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Ein pinkfarbener Brief ist es, der das Leben von Don Johnston (Bill Murray)
in Broken Flowers noch weiter in Unordnung stürzt. Er habe einen 19-jährigen Sohn, heißt es
in dem maschinengeschriebenen und anonym verschickten Schreiben lapidar. Und dass dieser auf dem Weg zu
seinem Vater sei. Das Leben von Johnston ist allerdings auch ohne Sohn bereits ziemlich aus den Fugen
geraten. Der ergraute Don Juan befindet sich mitten in der Midlife-Crisis. Dass ihn gerade seine wesentlich
jüngere Freundin Sherry (Julie Delpy) verlässt, registriert er nur am Rand. Lieber sitzt er im
Trainingsanzug in seinem abgedunkelten Wohnzimmer vor dem Fernseher und sieht sich Zeichentrickfilme und
alte Hollywood-Schinken an. Diese Gemütslage ändert sich auch nicht, als er von seinem bislang
unbekannten Sohn hört.
Wäre da nicht sein Nachbar, der
Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright), der von Johnston nicht umsonst Sherlock genannt wird; eventuell
hätte er als Antwort auf den Brief keinerlei Reaktion an den Tag gelegt. Winston jedoch recherchiert
im Internet nach den ehemaligen Geliebten fünf kommen laut Johnston in Frage und schickt
seinen melancholischen Freund auf eine perfekt organisierte Rundreise durch verschiedene Vorstädte in
den USA. Für Regisseur Jim Jarmusch ist dies der Ausgangspunkt für ein exzellentes Roadmovie, das
er durch zahlreiche komische Elemente auf die Spitze treibt.
Dies beginnt bereits mit der
Prioritätenliste für die Besuche, die so will es der Reiseplaner Winston alle nach
dem gleichen Schema ablaufen. Johnston nimmt sich am Flughafen einen Mietwagen, fährt mit einem
pinkfarbenen Blumenstrauß zur ehemaligen Geliebten und erkundigt sich dort diskret nach
Schreibmaschine und pinkfarbenem Briefpapier. Beiläufig darf er sich auch noch über eventuell
vorhandene Kinder informieren. Hat er den Fragenkatalog abgehakt, fliegt er weiter zur nächsten
Ehemaligen.
Während seines Trips trifft Johnston
zunächst auf die frisch verwitwete Laura (Sharon Stone), mit der nach dem Essen im Bett landet. Lauras
Tochter wiederum macht ihrem Namen Lolita alle Ehre. Nur mit einem pinkfarbenen Bademantel bekleidet
öffnet sie Johnston zu Beginn seines Besuches die Türe. Später erscheint sie
splitterfasernackt im Wohnzimmer, um vor seinen Augen mit ihrem glitzernden Handy zu telefonieren. Zum
Abschied erscheint sie in Reizwäsche auf der Veranda und winkt Johnston nach der Zurechtweisung durch
ihre Mutter vom Fenster aus hinterher. Lolita ist es auch, die Johnstons Frage nach der Schreibmaschine
verneint. Schließlich, so die pubertierende Frau, lebe man doch längst im Computerzeitalter.
Die Lolitaepisode ist nur eine von zahlreichen
komischen Szenen in Broken Flowers. In den meisten besticht Bill Murray durch seine minimalistische Mimik,
die er den ganzen Film über beibehält. Sein wie eingefroren wirkender Blick vom Anfang trägt
bspw. komplett die Szene, als er bei seiner zweiten Station mit der von der Hippiebraut zum stillen
Mäuschen mutierten Dora (Frances Conroy) und deren Mann zu Tisch sitzt. Nur dass er jetzt nicht auf
den Bildschirm starrt, sondern auf den unberührten Teller vor sich und beinahe ohne Reaktion dem
Smalltalk des Ehepaars zuhört. Diese minimalistische Mimik Murrays kontrastiert Jarmusch mit der
Darstellung der Ex-Freundinnen, die, wie Tilda Swindon als Rockerin Penny (dritte Etappe) und Jessica Lange
als Haustierkommunikationstrainerin Carmen (vierte Station), ziemlich extrovertiert auf den Besuch des
ehemaligen Lovers reagieren.
Nicht nur die hervorragenden
schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller machen Broken Flowers, der bei den diesjährigen
Filmfestspielen in Cannes den »Großen Preis der Jury« erhalten hat, zu einem besonderen
Erlebnis. Hinzu kommt der für Regisseur Jim Jarmusch typische Minimalismus, den der exzellent
spielende Murray fantastisch verkörpert. Und natürlich die scheinbare Absurdität von
Johnstons Suche nach Schreibmaschine und Briefpapier, die ihn quer durch die USA reisen lässt. Am Ende
jedoch hilft gerade dieser Trip Johnston bei der Überwindung seiner Midlife-Crisis. Bis dahin muss er
allerdings alle vier Ehemalige und das Grab der fünften Ex-Freundin besuchen sowie eine weitere,
unerwartete Begegnung hinter sich bringen.
Volker Elste
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