SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite

Die neue Linke schaffen —

im Bund und in Berlin

Die WASG hat für den Einzug der Linkspartei in den Bundestag viel gegeben. Die Mitglieder haben einen sehr engagierten Straßenwahlkampf geführt. Die Wahlkampfveranstaltungen waren gut besucht, die Großkundgebungen mit Lafontaine und Gysi im Westen größer als die der Grünen und manchmal sogar als die der SPD. Trotz der kritikwürdigen Wahlkampfführung der Linkspartei wurde das sehr gute Ergebnis von 8,7% erreicht. Knapp ein Dutzend der 57 Abgeordneten sind Mitglied der WASG. Unter dem Strich bleibt: Die Entscheidung für das Linksbündnis war richtig, die WASG hätte nicht die finanziellen Mittel gehabt für einen eigenständigen Wahlkampf, die Spaltung der Linken wäre von der Wählerschaft negativ quittiert worden.
Den Wunsch nach der Einheit der Linken gibt es aber vor allem, weil es innerhalb der Klasse der abhängig Beschäftigten das Bedürfnis nach einer politischen Kraft gibt, die den Kampf gegen Sozial- und Lohnabbau führt und Sprachrohr der »kleinen Leute« ist. Die Entwicklungspotenziale des Linksbündnisses, zu einer Arbeiterpartei zu werden, haben sich durch das Wahlergebnis enorm verbessert. Der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und Solidarität ist innerhalb der Bevölkerung offenbar so stark verankert, dass es ein tiefes Misstrauen gegenüber neoliberaler Politik gibt. Deutschland ist das erste europäische Land, wo der Neoliberalismus an der Wahlurne eine Niederlage einfährt. Die europäische reformsozialistische und revolutionäre Linke schaut daher zu Recht auf die Entwicklung in Deutschland.
In diesem Kontext ist die Debatte mit dem Berliner Teil der Linkspartei zu sehen, geht es hier doch um eine Kernfrage der neuen Linken: Beteiligen wir uns an Regierungskoalitionen mit der SPD, die Sozialabbau betreibt? Denn: Jede Landesregierung ist erst einmal an den bundesweiten gesetzlichen Rahmen gebunden und wird gezwungen sein, die Angriffe auf die Bevölkerung vor Ort umzusetzen. Denn: Was ist daran vernünftig, ausführende Verantwortung für etwas zu übernehmen, was man prinzipiell falsch findet und im Wesen nicht beeinflussen kann?
Die Regierungsbeteiligung hat dazu geführt, dass sich die PDS offen gegen die Proteste von Gewerkschaften, Studenten, Eltern usw. gestellt hat. Sie hat damit nicht größeres Übel verhindert, sondern den Widerstand gegen Sozialabbau geschwächt und indirekt Schröder den Rücken gestärkt. Die neue Linke kann nur konsequent antineoliberal sein oder sie wird sehr schnell an Glaubwürdigkeit einbüßen. Die konstant hohen Stimmenverluste nach dem Rekordergebnis bei den Abgeordnetenhauswahlen 2001 mit über 22% sind hier eindeutig.
Ohne den Glaubwürdigkeitsbonus der WASG wäre der Zuwachs von über 5% für die Berliner Linkspartei auf insgesamt 16,4% nicht möglich gewesen. Es ist daher geradezu grotesk, wenn Stefan Liebig den Zuwachs an Prozenten der vermeintlich sozial gerechten Regierungspolitik zuschreibt. Denn erst umgekehrt wird ein Schuh draus: Der Zuwachs an Prozenten ist dem Wunsch nach einer antineoliberalen Politik zu verdanken; ohne das im Straßenwahlkampf spürbare Glaubwürdigkeitsproblem der Regierungssozialisten wäre ein viel höheres Wahlergebnis möglich gewesen.
Gerade in Berlin, mit einem sehr großen Anteil linker Wähler kann die neue Linke in den nächsten Jahren stärkste politische Kraft werden und die Hegemonie der SPD brechen. Die Debatte in Berlin über den Weg der neuen Linken ist insofern auch von bundespolitischer Bedeutung: Welches Verhältnis streben wir zur SPD an? Juniorpartner oder Konkurrent um die Hegemonie »auf der Linken«? Die Berliner WASG hat sich nach intensiven und sehr kontroversen Debatten dafür entschieden, Teil des bundesweiten Neuformierungsprozesses zu werden. Viele Mitglieder haben erst durch die Debatte ihre Position gefunden, andere haben ihre Positionen im Laufe der Monate mehrfach geändert.
Und dann gibt es diejenigen Kräfte und Einzelpersonen, die von Anfang bis zum heutigen Tag die Zusammenarbeit mit der PDS auf Bundesebene ablehnen und auch auf Berliner Ebene keine ergebnisoffene Diskussion mit der Linkspartei wollen. Ihre Vorstellung war, dass wir nach den Wahlen kurz und schmerzlos mit der Berliner Linkspartei diskutieren, feststellen, dass eine Übereinkunft nicht möglich ist, Liebig und Co. den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen und die Berliner WASG dann mit den eigenständigen Wahlvorbereitungen beginnt.
Innerhalb der Mitgliedschaft und auch im Landesvorstand ist diese Harakiri-Taktik gescheitert. Denn: wie auf bundesweiter Ebene müssen die politischen Inhalte sorgfältig und tiefgründig diskutiert werden. Zweitens müssen wir abwarten, wie sich der bundesweite Neuformierungsprozess entwickeln wird. Drittens wissen wir nicht, wie das politische Koordinatensystem genau aufgestellt sein wird und welche taktischen Aufgaben sich für die neue Linke daraus insgesamt ergeben.
Auch die Berliner WASG hat für den bundesweiten Prozess Verantwortung und muss daher ihre Entscheidung über die Form des Wahlantritts auch davon abhängig machen, wie die Debatte innerhalb der Bundes-WASG verläuft und ob eine etwaige eigenständige Kandidatur finanziell und organisatorisch unterstützt wird. Ein Berliner Alleingang könnte auf eine Spaltung des Berliner Landesverbands hinauslaufen. So mancher »Vordenker« der »Berliner-Brille«-Fraktion um die SAV, Michael Prütz und Michael Hammerbacher formulieren das auch so.
Die Unterstützer des Positionspapiers »Die neue Linke schaffen — im Bund und in Berlin« hingegen wollen mit der Berliner Linkspartei ergebnisoffen diskutieren. Auch für uns gilt: Ein weiter so mit der Kürzungs- und Privatisierungspolitik darf es für die neue Linke nicht geben. Für uns gibt es bestimmte inhaltliche Essentials, die einer antineoliberalen Linie folgen. Der Landesdelegiertenrat der Berliner WASG hat diese weitgehend übernommen, bspw. die Forderung nach einer Rücknahme des Risikoabschirmungsgesetzes für die Berliner Bankgesellschaft, der Stopp der Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, die Wiedereinführung des Sozialtickets von 10 Euro, das Nein zur Privatisierung der öffentlichen Daseinsfürsorge.
Wir wollen in die Diskussionen Akteure des sozialen Bewegungen und Gewerkschaften einbeziehen. Wenn eine Einigung mit der Berliner Linkspartei nicht möglich ist, dann werden wir den Gremien der Bundes-WASG eine eigenständige Kandidatur vorschlagen. Falls diese eigenständige Kandidatur abgelehnt wird, werden wir neu zu diskutieren haben. Eine eigenständige Kandidatur in jedem Falle wäre jedoch unverantwortlich im Hinblick auf den Prozess der Herausbildung einer neuen Arbeiterpartei.

Sascha Kimpel

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