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Die Liste der Kritiker gegen Neoliberalismus und ungerechte Globalisierung ist lang. Gewerkschafter gehören
ebenso dazu wie Wissenschafter und selbst manche Politiker ohne Amt. Doch auf der politischen Ebene scheinen die Gegenstimmen bisher wenig bewirkt zu
haben. So entzündeten sich nicht nur in Deutschland am Irakkrieg und am Sozialabbau breite Protestbewegungen. Doch für die Verantwortlichen
hieß es: Augen zu und durch.
Wo gibt es Risse im Gebälk? Die Zahl der Strategiedebatten, die sich dieser Frage
widmen, haben in der letzten Zeit zugenommen. Auch auf dem ersten deutschen Sozialforum, das Mitte Juli in Erfurt stattfand, ging es um diese Frage. Der
wissenschaftliche Mitarbeiter des Fachgebiets Globalisierung und Politik an der Universität Kassel und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der
globalisierungskritischen Organisation Attac, Ulrich Brand, hat in seinem jüngst veröffentlichten Buch Gegen-Hegemonie Perspektiven
globalisierungskritischer Strategien einige Bausteine für diese Perspektivendiskussion geliefert.
Dabei ist der Titel in zweierlei Hinsicht etwas irreführend. Weder handelt es sich um
rein wissenschaftliche Abhandlungen, was der Titel Gegen-Hegemonie nahe legt, noch richtet sich das Buch lediglich an Globalisierungskritiker.
Schließlich ist die Abgrenzung auch nicht so einfach, zumal gerade Attac in den letzten Jahren mit ihrem Engagement in der Antikriegsbewegung und der
Bewegung gegen die Agenda 2010 ein umfassenderes Oppositionsverständnis entwickelt hat. An alle diese Menschen richtet sich Ulrich Brand in den 16
Aufsätzen, die zum größtenteils schon in anderen Zusammenhängen veröffentlicht wurden.
Zu Beginn erläutert Brand auch für Laien verständlich seine theoretischen
Prämissen. Mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci geht es ihm um die Herstellung einer Gegenhegemonie, die sich eben nicht bloß in
den Ruf nach besseren Politikern und auch nicht im vielstrapazierten Politikwechsel erschöpft. Von dem griechisch-französischen Intellektuellen
Nicos Poulantzas übernimmt Brand die Vorstellung vom Staat als einem sozialen Verhältnis, in dem sich die Kräfteverhältnisse
zwischen Klassen und anderen politischen Akteuren verdichten. Aktuelle politische Inspiration kommt für Brand aus dem Süden Mexikos von der
zapatistischen Bewegung, der in dem Buch gleich zwei Kapitel gewidmet sind. »Fragend gehen wir voran«, dieses zentrale zapatistische Motto
könnte auch über dem Buch stehen.
Kritisiert werden nicht nur herrschende Politikmodelle, sondern auch oppositionelle
Konzepte. So werden keynesianische Wirtschaftsmodelle, die als Alternative zum Neoliberalismus in vielen Ländern wieder populär werden,
ebenso der Kritik unterzogen wie das in der Umweltbewegung vieldiskutierte Nachhaltigkeitskonzept oder die in der Entwicklungsdebatte geführte
Debatte um Global Governance.
»Nach dem Neoliberalismus« heißt das letzte Kapitel, dass sich den
Alternativen widmet. Zu den aufgeführten Vorschlägen zählt auch der im Umfeld der PDS diskutierte Ansatz »transformatorischer
Reformen«, die dem neoliberalen Dogma entgegengesetzt werden sollen. Einen anderen Weg geht die Arbeitsgruppe Linksnetz aus Frankfurt am Main, die
über Modelle einer Sozialpolitik jenseits von Vollbeschäftigung diskutiert. Auch über diesem Kapitel könnte die zentrale These des
Autors stehen: Es gibt viele Vorschläge ein Masterplan ist nicht notwendig. Dieser sympathische Ansatz kann stellenweise allerdings auch in
Beliebigkeit enden. Da werden überall Risse im Gebälk vermutet, eine Konzentrierung auf wenige Unterdrückungsverhältnisse, wie
Klassenspaltung, Rassismus und Patriarchat, wäre vielleicht sinnvoller. Doch die Texte sollen eine Diskussion anregen und nicht beenden. Und
dafür sind sie sehr gut geeignet.
Peter Nowak
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