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In den 80er Jahren stellte der Vorsitzende von Sinn Féin, Gerry Adams,
für die Menschen in Nordirland eine große Hoffnung dar. Als charismatischer Führer, der
offen zu einem freien und vereinten Irland aufrief, war er ein ständiger Stachel im Fleisch von
Margret Thatcher und anderen Verteidigern des britischen Empire. In den 90er Jahren wurde er durch seine
Bereitschaft, den Friedensprozess zu unterstützen, auch zu einem Helden des Mainstream.
Sieben Jahre nach der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens 1998 ist Gerry Adams nun zunehmend
unter Druck geraten, sich von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) zu trennen, nachdem hochrangige
Mitglieder der IRA in die Ermordung von Robert McCartney, einem katholischen Familienvater, verwickelt
waren. Am 27.Juli kündigte die IRA an, dass sie den »bewaffneten Kampf« aufgebe,
gleichzeitig behauptete der irische Justizminister Michael McDowell, Gerry Adams sei vom Armeerat der IRA
zurückgetreten.
Die Partei Sinn Féin ist lange als
politischer Flügel der IRA betrachtet worden. Beide Organisationen arbeiteten zusammen, um Nordirland
von der britischen Herrschaft zu befreien und an die Republik Irland anzuschließen. Die Ermordung
McCartneys wie auch ein der IRA zugeschriebener Bankraub im vergangenen Dezember führten dazu, dass
irische Öffentlichkeit im Norden wie im Süden, Katholiken wie Protestanten ein
zunehmend kritisches Verhältnis zu beiden Flügeln hat.
Katholiken wie Protestanten
begrüßten das Karfreitagsabkommen. Nach über dreißig Jahren brutaler Gewalt griffen
beide Seiten bereitwillig jedes Anzeichen eines Friedens auf. Das Abkommen und der damit verbundene
Waffenstillstand zwischen probritischen (»loyalistischen« oder »unionistischen«) und
republikanischen Kräften sollten die Gewalt beenden und eine eigene nordirische Versammlung
einberufen, die die britische Herrschaft lockern würde. Sie sollten auch die Gesetze aufheben, die die
britische Regierung anwendet, um vorgeblich im Interesse der protestantischen Mehrheit
Katholiken zu verfolgen und ihnen politische und Bürgerrechte zu verweigern.
Das Abkommen erwies sich als leeres Versprechen. Der britische Premier Tony Blair gab jedesmal klein
bei, wenn die Unionisten Schwierigkeiten machten wie im Fall von David Trimbles Ulster Unionist Party. Als
sich die Unionisten im Jahr 2000 beklagten, die Nordirland-Ministerin Mo Mowlam sei zu
»prokatholisch«, wurde sie von Blair ihres Amtes enthoben. Kam Opposition von republikanischer
Seite, wurde sie jedesmal ignoriert.
Den Loyalisten wurde immer wieder erlaubt, den
Friedensprozess zu sabotieren, und die britische Regierung verzögerte die Durchsetzung vieler
Bürgerrechte. Die Worte auf dem Papier klangen wirklich progressiv, doch die Regierung Blair
scheiterte bei ihrer Übersetzung in praktische Maßnahmen zum Schutz der Rechte der Katholiken.
Die Politik der Segregation wurde durch das
Abkommen nicht nur nicht aufgehoben, sie wurde beinahe ermutigt. Das Abkommen erlaubte den Fortbestand rein
katholischer oder protestantischer Einrichtungen, z.B. Schulen.
Durch sein fehlendes Rückgrat
gegenüber den Unionisten gelang es Tony Blair nicht, das Abkommen als eine gangbare Alternative zu
Unionismus und Loyalismus durchzusetzen. Er schaffte es nicht, bedeutende Teile der Protestanten von
militanter Gewalt wegzubringen.
Mit Beginn des Waffenstillstands waren die
Katholiken die Hauptleidtragenden von Angriffen waren. Obgleich es sporadisch interne Kämpfe unter
republikanischen Gruppen gab, hat die IRA die Bedingungen des Waffenstillstands größtenteils
befolgt. Loyalistische Gruppen wie die Ulster Defence Association (UDA) oder die Ulster Freedom Fighters
(UFF) hingegen haben trotz ihrer offiziellen Anerkennung des Waffenstillstands mehrere Angriffe mit der
Absicht ausgeführt, die Republikaner zu einer Rückkehr zur Gewalt zu provozieren.
Allein von Mai bis Juli 2002 führten
Loyalisten 363 nichttödliche Angriffe auf Katholiken durch, darunter 144 Bombenanschläge.
Während dieses Zeitraums gab es zwar auch Gewaltakte von republikanischen Gruppen, allerdings von
dissidenten, nicht zur IRA gehörenden Splittergruppen.
Der Lebensstandard in Nordirland ist für
beide Seiten relativ niedrig. Während es in der nordirischen Gesellschaft eine starke Tradition
»protestantischer Privilegien« gibt, haben die Haushaltskürzungen und Privatisierungen, die
unmittelbar nach Inkrafttreten des Karfreitagsabkommens durchgeführt wurden, alle Werktätigen
getroffen, Protestanten ebenso wie Katholiken.
Die Diskriminierung der katholischen Bevölkerung kann nur im Licht einer Spalte-und-herrsche-
Strategie betrachtet werden. Weil die Republikaner die Katholiken aus ihrem Status als Bürger zweiter
Klasse herausführen wollen, sind sie eine Bedrohung für diese Ordnung. In welchem Ausmaß sie
dies sind, darüber lässt sich allerdings streiten. Die genannten Haushaltskürzungen wurden
jedenfalls von Sinn Féin nicht bekämpft.
Die Webseite der Partei rühmt nach wie
vor die Notwendigkeit einer »Arbeiterrepublik der 32 Counties«. Tatsächlich war ihre
Rhetorik über Jahre hinweg ziemlich radikal. Dennoch machte sie gelegentlich Zugeständnisse, um
in führende Positionen zu gelangen.
In den letzten Jahren hat Sinn Féin mit
ihrer Beteiligung an der nordirischen Versammlung Rückzieher in der Abtreibungsfrage gemacht und den
Weg zur Privatisierung von Krankenhäusern und Schulen gebahnt. Adams hat sich in den vergangenen zehn
Jahren zunehmend kritisch über militante Aktionen geäußert, und die meisten Regierungen und
Medien haben ihn deshalb mit Lob überschüttet. Doch für einen kompletten Bruch mit der IRA
war die Zeit noch nicht reif. Die Ermordung McCartneys lieferte eine gute Gelegenheit.
Es geht Gerry Adams dabei nicht um eine
effektivere Strategie, wie die irischen Arbeiterinnen und Arbeiter für wichtige Forderungen
mobilisiert werden könnten, sondern um eine weitere Konzession: Sinn Féin will sich als eine
gegenüber »der Wirtschaft« freundlich eingestellte Partei erweisen. In anderen Worten, Sinn
Féin hat sich in eine Ecke zurückgezogen, aus der heraus sie mit beiden Seiten spielen
möchte. Sie hat zwei Alternativen: Sie kann die IRA aufgeben und weiter nach rechts gehen, oder
trotzig alle Hoffnung auf eine Regierungsbeteiligung fahren lassen, um den Guerillakrieg wieder aufzunehmen
das wäre allerdings unpopulär und unglaubwürdig, da sie selbst sieben Jahre lang die
Wohltaten des Karfreitagsabkommens gepriesen hat.
In der Philosophie der irischen Republikaner
gibt es einen fundamentalen Widerspruch. Ihre immanent elitäre Einstellung macht sie unfähig, die
Mehrheit der Menschen um ihre Forderungen zu organisieren. Laut dem irischen Schriftsteller und Aktivisten
Kieran Allen haben die Republikaner »entschieden den Glauben, dass die Masse des Volkes
grundsätzlich passiv ist und dass eine engagierte Minderheit nötig ist, um Erfolge zu erzielen.
Dieser Heldenmythos von 1916 wird jedem Republikaner eingehämmert. Die Masse der Dubliner Arbeiter war
vom Empire ›korrumpiert‹ worden und konnte nur durch die tapfere Aktion der Märtyrer
›erweckt‹ werden.«
Die Ablehnung der Idee des Massenkampfs ist
das Rückgrat der Wahlstrategie von Sinn Féin wie auch des Militarismus der IRA. Von Beginn an hat
die IRA den Befreiungskampf aus dem Untergrund heraus geführt. Individuelle Attentate und Autobomben
(die den Kampf vorantreiben sollen) erfordern intensive Geheimhaltung. Deshalb hat sie gegenüber der
katholischen Bevölkerung, für deren Interessen sie kämpfte, auch niemals Rechenschaft
über ihr Tun abgelegt.
»Wenn es keinen wirklichen Kampf gibt,
werden paramilitärische Organisationen zum Selbstzweck«, sagt Allen. »Sie haben gewaltige
organisatorische Ressourcen aber wenig, wofür sie über periodisch stattfindende Wahlen
hinaus kämpfen können.« Dies kann in so verschiedene Taktiken münden wie der Betrieb
von Kleinunternehmen wie Taxiunternehmen und Pubs oder Banküberfälle in Belfast. So ist die
Unterstützung für die IRA auf den niedrigsten Stand seit 35 Jahren geschmolzen.
Robert McCartneys Schwester benannte das Problem, als sie die »alte IRA« mit der »neuen
IRA« kontrastierte, aber sie sieht nicht die Verbindung zwischen der elitären Einstellung beider.
Was sie jedoch zum Ausdruck brachte, ist die Notwendigkeit einer wirklichen Lösung in Nordirland.
Die neoliberale Agenda von Sinn Féin
eliminiert die Partei als eine gangbare Alternative für die irische Bevölkerung. Die aktuelle
Krise der republikanischen Bewegung wirft für alle, die die Befreiung Nordirlands anstreben, Fragen
auf. Der Schlüssel für die Befreiung liegt in der Entwicklung eines Kampfes entlang von
Klassenlinien und nicht der Religionszugehörigkeit.
Die Protestanten mögen die Mehrheit sein,
aber diese Mehrheit ist schmal. Die Volkszählung von 2001 ergab einen Anteil der katholischen
Bevölkerung von 46% und legt nahe, dass sie bald in der Mehrheit sein könnte. Die Lösung
liegt in den Widersprüchen einer zunehmend globalisierten Gesellschaft. Der Kapitalismus schert sich
nicht darum, ob ein Arbeiter Katholik oder Protestant ist, er ist nur daran interessiert, aus beiden
möglichst viel auszupressen. Und gerade jetzt hat dieses Auspressen auf beiden Seiten seine Opfer
gefunden.
Seit dem Inkrafttreten des Karfreitagabkommens
sind der Lebensstandard und die Löhne bei Katholiken wie Protestanten gesunken. Das Potenzial
dafür, dass sich die Arbeitenden als Verbündete betrachten, wird dadurch größer.
Die Befreiung Nordirlands findet auf der
Straße statt, aber solange nicht alle Werktätigen, Katholiken und Protestanten, gemeinsam
für Selbstbestimmung und gegen die britische Herrschaft marschieren, werden beide Seiten in Ketten
bleiben.
Alexander Billet
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