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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 6

Die NRW-Bildungspolitik im Rückwärtsgang

Kampfplatz Bildung

Die neue CDU-Landesregierung in NRW setzt in der Bildung auf das Motto »Konkurrenz belebt das Geschäft«: Gesucht wird die beste Schule und die leistungsstärkste Hochschule. Keine der neuen Maßnahmen aber wird die Unterrichtsqualität erhöhen. Vielmehr wird die neue Ausrichtung in der Bildungspolitik in NRW die soziale Ungleichheit der Bildungschancen weiter verschärfen.

Die Schulen werden in einen Konkurrenzkampf geschickt, der vor allem auf Kosten der Kinder und Jugendlichen geht. Wo im Koalitionsvertrag »fördern und fordern« steht, ist prüfen und auslesen gemeint. Gleichzeitig werden die Arbeitsbedingungen der Lehrenden Zug um Zug verschlechtert.
Immer mehr bestimmt der Wettbewerb das Lernen in den Schulen. Die Abschaffung der Schuleinzugsbezirke ist beschlossen und wird dazu führen, dass Schulen mit einem hohen Anteil an Migrantenkindern und solchen aus sozial schwachem Milieu von bildungsbewussten Eltern gemieden werden. Sie werden ihre Kinder dann zu Schulen mit guten Testergebnissen und hohen Übergängen zu weiterführenden Schulen bringen.
Die Grundschule als Schule im Stadtteil und als ein Ort gemeinsamen Lernens von Kindern aus allen Schichten wird es bald nicht mehr geben, der fußläufige Schulweg wird für immer mehr Kinder der Vergangenheit angehören. Einige Schulen werden einen so hohen Zulauf haben, dass die verfügbaren Raumkapazitäten nicht mehr ausreichen, während andere nicht ausgelastet und deshalb von der Schließung bedroht sind.
Die Aufhebung der Schulbezirke nimmt den Kommunen ihre wichtigste Planungsgrundlage, erhöht die Beförderungskosten und die enorme soziale Selektion und erschwert das Lernen dort, wo die sozialen Verwerfungen in einem anregungsarmen Klima enden. Die Schulen werden mit Hochglanzbroschüren und ihren Testergebnissen werben und nicht mit einem am Lerntempo des einzelnen Kindes ausgerichteten Unterricht.
Wenn sich laut Koalitionsvertrag »die Schulen in Freiheit dem Wettbewerb stellen« sollen, dann wird Konkurrenz die Pädagogik bestimmen. Die »aufgewertete« Hauptschule wird zum Sammelbecken für die am unsinnigen Leistungsbegriff Gescheiterten. Da feiern die Begabungsvorstellungen des 19.Jahrhunderts fröhliche Urständ, wonach Begabung eine feste nicht zu beeinflussende Größe ist und »praktisch Begabte« eben nicht auf das Gymnasium gehören.
Nach dem Koalitionsvertrag soll es entgegen derzeitiger Praxis bereits ab Klasse 2 Ziffernzeugnisse geben, also Noten bereits für 6-Jährige, hinzu kommen Kopfnoten für Sozialverhalten und Mitarbeit, gleichzeitig werden »die disziplinarischen Rechte« der Lehrer gestärkt. Hier zeigt sich die Ignoranz der neuen Regierung gegenüber den pädagogischen Erkenntnissen, dass Kinder ihre Motivation für das Lernen aus ganz anderen Quellen beziehen und eben nicht durch Noten zum Lernen angespornt werden.

Privileg Gymnasium

Die Grundschulempfehlung überließ bis jetzt den Eltern die freie Schulwahl, wenn auch mit Einschränkungen. Das jetzt beschlossene verbindliche Grundschulgutachten ist ein weitreichender Eingriff in das Elternrecht und soll ganz offensichtlich einem großen Teil der Kinder den Zugang vor allem zum Gymnasium erschweren.
Die Testergebnisse aus den Lernstandserhebungen in Klasse 3 als Grundlage bei der Entscheidung für die »richtige« Schullaufbahn dienen dann einer besseren »Sortierung«. Eine so früh gefällte Entscheidung für die spätere Schullaufbahn wird die heute schon vorhandene Fehlerquote weiter erhöhen. Dazu passt auch die Überlegung, die Aufnahmeprüfung für Gymnasium und Realschule wieder einzuführen.
Am Ende der Schullaufbahn werden zentrale Abschlussprüfungen und Lernstandserhebungen in den Klassen 8 in allen Schulformen durchgeführt — da soll verglichen werden, was nicht verglichen werden kann. Der Verdacht kommt auf, dass die Gesamtschulen hier in den Blickpunkt der »Erneuerer« geraten sind, ihnen soll die Oberstufe unter dem Vorwand fehlender Qualifikation genommen werden. Dann wäre der Weg frei für die Zusammenlegung von Haupt- und Gesamtschule — und das Gymnasium als Schule für die Privilegierten wäre unbelastet von sozialen Verpflichtungen. In Bayern dürfen auch nur wenige Auserwählte in diese Höhen der Bildung aufsteigen, mit dem Ergebnis, dass Bayern bundesweit die wenigsten Abiturenten hat. In NRW dagegen wurde in diesem Jahr mit 48% aller Jugendlichen eines Jahrgangs die höchste Abiturquote aller Bundesländer erreicht. Mit ihren Maßnahmen zur Schulstruktur wird die neue Landesregierung diese Ergebnisse bei den Abschlüssen wohl kaum halten können.
»Die Muttersprache in Deutschland ist Deutsch.« Mit dieser Aussage im Koalitionsvertrag wird den Migrantenkindern die Daseinsberechtigung ihrer Muttersprache schlicht abgesprochen, ihre Sprache gibt es im Schulleben nicht mehr — basta! Muttersprachlicher Ergänzungsunterricht soll ohnehin wegfallen und alle Erkenntnisse von der Bedeutung der Muttersprache für die kindliche Entwicklung sind weg vom Tisch. Islamischer Religionsunterricht soll in deutscher Sprache erfolgen.
Wer die deutsche Sprache nur ungenügend beherrscht, wird nicht eingeschult. Die Tests beginnen im Kindergarten schon bei den Vierjährigen. Sie müssen dann je nach Ergebnis verpflichtend Sprachkurse besuchen.
Dagegen fehlen in den Koalitionsvereinbarungen klare Aussagen zu der erschreckend hohen Zahl von Jugendlichen ohne irgend einen Abschluss. Von den Abgängern mit einem Migrationshintergrund bleiben fast 20% ohne Schulabschluss, 40% ohne berufliche Ausbildung.
Noch ist völlig unklar, wie die Hauptschulen als Sammelbecken für Problemgruppen die personelle Unterstützung erhalten, die sie dringend brauchen, noch nicht einmal der Verbleib der wenigen Sozialpädagogenstellen ist gesichert.

Zur Kasse gebeten

Die Entscheidung, die Einführung des integrierten Faches Naturwissenschaften im Sekundarbereich wieder zurückzunehmen, macht nicht nur die langjährige Entwicklungsarbeit an den Schulen überflüssig, sie kostet auch rund 11 Millionen Euro, die in entsprechende Schulbücher gesteckt wurden und jetzt überflüssig werden.
Wenn es nach dem Willen von NRW und Bayern geht, werden demnächst vielleicht auch alle Schulbücher mit neuer Rechtschreibung eingestampft, denn die CDU hat den Bildungsbereich als Kampfplatz für ihre Profilierung auserkoren. Es kümmert sie nicht, dass die Schüler der achten Klassen nie etwas anderes als die neue Rechtschreibung kennen gelernt haben. Einigen Verlagen allerdings wäre eine solche Umkehr ganz recht, da ließe sich prächtig verdienen.
Nicht gespart wird, wenn es um den Geldbeutel der Studierenden geht. Sie werden mit bis zu 500 Euro pro Semester zur Kasse gebeten, und was im Koalitionsvertrag noch nicht stand: auch ein Teil der Bafög-Empfänger muss zahlen. All das passt ins System der Auslese.
Ungeachtet der tatsächlichen Probleme und Bedürfnisse an den Bildungseinrichtungen werden Bildungshürden aufgebaut, die eigene Klientel bedient und Autonomie und Selbstständigkeit suggeriert, wo es ums Sparen an Bildung für alle geht.

Larissa Peiffer-Rüssmann

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