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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 4

Millionenspiel

Im Wahlkampf wurde es sogar ein paar Mal beantwortet: Wo sind in Deutschland die Millionen? Es gibt 4000 Deutsche, die mehr als 30 Millionen Euro Nettofinanzvermögen besitzen. 15600 verfügen über 3—30 Millionen Euro. Zwischen 1,5 und 3 Millionen Euro können 38700 Personen verpulvern und 755000 Privatpersonen nennen 1 Million Euro ihr Eigentum. Das macht 813300 Reiche und Superreiche oder grob gerechnet auf je 7 Erwerbslose kommt 1 Millionär. »…und der Reiche sagte bleich, wärst du nicht arm, wär‘ ich nicht reich.«
Es gibt nur wenige dieser Reichen, vor denen wir Hochachtung haben, vielleicht sogar nur einen. Der kommt aus Aachen und ist mittlerweile auch nicht mehr reich: Ein Angestellter der Aachener Stadtkasse soll zwischen Januar 2000 und Mitte 2003 insgesamt 1,3 Millionen Euromünzen aus 330 Parkautomaten für sich und ein paar Freunde abgezweigt haben. Eigentlich hätte er sie nur zählen sollen, aber die Blechlast nach Hause zu schleppen, brachte ihm wohl eine größere Freude. Wir wissen jetzt auch warum. Nicht das Geld macht glücklich. Dem Schatzbildner, so erläuterte schon der alte Marx, geht es wie dem Länderentdecker — mit jedem neuen Land entdeckt er nur eine neue Grenze.
Nein, glücklich macht — es lebe die Differenztheorie — gemäß einer »wissenschaftlichen Langzeitstudie aus Pennsylvania« vor allem das Wissen, mehr zu verdienen als Gleichaltrige. Der Kapitalismus zerfrisst die Gehirne, was jeder Streetworker, Lehrer oder Bewährungshelfer wahrscheinlich bestätigen wird. Das kleine »Glück«, im Kampf um die erfolgreichste Akkumulation von Vermögen besser zu sein als der Rest der Gruppe, der Sieg im individuellen Kampf, ist aber in Wahrheit in Zeiten wie unseren, wo kollektive Kämpfe auf der Tagesordnung stehen, schnell nur großes Unglück.
Die deutschen Millionäre haben derzeit allerdings ein anderes Problem: wer soll sie und in ihrem Interesse regieren? Die Wählerschaft hat am 18.September ja das beste gemacht, was von ihr zu erwarten war. Sie hat die neoliberale Einheitspartei in ihren Komponenten so lustig neu verteilt, dass jetzt alle verdutzt aus der Wäsche gucken, wer denn nun den ersten Zugriff auf die Verteilung der Pöstchen hat. Die neue Regierung wird in jedem Fall eine schwache Regierung sein, und die linke Opposition hat alle Chancen, sich gut in Szene zu setzen, wenn sie nur zupackt.
Wir haben vor sieben Jahren, vor der Wahl 1998, an dieser Stelle geschrieben: »Ein Zukunftsprojekt ist diese angeblich ›rot-grüne‹ Regierung aber nicht. Aus bürgerlicher Sicht ist sie nur ein geduldetes Zwischenspiel zu einer stabileren bürgerlichen Regierung, dann durchaus mit den Grünen als Juniorpartner.« Mit der Stabilität ist das so eine Sache, aber die Grünen als moderne, ökologisch angehauchte Mehrheitsbeschaffer, das wird ja ernsthaft erörtert. Eine kleine Episode mit der »Jamaika-Koalition«, dann baldige Neuwahlen oder noch mal SPD und CDU und auch Neuwahlen, zeichnen sich als einzige Möglichkeiten ab. Die Linke hat mit der LINKSPARTEI eine respektable parlamentarische Vertretung erhalten.
Die kann jetzt mit 54 Abgeordneten und an die 300 Mitarbeitern, von denen neben den gut bezahlten Abgeordneten nicht wenige mit Gehältern von Regierungsdirektoren, Oberstudienräten oder anderen höheren Beamten nach Hause gehen, ihr eigenes Millionenspiel beginnen. Damit auch etwas für die Millionen Opfer der neoliberalen Politik, von denen gut 4 Millionen die Stimmen für die Linke gaben, herauskommt, gibt es nur eine Chance. Nach dem erfolgreichen Wahl-Kampf zur Veränderung der parlamentarischen Verhältnisse muss ein wirklicher Kampf gegen die Umverteilung von unten nach oben, gegen prekäre Beschäftigung und für Arbeitszeitverkürzung, gegen Krieg und Abbau der demokratischen Rechte beginnen, damit auch die gesellschaftlichen Verhältnisse sich ändern. Wer die viele Staatsknete allerdings damit verprasst, als 9%-Opposition Regierung zu spielen und sich für jede Gelegenheit als salonfähig zu verkleiden, bekommt zur Strafe eine Fischermaske übergestülpt. Lebenslang.

Thies Gleiss

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