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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2005, Seite 21

Filmtipp

Midlife-Crisis

Broken Flowers, USA 2005, Regie: Jim Jarmusch. Mit Bill Murray, Sharon Stone, Jessica Lange, Frances Conroy, Tilda Swindon, Julie Delpy u.a. Kinostart: 8.September

Ein pinkfarbener Brief ist es, der das Leben von Don Johnston (Bill Murray) in Broken Flowers noch weiter in Unordnung stürzt. Er habe einen 19-jährigen Sohn, heißt es in dem maschinengeschriebenen und anonym verschickten Schreiben lapidar. Und dass dieser auf dem Weg zu seinem Vater sei. Das Leben von Johnston ist allerdings auch ohne Sohn bereits ziemlich aus den Fugen geraten. Der ergraute Don Juan befindet sich mitten in der Midlife-Crisis. Dass ihn gerade seine wesentlich jüngere Freundin Sherry (Julie Delpy) verlässt, registriert er nur am Rand. Lieber sitzt er im Trainingsanzug in seinem abgedunkelten Wohnzimmer vor dem Fernseher und sieht sich Zeichentrickfilme und alte Hollywood-Schinken an. Diese Gemütslage ändert sich auch nicht, als er von seinem bislang unbekannten Sohn hört.
Wäre da nicht sein Nachbar, der Hobbydetektiv Winston (Jeffrey Wright), der von Johnston nicht umsonst Sherlock genannt wird; eventuell hätte er als Antwort auf den Brief keinerlei Reaktion an den Tag gelegt. Winston jedoch recherchiert im Internet nach den ehemaligen Geliebten — fünf kommen laut Johnston in Frage — und schickt seinen melancholischen Freund auf eine perfekt organisierte Rundreise durch verschiedene Vorstädte in den USA. Für Regisseur Jim Jarmusch ist dies der Ausgangspunkt für ein exzellentes Roadmovie, das er durch zahlreiche komische Elemente auf die Spitze treibt.
Dies beginnt bereits mit der Prioritätenliste für die Besuche, die — so will es der Reiseplaner Winston — alle nach dem gleichen Schema ablaufen. Johnston nimmt sich am Flughafen einen Mietwagen, fährt mit einem pinkfarbenen Blumenstrauß zur ehemaligen Geliebten und erkundigt sich dort diskret nach Schreibmaschine und pinkfarbenem Briefpapier. Beiläufig darf er sich auch noch über eventuell vorhandene Kinder informieren. Hat er den Fragenkatalog abgehakt, fliegt er weiter zur nächsten Ehemaligen.
Während seines Trips trifft Johnston zunächst auf die frisch verwitwete Laura (Sharon Stone), mit der nach dem Essen im Bett landet. Lauras Tochter wiederum macht ihrem Namen Lolita alle Ehre. Nur mit einem pinkfarbenen Bademantel bekleidet öffnet sie Johnston zu Beginn seines Besuches die Türe. Später erscheint sie splitterfasernackt im Wohnzimmer, um vor seinen Augen mit ihrem glitzernden Handy zu telefonieren. Zum Abschied erscheint sie in Reizwäsche auf der Veranda und winkt Johnston nach der Zurechtweisung durch ihre Mutter vom Fenster aus hinterher. Lolita ist es auch, die Johnstons Frage nach der Schreibmaschine verneint. Schließlich, so die pubertierende Frau, lebe man doch längst im Computerzeitalter.
Die Lolitaepisode ist nur eine von zahlreichen komischen Szenen in Broken Flowers. In den meisten besticht Bill Murray durch seine minimalistische Mimik, die er den ganzen Film über beibehält. Sein wie eingefroren wirkender Blick vom Anfang trägt bspw. komplett die Szene, als er bei seiner zweiten Station mit der von der Hippiebraut zum stillen Mäuschen mutierten Dora (Frances Conroy) und deren Mann zu Tisch sitzt. Nur dass er jetzt nicht auf den Bildschirm starrt, sondern auf den unberührten Teller vor sich und beinahe ohne Reaktion dem Smalltalk des Ehepaars zuhört. Diese minimalistische Mimik Murrays kontrastiert Jarmusch mit der Darstellung der Ex-Freundinnen, die, wie Tilda Swindon als Rockerin Penny (dritte Etappe) und Jessica Lange als Haustierkommunikationstrainerin Carmen (vierte Station), ziemlich extrovertiert auf den Besuch des ehemaligen Lovers reagieren.
Nicht nur die hervorragenden schauspielerischen Leistungen der Hauptdarsteller machen Broken Flowers, der bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes den »Großen Preis der Jury« erhalten hat, zu einem besonderen Erlebnis. Hinzu kommt der für Regisseur Jim Jarmusch typische Minimalismus, den der exzellent spielende Murray fantastisch verkörpert. Und natürlich die scheinbare Absurdität von Johnstons Suche nach Schreibmaschine und Briefpapier, die ihn quer durch die USA reisen lässt. Am Ende jedoch hilft gerade dieser Trip Johnston bei der Überwindung seiner Midlife-Crisis. Bis dahin muss er allerdings alle vier Ehemalige und das Grab der fünften Ex-Freundin besuchen sowie eine weitere, unerwartete Begegnung hinter sich bringen.

Volker Elste

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