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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2005, Seite 20

John Burdett: Die letzten Tage von Hongkong, München: Piper, 1998, 487 S., 9,90 Euro.

Andy Oakes: Drachenaugen, München: dtv, 2004, 513 S., 14,50 Euro.

»Ich will eine Bank, die schnell reagiert, wenn nachts um drei etwas in Hongkong passiert« (Anzeige der Dresdner Bank). »Mehrere internationale Finanzriesen, darunter die Deutsche Bank, haben für ihre Kunden Aktien eines Unternehmens gekauft und verkauft, dessen Produkte von Zwangsarbeitern hergestellt werden«(Frankfurter Rundschau). Dabei geht es um Aktien des Perückenherstellers Henan Rebecca, der in China in mindestens zwei Umerziehungslagern (Lao Gai) für den Weltmarkt produzieren lässt. Nach Schätzungen des China Labour Bulletin sitzen heute 250000—300000 Chinesen ohne Anklage und Gerichtsverhandlung in solchen Lagern, die ohne Entlohnung bis zu 16 Stunden täglich arbeiten müssen, ständig in Angst vor Misshandlungen und Verlängerung der Zwangsarbeit.
In John Burdetts Roman Die letzten Tage von Hongkong ist General Xian einer der Profiteure dieser Arbeitslager. Kurz vor der Übergabe Hongkongs an die Volksrepublik bemüht er sich darum, die Millionengewinne in die Kronkolonie einzuschmuggeln und das Geld am Immobilienmarkt zu waschen. Als alter Mann des neue chinesischen Zeitalters zeigt er genauso dringendes Interesse an der Aufklärung eines brutalen Dreifachmords wie der britische Spitzenbeamte Cuthbert, der in den letzen beiden Monaten angelsächsischer Herrschaft mit allen Varianten kolonialer Diplomatie alles vermeiden will, was den Übergabeprozess behindern könnte — vor allem Unruhe in der Bevölkerung, die ein Eingreifen der Volksarmee provozieren könnte. In diesem Gewirr politischer und wirtschaftlicher Intrigen versucht Chefinspektor Chan, den Fall zu lösen.
Drachenaugen von Andy Oakes spielt wenige Jahre später in Shanghai, und dieser exzellente Thriller wirkt in seiner Anlage und in vielen Details wie eine Kopie des Romans von John Burdett: Wieder werden grausam zugerichtete Leichen gefunden, wieder sind unter ihnen »Gweilos«-Nichtasiaten. Wieder ist der Inspektor von seiner Frau verlassen worden, wieder taucht aus den USA die Mutter eines der Opfer auf und spielt eine dubiose Rolle und wieder ist Drogenhandel die falsche Fährte, um auf die Ursache des Verbrechens zu stoßen. Trotz dieser Häufung von Parallelen ist Drachenaugen ein eigenständiger Roman und führt noch tiefer in die Konflikte, die sich aus dem chinesischen Aufbruch, den brutalen Varianten der ursprünglichen Akkumulation und den grausamen Exzessen der Globalisierung ergeben. Hier sind es nicht sich verselbstständigende Militärs sondern zentrale Regierungskreise, neben deren »Körperpolitik« die Perückenmacherei in Zwangsarbeitsverhältnissen seltsam harmlos wirkt. Aber es ist der gleiche Weltmarkt, der die Bedürfnisbefriedigung der Nomenklatura und der Reichen mit perversen Methoden organisiert. Die Geschäfte der Triaden und der Mafia sind in beiden Romanen ein Nichts dagegen, und beide Inspektoren kommen wie Don Quijote daher: Bei dieser Kategorie von Verbrechen scheitert Polizeiarbeit. Und man wundert sich, wie man solche Verhältnisse überleben kann. Dass die Realität vielschichtiger ist und der schriftstellerische Blick von außen durch eine gewisse Wehmut am Untergang des kolonialen britischen Paternalismus getrübt ist, reicht als Trost nicht aus.

Udo Bonn

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