtig gemacht, und das tut mir vor allem für meine Familie sehr leid.« Kein Wort an
seine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen. Warum das so geschehen konnte, ist im Betriebsrat und in der IG
Metall aufzuarbeiten. Mit dem Hinweis auf die »Unschuldsvermutung bis zum Beweis des Gegenteils«
wird es sicher nicht getan sein. Nach Abschluss der Urlaubszeit ist Gelegenheit zur transparenten
Aufarbeitung und kritischen Selbstüberprüfung, die genutzt werden muss.
Volkswagen befindet sich im Umbruch.
Äußerlich wird dieser Umbruch neben der offensichtlichen Profitkrise durch einen
Generationswechsel gekennzeichnet von Piëch zu Pischetsrieder und von Hartz zu Bernhard. Deutlich
wird an den jüngsten Vorgängen übrigens auch bei DaimlerChrysler , dass solche
Brüche in kapitalistischen Unternehmen häufig, fast immer, in gewalttätiger Form verlaufen.
Die spannende Frage ist nun, ob dieser Umbruch
auch das Ende von Co-Management und kooperativer Konfliktlösung bedeutet und was an deren Stelle
treten wird. In kaum erträglicher väterlicher Art hat Hartz den Betriebsrat vereinnahmt:
»Alle Bereiche und Funktionen des Unternehmens, einschließlich Betriebsrat, werden in die
Business Unit vor Ort integriert und dem Selbstregulierungsmechanismus der strikten Bedarfsorientierung bis
hin zum Aufgabenentfall ausgesetzt … Der Betriebsrat wird in die Leitung der Business Unit integriert
und arbeitet voll verantwortlich mit.« Im letzten Buch, das Hartz von Schuster redigieren ließ,
heißt es gar: »Wer die vertrauensvolle Zusammenarbeit (§2 BetrVG) beherzigt, benötigt
die anderen Paragrafen der Betriebsverfassung kaum noch.«
In der bereits zitierten NDR-Sendung
äußert Pischetsrieder süffisant über die Rolle des Betriebsrats, diese sei ja im
Betriebsverfassungsgesetz präzise formuliert. Daraus, sowie aus Ankündigungen vom neuen VW-
Markenchef Bernhard, die Kosten bis 2008 um 7 Milliarden Euro zu senken, ist abzuleiten, dass das Ende von
Hartz und Volkert bei VW auch das Ende dieser Form von Co-Management sein soll. Es bleibt die Verantwortung
von Hartz und die Dummheit von Volkert, den Betriebsrat in diese Situation gebracht zu haben.
IG Metall, Betriebsrat und Belegschaft
müssen sich jetzt auf eine andere Gangart einstellen und selber eine andere Gangart einschlagen. Ob
das überhaupt und in der notwendigen Geschwindigkeit gelingt, hängt auch von der Art und Weise
der Aufarbeitung dieser Affäre ab, deren strukturelle Voraussetzungen im Betriebsrat und in der
Gewerkschaft selbstkritisch reflektiert werden müssen.
Das schon zitierte Aufsichtsratsmitglied Walter Hirche forderte in dem Gespräch bezogen auf den
künftigen Personalvorstand, »mehr Internationalität kann dem Unternehmen nur gut tun«.
Als Beispiel nannte er den Markenchef bei VW, Wolfgang Bernhard, der seine Gesellenjahre bei
DaimlerChrysler in den USA absolviert hat. In durchschaubarem Bezug dazu stehen die vielen schlauen
Kommentare, die die gesamte internationale Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit mit voyeuristischem Blick
und moralischem Zeigefinger in die Schmuddelecke stecken wollen.
Das Verantwortungslose am gemeinsamen Wirken
von Hartz und Volkert besteht auch darin, dass diese notwendige internationale Solidaritätsarbeit in
den Belegschaften und in der Öffentlichkeit diskreditiert wurde. Zur Aufarbeitung innerhalb von IG
Metall und Betriebsrat gehört deshalb, die Form internationaler Arbeit zu überprüfen: Euro-
Betriebsrat und Weltkonzernbetriebsrat sind sinnvolle Institutionen zum Informations- und
Erfahrungsaustausch, so wie das in der EU-Richtlinie und in Verträgen zwischen IG Metall und VW
festgelegt und vereinbart ist.
Diese ersetzen aber keineswegs die konkrete
und praktische internationale Solidarität der Belegschaften und Gewerkschaften, die
erfahrungsgemäß im scharfen Gegensatz zum Konkurrenzprinzip der Unternehmen steht. In Zeiten der
Globalisierung kann gewerkschaftliche Interessenvertretung nur grenzüberschreitend wirksam sein. Dazu
gehören selbstverständlich auch Reisen von Beschäftigten aller Standorte zu allen
Standorten, um die handelnden Personen und jeweiligen Arbeitsbedingungen, Traditionen, Kulturen und
Organisationen kennen zu lernen. Erst dies schafft die Voraussetzung für Vertrauen und letztlich
für aktive internationale Solidarität, die keine Hierarchie und keine Dominanz erträgt.
Mit Standortpolitik, die nicht nur in der IG-
BCE-Kampagne »Modell Deutschland« seltsame Blüten treibt, ist diese internationale
Solidarität jedenfalls nicht vereinbar. Insofern bedarf es einer tiefgreifenden
gewerkschaftspolitischen Debatte, bei der es sich lohnt, die jüngere Entwicklung der
Gewerkschaftsbewegung in den USA zu studieren.
Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit, die
sich an den Interessen der Beschäftigten und der Erwerbslosen orientiert und darauf gerichtet ist, die
Menschen einzubeziehen und zu aktivieren, war und ist anstrengend und konfliktträchtig. Die
gegenwärtige Krise beinhaltet das Risiko, dass die positiven Teile von Mitbestimmung und
Betriebsverfassung, das, was durch die Novemberrevolution 1918, durch die Geschichte nach 1945 und die
Septemberstreiks 1969 erreicht wurde, was vor allem durch die besondere Geschichte von Volkswagen erreicht
wurde, nun mit dem zu heißen Bad von Hartz und Volkert ausgekippt wird.
Die Krise beinhaltet die Chance,
offensichtliche Defizite des deutschen Modells der Mitbestimmung, die »Sozialpartnerschaft«, die
»kooperative Konfliktlösung«, das »Co-Management«, zu überwinden. Der
Hauptmangel besteht in der verbreiteten Illusion, der Gegensatz von Kapital und Arbeit sei aufgehoben. Der
schon zitierte selbsternannte Autoexperte Wolfgang Meinig bezeichnete die »ultradominante Rolle des
Betriebsrats« und Co-Management in diesem Zusammenhang als »unverschämten Anspruch«.
Dem Herrn Professor sollten wir helfen, bevor er irgendeiner unserer Kolleginnen oder Kollegen einen
Ehrendoktor als Schlinge um den Hals legt.
Stephan Krull
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