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Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 4

Kolumne: Thies Gleiss

Jeder hat sein Päckchen zu tragen

Früher hörte man auf den Stehparties der Linken häufig einen dummen Kalauer: Jesus ist tot, Jimmy Hendrix ist tot ... und mir geht es auch schon ganz schlecht. Das hob die Stimmung in der Regel nicht, aber besser als gar nichts zu sagen, war es allemal. Das trifft auf eine Kurzanalyse nicht unbedingt zu, die auf der Website unserer Freunde von der SAV zu lesen ist: »Die kapitalistische Weltwirtschaft schleppt sich weltweit dahin.« Da tropft der Schweiß. Einer der Gründe dafür liegt wahrscheinlich in einer fatalen Tatsache, die jetzt — mal wieder — die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) veröffentlicht hat.
Die weltweite durchschnittliche Streiktätigkeit hat im letzten Jahrzehnt noch einmal deutlich abgenommen. Die Einheit, um so etwas zu messen heißt: »Verlorene Arbeitstage je tausend abhängig Beschäftigte.« Die sagt zwar nichts über die politische Bedeutung einzelner Streiks oder über Erfolg und Misserfolg der Arbeitskämpfe, aber ein kleines Indiz über den Zustand der Arbeiterbewegung steckt wohl doch darin. Spitzenreiter in dieser Aufstellung sind die sich sichtlich dahinschleppenden Volkswirtschaften von Island (554 Arbeitstage), Spanien (234), Kanada (186), Dänemark (171), Italien (119) und Finnland (118). Die drei Schlussplätze belegen Deutschland (4 Arbeitstage), Schweiz (3) und das fast streiklose Japan mit nur einem verlorenen Arbeitstag auf tausend Beschäftigte. Für eine solche Bilanz lässt sich in Deutschland normalerweise die Sozialdemokratie noch kräftig loben. Aber aktuell reicht ihr zur Selbstbefriedigung schon ein neuer Vorsitzender. Dieser Herr Platzeck wurde gewählt, nicht obwohl er erst zehn Jahre Mitglied der Partei ist, sondern weil. Er verkörpert in einer unverbrauchten Weise die Radikalität der Durchschnittlichkeit, die gemeinhin die Hauptvoraussetzung für das Amt des SPD-Führers in den letzten Jahrzehnten ist, und paart diese erfolgreich mit der heute noch mehr gewünschten Eigenschaft, möglichst wenig mit der realen SPD in Verbindung gebracht zu werden. Dafür gibt es dann ein 99,4%-Ergebnis. Zugehört hat dem Genossen Platzeck dabei weder die Delegiertenschar noch die versammelte Presse. Sie haben damit solch SAV-fähige Floskeln überhört wie: »Europa tut sich schwer, Amerika geht immer öfter eigene Wege.« Oder folgenden Schmarrn:
»Wir müssen den Menschen immer wieder geduldig und sehr aufklärerisch, aber auch sehr entschieden erklären, was geht und was nicht geht. Diese Ehrlichkeit sind wir den Menschen in unserem Lande schuldig, liebe Genossinnen und Genossen.« Aber was geht denn nun? Im August, einen Monat vor den Bundestagswahlen ging für den Genossen Vorsitzenden noch folgendes:
»Was die Union macht, ist entweder in der Sache falsch, oder es ist im Verfahren chaotisch — und meistens ist es sogar beides zugleich. Da ist die angekündigte Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die Union sagt, die Probleme in Deutschland sind dramatisch groß — und dagegen soll jetzt ausgerechnet die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 18% helfen. Das passt hinten und vorn nicht zusammen. Die jetzt von der Union angedrohte ›Merkelsteuer‹ ist in der derzeitigen wirtschaftlichen Situation völlig falsch. Sie würde voll durchschlagen auf Konjunktur und Binnennachfrage. Sie würde ausgerechnet die Bürger mit den kleinen und mittleren Einkommen am härtesten treffen. Sie würde das Handwerk schädigen und neue Anreize zur Schwarzarbeit setzen — alle ernst zu nehmenden Experten bestätigen das. Und deshalb lehnen wir diese Merkelsteuer entschieden ab. Wenn man sich den vielstimmigen Chor allein zu diesem Thema anschaut — Stoiber, Koch, Wulff & Co, dann fragt man sich: Können ausgerechnet diese Leute Deutschland erneuern? Die Antwort ist nein. Immer mehr Menschen begreifen in diesen Wochen: Die Union liegt in der Sache falsch. Die Union führt chaotische Debatten. Und Frau Merkel kann sich nicht einmal in ihrer eigenen Partei durchsetzen. Genau das ist der wahre Zustand, in dem sich CDU und CSU in diesem Wahlkampf präsentieren.«
Sechs Wochen nach der Wahl hat sich diese »aufklärerische Ehrlichkeit« um 180 Grad gedreht. Jetzt geht plötzlich eine 3%ige Mehrwertsteuererhöhung, statt der 2 Prozente von der CDU. Man muss schon eine Fleisch gewordene politische Null sein, um für solche Rotationen noch ein DDR-Ergebnis an Zustimmung zu erhalten. Auf dem Parteitag der SPD war offensichtlich nicht einer und nicht eine Anwesende, die des Denkens fähig war. Wenn es solche in Leute in SPD noch irgendwo gibt, dann kann ihnen nur geraten werden, sich schleunigst eine neue politische Heimat zu suchen. Als Möglichkeit böten sich dazu die WASG und die geplante neue gemeinsame Linkspartei an. Für sie hat der Vorsitzende Platzeck eine Form der Abrechnung gefunden, die eigentlich nur als Aufforderung zum Eintritt in die WASG zu werten ist:
»Partei der linken Mitte zu sein, heißt zugleich aber auch, dass wir uns immer im Klaren darüber sein müssen, was Links bedeutet und was Links eben nicht bedeutet. Seit Neuestem gibt es in Deutschland eine Partei, die sich ›Linkspartei‹ nennt. Vorher hieß sie PDS. Meine Position zu dieser Umbenennung ist sehr klar. Diese sich ›Links‹ nennende Partei, ist in Wahrheit alles Mögliche: Sie ist populistisch, sie ist rückwärtsgewandt, sie ist in großen Teilen vorgestrig. Eines, liebe Genossinnen und Genossen ist sie aber mit Sicherheit nicht: Diese Partei ist alles, aber nicht links. Das sollte uns allen klar sein.«
Wir wagen mal die Prognose, dass sich Genosse Platzeck nicht lange dort halten wird, wo er jetzt hingespült wurde. Und dies obwohl jeder mögliche Nachfolger noch schlimmer zu werden droht. Die SPD — sie schleppt sich halt dahin, und das ist gut so.

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