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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 2

Wie endlich alles anders wird

Nachdenken über die Aktualität des Kommunismus

Bini Adamczak: Kommunismus. Kleine Geschichte, wie endlich alles anders wird, Münster: Unrast-Verlag, 2005, 80 Seiten, 8 Euro

Und wieder einmal bleibt alles anders in dieser unserer Republik. Wie jedoch endlich alles anders wird, das mögen sich auch weiterhin der eine oder die andere fragen — vielleicht ja jetzt erst recht. Eine bemerkenswerte Anregung, über diese Frage nachzudenken, liegt seit einiger Zeit mit einem kleinen Büchlein vor, das eine bisher kaum bekannte Autorin geschrieben hat.
Kommunismus für Kinder titelt die Autorin auf Veranstaltungen und in der Tat macht es den besonderen Reiz dieses Büchleins aus, dass es im ersten Teil einer politischen Pädagogik frönt, die wirklich überzeugend leicht daher kommt, ohne Tiefe vermissen zu lassen. In einfachen Worten wird erklärt was Kapitalismus ist — die Herrschaft des Kapitals in Form weniger einer Herrschaft von Menschen als von Dingen — und was Kommunismus sein soll: eine »Gesellschaft, die alle Übel abschafft, unter denen die Menschen im Kapitalismus leiden« — wobei die Betonung eindeutig auf dem letzten Satzteil liegt.
Wir erfahren am Beispiel einer Bügeleisenfabrik, nach welcher ökonomischen Logik Fabriken funktionieren: »Das Einzige, wofür sich die Fabrik interessiert, ist, dass möglichst viel hergestellt und verkauft wird. Deswegen will die Fabrik nur, dass die Menschen glücklich sind, wenn dadurch mehr verkauft wird. Dann aber müssen die Menschen glücklich sein, auch wenn sie gar nicht glücklich sind.« Wir erfahren, wie ein kapitalistischer Markt (der Zwang zur Konkurrenz) funktioniert oder eine kapitalistische Krise (eine Überproduktion, die zur Arbeits- und Geldlosigkeit führt: »Obwohl gar nichts Schlimmes passiert ist — kein Erdbeben, kein Krieg, kein Papstbesuch — sitzen die Leute auf einmal alle so rum, haben Hunger und langweilen sich«). Und am Beispiel des Gläserrückens wird uns das Geheimnis kapitalistischer Entfremdung erklärt: »Beim Gläserrücken sitzt eine Gruppe von Menschen um einen Kreis mit Buchstaben herum, in dessen Mitte ein Glas steht. Alle Menschen legen ihre Hand oder einen Finger ihrer Hand auf das Glas, und weil alle ein kleines bisschen zittern, beginnt sich das Glas wie durch eine unsichtbare Hand gezogen langsam von einem Buchstaben zum anderen zu bewegen. Die Menschen, die sich nicht erklären können, dass sie es selbst waren, die das Glas bewegt haben — weil sie alleine nie durch ihr Zittern ein Glas bewegen könnten —, denken, dass es ein Geist war, der ihnen dadurch geheime Botschaften zukommen lassen wollte.«
Aus dem Unmut der von der Krise/Misere Betroffenen leitet Adamczak schließlich die Feldversuche kommunistischer Alternativen ab. Die Menschen wollen sich von den Dingen nicht mehr beherrschen lassen, doch niemand hat eine rechte Vorstellung von dem, was Kommunismus eigentlich genau ist, bzw. viele haben unterschiedliche Vorstellungen. Also probieren sie verschiedene Varianten einfach aus: Die Umverteilung von Geld über einen gemeinsamen Topf (erweiterter Sozialstaat), doch die doofe Arbeit ist als solche immer noch dieselbe wie zuvor, bloß auf alle verteilt; Formen selbstverwalteter, selbstorganisierter Arbeit, doch über den Markt und den Konkurrenzzwang kommen die Imperative entfremdeter Arbeit wieder. Eine voll entfaltete Planwirtschaft scheitert an der Vielzahl der Wünsche/Bedürfnisse und daran, dass sich manche gleicher machen als gleich, dass die Planer zu neuen Herren werden. Auch der Versuch, die Arbeit vollkommen an Maschinen zu delegieren, wird den Menschen schnell langweilig, und sie merken, dass es die Arbeit war, die Kollektivität und Sinn stiftete. Als die Menschen die sie beherrschenden Dinge einfach zerstören, sind sie plötzlich wieder arm. Und als sie abermals nachdenken, wie man es besser machen könnte, rufen sie der Autorin zu: »Hör auf, uns hier unsere Geschichte vorzuschreiben. Wir entscheiden alleine, wie es weiter geht. Denn das ist unsere Geschichte — und die machen wir jetzt selbst.«
Es lassen sich durchaus ernsthafte Einwände gegen die theoretische Konstruktion des Buches vorbringen. Dass sich Adamczak nicht entscheiden kann, ob es den Kapitalismus erst 200 oder schon 500 Jahre gibt, verweist darauf, dass sie sich nicht entscheiden kann, im Kapitalismus eine Logik unpersönlicher Marktwirtschaft oder die Logik einer Klassenherrschaft zu sehen. Dass sie zur ersten Variante neigt, verdeutlicht sich im Fehlen des Klassenkampfes als der Logik des Übergangs und darin, dass sie im zweiten Teil — einer mehr theoretischeren Abhandlung über die Fallstricke der vorherrschenden Kapitalismuskritiken (Zirkulationskritik, Produktionskritik, Konsumtionskritik) — ausführt, dass sich jede Kapitalismuskritik als falsch erweise, die »vom Standpunkt des Kapitalismus« aus argumentiert. Die Autorin schwimmt hier eindeutig im linksradikalen Fahrwasser, wo der Kommunismus eben nicht mehr als die Bewegung betrachtet wird, die aus dem Bestehenden heraus das Bestehende aufhebt, sondern als das ganz Andere. Damit stellt sich der Autorin das so genannte Normativitäts- und Standpunktproblem, von dem aus man seine Kritik übt. Sie rekurriert entsprechend auf Adornos Standpunkt der Erlösung als Paradoxon: »dass der Außenstandpunkt nicht eingenommen werden kann, aber eingenommen werden muss … Die Konzeption des kommunistischen Standpunkts als Unerreichbaren soll ihn davor beschützen, auf dem Boden kapitalistischer Tatsachen stehen zu bleiben.«
So unbefriedigend dieser Schritt auch ist — er bleibt in der unbestimmten Negation stecken —, Adamczak zieht immerhin keine »adornistischen«, sprich: zynisch-nihilistischen Konsequenzen aus ihm. Sie stellt die richtigen Fragen und hält sie in der Schwebe: »Wenn der ›Kommunismus die wirkliche Bewegung [ist], welche den jetzigen Zustand aufhebt‹ (Marx), was könnte er dann unter Bedingung der Abwesenheit einer solchen Bewegung sein? Und was macht die Bewegung der kommunistischen Kritik, wenn sich keine ihr angemessene kommunistische Bewegung findet?« Gegen die »übelgelaunte Negation« setzt sie die Diskussion um neue Bedürfnisse, um ein neues kommunistisches Begehren. Denn bevor noch der Kommunismus als machbar ausgewiesen wird, »muss er deshalb als denkbar, mehr noch als vorstellbar dargestellt werden: um wünschbar zu sein«, und »je weniger die Menschen machen können, was sie wollen, umso weniger wollen sie wollen (sich ernsthaft etwas wünschen). Und wie sollen die Menschen machen, was sie wollen, wenn sie gar nicht wissen (wollen), was sie wollen. Wenn der Rahmen des Machbaren auch das Wünschbare begrenzt, dann wäre das Wünschen schon wünschenswert. Es muss erfunden, es muss gewollt werden. Das Begehren begehren. Kommunistisches Begehren: dass endlich alles anders wird.«
Die pädagogische Frische und Leichtigkeit, mit der es Adamczak gelingt, Kapitalismus und Kommunismus zu erklären, und die Tatsache, dass sie die darüber hinaus weisenden richtigen, die zentralen Fragen stellt, machen das kleine Werk nicht nur ausgesprochen verdienstvoll und anregend. Sie führen auch dazu, dass wir es jedem, der die SoZ bis Ende Oktober für ein Jahr abonniert als Geschenk zukommen lassen. Siehe nebenstehendes Formular.

Christoph Jünke

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