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Am 25.September stimmen die Schweizer Staatsbürger über eine Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf
Mitglieder der neuen EU-Beitrittsländer ab. Die radikale Linke in der Schweiz ist darüber gespalten. Im folgenden Argumente für ein linkes
Ja und ein linkes Nein.
Die bilateralen Verträge, die die Schweiz mit der Europäischen Union abgeschlossen hat, gewähren den Staatsangehörigen
der EU-Mitgliedstaaten Aufenthaltsrecht und Familienzusammenführung in der Schweiz. Damit haben italienische, spanische und portugiesische
Arbeiterinnen und Arbeiter in der Schweiz endlich die ihnen zustehenden Grundrechte erhalten. Der menschenunwürdige Status als Wanderarbeiter und
die ständige Angst um eine Erneuerung ihres Aufenthaltsrechts gehören jetzt der Vergangenheit an.
Im Mai 2004 wurde die EU jedoch um zehn Staaten erweitert. Die Schweiz ist nicht Mitglied
der EU und die Ausdehnung der in den bilateralen Verträgen gewährten Rechte auf die Bevölkerungen der Beitrittsländer geschieht
nicht automatisch. Am 25.September entscheiden die Bürgerinnen und Bürger der Schweiz nun darüber, ob die Personenfreizügigkeit
auch für sie gelten soll.
Die Bewegung SolidaritéS hat sich für ein Ja zur Ausweitung der
Personenfreizügigkeit ausgesprochen, obwohl die begleitenden Maßnahmen zum Schutz der Löhne und Arbeitsplätze offenkundig
unzureichend sind und die Bewegung sich keine Illusionen macht, dass die Unternehmer die Chance nutzen werden, um die Löhne zu drücken.
Zwei Gründe gaben vor allem den Ausschlag: Erstens müssen wir zur Kenntnis
nehmen, dass die Personenfreizügigkeit Arbeiterinnen und Arbeitern neue Rechte gewährt, die bislang wegen ihrer Staatsangehörigkeit davon
ausgeschlossen waren. Zweitens sind wir der Auffassung, dass eine Ablehnung der Ausweitung der Personenfreizügigkeit im historischen und politischen
Kontext der Schweiz in der breiten Öffentlichkeit vor allem so verstanden würde, dass die Einwanderer selbst für ihren minderen Rechtsstatus
verantwortlich sind, nicht die komplizierten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mechanismen, die den Zusammenhang zwischen Migration und
Lohndumping bestimmen.
SolidaritéS hat deshalb zusammen mit anderen einen Aufruf initiiert: »Für
offene Grenzen! Kämpfen wir zusammen mit den polnischen und tschechischen Arbeiterinnen und Arbeitern für gerechte Arbeitsbedingungen! Ja
zur Personenfreizügigkeit am 25.September 2005«. Dieser Aufruf wurde von 34 Persönlichkeiten initiiert: aus der Kultur, aus verschiedenen
Strömungen der radikalen Linken (SolidaritéS, Partei der Arbeit), von Alternative Listen in der Deutsch-Schweiz), den Grünen, der
Gewerkschaftslinken (der Verband der Arbeiterinnen und Arbeiter [SIT], zweitgrößte Gewerkschaft im Kanton Genf, sowie Vertreter verschiedener
Föderationen des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds [SGB]), von Aktiven der internationalen Solidaritätsbewegung und solchen der Bewegung
für die Rechte der Migranten und Flüchtlinge. In die Zange genommen von den Unternehmerverbänden und dem schweizerischen politischen
Establishment auf der einen, von der fremdenfeindlichen SVP Christoph Blochers auf der anderen Seite, die mehrheitlich den Ausweitungsvertrag ablehnt, will
der Aufruf eine andere Stimme zu Gehör bringen, die der Solidarität und der bedingungslosen Ablehnung jeder fremdenfeindichen und rassistischen
Position. Er verteidigt hartnäckig die Rechte aller abhängig Beschäftigten, gleich welcher Hautfarbe und Staatsangehörigkeit.
Unser Ja ist dem des Wirtschaftsblatts Economie suisse oder des Nationalrats entgegengesetzt.
Die machen uns vor, die Ratifizierung des Vertrags würde Arbeitsplätze sichern, während sie zu den ersten zählen, die sich die Freiheit
zu Produktionsverlagerungen und Entlassungen herausnehmen. Wir kritisieren die »begleitenden Maßnahmen«, denn sie sind grob
unzureichend, da sie den Beschäftigten keine Rechte gegenüber den Arbeitgebern zusichern; die bleiben die alleinigen Herren im Unternehmen.
Eine Ablehnung der Freizügigkeit für Beschäftigte aus den neuen
Mitgliedstaaten würde aber nur fremdenfeindliche Vorurteile schüren. Die Kampagne für das Nein hat den Gipfel der Demagogie und der
Angstmache erreicht, indem sie mit dem Gespenst der »Überfremdung« spielt. In einer öffentlichen Debatte hat der Nationalrat aus dem
Wallis, Oscar Freysinger von der SVP davon gesprochen, gegen die Flut von Arbeitsuchenden aus Osteuropa müsse ein »Sicherheitswall«
errichtet werden. Das sind Pestkranke, die zurückgewiesen werden müssen!
Wir sind uns darüber im Klaren, dass die öffentliche Debatte schwierig ist, weil
die nationalistische und fremdenfeindliche Rechte die sehr reale Verschlechterung der Arbeitsbedingungen in der Schweiz und die angeblich zu erwartende
Welle von Einwanderern aus Osteuropa in einen Topf wirft. Aber die Stigmatisierung von Angehörigen fremder Staaten in der Arbeitswelt hat eine lange
Tradition in der Schweiz!
Jean-Michel Dolivo, Lausanne
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