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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 20

Goya in Berlin

»Prophet der Moderne«, Alte Nationalgalerie

Seit 200 Jahren fesselt dieser Maler Künstler, Schriftsteller, Filmemacher und Philosophen — und die Betrachtenden.

Francisco José de Goya y Lucientes (1746—1828): Vater Vergolder in Zaragoza, Mutter aus niederem Landadel, Ausbildung zum Maler. Als eines von sechs Kindern musste er frühzeitig seinen Lebensunterhalt verdienen. Das bedeutete in seiner Zunft, wenn er etwas werden wollte, musste er nach Madrid, an den Hof — die nötigen Beziehungen vermittelte ihm sein Schwager. 56 Jahre, fast sein gesamtes 60-jähriges Schaffen hindurch, hat Goya für die spanischen Bourbonen gearbeitet — quer durch alle Wechselfälle absolutistischen Reformstrebens, der Französischen Revolution, des Freiheitskampfs gegen Napoleon und der Restauration der Feudalherrschaft. Als er schließlich 1819 den Dienst quittierte, ging er freiwillig — verjagt hat man ihn nie, nicht einmal, als seine berühmten Majas, die Nackte und die Bekleidete, unter den Hammer der Inquisition kamen und geschlagene 100 Jahre dem Auge der Öffentlichkeit verborgen blieben. Noch sein »Exil« in Bordeaux, seine letzte Lebensphase, war getarnt als Kururlaub und von zahlreichen Reisen nach Madrid unterbrochen.

Francisco José de Goya y Lucientes: ein gigantisches Werk von fast 2000 Gemälden, Zeichnungen, Radierungen und Lithographien, ein Koloss auf dem Scheitelkamm der Neuzeit, den die Französische Revolution darstellt. Mit dem einen Arm noch auf Velázquez (1599—1660) gestützt, greift er mit dem anderen schon ins 20.Jahrhundert. Manet fand bei ihm den nichtnaturalistischen Pinselstrich, die Verselbstständigung der Farbe und die aperspektivische Zeichnung, die Expressionisten die Gewalttätigkeit im Ausdruck und die Surrealisten die Traumwelt als Sujet. Goya beherrschte eine solche Vielzahl von Stilen, oft nebeneinander je nach Auftraggeber, wie nach ihm nur noch Picasso.
Die Spärlichkeit der Ausstellungen seiner Werke steht in keinem Verhältnis zur Flut von Literatur über ihn. Die derzeitige Ausstellung in der Berliner Alten Nationalgalerie, die relativ klein ist und nicht einmal seine Hauptwerke zeigt, hat zehn Jahre Vorbereitungszeit gebraucht und ist die bislang umfassendste Goya-Ausstellung im deutschsprachigen Raum.

Francisco José de Goya y Lucientes: so einer regt die Fantasie an. Als kleiner Handwerker aus der Provinz darf er Entwürfe für die königliche Teppichmanufaktur fertigen, da fällt er auf, bringt es zum Hofmaler, schließlich Mitglied der Akademie. Bald unterhält er enge Beziehungen zum Ersten Minister, zur Königsfamilie gar, aber auch zu Bankiers und anderen einflussreichen Persönlichkeiten des Adels und des aufstrebenden Großbürgertums — alle im Rang weit über ihm. Die angebliche (und angeblich unglückliche) Liebesbeziehung zur Herzogin von Alba, die frühe Taubheit, die düstere Verarbeitung von Krieg, Fremdherrschaft und Restauration, der innere Rückzug vom Hof und schließliche Wahnsinn — das gibt genügend Stoff nicht nur für Biografien und Abhandlungen, auch für Romane und Filme. Baudelaire, Feuchtwanger, Konrad Wolf, Malraux, Sartre, Foucault haben sich neben anderen an ihm versucht.

Francisco José de Goya y Lucientes hat Glück gehabt. Er mochte auch respektlos seine Förderer porträtieren (mit der gebotenen Umsicht), oder sich einfach der Konventionen der zeitgenössischen Malerei entledigen: der Hof war vernarrt in seine Bilder. Der reformorientierte, mit dem Gedankengut Voltaires sympathisierende Absolutismus von Carlos IV. hatte keinen inneren Halt mehr, das Selbstbewusstsein der feudalen Klasse war erschüttert, und man gefiel sich im Kokettieren mit der Kritik an den alten Zuständen, die man zugleich dadurch zu integrieren hoffte. Eine feste Anstellung an einem solchen Hof, in einem solchen geistigen Klima eröffnet Freiheiten, ungeheure Freiheiten.
Goya saß zwischen allen Stühlen und konnte gerade deshalb jedes Objekt seiner Betrachtung relativieren und den künstlerischen Blick revolutionieren. Immer aufgeschlossen für das Neue, Unkonventionelle, findet er im Rokoko das Leben der unteren Klassen, im höfischen Porträt die individuelle Persönlichkeit, im individuellen Charakter seine abstoßenden Seiten, im »Traum der Vernunft« die »Ungeheuer«, im Aufbegehren gegen die Fremdherrschaft die Gemeinheiten und Brutalität des Krieges, im Auftritt des Volkes als geschichtliches Subjekt die Anonymität der Masse, im neuen Zeitalter der Vernunft Hexerei, Aberglauben, Barbarei. Diese »Dialektik der Aufklärung« macht ihn bis auf die heutige Zeit zu einem ungeheuren Provokateur.
Man hat Goya zum politischen Revolutionär machen wollen. Das zielte an der Vielschichtigkeit seiner Persönlichkeit vorbei. Alle Revolution war in der Malerei.

Francisco José de Goya y Lucientes: »In der Kunst gibt es keine Regeln.« 1792, vier Jahre nach der Thronbesteigung von Carlos IV., war Goya aufgefordert, wie die übrigen Professoren der Akademie seine Meinung über eine geplante Studienreform zu äußern. Mit der zitierten Antwort lehnte er es ab, dem alten Kanon einen neuen gegenüber zu stellen, er stellte die Lehrbarkeit von Kunst überhaupt in Frage.
Die Jahre 1792/93 sind Jahre einer tiefen Lebenskrise, ausgelöst durch eine anscheinend immer noch ungeklärte Krankheit, die ihn taub machte. Er musste die Gehörlosensprache lernen, der Blick richtete sich nach innen. Was hört man, wenn man nichts mehr hört? Merkwürdigerweise scheint diese Frage die Forschung bisher nur wenig beschäftigt zu haben, vielleicht ist sie nicht philosophisch genug. Tatsache ist, dass dieser Einschnitt eine Wende in seinem Werk markiert: Rückzug vom akademischen Lehrbetrieb, Produktion für sich selbst oder für den sich nun eröffnenden freien Markt, damit einhergehend Wechsel zur Reproduktionskunst, vorwiegend Radierungen, und die thematische Wendung ins Dämonische.
Das 20.Jahrhundert, das so barbarische Kriege gesehen hat, an denen so viele junge Maler teilgenommen haben, hat nicht so eindringliche Bilder vom Krieg hervorgebracht wie Goya, der daran nie beteiligt war.

Angela Klein

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