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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2005, Seite 20

Risse im Gebälk?

Bausteine für eine oppositionelle Bewegung

Ulrich Brand: Gegenhegemonie — Perspektiven globalisierungskritischer Strategien, Hamburg: VSA, 2005, 224 S., 13,80 Euro

Die Liste der Kritiker gegen Neoliberalismus und ungerechte Globalisierung ist lang. Gewerkschafter gehören ebenso dazu wie Wissenschafter und selbst manche Politiker ohne Amt. Doch auf der politischen Ebene scheinen die Gegenstimmen bisher wenig bewirkt zu haben. So entzündeten sich nicht nur in Deutschland am Irakkrieg und am Sozialabbau breite Protestbewegungen. Doch für die Verantwortlichen hieß es: Augen zu und durch.
Wo gibt es Risse im Gebälk? Die Zahl der Strategiedebatten, die sich dieser Frage widmen, haben in der letzten Zeit zugenommen. Auch auf dem ersten deutschen Sozialforum, das Mitte Juli in Erfurt stattfand, ging es um diese Frage. Der wissenschaftliche Mitarbeiter des Fachgebiets Globalisierung und Politik an der Universität Kassel und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der globalisierungskritischen Organisation Attac, Ulrich Brand, hat in seinem jüngst veröffentlichten Buch Gegen-Hegemonie — Perspektiven globalisierungskritischer Strategien einige Bausteine für diese Perspektivendiskussion geliefert.
Dabei ist der Titel in zweierlei Hinsicht etwas irreführend. Weder handelt es sich um rein wissenschaftliche Abhandlungen, was der Titel Gegen-Hegemonie nahe legt, noch richtet sich das Buch lediglich an Globalisierungskritiker. Schließlich ist die Abgrenzung auch nicht so einfach, zumal gerade Attac in den letzten Jahren mit ihrem Engagement in der Antikriegsbewegung und der Bewegung gegen die Agenda 2010 ein umfassenderes Oppositionsverständnis entwickelt hat. An alle diese Menschen richtet sich Ulrich Brand in den 16 Aufsätzen, die zum größtenteils schon in anderen Zusammenhängen veröffentlicht wurden.
Zu Beginn erläutert Brand auch für Laien verständlich seine theoretischen Prämissen. Mit dem italienischen Philosophen Antonio Gramsci geht es ihm um die Herstellung einer Gegenhegemonie, die sich eben nicht bloß in den Ruf nach besseren Politikern und auch nicht im vielstrapazierten Politikwechsel erschöpft. Von dem griechisch-französischen Intellektuellen Nicos Poulantzas übernimmt Brand die Vorstellung vom Staat als einem sozialen Verhältnis, in dem sich die Kräfteverhältnisse zwischen Klassen und anderen politischen Akteuren verdichten. Aktuelle politische Inspiration kommt für Brand aus dem Süden Mexikos von der zapatistischen Bewegung, der in dem Buch gleich zwei Kapitel gewidmet sind. »Fragend gehen wir voran«, dieses zentrale zapatistische Motto könnte auch über dem Buch stehen.
Kritisiert werden nicht nur herrschende Politikmodelle, sondern auch oppositionelle Konzepte. So werden keynesianische Wirtschaftsmodelle, die als Alternative zum Neoliberalismus in vielen Ländern wieder populär werden, ebenso der Kritik unterzogen wie das in der Umweltbewegung vieldiskutierte Nachhaltigkeitskonzept oder die in der Entwicklungsdebatte geführte Debatte um Global Governance.
»Nach dem Neoliberalismus« heißt das letzte Kapitel, dass sich den Alternativen widmet. Zu den aufgeführten Vorschlägen zählt auch der im Umfeld der PDS diskutierte Ansatz »transformatorischer Reformen«, die dem neoliberalen Dogma entgegengesetzt werden sollen. Einen anderen Weg geht die Arbeitsgruppe Linksnetz aus Frankfurt am Main, die über Modelle einer Sozialpolitik jenseits von Vollbeschäftigung diskutiert. Auch über diesem Kapitel könnte die zentrale These des Autors stehen: Es gibt viele Vorschläge — ein Masterplan ist nicht notwendig. Dieser sympathische Ansatz kann stellenweise allerdings auch in Beliebigkeit enden. Da werden überall Risse im Gebälk vermutet, eine Konzentrierung auf wenige Unterdrückungsverhältnisse, wie Klassenspaltung, Rassismus und Patriarchat, wäre vielleicht sinnvoller. Doch die Texte sollen eine Diskussion anregen und nicht beenden. Und dafür sind sie sehr gut geeignet.

Peter Nowak

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