SoZSozialistische Zeitung |
Die WASG hat für den Einzug der Linkspartei in den Bundestag viel gegeben. Die Mitglieder haben einen sehr engagierten
Straßenwahlkampf geführt. Die Wahlkampfveranstaltungen waren gut besucht, die Großkundgebungen mit Lafontaine und Gysi im Westen
größer als die der Grünen und manchmal sogar als die der SPD. Trotz der kritikwürdigen Wahlkampfführung der Linkspartei wurde
das sehr gute Ergebnis von 8,7% erreicht. Knapp ein Dutzend der 57 Abgeordneten sind Mitglied der WASG. Unter dem Strich bleibt: Die Entscheidung für das
Linksbündnis war richtig, die WASG hätte nicht die finanziellen Mittel gehabt für einen eigenständigen Wahlkampf, die Spaltung der
Linken wäre von der Wählerschaft negativ quittiert worden.
Den Wunsch nach der Einheit der Linken gibt es aber vor allem, weil es innerhalb der Klasse der
abhängig Beschäftigten das Bedürfnis nach einer politischen Kraft gibt, die den Kampf gegen Sozial- und Lohnabbau führt und Sprachrohr
der »kleinen Leute« ist. Die Entwicklungspotenziale des Linksbündnisses, zu einer Arbeiterpartei zu werden, haben sich durch das Wahlergebnis
enorm verbessert. Der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und Solidarität ist innerhalb der Bevölkerung offenbar so stark verankert, dass es ein tiefes
Misstrauen gegenüber neoliberaler Politik gibt. Deutschland ist das erste europäische Land, wo der Neoliberalismus an der Wahlurne eine Niederlage
einfährt. Die europäische reformsozialistische und revolutionäre Linke schaut daher zu Recht auf die Entwicklung in Deutschland.
In diesem Kontext ist die Debatte mit dem Berliner Teil der Linkspartei zu sehen, geht es hier doch
um eine Kernfrage der neuen Linken: Beteiligen wir uns an Regierungskoalitionen mit der SPD, die Sozialabbau betreibt? Denn: Jede Landesregierung ist erst einmal
an den bundesweiten gesetzlichen Rahmen gebunden und wird gezwungen sein, die Angriffe auf die Bevölkerung vor Ort umzusetzen. Denn: Was ist daran
vernünftig, ausführende Verantwortung für etwas zu übernehmen, was man prinzipiell falsch findet und im Wesen nicht beeinflussen kann?
Die Regierungsbeteiligung hat dazu geführt, dass sich die PDS offen gegen die Proteste von
Gewerkschaften, Studenten, Eltern usw. gestellt hat. Sie hat damit nicht größeres Übel verhindert, sondern den Widerstand gegen Sozialabbau
geschwächt und indirekt Schröder den Rücken gestärkt. Die neue Linke kann nur konsequent antineoliberal sein oder sie wird sehr schnell
an Glaubwürdigkeit einbüßen. Die konstant hohen Stimmenverluste nach dem Rekordergebnis bei den Abgeordnetenhauswahlen 2001 mit
über 22% sind hier eindeutig.
Ohne den Glaubwürdigkeitsbonus der WASG wäre der Zuwachs von über 5%
für die Berliner Linkspartei auf insgesamt 16,4% nicht möglich gewesen. Es ist daher geradezu grotesk, wenn Stefan Liebig den Zuwachs an Prozenten
der vermeintlich sozial gerechten Regierungspolitik zuschreibt. Denn erst umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Zuwachs an Prozenten ist dem Wunsch nach einer
antineoliberalen Politik zu verdanken; ohne das im Straßenwahlkampf spürbare Glaubwürdigkeitsproblem der Regierungssozialisten wäre
ein viel höheres Wahlergebnis möglich gewesen.
Gerade in Berlin, mit einem sehr großen Anteil linker Wähler kann die neue Linke in
den nächsten Jahren stärkste politische Kraft werden und die Hegemonie der SPD brechen. Die Debatte in Berlin über den Weg der neuen Linken
ist insofern auch von bundespolitischer Bedeutung: Welches Verhältnis streben wir zur SPD an? Juniorpartner oder Konkurrent um die Hegemonie »auf
der Linken«? Die Berliner WASG hat sich nach intensiven und sehr kontroversen Debatten dafür entschieden, Teil des bundesweiten
Neuformierungsprozesses zu werden. Viele Mitglieder haben erst durch die Debatte ihre Position gefunden, andere haben ihre Positionen im Laufe der Monate
mehrfach geändert.
Und dann gibt es diejenigen Kräfte und Einzelpersonen, die von Anfang bis zum heutigen Tag
die Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene ablehnen und auch auf Berliner Ebene keine ergebnisoffene Diskussion mit der Linkspartei wollen. Ihre
Vorstellung war, dass wir nach den Wahlen kurz und schmerzlos mit der Berliner Linkspartei diskutieren, feststellen, dass eine Übereinkunft nicht
möglich ist, Liebig und Co. den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen und die Berliner WASG dann mit den eigenständigen Wahlvorbereitungen
beginnt.
Innerhalb der Mitgliedschaft und auch im Landesvorstand ist diese Harakiri-Taktik gescheitert. Denn:
wie auf bundesweiter Ebene müssen die politischen Inhalte sorgfältig und tiefgründig diskutiert werden. Zweitens müssen wir abwarten, wie
sich der bundesweite Neuformierungsprozess entwickeln wird. Drittens wissen wir nicht, wie das politische Koordinatensystem genau aufgestellt sein wird und welche
taktischen Aufgaben sich für die neue Linke daraus insgesamt ergeben.
Auch die Berliner WASG hat für den bundesweiten Prozess Verantwortung und muss daher
ihre Entscheidung über die Form des Wahlantritts auch davon abhängig machen, wie die Debatte innerhalb der Bundes-WASG verläuft und ob eine
etwaige eigenständige Kandidatur finanziell und organisatorisch unterstützt wird. Ein Berliner Alleingang könnte auf eine Spaltung des Berliner
Landesverbands hinauslaufen. So mancher »Vordenker« der »Berliner-Brille«-Fraktion um die SAV, Michael Prütz und Michael
Hammerbacher formulieren das auch so.
Die Unterstützer des Positionspapiers »Die neue Linke schaffen im Bund und
in Berlin« hingegen wollen mit der Berliner Linkspartei ergebnisoffen diskutieren. Auch für uns gilt: Ein weiter so mit der Kürzungs- und
Privatisierungspolitik darf es für die neue Linke nicht geben. Für uns gibt es bestimmte inhaltliche Essentials, die einer antineoliberalen Linie folgen. Der
Landesdelegiertenrat der Berliner WASG hat diese weitgehend übernommen, bspw. die Forderung nach einer Rücknahme des
Risikoabschirmungsgesetzes für die Berliner Bankgesellschaft, der Stopp der Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, die Wiedereinführung des
Sozialtickets von 10 Euro, das Nein zur Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge.
Wir wollen in die Diskussionen Akteure des sozialen Bewegungen und Gewerkschaften einbeziehen.
Wenn eine Einigung mit der Berliner Linkspartei nicht möglich ist, dann werden wir den Gremien der Bundes-WASG eine eigenständige Kandidatur
vorschlagen. Falls diese eigenständige Kandidatur abgelehnt wird, werden wir neu zu diskutieren haben. Eine eigenständige Kandidatur in jedem Falle
wäre jedoch unverantwortlich im Hinblick auf den Prozess der Herausbildung einer neuen Arbeiterpartei.
Sascha Kimpel
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