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Oberhausen ist eine Ruhrgebietsstadt mit 220000 Einwohnern, eine SPD-Hochburg. In deren Programm heißt es u.a.:
»Unser Oberhausen befindet sich im Gegensatz zu anderen Städten des Ruhrgebiets in einer ausgezeichneten Ausgangssituation. Wir haben es
geschafft, die notwendigen Veränderungen sozial gerecht, aber auch mutig voranzubringen, wir gewähren soziale Sicherheit.«
Doch Oberhausen steht an dritter Stelle der armen Städte in NRW. Die Erwerbslosigkeit
beträgt 17,8%, das Leben mit Hartz IV ist »Normalität«, viele Menschen werden in 1-Euro-Jobs oder zu Billiglohnarbeit gezwungen.
Im Stadtteil Knappenviertel leben etwa 40% der Kinder unterhalb der Armutsgrenze. Läden sind geschlossen oder durch Billiganbieter ersetzt worden.
Öffentliche Einrichtungen verfallen oder sind bereits geschlossen. Elf Ausgabestellen der »Tafel« existieren.
Insgesamt haben 1775 von Hartz IV betroffene Menschen eine Aufforderung durch die
Arbeitsgemeinschaft von Stadt und Arbeitsamt bekommen, innerhalb der nächsten sechs Monate ihre Wohn- und Heizkosten zu senken, »da die
derzeit für Sie und Ihre Angehörigen gezahlten Beträge oberhalb der für Oberhausen festgelegten Kostengrenzen liegen«.
Räumen die Betroffenen die Wohnungen nicht, sollen sie sich entweder einen Untermieter besorgen, Wärmeisolierungen einbauen, um die
Heizkosten zu senken, mit dem Vermieter über Kostensenkung verhandeln oder den Differenzbetrag zwischen ihrer Miete und der durch die
Arbeitsagentur veranschlagten Miete von ihren 345 Euro Lebenshaltungskosten bezahlen.
Ein großer Teil dieser Menschen hat eine Familie, damit sind zwischen 50007000
Menschen zusätzlich betroffen. Der Wohnungsmarkt in Oberhausen bot im August gerade mal vier freie Wohnungen an, die den Kriterien der
Arbeitsagentur entsprechen.
Gegen diese unzumutbaren Pläne entwickelt sich nun Widerstand
außerparlamentarisch und parlamentarisch. Am 12.September debattierte der Rat der Stadt über Hartz IV. Vor dem Rathaus hatten
Montagsdemonstranten und andere Interessierte Parkbänke aufgestellt und Schlafsäcke ausgebreitet. Sie fragten damit, ob das die neuen
Unterkünfte der Oberhausener Erwerbslosen sein werden. Eine Fotoausstellung dokumentierte den Verfall der Stadt.
Im Stadtrat stellte Dirk Paasch für die Linke Liste folgende Fragen:
»Im August gab es laut Nürnberg 4,728 Millionen Menschen, die offiziell
erwerbslos sind. Etwa 300000 offene Stellen stehen dem gegenüber. Was will unsere Gesellschaft mit diesen Menschen tun? Sollen all diese Menschen,
die für die Profitinteressen nicht verwertbar sind, am Rande der Gesellschaft existieren, ohne Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben? In einem der
reichsten Länder der Welt werden Millionen Menschen von diesem gesellschaftlichen Wohlstand ausgegrenzt. Weniger als 1% der deutschen
Bevölkerung besitzt etwa 60% des Geldvermögens in Höhe von 4,1 Billionen Euro. Würde der Staat diesen Superreichen nur 5%
wegsteuern, könnte er 120 Milliarden Euro im Jahr für soziale Belange ausgeben. Das wäre unsere Alternative zu Hartz IV!«
Immerhin betonte der Fraktionschef der SPD, Große-Brömer, am Schluss der
Debatte, »dass der Rat keine Massenumzüge wolle, erst recht nicht, wenn die passenden Angebote fehlen würden«. Erfreulich war das
Medienecho. Regionale und überregionale Zeitungen und Rundfunk haben seit der Aktion eine Reihe von Artikeln zur sozialen Lage in der Stadt
veröffentlicht.
Unter der Überschrift »Statt Ich-AGs Wir-Kollektive« versuchen
Vertreter von Erwerbsloseninitiativen aus verschiedenen Städten in NRW mit Unterstützung von »Tacheles« ein Netzwerk der
Erwerbsloseninitiativen aufzubauen.
Die Betroffenen haben drei Kriterien entwickelt, an denen sie arbeiten wollen: 1.
Qualifizierung der Betroffenen in rechtlichen Fragen; Selbstorganisation, um die Lage lebbar zu machen: Sozialkaufhäuser, Gemeinschaftswohnungen,
Tauschringe, Forderung nach Flächen für den Anbau von Nahrung, Volksrestaurants und Essensversorgung in Schulen, in denen zu erschwinglichen
Preisen gutes Essen serviert wird; Aktionen und die Entwicklung von politischen Strategien und Kultur.
Auch wenn der Markt Menschen ausschließt, die zu arm sind, um Konsumenten zu sein,
sind sie trotzdem Bürger. Und als Bürger haben wir Rechte. Wir verlangen das Recht auf Arbeit, zu der alle Menschen Zugang haben müssen
und von der sie auch leben können. Ernährung, Wohnung, Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung für alle dürfen nicht durch
Marktmechanismen gefährdet sein.
Dass die Menschen gute Nahrungsmittel essen, ausreichenden Wohnraum, kostenlose
Bildungsmöglichkeiten und eine gute Gesundheitsversorgung haben, auch wenn sie arm sind, hat nichts mit Wohltätigkeit oder mit Notprogrammen
zu tun. Wir wehren uns gegen die Wohltätigkeitsfalle. Die Aktion von Oberhausen wird zur Nachahmung empfohlen.
Ellen Diederich, Oberhausen
Eine schöne Reportage über die Aktionen in Oberhausen findet sich auf der homepage der Arbeiterfotografie.
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