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Seit dem Frühjahr 2005 befinden sich die Kolleginnen und Kollegen von
Alstom-Power im Widerstand gegen die Abbaupläne des Konzerns.
Im Mannheimer Werk arbeiten rund 2000 Menschen. Hier werden Turbinen und Generatoren für
nichtnukleare Kraftwerke geplant und produziert. Die Konzernleitung will rund 900 Stellen abbauen.
Betriebsrat und Belegschaft fürchten, dass dies der vorletzte Schritt vor der Schließung des
über 100 Jahre alten Betriebs sein soll. Deshalb ist der Widerstand die einzige Möglichkeit, die
Vernichtung zu verhindern.
Offensichtlich will die Konzernführung
mehr als die Nettogewinne wie angekündigt verdoppeln. Nur so ist zu erklären, dass
sie trotz einer bis zum 30.Juni 2007 geltenden Arbeitsplatzgarantie jetzt versucht, weitere Stellen zu
vernichten. Offenbar geht es um die Fusion oder Kooperation mit anderen Großkonzernen. Es ist ein
offenes Geheimnis, dass zunächst gemeinsam mit dem Atomkonzern Areva und dann mit Siemens ein neuer
europäischer »Champion« im Kraftwerks- und Verkehrstechnikbereich gebildet werden soll. Im
Hintergrund droht eine globale Wiedergeburt der gefährlichen Atomenergie und der Bau Hunderter neuer
Kernkraftwerke.
Um davon abzulenken, behauptete das
Management, der Kraftwerksmarkt konzentriere sich nunmehr auf Asien, deshalb müssten Planung und
Produktion vor allem nach China und Indien, aber auch nach Mexiko verlagert werden.
Dies ist nachweislich falsch. Fachkreise
erwarten bis 2002 eine Steigerung des Strombedarfs in der erweiterten Europäischen Union um 38%.
Anders gesagt: Um diese Versorgungslücke zu schließen, müssen fast 450 konventionelle
Kraftwerke mit einer durchschnittlichen Leistung von je 600 Megawatt gebaut werden. Ein gigantisches
Volumen, da ein Kraftwerk dieser Größenordnung mehr als eine halbe Milliarde Euro kostet.
Die Konzernleitung versucht auch, das
profitable Werk in Mannheim kaputt zu rechnen. Ganze Bereiche in Konstruktion und Fertigung sollen
geschlossen werden, obwohl sie maßgeblich zu den Gewinnen des Konzerns beigetragen haben und mit ihren
Kompetenzen im gesamten Konzern einmalig sind. Andere Abteilungen sollen derart dezimiert werden, dass ihre
weitere Existenz in Frage gestellt ist.
Nachdem die Pläne der Pariser Konzernleitung Ende März bekannt geworden waren, forderte der
Betriebsrat das örtliche Management in einer Betriebsversammlung umgehend auf, Stellung zu beziehen.
Als keine Antworten kamen, wurde die
Versammlung unterbrochen, dann vom 25. bis zum 29.April fortgesetzt. Eine Woche lang haben
Beschäftigte in Dutzenden von Redebeiträgen und Aktionen alle »Argumente« der
Konzernleitung widerlegt. In einer enthusiastischen Atmosphäre hat die Belegschaft eine bisher nicht
erreichte Geschlossenheit und Kampfbereitschaft gezeigt. Fünf Tage lang hat sie ansatzweise das
Geschehen im Betrieb kontrolliert.
Am Ende jedes Tages demonstrierten jeweils
etwa 1500 Kolleginnen und Kollegen lautstark für den Erhalt aller Arbeitsplätze vom Werk aus in
die Stadt. Höhepunkt war sicherlich die fünfte Demonstration, an der sich insgesamt 3000 Menschen
beteiligten: Alstom-Kollegen und ihre Familienangehörigen einschließlich einer großen Zahl
von Kindern.
Am darauf folgenden Sonntag demonstrierten zum
sechsten Mal in sieben Tagen große Teile der Belegschaft. Etwa 2000 Alstom-Beschäftigte und ihre
Familien prägten dann die Mannheimer 1.Mai-Demonstration und Kundgebung.
Am Montag, dem ersten Tag der
Betriebsversammlung, gab es Solidaritätsaktionen der anderen deutschen Alstom-Power-Belegschaften. Am
Dienstag und Mittwoch folgten Arbeitsunterbrechungen der Alstom-Beschäftigten in Spanien und in
Italien. Der Widerstand hatte damit eine weit über die Grenzen Mannheims hinaus reichende Dynamik
gewonnen. Der Konzernleitung musste spätestens jetzt klar geworden sein, dass das Mannheimer Motto
»Résistance unsere Chance!« ernst zu nehmen ist.
Am vierten Tag verließen die
örtlichen Vorstände, Personalleiter und Geschäftsführer begleitet von Buhrufen und
Pfiffen der Belegschaft die Betriebsversammlung. Angeblich wegen wichtiger Termine, in Wirklichkeit, um die
Legitimität der Versammlung infrage zu stellen.
Mit einer Klage beim Arbeitsgericht Mannheim
wollte der Konzern jetzt die Rechte des Betriebsrats und der Belegschaft einschränken und die
Fortführung der Betriebsversammlung für illegal erklären lassen. Nachdem die örtliche
Geschäftsleitung wochenlang versucht hatte, einzelne Betriebsräte einzuschüchtern, strebte
das Management nun ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Betriebsrat als Gremium an.
Am 17.Mai machten spontan rund 700 Beschäftigte von ihrem Informationsrecht Gebrauch. Sie
versammelten sich am Tor 1. Eine Delegation besuchte die gleichzeitig stattfindende Aufsichtsratssitzung
der Alstom-Power-Holding und forderte eine Stellungnahme zu den Abbauplänen.
Wenige Tage später versuchte die
Konzernleitung mit einer einstweiligen Verfügung die vom Betriebsrat geplante Fortsetzung der
Betriebsversammlung gerichtlich zu untersagen. Da der Betriebsrat vorsorglich eine
»Schutzschrift« beim Arbeitsgericht eingereicht hatte, musste das Gericht die Parteien
anhören. In einem Vergleich einigten sich beide Seiten darauf, dass die für den 30.Mai
angekündigte Betriebsversammlung als »weitere« Versammlung gemäß
Betriebsverfassungsgesetz zu werten sei.
Im Anschluss an diese Betriebsversammlung fand
im Rahmen des Aktionstags der deutschen Alstom-Standorte am 30.Mai eine erneute Demonstration zum
Mannheimer Marktplatz statt. Unter den rund 2000 Teilnehmenden waren viele Beschäftigte aus anderen
Alstom-Werken. Zahlreiche Delegationen aus Betrieben der Rhein-Neckar-Region zeigten ihre Solidarität.
Am 23.Juni nutzten erneut Hunderte Kolleginnen
und Kollegen ihr Informationsrecht. Anlass war der Versuch des Vorstands, einseitig Anweisungen zur Ordnung
im Betrieb und zum Verhalten der Beschäftigten festzulegen. Zwar war das Management nicht bereit, der
auf dem Hof versammelten Belegschaft Rede und Antwort zu stehen. Aber bereits am nächsten Tag waren
die neuen Verhaltensregeln vom Tisch.
Trotz massiver Versuche, Beschäftigte
einzuschüchtern und von ihrem Grundrecht auf Demonstration Gebrauch zu machen, beteiligten sich rund
600 an einem weiteren Protestmarsch in die Mannheimer Innenstadt. Ziel dieser Demonstration war das
örtliche Arbeitsgericht, wo am 29.Juni der Gütetermin zu dem Beschlussverfahren gegen den
Betriebsrat stattfand.
Die Rechtsvertreter von Alstom Power machten
deutlich, dass sie eine grundsätzliche Entscheidung zur Rechtmäßigkeit der mehrtägigen
Betriebsversammlung herbeiführen wollten. »Hier geht es nicht um formale
Feststellungsklagen«, kommentierte daraufhin der Betriebsrat in einem Informationsblatt, »hier
geht es offenbar darum, den Widerstand gegen die Unterdrückung der Arbeitnehmerrechte zu
brechen.« Eine gütliche Einigung konnte unter diesen Umständen verständlicherweise
nicht gelingen.
Eine weitere Zuspitzung des Konflikts fand im
Vorfeld des Solidaritäts-Fests vom 22.Juli statt. Mit der Begründung, in der gegenwärtigen
Situation gebe es nichts zu feiern, versuchte der Vorstand, die Veranstaltung zu verhindern. Trotz erneuter
Drohungen und Einschüchterungsmaßnahmen ließen sich rund 700 Beschäftigte nicht davon
abhalten, gemeinsam mit Delegationen aus anderen Betrieben und Bereichen den Zusammenhalt der
Beschäftigten von Alstom Power zu bekräftigen.
Die Konzernleitung behauptet zwar, sie wolle
die gültige Standortvereinbarung einhalten. Gleichzeitig schleust sie jedoch Aufträge entgegen
entsprechenden Festlegungen an Mannheim vorbei. Damit will sie das Werk aushungern und die Belegschaft
demoralisieren.
Eine zwischenzeitlich auf Vorschlag der IG
Metall eingerichtete Arbeitsgruppe des Aufsichtsrats wird sich bis Ende September mit der Situation des
Mannheimer Alstom-Standorts befassen.
Betriebsrat und Belegschaft haben ausreichend
Argumente für ihre Gegenwehr. Die Verteidigung aller Arbeitsplätze und aller Fähigkeiten des
Mannheimer Betriebs hat eine gesellschafts-, arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitische Bedeutung weit
über die Rhein-Neckar-Region hinaus. Es geht nicht nur um die Frage des Widerstands gegen
Arbeitsplatzvernichtung, sondern auch um die Frage der Kontrolle wirtschaftlicher Macht, und es geht um
Grundsatzentscheidungen über die Energieerzeugung der Zukunft.
Wahrscheinlich ist mit einem lange andauernden
Abwehrkampf bei Alstom Power zu rechnen. Es gilt deshalb, verstärkt Solidarität zu organisieren.
Fritz Becker
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