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Die neue CDU-Landesregierung in NRW setzt in der Bildung auf das Motto »Konkurrenz belebt das
Geschäft«: Gesucht wird die beste Schule und die leistungsstärkste Hochschule. Keine der neuen Maßnahmen aber wird die
Unterrichtsqualität erhöhen. Vielmehr wird die neue Ausrichtung in der Bildungspolitik in NRW die soziale Ungleichheit der Bildungschancen
weiter verschärfen.
Die Schulen werden in einen Konkurrenzkampf geschickt, der vor allem auf Kosten der Kinder und Jugendlichen geht. Wo im Koalitionsvertrag
»fördern und fordern« steht, ist prüfen und auslesen gemeint. Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen der Lehrenden Zug um Zug
verschlechtert.
Immer mehr bestimmt der Wettbewerb das Lernen in den Schulen. Die Abschaffung der
Schuleinzugsbezirke ist beschlossen und wird dazu führen, dass Schulen mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern und solchen aus sozial schwachem
Milieu von bildungsbewussten Eltern gemieden werden. Sie werden ihre Kinder dann zu Schulen mit guten Testergebnissen und hohen Übergängen
zu weiterführenden Schulen bringen.
Die Grundschule als Schule im Stadtteil und als ein Ort gemeinsamen Lernens von Kindern aus
allen Schichten wird es bald nicht mehr geben, der fußläufige Schulweg wird für immer mehr Kinder der Vergangenheit angehören.
Einige Schulen werden einen so hohen Zulauf haben, dass die verfügbaren Raumkapazitäten nicht mehr ausreichen, während andere nicht
ausgelastet und deshalb von der Schließung bedroht sind.
Die Aufhebung der Schulbezirke nimmt den Kommunen ihre wichtigste Planungsgrundlage,
erhöht die Beförderungskosten und die enorme soziale Selektion und erschwert das Lernen dort, wo die sozialen Verwerfungen in einem
anregungsarmen Klima enden. Die Schulen werden mit Hochglanzbroschüren und ihren Testergebnissen werben und nicht mit einem am Lerntempo des
einzelnen Kindes ausgerichteten Unterricht.
Wenn sich laut Koalitionsvertrag »die Schulen in Freiheit dem Wettbewerb
stellen« sollen, dann wird Konkurrenz die Pädagogik bestimmen. Die »aufgewertete« Hauptschule wird zum Sammelbecken für
die am unsinnigen Leistungsbegriff Gescheiterten. Da feiern die Begabungsvorstellungen des 19.Jahrhunderts fröhliche Urständ, wonach Begabung
eine feste nicht zu beeinflussende Größe ist und »praktisch Begabte« eben nicht auf das Gymnasium gehören.
Nach dem Koalitionsvertrag soll es entgegen derzeitiger Praxis bereits ab Klasse 2
Ziffernzeugnisse geben, also Noten bereits für 6-Jährige, hinzu kommen Kopfnoten für Sozialverhalten und Mitarbeit, gleichzeitig werden
»die disziplinarischen Rechte« der Lehrer gestärkt. Hier zeigt sich die Ignoranz der neuen Regierung gegenüber den
pädagogischen Erkenntnissen, dass Kinder ihre Motivation für das Lernen aus ganz anderen Quellen beziehen und eben nicht durch Noten zum
Lernen angespornt werden.
Die Grundschulempfehlung überließ bis jetzt den Eltern die freie Schulwahl, wenn auch mit Einschränkungen. Das jetzt beschlossene
verbindliche Grundschulgutachten ist ein weitreichender Eingriff in das Elternrecht und soll ganz offensichtlich einem großen Teil der Kinder den Zugang
vor allem zum Gymnasium erschweren.
Die Testergebnisse aus den Lernstandserhebungen in Klasse 3 als Grundlage bei der
Entscheidung für die »richtige« Schullaufbahn dienen dann einer besseren »Sortierung«. Eine so früh gefällte
Entscheidung für die spätere Schullaufbahn wird die heute schon vorhandene Fehlerquote weiter erhöhen. Dazu passt auch die
Überlegung, die Aufnahmeprüfung für Gymnasium und Realschule wieder einzuführen.
Am Ende der Schullaufbahn werden zentrale Abschlussprüfungen und
Lernstandserhebungen in den Klassen 8 in allen Schulformen durchgeführt da soll verglichen werden, was nicht verglichen werden kann. Der
Verdacht kommt auf, dass die Gesamtschulen hier in den Blickpunkt der »Erneuerer« geraten sind, ihnen soll die Oberstufe unter dem Vorwand
fehlender Qualifikation genommen werden. Dann wäre der Weg frei für die Zusammenlegung von Haupt- und Gesamtschule und das
Gymnasium als Schule für die Privilegierten wäre unbelastet von sozialen Verpflichtungen. In Bayern dürfen auch nur wenige
Auserwählte in diese Höhen der Bildung aufsteigen, mit dem Ergebnis, dass Bayern bundesweit die wenigsten Abiturenten hat. In NRW dagegen
wurde in diesem Jahr mit 48% aller Jugendlichen eines Jahrgangs die höchste Abiturquote aller Bundesländer erreicht. Mit ihren Maßnahmen
zur Schulstruktur wird die neue Landesregierung diese Ergebnisse bei den Abschlüssen wohl kaum halten können.
»Die Muttersprache in Deutschland ist Deutsch.« Mit dieser Aussage im
Koalitionsvertrag wird den Migrantenkindern die Daseinsberechtigung ihrer Muttersprache schlicht abgesprochen, ihre Sprache gibt es im Schulleben nicht mehr
basta! Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht soll ohnehin wegfallen und alle Erkenntnisse von der Bedeutung der Muttersprache für die
kindliche Entwicklung sind weg vom Tisch. Islamischer Religionsunterricht soll in deutscher Sprache erfolgen.
Wer die deutsche Sprache nur ungenügend beherrscht, wird nicht eingeschult. Die Tests
beginnen im Kindergarten schon bei den Vierjährigen. Sie müssen dann je nach Ergebnis verpflichtend Sprachkurse besuchen.
Dagegen fehlen in den Koalitionsvereinbarungen klare Aussagen zu der erschreckend hohen
Zahl von Jugendlichen ohne irgend einen Abschluss. Von den Abgängern mit einem Migrationshintergrund bleiben fast 20% ohne Schulabschluss, 40%
ohne berufliche Ausbildung.
Noch ist völlig unklar, wie die Hauptschulen als Sammelbecken für
Problemgruppen die personelle Unterstützung erhalten, die sie dringend brauchen, noch nicht einmal der Verbleib der wenigen
Sozialpädagogenstellen ist gesichert.
Die Entscheidung, die Einführung des integrierten Faches Naturwissenschaften im Sekundarbereich wieder zurückzunehmen, macht nicht nur
die langjährige Entwicklungsarbeit an den Schulen überflüssig, sie kostet auch rund 11 Millionen Euro, die in entsprechende
Schulbücher gesteckt wurden und jetzt überflüssig werden.
Wenn es nach dem Willen von NRW und Bayern geht, werden demnächst vielleicht
auch alle Schulbücher mit neuer Rechtschreibung eingestampft, denn die CDU hat den Bildungsbereich als Kampfplatz für ihre Profilierung
auserkoren. Es kümmert sie nicht, dass die Schüler der achten Klassen nie etwas anderes als die neue Rechtschreibung kennen gelernt haben.
Einigen Verlagen allerdings wäre eine solche Umkehr ganz recht, da ließe sich prächtig verdienen.
Nicht gespart wird, wenn es um den Geldbeutel der Studierenden geht. Sie werden mit bis zu
500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten, und was im Koalitionsvertrag noch nicht stand: auch ein Teil der Bafög-Empfänger muss zahlen. All das
passt ins System der Auslese.
Ungeachtet der tatsächlichen Probleme und Bedürfnisse an den
Bildungseinrichtungen werden Bildungshürden aufgebaut, die eigene Klientel bedient und Autonomie und Selbstständigkeit suggeriert, wo es ums
Sparen an Bildung für alle geht.
Larissa Peiffer-Rüssmann
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