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»Czernowitz, das waren Sonntage, die mit Schubert begannen und mit
Pistolenduellen endeten. Czernowitz, auf halbem Weg gelegen zwischen Kiew und Bukarest, Krakau und Odessa,
war die heimliche Hauptstadt Europas, in der die Metzgertöchter Koloratur sangen und die Fiaker
über Karl Kraus stritten. Wo die Bürgersteige mit Rosensträußen gefegt wurden und es
mehr Buchhandlungen gab als Bäckereien. Czernowitz, das war ein immerwährender intellektueller
Diskurs, der jeden Morgen eine neue ästhetische Theorie erfand, die am Abend schon wieder verworfen
war. Wo die Hunde die Namen olympischer Götter trugen und die Hühner Hölderlin-Verse in den
Boden kratzten. Czernowitz war ein Vergnügungsdampfer, der mit ukrainischer Mannschaft, deutschen
Offizieren und jüdischen Passagieren unter österreichischer Flagge zwischen West und Ost
kreuzte.«
Mit diesem Zitat von Georg Heinzen
eröffnet Stefan Hantel alias Shantel das Booklet seiner neuen Produktion Bucovina Club Vol. 2. Hantel,
der Frankfurter DJ, der vor Jahren mit seinen Auftritten der alten Oper in Frankfurt für Furore
sorgte, legt mit dieser Sammlung einmal mehr den Beweis vor, dass Musik dann besonders erfrischend,
spannend und sehr wohl tanzbar daherkommt, wenn sie Grenzen hinter sich lässt.
Die Bukowina, heute zwischen der Ukraine und
Rumänien aufgeteilt, ist die Heimat der Großeltern von Stefan Hantel. Musikalisch hat er diese
entdeckt, als ihm in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Clubherrschaft des Elektronic Trip Hop zu
eng wurde.
Nach DJ-Gigs in den russischen Metropolen nahm
Hantel damals einen Umweg über die Heimat seiner Großeltern. Auf Wochenmärkten, Taufen und
Hochzeiten begegnete er dem Sound des Balkans, die für ihn einen Ausweg aus dem Korsett der angesagten
Frankfurter Clubmusik eröffneten.
Das Ergebnis der Suche nach neuen alten
Klängen nicht nur in der Bukowina führte vor zwei Jahren zur Produktion des ersten Bucovina Club-
Sampler. Damals mit dabei Boban Markovic und Fanfare Ciorcarlia aus Rumänien. Die Mischung aus
Eigenkompositionen und Remixen versprühte eine Freude nicht zuletzt aufgrund der eigenwilligen
Mischung aus Clubbeats und Balkanmelodien.
Auf der zweiten Bucovina-Club-Produktion
tummeln sich einige der bekanntesten Musiker flotter Musik aus Südosteuropa: Das Boban Markovic
Orkestar, die Taraf de Haidouks, die Fanfare Ciocarlia, Goran Bregovic und das Kocani Orkestar. Mit dabei
ist auch Dr.Nelle Karajic, bekannt aus Emir Kusturicas Film Schwarze Katze, weißer Kater, und Slonovsk
Bal aus Frankreich.
Letztere steuern ein herrlich durchgedrehtes
Trinklied bei, das nicht am Ende in Marschtönen heimischer Schützenfestsaufereien endet, sondern
gerade zum Ende hin durch seine Leichtigkeit besticht.
Den Bucovina Club bezeichnet Stefan Hantel
auch als virtuelle Bukowina. Die Mischung der verschiedenen kulturellen Hintergründe, die das Leben in
der Bukowina am Anfang des 20.Jahrhunderts geprägt hat, möchte er in seinen Produktionen zu
Gehör bringen.
Es wundert keineswegs, dass diese Musik
lebendiger, einfallsreicher und klüger daherkommt als der deutschtümelnde Pop mancher gehipten
Nachwuchsband. War die Bukowina doch immerhin die Heimat von Paul Celan, Rose Ausländer und auch des
deutsch-jüdischen Tenors Josef Schmidt, der mit »Ein Freund, ein guter Freund« eine Stimmung
wiedergibt, die neben dem Melancholischen und der Kirmesatmosphäre, die diese Produktion durchziehen,
ebenfalls immer wieder auftaucht.
Am 10.9. und 22.10. ist Shantel mit dem
Bucovina Club in Nürnberg im K4 zu sehen und hören.
Thomas Schroedter
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