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Ihr Name lockt Besuchermassen in die Museen, ihre ausdrucksstarken Bilder sind begehrt, was sich auch an den Preisen zeigt,
die seit den 90er Jahren stetig steigen und inzwischen die Millionengrenze durchbrochen haben. Landauf, landab wird mit vielen Ausstellungen der
Gründung der Künstlergemeinschaft Brücke gedacht. In der Berliner Neuen Nationalgalerie war bis Ende August die Ausstellung
Brücke und Berlin 100 Jahre Expressionismus zu sehen. Die kritische Betrachtung der Gruppe und ihrer Kunst kam jedoch in der umfangreichen
Werkschau etwas kurz.
Am 7.Juni 1905 gründeten die jungen Dresdner Studenten Erich Heckel, Ernst Ludwig
Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Fritz Beyl die Künstlergemeinschaft Brücke, um sich fortan ganz der freien Kunst zu widmen. Sie flohen nicht
nur vor dem starren Historismus der staatlichen Hochschule für Architektur, sie wollten auch raus aus der Enge der preußisch-wilhelminischen
Gesellschaft. 1906 wurden Max Pechstein und Cuno Amiet Mitglieder der Brücke. Emil Nolde trat ebenfalls bei, ist aber nach einjähriger
Mitgliedschaft wieder ausgeschieden. Das Programm der Brücke, von Kirchner in Holz geschnitten, liest sich wie ein Aufruf zur (Kunst-)Revolution:
»Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen, und als
Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und Lebensfreiheit verschaffen gegenüber wohlangesessenen Kräften. Jeder gehört
zu uns, der unmittelbar und unverfälscht das wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.«
Tatsächlich waren die Künstler weniger spontan und revolutionär, als dieses
vielleicht erscheinen mag. Keineswegs haben sie nur unverfälscht Eigenes ausgedrückt. Vielmehr griffen sie künstlerisch Vorhandenes auf,
spiegelten den Zeitgeist der Jahrhundertwende wider und haben ihre Popularität nicht zuletzt einem einfallsreichen Eigenmarketing zu verdanken.
Stilistisch knüpften die Brückemitglieder anfangs an den Jugendstil an, doch bald fanden sie neue Vorbilder bei Van Gogh, Gauguin, Munch
und Matisse. Später kam das Interesse an Kunst aus Afrika und der Südsee hinzu. In Berlin besuchten sie das Ethnologische Museum,
außerdem kamen sie in Kontakt mit dem Kubismus und Futurismus. Dieser avantgardistische Einfluss machte sich besonders bei Kirchner bemerkbar.
Wie in der Ausstellung der Neuen Nationalgalerie gezeigt wird, ging die Inspiration zum Teil
bis zur Kopie. Die bekanntesten Brückekunstwerke zeigen nackte Menschen in der Natur, Landschaften, teils Stadtlandschaften. Wie in der Neuen
Nationalgalerie zu sehen, schufen die Künstler nicht nur Gemälde, Zeichnungen, Holzschnitte, Skulpturen. Auch Glasfenster, Inneneinrichtungen
und sogar Schmuck wurden von der Gruppe hergestellt. Die Kunstwerke verschönten die Atelierwohnungen und wurden wiederum auf Gemälden
im Hintergrund verewigt.
Die Künstler wollten nicht die objektive Realität, sondern ihre subjektiven
Empfindungen ausdrücken. Die Brückekunst missachtet dabei die (damaligen) Vorgaben von Komposition, Perspektive und Farbgebung. Sie wirkt
wild, gefühlvoll und beeindruckend. Das typische schnelle, schwungvolle Zeichnen ist neben dem Willen, sich von den manierierten Posen der
akademischen Kunst abzuheben, auch aus monetären Gründen entstanden. Die Künstler zeichneten gemeinsam in Kirchners Dresdner
Atelierwohnung, um so die Kosten für das Modell zu reduzieren. Dort erfanden sie den Viertelstundenakt, bei dem das meist weibliche Modell ihre Pose
alle 15 Minuten änderte. Die Künstler mussten die Szene schnell erfassen und aufs Blatt bringen. So geschult, konnten sie auch natürliche
Bewegungsstudien in und außerhalb des Ateliers anfertigen. Erich Heckel hat sogar aus dem fahrenden Zug heraus gezeichnet. Zwar war es um die
Jahrhundertwende noch ungewöhnlich, Skizzen als komplette Kunstwerke zu betrachten, doch war es nicht gänzlich neu. Wirklich innovativ waren
die Brückekünstler, als sie die Ästhetik der Skizze auch auf Gemälde übertrugen. Das gelang, indem sie die Ölfarben mit
Benzin verdünnten. Mit dieser Mischung war es ihnen möglich, so schwungvoll, flächig und farbintensiv auf Leinwand zu malen, wie sie es
wollten.
Die Sommermonate verbrachten die Brückekünstler an den Moritzburger Teichen bei Dresden, später auf Fehrmarn in der Ostsee oder in
Dangast an der Nordsee und als Fernziel sogar in der Südsee. Man genoss das freie Leben, badete nackt, vergnügte sich mit seinen Modellen, malte
sich und die Mädchen in natürlicher Bewegung. Nicht nur künstlerische, auch sexuelle Grenzen wurden niedergerissen. Die
Zirkusmädchen Fränzi und Marcella waren bspw. erst im vorpubertären Alter. Ob in einem solchen Fall nicht von einem gehörigen
Machtgefälle zwischen den Künstlern und den Mädchen ausgegangen werden muss, und dieses ein freiheitlich-freizügiges
Verhältnis daher ausschließt, bleibt zu fragen, wurde in der Ausstellung der Neuen Nationalgalerie aber leider nicht thematisiert, obwohl sich auf
einigen Bildern ein sexuelles Verhältnis zwischen Maler und Modell klar ablesen lässt.
Der lockere Lebensstil der Brückekünstler mit ihrer Vorliebe fürs
Natürliche, Nackte und Sexuelle kann als moderate Form der um die Jahrhundertwende populären Lebensreformbewegung verstanden werden.
Denn Aussteiger, Landkommunarden, Esoteriker sind keine Phänomene der hippiebewegten 70er. Vielmehr beherbergte die Moderne schon immer
Zivilisationskritik, Naturgläubigkeit und romantische Paradiesvorstellungen. Der Heilsruf »Zurück zur Natur« begleitete das
Bürgertum bereits seit dem 18.Jahrhundert und ist seitdem ein Symbol für das Andere, das Gegenteil von Zivilisation und Industrialisierung. Als
romantisch verklärte Schau auf wahlweise die Vergangenheit, die Zukunft oder die Utopie, sind die Naturbilder der Brücke vor allem Fluchtbilder
innerhalb der Moderne. Sie drücken bürgerliche Paradiesvorstellungen von einem wilden, ursprünglichen Leben aus. Doch dieses Leben hat
so nie existiert. In der Ausstellung wurde das Naturbild der Brückekünstler aber nicht reflektiert, sondern eins zu eins übernommen. So
werden die Bilder bspw. der jahrhundertelang bearbeiteten bäuerlichen Kulturlandschaft in Dangast als Naturbilder einer von der Zivilisation
unberührten Natur präsentiert.
Kritischer wünscht man sich auch den Umgang mit den Brückewerken, die von
Kunst aus Afrika und der Südsee inspiriert sind. Der Besucher erhält den Eindruck, dass hier die Höherwertigkeit der Brückewerke
über die Originale vermittelt werden soll, wenn bspw. die afrikanische Holzskulptur Königsfrau der Chokwe (Darstellung einer nackten Frau mit
überzeichneten Spitzbrüsten) der davon inspirierten sehr ähnlichen Plastik von Schmidt-Rottluff gegenübergestellt und betont wird, wie
viel einfühlsamer als beim Original er die Gesichtszüge gestaltet hätte.
Auch Künstler bedürfen ökonomischer Versorgung und viele haben unter deren Mangel zeitlebens gelitten. Um ihr Auskommen zu
sichern, entwickelten die Brückekünstler Methoden, die als Marketing zusammengefasst werden können.
Erstens erarbeiteten sie sich einen einheitlichen Stil. Häufig kopierten sie einander oder
benutzten die gleichen Motive. In dieser Weise schafften sie sich eine Corporate Identity, was den Wiedererkennungswert ihrer Werke enorm steigerte. Zweitens
verpflichteten sie sich, nur gemeinsam auszustellen und kreierten neben den Ausstellungsstücken die Plakate und Einladungen gleich mit. Doch nicht jeder
war mit dieser engen, verpflichtenden Zusammenarbeit zufrieden. Fritz Beyl und der gerade erst eingetretene Emil Nolde trennten sich bereits 1907 wieder von
der Gruppe, um ihrer eigenen kreativen Wege zu gehen. Max Pechstein musste die Brücke 1912 verlassen, da er in der Berliner Sezession allein ausstellte.
Drittens baute sich die Gruppe einen Sponsorenkreis auf, indem sie gezielt zahlungskräftige, meist großbürgerliche Kunstliebhaber suchten,
denen sie eine passive Mitgliedschaft in der Brücke anboten. Gegen regelmäßige Mitgliedszahlungen für den Unterhalt der Kreativen
erhielten die Sammler einmal im Jahr eine Mappe der Künstlergemeinschaft. Außerdem sind Porträts der Unterstützer gefertigt worden.
Der Sog der wachsenden Metropole zog die Brückemitglieder im Lauf der Jahre von
1908 bis 1911 von Dresden nach Berlin, wo sie sich in den Vororten Friedenau und Steglitz, im gebührenden Abstand zum pulsierenden Zentrum der Stadt
und im Dunstkreis vieler Künstler und Intellektueller niederließen. Besonders Kirchner war vom urbanen Leben auf den Straßen und
Plätzen der Metropole fasziniert, während Heckel Malerkollegen sowie Literaten porträtierte und die Stadt als Landschaft, beispielsweise die
Kanäle im Tiergarten, malte. Die Unterschiede der einzelnen Gruppenmitglieder traten immer deutlicher hervor und die Konflikte nahmen zu
vielleicht auch verstärkt durch den wachsenden Erfolg. Letztendlich löste sich die Künstlergemeinschaft 1913 im Streit auf.
Die ehemaligen Freunde und Kollegen zogen getrennt in den Ersten Weltkrieg. Keiner malte
hinterher Kriegsszenen, sondern sie reflektierten das erlebte Grauen in ihren eigenen Gesichtern. Sie betrieben weiterhin Selbstbespiegelung darin waren
sie ihrer Künstlergemeinschaft treu geblieben. Im Nationalsozialismus wurden ihre Kunstwerke innerhalb der Ausstellung Entartete Kunst ausgestellt und
zum Teil vernichtet.
Wie wichtig und einflussreich die Brücke trotz dieser Diffamierung geblieben ist, wird
demnächst in weiteren Ausstellungen in Saarbrücken, Hamburg, Bielefeld und Berlin gezeigt. Die Ausstellung Die Brücke. Die Geburt des
deutschen Expressionismus war bereits in Spanien zu sehen und dort mit 190000 Besuchern ein großer Erfolg. Ob die Schau, wie angekündigt, mit
über 200 Meisterwerken aus privaten und öffentlichen Sammlungen neue Sichtweisen und überraschende Einblicke auf die
Künstlergruppe bietet, kann ab dem 1.Oktober in der Berlinischen Galerie überprüft werden.
Thekla Fery
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