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Die erste Station einer im August von 15 Mitgliedern verschiedener deutscher Friedensgruppen unternommenen und vom
Deutsch-Japanischen Friedensforum organisierten Japan-Rundreise war Okinawa. Okinawa, 2000 Kilometer von Tokyo entfernt, aber nur 200 Kilometer von
Taiwan, wurde 1879 von Japanern unfriedlich besetzt. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs erlebte Okinawa schwere Kämpfe und von 1945 bis 1972
stand die Insel unter amerikanischer Militärverwaltung. Heute befinden sich auf Okinawa 75% der mehr als 130 Militärbasen, die von den USA in
Japan unterhalten werden.
Derzeit plant die US-Militärverwaltung mit Genehmigung der japanischen Regierung einen neuen Luftwaffenstützpunkt, den Heliport in
Henoko, diese neue Luftwaffenbasis soll den Futenma-Luftwaffenstützpunkt ersetzen. Dieser Heliport soll 2 Kilometer vor der Küste in einem
Korallenriff mit einer Länge von 2600 Metern und einer Breite von 750 Metern gebaut werden. Es handelt sich um eine Investition von rund 200 Billionen
Yen. Die Einwohner von Nagya haben sich entschieden gegen das Projekt ausgesprochen. 93% der Bevölkerung lehnen es ab.
Mit der im April 2004 erfolgten Besetzung des Küstenstreifens von Henoko und der
Arbeitsplattformen, die für den Bau des Heliports vor der Küste errichtet wurden, weitete sich der Protest aus. Seit nunmehr 500 Tagen fahren die
Besetzer jeden Tag mit Booten hinaus und besetzen die Plattform. Auf diese Weise ist es bisher gelungen, den Fortgang der Arbeiten zu verhindern. Inzwischen
bestehen Überlegungen, dieses Projekt an einem anderen Ort zu realisieren. Doch der Widerstand hält an und hat auf Okinawa bereits eine lange
Tradition.
Während in Europa der Krieg am 8.Mai beendet war und die Menschen auf eine friedliche Zukunft hofften, tobte der Krieg im Südpazifik noch
drei lange Monate weiter. Am 6. bzw. 9.August 1945 wurden Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen, am 15.August folgte die offizielle
Kapitulation Japans.
Alljährlich am 15.August findet seitdem am Yasukuni-Schrein ein Totengedenken
statt, zu dem Hunderttausende kommen. Der Yasukuni-Schrein wurde 1869 errichtet, nachdem der Meiji-Tenno den modernen japanischen Staat in einem
blutigen Bürgerkrieg durchgesetzt hatte. Seither finden dort die Seelen aller für Japan gefallenen Soldaten in Form eines
»Seelenregisters«, einer Liste der 2,5 Millionen Kriegstoten, ihre letzte Ruhestätte. Sie starben in Kriegen, die von Japan begonnen und
außerhalb Japans ausgetragen wurden, in Feldzügen gegen China und Russland, bei der Besetzung Koreas und Taiwans, 1931 beim Einmarsch in
China und im Zweiten Weltkrieg.
Dem Yasukuni-Schrein angeschlossen ist das Yushu-kann-Museum. Dieses Museum ist auf
private, erzkonservative Initiative hin entstanden und gibt nicht die offizielle staatliche Meinung wieder. Nach einer erst kürzlich erfolgten Renovierung
und Erweiterung zeigt das Museum in 20 Sälen die Kriege des modernen Japan seit 1866 und stellt sie in einen Zusammenhang zur Unabhängigkeit
asiatischer Nationen, indem behauptet wird, dass diese ihre Unabhängigkeit den Kriegen Japans gegen Amerikaner und Europäer verdanken. So
werden Aggressionskriege zu Verteidigungskriegen.
Für die konservativen Eliten in Japan gehören auch die 14 Kriegsverbrecher, die
1945 als höchstbelastet (»Klasse A«) eingestuft und vom internationalen Militärtribunal in Tokyo zum Tode verurteilt und gehenkt
wurden, zu den im Krieg Gefallenen. Unter ihnen befand sich bspw. General Matsui, dessen Truppen im Winter 1937 in der chinesischen Stadt Nanking ein
Massaker verübten, bei dem 300000 Menschen getötet wurden. 1978 wurden diese Kriegsverbrecher ohne Wissen der Menschen in Japan oder ohne
Zustimmung des Parlaments in das »Seelenregister« des Yasukuni-Schrein aufgenommen.
Zum ersten Mal besuchte 1986 ein Ministerpräsident den Yasukuni-Schrein. Dies rief
den scharfen Protest der Nachbarstaaten, insbesondere Chinas und Koreas hervor. 53% der Japaner lehnen die Besuche und diese Art von
Geschichtsbewältigung ab. Fortschrittliche Kräfte in Japan fordern dagegen einen kritischen Umgang mit der eigenen Geschichte, eine Abkehr vom
Militarismus und kritisieren, dass neben den 14 in den Kriegsverbrecherprozessen zum Tode verurteilten Offizieren auch Angehörige der
berüchtigten Einheit 731 verehrt werden. Im Krieg in der Mandschurei waren diese verantwortlich für Experimente mit biologischen Waffen an
Kriegsgefangenen und chinesischen Zivilisten.
Premier Koizumi hat den Schrein seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 jedes Jahr besucht,
zuletzt Mitte Oktober, jedoch niemals am 15.August. Statt seiner erschienen jedoch drei andere hochrangige Politiker.
In den frühen Morgenstunden des 6.August 1945 verlassen drei Bomber die amerikanische Luftwaffenbasis auf Tinian Islands. Ein Bomber hatte die
Atombombe an Bord. Gegen 8 Uhr zur morgendlichen Rush-hour erreichen die Bomber ihr Ziel, die Stadt Hiroshima. Um 8.15 Uhr wird die Bombe in einer
Höhe von 3000 Metern über dem Zentrum von Hiroshima gezündet. Eine ganze Stadt und die Menschen, die in ihr lebten, verbrennen. Mehr
als 200000 Menschen wurden getötet oder verletzt.
Die offizielle Gedenkfeier zum 60. Jahrestag des Atombombenabwurfs findet im
Friedenspark vor dem Kenotaph statt. Der Kenotaph sind die Namen aller Menschen verzeichnet, die durch den Atombombenabwurf starben. Die Gedenkfeier ist
dem Andenken der Opfer und ihren Leiden gewidmet. Zehntausende sind gekommen. Um 8.15 Uhr, dem Moment, in dem vor 60 Jahren die Atombombe
gezündet wurde, ertönt die Friedensglocke.
In ihren Reden sprechen die Offiziellen, u.a. auch Premier Koizumi, den Opfern ihr
Mitgefühl aus. Tadatoshi Akiba, der Bürgermeister von Hiroshima, sagte in seiner Ansprache, wesentliches Vermächtnis der Hibakusha, der
Überlebenden des Atombombenabwurfs, sei das Verbot der Atomwaffen und die Schaffung einer friedlichen Welt, dafür sei jeder einzelne
verantwortlich. Noch gebe es Staaten, die im Besitz von Atomwaffen sind und daran festhalten. Entschiedene Initiativen zur Schaffung einer atomwaffenfreien
Welt seien daher erforderlich. Seit 1947 überbringen die Bürgermeister der Stadt Hiroshima am 6.August den Bürgern der Stadt eine
Friedenserklärung.
Der Tag endet mit dem Fest der Laternen. Hunderte Laternen schwimmen auf dem Fluss und
erinnern an die Menschen, die nach dem Atombombenabwurf als brennende Fackeln in den Fluss sprangen, um sich zu retten.
Hiroshima war in diesen Tagen im August aber nicht nur Ort der Erinnerung und des
Gedenkens, sondern, mit der 6.Konferenz der »Bürgermeister für den Frieden«, auch ein Ort der Begegnung. Weltweit haben 1080
Städte die Ächtung von Atomwaffen erklärt. Auf dieser Konferenz soll beraten werden, wie die Kampagne zur Ächtung der Atomwaffen
erweitert und fortgeführt werden kann und Bürger weltweit in ihrem Engagement für die Abschaffung von Atomwaffen bestärkt
werden können.
Hiroshima und Nagasaki begehen im August 2005 noch einen weiteren Jahrestag. Seit 1955
findet hier die Weltkonferenz gegen A- und H-Bomben statt. Veranstalter der Konferenz ist Gensuikyo, ein Dachverband der japanischen Atombombenopfer. In
diesem Jahr sind 269 ausländische Delegierte aus 29 Ländern gekommen. Diese Konferenz ist aber keine Veranstaltung, auf der ausländische
Gäste unter sich diskutierten. 9000 Teilnehmer, Friedensgruppen und aus dem ganzen Land sind zusammengekommen. Vor Beginn der Konferenz fanden
zahlreiche Friedensmärsche nach Hiroshima statt. Vom 5. bis zum 10.August diskutierten und arbeiteten japanische Friedensfreunde gemeinsam mit ihren
ausländischen Gästen.
Während der Konferenz gab es ein Jugendforum und ein Schülerforum. Hier
trafen junge Menschen mit Hibakushas zusammen. Die Überlebenden des Atombombenabwurfs berichteten den Jugendlichen als Zeitzeugen von ihren
Erfahrungen. In Workshops berichteten japanische Friedensgruppen und Friedensgruppen aus aller Welt von ihren Aktivitäten, tauschten Erfahrungen aus
und diskutierten, wie die während der Folgekonferenz zum Atomwaffensperrvertrag begonnene internationale Zusammenarbeit, weiterentwickelt werden
kann.
Einen weiteren Schwerpunkt der Konferenz bildeten die Aktionen und Aktivitäten zur Erhaltung des Artikels 9 der japanischen Verfassung. Als Lehre
aus dem Zweiten Weltkrieg legt die am 3.Mai 1947 in Kraft getretene und von der Mehrheit der Bevölkerung angenommene japanische Verfassung als
einzige Verfassung weltweit den »Verzicht auf Krieg« fest. Im Artikel 9 heißt es: »Im aufrichtigen Streben nach einem auf
Gerechtigkeit und Ordnung gegründeten internationalen Frieden verzichtet das japanische Volk für alle Zeiten auf den Krieg als ein
souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten. Um das Ziel
des vorhergehenden Satzes zu erreichen, werden keine Land-, See- und Luftstreitkräfte oder sonstige Kriegsmittel unterhalten. Ein Recht des Staates zur
Kriegführung wird nicht anerkannt.«
Doch schon seit Beginn des Kalten Krieges unterhält Japan ein Heer von 250000
Mann. Die Verpflichtung zum Frieden wurde dadurch umgangen, dass man die neue Arme als »Selbstverteidigungskräfte« bezeichnete, die
durch ein »Amt für Verteidigungsfragen« befehligt werden.
Mit dem Einsatz von rd. 700 sog. Aufbauhelfern im Irak hat sich der Gegensatz zwischen
Verfassung und Wirklichkeit nun weiter verschärft. Premier Koizumi möchte deswegen eine Verfassungsänderung durchsetzen, für die
allerdings nicht nur eine Zweidrittelmehrheit beider Häuser des Parlaments erforderlich ist, sondern auch die Zustimmung der Mehrheit des Volkes in
einem Referendum. Seit den Neuwahlen am 11.September hat Premier Koizumi im Parlament die erforderliche Mehrheit. Bisher sprechen sich jedoch rund 50%
der japanischen Bevölkerung gegen eine solche Verfassungsänderung aus.
Die LDP-Regierung arbeitet jetzt verstärkt an einem Stimmungswandel, um die
Zustimmung der japanischen Bevölkerung für eine Verfassungsänderung zu erhalten. Und die Konservativen üben Druck auf die
Schulen aus, die Jugend zum Nationalstolz zu erziehen. In Tokyo beispielsweise wurden Schulen angewiesen, bei Schulabschlussfeiern die Staatsflagge zu
hissen und die traditionelle »Kimigayo-Hymne« zu singen, in der verfassungswidrig die herausragende ewige Rolle des Kaisers gepriesen wird.
Gegen diese geplante Änderung entwickelt sich Widerstand. Zum Schutz des Artikels 9
gründeten sich überall im Land Initiativen. Eine der bedeutendsten ist die Artikel-9-Vereinigung, die im Frühjahr 2004 von neun bekannten
Schriftstellern, darunter dem Nobelpreisträger Kenzaburo Oe, ins Leben gerufen wurde. Zusammen mit Gensuikyo und anderen Gruppen mobilisierte die
Vereinigung am letzten Sonnabend im Juli 10000 Demonstranten zur Verteidigung der Friedensverfassung nach Tokyo.
Während des zweitägigen Workshops berichteten viele Teilnehmer über
ihre Aktivitäten. In den Betrieben haben sich gewerkschaftliche Gruppen zum Schutz des Artikels zusammengefunden. Berufsverbände, wie z.B.
der Ärzte- oder Journalistenverband, Studenten- und Jugendgruppen, Frauenorganisationen und Stadtteilgruppen organisieren Aktivitäten und
Aktionen für die Erhaltung des Artikels 9. Dabei sei Aufklärungsarbeit ganz besonders wichtig, betonten viele Teilnehmer, die von ihrer Arbeit
berichteten. Eine Frauengruppe verteilte 20000 Flugblätter. In Tokyo hat eine Stadtteilgruppe 3000 Einladungen an Parlamentarier und Personen des
öffentlichen Lebens versandt. Andere Gruppen machen Informationsstände und laden Bürger zu Informationsvorträgen ein.
Zwar stimmten nur 28% der Bevölkerung dem Militäreinsatz im Irak zu,
berichtet ein Teilnehmer, die Zustimmung bei jungen Menschen sei aber höher. Inzwischen hielten 50% der jungen Leute eine Verfassungsänderung
für richtig. Dies Ergebnis verwundere nicht, denn um im Referendum das erforderliche Votum zu erhalten, habe gerade unter jungen Menschen eine
massive Propaganda für die Änderung dem Artikel 9 eingesetzt.
Am Abend des 9.August ging die Konferenz mit der Verabschiedung der
ausländischen Gäste zu Ende.
Hannelore Tölke
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