SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 10

Alstom Power Mannheim

Wirbeln gegen Arbeitsplatzabbau

Seit dem Frühjahr 2005 befinden sich die Kolleginnen und Kollegen von Alstom-Power im Widerstand gegen die Abbaupläne des Konzerns.

Im Mannheimer Werk arbeiten rund 2000 Menschen. Hier werden Turbinen und Generatoren für nichtnukleare Kraftwerke geplant und produziert. Die Konzernleitung will rund 900 Stellen abbauen. Betriebsrat und Belegschaft fürchten, dass dies der vorletzte Schritt vor der Schließung des über 100 Jahre alten Betriebs sein soll. Deshalb ist der Widerstand die einzige Möglichkeit, die Vernichtung zu verhindern.
Offensichtlich will die Konzernführung mehr als die Nettogewinne — wie angekündigt — verdoppeln. Nur so ist zu erklären, dass sie trotz einer bis zum 30.Juni 2007 geltenden Arbeitsplatzgarantie jetzt versucht, weitere Stellen zu vernichten. Offenbar geht es um die Fusion oder Kooperation mit anderen Großkonzernen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass zunächst gemeinsam mit dem Atomkonzern Areva und dann mit Siemens ein neuer europäischer »Champion« im Kraftwerks- und Verkehrstechnikbereich gebildet werden soll. Im Hintergrund droht eine globale Wiedergeburt der gefährlichen Atomenergie und der Bau Hunderter neuer Kernkraftwerke.
Um davon abzulenken, behauptete das Management, der Kraftwerksmarkt konzentriere sich nunmehr auf Asien, deshalb müssten Planung und Produktion vor allem nach China und Indien, aber auch nach Mexiko verlagert werden.
Dies ist nachweislich falsch. Fachkreise erwarten bis 2002 eine Steigerung des Strombedarfs in der erweiterten Europäischen Union um 38%. Anders gesagt: Um diese Versorgungslücke zu schließen, müssen fast 450 konventionelle Kraftwerke mit einer durchschnittlichen Leistung von je 600 Megawatt gebaut werden. Ein gigantisches Volumen, da ein Kraftwerk dieser Größenordnung mehr als eine halbe Milliarde Euro kostet.
Die Konzernleitung versucht auch, das profitable Werk in Mannheim kaputt zu rechnen. Ganze Bereiche in Konstruktion und Fertigung sollen geschlossen werden, obwohl sie maßgeblich zu den Gewinnen des Konzerns beigetragen haben und mit ihren Kompetenzen im gesamten Konzern einmalig sind. Andere Abteilungen sollen derart dezimiert werden, dass ihre weitere Existenz in Frage gestellt ist.

Widerstand statt Resignation

Nachdem die Pläne der Pariser Konzernleitung Ende März bekannt geworden waren, forderte der Betriebsrat das örtliche Management in einer Betriebsversammlung umgehend auf, Stellung zu beziehen.
Als keine Antworten kamen, wurde die Versammlung unterbrochen, dann vom 25. bis zum 29.April fortgesetzt. Eine Woche lang haben Beschäftigte in Dutzenden von Redebeiträgen und Aktionen alle »Argumente« der Konzernleitung widerlegt. In einer enthusiastischen Atmosphäre hat die Belegschaft eine bisher nicht erreichte Geschlossenheit und Kampfbereitschaft gezeigt. Fünf Tage lang hat sie ansatzweise das Geschehen im Betrieb kontrolliert.
Am Ende jedes Tages demonstrierten jeweils etwa 1500 Kolleginnen und Kollegen lautstark für den Erhalt aller Arbeitsplätze vom Werk aus in die Stadt. Höhepunkt war sicherlich die fünfte Demonstration, an der sich insgesamt 3000 Menschen beteiligten: Alstom-Kollegen und ihre Familienangehörigen einschließlich einer großen Zahl von Kindern.
Am darauf folgenden Sonntag demonstrierten zum sechsten Mal in sieben Tagen große Teile der Belegschaft. Etwa 2000 Alstom-Beschäftigte und ihre Familien prägten dann die Mannheimer 1.Mai-Demonstration und Kundgebung.
Am Montag, dem ersten Tag der Betriebsversammlung, gab es Solidaritätsaktionen der anderen deutschen Alstom-Power-Belegschaften. Am Dienstag und Mittwoch folgten Arbeitsunterbrechungen der Alstom-Beschäftigten in Spanien und in Italien. Der Widerstand hatte damit eine weit über die Grenzen Mannheims hinaus reichende Dynamik gewonnen. Der Konzernleitung musste spätestens jetzt klar geworden sein, dass das Mannheimer Motto »Résistance — unsere Chance!« ernst zu nehmen ist.
Am vierten Tag verließen die örtlichen Vorstände, Personalleiter und Geschäftsführer begleitet von Buhrufen und Pfiffen der Belegschaft die Betriebsversammlung. Angeblich wegen wichtiger Termine, in Wirklichkeit, um die Legitimität der Versammlung infrage zu stellen.
Mit einer Klage beim Arbeitsgericht Mannheim wollte der Konzern jetzt die Rechte des Betriebsrats und der Belegschaft einschränken und die Fortführung der Betriebsversammlung für illegal erklären lassen. Nachdem die örtliche Geschäftsleitung wochenlang versucht hatte, einzelne Betriebsräte einzuschüchtern, strebte das Management nun ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Betriebsrat als Gremium an.

Weitere Aktionen

Am 17.Mai machten spontan rund 700 Beschäftigte von ihrem Informationsrecht Gebrauch. Sie versammelten sich am Tor 1. Eine Delegation besuchte die gleichzeitig stattfindende Aufsichtsratssitzung der Alstom-Power-Holding und forderte eine Stellungnahme zu den Abbauplänen.
Wenige Tage später versuchte die Konzernleitung mit einer einstweiligen Verfügung die vom Betriebsrat geplante Fortsetzung der Betriebsversammlung gerichtlich zu untersagen. Da der Betriebsrat vorsorglich eine »Schutzschrift« beim Arbeitsgericht eingereicht hatte, musste das Gericht die Parteien anhören. In einem Vergleich einigten sich beide Seiten darauf, dass die für den 30.Mai angekündigte Betriebsversammlung als »weitere« Versammlung gemäß Betriebsverfassungsgesetz zu werten sei.
Im Anschluss an diese Betriebsversammlung fand im Rahmen des Aktionstags der deutschen Alstom-Standorte am 30.Mai eine erneute Demonstration zum Mannheimer Marktplatz statt. Unter den rund 2000 Teilnehmenden waren viele Beschäftigte aus anderen Alstom-Werken. Zahlreiche Delegationen aus Betrieben der Rhein-Neckar-Region zeigten ihre Solidarität.
Am 23.Juni nutzten erneut Hunderte Kolleginnen und Kollegen ihr Informationsrecht. Anlass war der Versuch des Vorstands, einseitig Anweisungen zur Ordnung im Betrieb und zum Verhalten der Beschäftigten festzulegen. Zwar war das Management nicht bereit, der auf dem Hof versammelten Belegschaft Rede und Antwort zu stehen. Aber bereits am nächsten Tag waren die neuen Verhaltensregeln vom Tisch.
Trotz massiver Versuche, Beschäftigte einzuschüchtern und von ihrem Grundrecht auf Demonstration Gebrauch zu machen, beteiligten sich rund 600 an einem weiteren Protestmarsch in die Mannheimer Innenstadt. Ziel dieser Demonstration war das örtliche Arbeitsgericht, wo am 29.Juni der Gütetermin zu dem Beschlussverfahren gegen den Betriebsrat stattfand.
Die Rechtsvertreter von Alstom Power machten deutlich, dass sie eine grundsätzliche Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der mehrtägigen Betriebsversammlung herbeiführen wollten. »Hier geht es nicht um formale Feststellungsklagen«, kommentierte daraufhin der Betriebsrat in einem Informationsblatt, »hier geht es offenbar darum, den Widerstand gegen die Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte zu brechen.« Eine gütliche Einigung konnte unter diesen Umständen verständlicherweise nicht gelingen.
Eine weitere Zuspitzung des Konflikts fand im Vorfeld des Solidaritäts-Fests vom 22.Juli statt. Mit der Begründung, in der gegenwärtigen Situation gebe es nichts zu feiern, versuchte der Vorstand, die Veranstaltung zu verhindern. Trotz erneuter Drohungen und Einschüchterungsmaßnahmen ließen sich rund 700 Beschäftigte nicht davon abhalten, gemeinsam mit Delegationen aus anderen Betrieben und Bereichen den Zusammenhalt der Beschäftigten von Alstom Power zu bekräftigen.
Die Konzernleitung behauptet zwar, sie wolle die gültige Standortvereinbarung einhalten. Gleichzeitig schleust sie jedoch Aufträge entgegen entsprechenden Festlegungen an Mannheim vorbei. Damit will sie das Werk aushungern und die Belegschaft demoralisieren.
Eine zwischenzeitlich auf Vorschlag der IG Metall eingerichtete Arbeitsgruppe des Aufsichtsrats wird sich bis Ende September mit der Situation des Mannheimer Alstom-Standorts befassen.
Betriebsrat und Belegschaft haben ausreichend Argumente für ihre Gegenwehr. Die Verteidigung aller Arbeitsplätze und aller Fähigkeiten des Mannheimer Betriebs hat eine gesellschafts-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Bedeutung weit über die Rhein-Neckar-Region hinaus. Es geht nicht nur um die Frage des Widerstands gegen Arbeitsplatzvernichtung, sondern auch um die Frage der Kontrolle wirtschaftlicher Macht, und es geht um Grundsatzentscheidungen über die Energieerzeugung der Zukunft.
Wahrscheinlich ist mit einem lange andauernden Abwehrkampf bei Alstom Power zu rechnen. Es gilt deshalb, verstärkt Solidarität zu organisieren.

Fritz Becker

Spendenkonto: Klaus-Peter Spohn-Logé, Sparkasse Rhein-Neckar Nord (BLZ 67050505) 30279832, Stichwort »Résistance«.



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