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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 4

Kolumne von Jakob Moneta

Bucharins Erbe

»Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass die Philosophischen Arabesken von Bucharin erst nach dem Zusammenbruch der UdSSR ans Licht kamen«, so die Herausgeber Dieter Uhlig und Wladislaw Hedeler.
Bucharin wurde, 49 Jahre alt, am 15.3.1938 erschossen. Der Generalstaatsanwalt der UdSSR hatte ihm das Recht auf weitere Existenz in der Gesellschaft mit den Worten abgesprochen, »ein tollwütiger Hund« bzw. die »widerwärtige Kreuzung zwischen einem Schwein und einem Fuchs« zu sein. Am 27.2.1937, in einer traurigen körperlichen und seelischen Verfassung und »auf Beschluss« des ZK-Plenums den Organen zur weiteren Untersuchung »überstellt«, geschieht im Gefängnis das Unglaubliche. Bucharin wird nicht wie üblich geschlagen und gefoltert, sondern man gibt ihm die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten. Er arbeitet und schreibt wissenschaftliche Texte, darunter das wichtigste Buch seines Lebens: Philosophische Arabesken. Dialektische Skizzen.
Das Buch demonstriert einen souveränen Umgang mit der Geschichte der Philosophie und Kultur. Platon und Aristoteles, Bacon und Spinoza, Schelling und Fichte, Feuerbach und Hegel, Goethe und Heine erscheinen im Buch als enge Vertraute des bucharinschen Denkens. Die Frage nach der Kultur der neuen Gesellschaft bildete bei Bucharin den Brennpunkt seiner theoretischen Produktion. »Jeder Arbeiterrevolution«, schreibt er, »treten unvermeidlich im Laufe ihrer Entwicklung die ungeheuren Gefahren der inneren Entartung der gegebenen Revolution, des gegebenen proletarischen Staates und der gegebenen Partei entgegen«.
Die Herausgeber der Philosophischen Arabesken bewundern das phänomenale Gedächtnis von Bucharin, das ihm überwiegend die Bibliothek ersetzen musste. Menschen wie Bucharin, die ihr Leben lang gekämpft haben, kämpfen auch dann noch, wenn ihnen die Situation im Kopf bereits als aussichtslos erscheint. Sie lassen es nicht zu, dass sie von der Verzweiflung ihres Unglücks und in der Hoffnungslosigkeit bis zum Verlust der eigenen Würde erniedrigt werden. Bucharin war der einzige Angeklagte in seinem Prozess, der das Gericht nicht um Gnade angefleht hat.
Stalin hat Bucharin seine ignorante und ungebildete Erwiderung auf die Arabesken ins Grab nachgerufen. Das Manuskript Bucharins ließ er in irgendeinem Keller verschwinden, immerhin, es wurde nicht vernichtet wie manche andere Papiere seiner »Gegner«, aus welchen Gründen auch immer. Stalins Missmut galt nicht nur der theoretischen Hinterlassenschaft Bucharins, sondern dem philosophischen Erbe Lenins selbst, denn in ihm sah er den Ursprung all dieser dialektischen Verirrungen.
Im Überschwang seiner Begeisterung für Hegels Logik hatte sich Lenin »Zugeständnisse« an den Idealisten Hegel erlaubt. Lenin sagte, er finde im Werk Hegels am wenigsten Idealismus, am meisten Materialismus, er lese Hegel materialistisch, denn seine Philosophie sei auf dem Kopf stehender Materialismus, er lasse den lieben Gott, das Absolute, größtenteils beiseite, man könne das Kapital von Marx ohne Hegel«logik« nicht begreifen.
Marx‘ Satz, die Freiheit des Einzelnen sei die Bedingung für die Freiheit aller, ist der Maßstab für die Beurteilung des kulturellen und zivilen Niveaus einer Gesellschaft. Das steht im totalen Gegensatz zu einer Geschichtsphilosophie, die das Individuum ausschließlich aus der Zuordnung zur Klasse, zur Partei, zur Idee sehen, sagen die Herausgeber von Bucharins Philosophischen Arabesken.

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