SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 15

Turkmenistan

Der gute Tyrann

Die US-Außenministerin Condoleezza Rice bezeichnete im Januar 2005 bei ihrer Amtseinführung die Regierungen von Kuba, Weißrussland, Nordkorea, Iran, Myanmar und Zimbabwe als Vorposten der Tyrannei. Auf der Liste fehlte verdächtigerweise ein Land, das es in Bezug auf Tyrannei mit jedem der obengenannten aufnehmen kann, besonders was die Entwicklung eines bizarren Personenkults betrifft.

Seit Turkmenistan — ein Land mit 5 Millionen Einwohnern — 1991 unabhängig wurde, wird das Land von Saparmurat Nijasow regiert. Bevor Nijasow Präsident auf Lebenszeit und Vater aller Turkmenen wurde, war er der Boss der turkmenischen KP (als solcher war er anfänglich gegen die Unabhängigkeit des Landes). Mittlerweile hat er den ganzen Staatsapparat um seine persönliche Herrschaft reorganisiert. So wurde der Monat Januar nach ihm benannt. Der April erhielt den Namen von Nijasows Mutter, der Mai den seines Vaters, während der September für Ruchnama reserviert wurde, das angeblich von göttlicher Eingebung inspirierte literarische Meisterwerk Nijasows.
Ruchnama basiert auf »der spirituellen Verwirklichung der Ziele und Sendung der Nation«. Ein 2003 veröffentlichter Bericht von Amnesty International bemerkt: »Das Buch wird in Liedern gepriesen, und Auszüge daraus werden täglich in den Medien des Landes veröffentlicht. Alle öffentlich Bediensteten müssen Passagen daraus auswendig können. Studenten werden nicht zur Universität zugelassen, wenn sie nicht einen Test zu Ruchnama bestanden haben. Wenn Häftlinge sich weigern, einen Eid auf Ruchnama abzulegen, werden sie geschlagen, und in vielen Fällen wurde ihnen die Entlassung trotz Verbüßung der Strafe verweigert.«
Die gewöhnlichen Zutaten totalitärer Staatsmacht sind hier alle versammelt: Keine Religion außerhalb der von der Regierung erlaubten darf praktiziert werden; Nijasows Porträt prangt auf den Gebäuden der ganzen Hauptstadt; die Medien sind staatlich gelenkt; es gibt keine unabhängige Rechtsprechung; die Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt (wahrscheinlich sind überall Kameras installiert).
Nach einem gescheiterten Attentat auf Nijasow Ende 2002 wurde die Repression verstärkt. Mindestens 46 Personen wurden verurteilt, die an der Verschwörung beteiligt gewesen sein sollen. Zu ihnen gehörte auch der Oppositionsführer Boris Schichmuradow, früher stellvertretender Ministerpräsident, der vor kurzem heimlich aus dem Exil zurückgekehrt ist, um oppositionelle Demonstrationen zu organisieren. Er und andere Oppositionsführer beschuldigten Nijasow, das Attentat selbst inszeniert zu haben.
Nach seiner Verhaftung und Verurteilung wurden die Geständnisse Schichmuradows und fünf anderer Delinquenten live im Staatsfernsehen gesendet. In einer Szene, die auf schaurige Weise an die stalinistische Vergangenheit erinnerte, behauptete Schichmuradow, der benommen und träge wirkte und wahrscheinlich von einem Manuskript ablas: »Unter uns gibt es keine normale Person. Wir sind alle Nullen. Ich bin keine Person, die fähig wäre, ein Land zu regieren. Ich bin ein Krimineller, nur fähig, es zu zerstören.«
Mit einem zur Schau getragenen Gnadenerlass ignorierte Nijasow die von einem hysterischen Publikum im Gerichtssaal erhobene Forderung nach der Todesstrafe und verurteilte Schichmuradow zu lebenslänglicher Haft. Allerdings berichtet Amnesty International, dass zumindest einige Häftlinge gefoltert wurden und im Gefängnis starben.
Ein weiterer Zug des absoluten Herrschers ist sein extremer Narzissmus, der sich in Form von Großprojekten äußert. Der Observer berichtete im Oktober 2004 von einem im Bau befindlichen großen See mit dem bezeichnenden Namen »See des Goldenen Zeitalters«, dessen Kosten sich auf geschätzte 6,5 Milliarden US-Dollar belaufen. In einem Land mit jetzt schon knappen Wasserressourcen wird der »See des Goldenen Zeitalters« voraussichtlich weitere Knappheit verursachen. Vorgeschlagen wurde auch der Bau eines Eispalastes, der Turkmenistans Kindern die Freuden des Schlittschuhlaufens nahebringen soll — dabei erreichen die Temperaturen in Turkmenistan im Sommer 40 Grad Celsius.

Lob vom großen Bruder

Angesichts bedeutender Ölvorkommen und der fünftgrößten Erdgasvorkommen der Welt sind Nijasow und der neue afghanische Präsident Hamid Karzai (ein früherer Angestellter der Ölgesellschaft Unocal) mehr denn einmal übereingekommen, eine Pipeline durch ihre Länder zu bauen, die Erdgas an das zunehmend energiehungrige Indien leiten soll. Hauptschirmherr des Projekts, das große Unterstützung von der US-Regierung erhält, ist die Asian Developmental Bank. Die vorgeschlagene Route soll die russischen und iranischen Exportrouten umgehen.
In den USA setzte das ressourcenzentrierte Interesse an der Region mit dem Auseinanderfallen der Sowjetunion ein, als Turkmenistan Mitglied der »Partner for Peace« der NATO wurde. Mit Hilfe der ehemaligen Außenminister Alexander Haig und James Baker begannen US-Firmen vorsichtig, Möglichkeiten für Investitionen auszuloten, und im April 1998 wurde Nijasow von Präsident Clinton im Weißen Haus fürstlich bewirtet.
Ein ungewöhnlich freimütiger Bericht der New York Times über Nijasows Besuch begann damals so: »Präsident Clinton und Vizepräsident Gore trafen heute für mehrere Stunden mit dem autoritären Präsidenten einer winzigen zentralasiatischen Republik zusammen, in der Hoffnung, dass ein freundliches Willkommen, mehrere Nächte in Blair House, eine Ehrengarde aus Marineinfanteristen und eine Beihilfe von 750000 Dollar seine Kooperation im wirtschaftlichen Kampf um die Kontrolle über das Öl und das Gas der Region einbringen wird.«
Die Beihilfe wurde von der Trade and Development Agency für eine Machbarkeitsstudie zu alternativen Pipeline-Routen ausgegeben. Gleichzeitig unterzeichnete die Mobil Corporation ein Abkommen für eine »strategische Allianz« mit Nijasow zur Erkundung von Öl- und Gasvorkommen im westlichen Teil des Landes. Und während Vizepräsident Gore die Beziehung lobte, weil sie der Region »Sicherheit und Stabilität« bringe, die neuen Quellen geopolitischer Energie für den Weltmarkt aber nicht erwähnte, versicherte Nijasow neugierigen Reportern: »Wir haben keine Oppositionsparteien. Sie sind falsch informiert.«
In Clintons erster Amtszeit erhielt Turkmenistan geschätzte 2,6 Millionen Dollar Militärhilfe und geschätzte 34,9 Millionen Dollar Hilfe insgesamt. Nach dem 11.September 2001 wurden die Beziehungen zwischen den USA und Turkmenistan enger, als Nijasow Überflugrechte über sein Land gewährte und auch eine Transitroute nach Afghanistan zur Verfügung stellte. Für diese Bemühungen wurde Nijasow mit einer Erhöhung der Militärhilfe belohnt — 2003 erreichte sie die verlangte Gesamtsumme von 19,2 Millionen Dollar. 2005 sank die erbetene Hilfe auf 9,28 Millionen Dollar.
Im April 2002, vier Jahre nach Nijasows Besuch im Weißen Haus, stattete Verteidigungsminister Rumsfeld Nijasow einen Besuch ab. Auf der anschließenden kurzen Pressekonferenz war Rumsfeld augenscheinlich recht zufrieden: »Ich hatte gerade ein Treffen mit dem Präsidenten und der Delegation. Wir hatten einen sehr guten Besuch ... Wie Sie wissen, ist Turkmenistan Mitglied der ›Partnership for Peace‹ der NATO ... Wir dankten auch dem Präsidenten für die Überflugrechte, die für die USA im globalen Krieg gegen den Terrorismus eine große Hilfe gewesen sind.« Vier Monate später empfing Nijasow General Tommy Franks, der eine weitere militärische Kooperation zusagte.

Joseph Grosso

Joseph Grosso ist Buchhändler und lebt in Brooklyn, New York. (Übersetzung: Hans- Günter Mull.)



Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang