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»Die Gemeinsamkeiten bestehen darin, dass die 68er auch für eine
andere Gesellschaft optiert haben. Aber damals redeten wir noch nicht über Sozialprobleme oder
über Arbeitslosigkeit.« Nicht nur bei dem Berliner Politologen Peter Grottian weckte die
Konferenz der sozialen Bewegungen unter einer Regierung der Großen Koalition Erinnerungen an die 68er.
Friedensbewegung, organisierte Erwerbslose, Sozialforum, einige Gewerkschaften und Attac hatten vergangenes
Wochenende an die Frankfurter Goethe-Universität eingeladen.
Einige wollten die Konferenz zunächst
APO-Konferenz nennen, eine Konferenz der Außerparlamentarischen Opposition. Ein Teil dieser Opposition
erschien auch von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung bis hin zu libertären Anarchisten. Aber
der Name APO-Konferenz sollte es dann doch nicht sein. Man entschied sich für den funktionalen Titel
»Aktions- und Strategiekonferenz«.
Die Teilnehmenden haben sich viel
vorgenommen: Eine Großmobilisierung gegen den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm an der Ostsee, um die
Ungerechtigkeit der Weltordnung anzuprangern. Sie wollen die mediale Öffentlichkeit während der
Fußballweltmeisterschaft in Deutschland nutzen, um die selektive Wirkung der Grenzen Europas deutlich
zu machen und sich an europaweiten Aktionen gegen die berüchtigte Bolkestein-Richtlinie beteiligen, um
gegen die Auswirkungen neoliberaler Politik in Europa anzukämpfen. Versammelt hatten sich am
vergangenen Wochenende 350 Aktive.
»Die Frage einer anderen
demokratischen Gesellschaft war auch für die 68er ein zentraler Antrieb, es ging um das Bild einer
anderen Gesellschaft. Und das ist jetzt entlang einer anderen ökonomischen Entwicklung
wieder der Fall«, erklärt Grottian und hofft, dass »nicht nur ganz viele Menschen auf
unterschiedliche Art ihrer Wut Luft machen, sondern sich so zu Wort melden werden, dass hoffentlich der
Großen Koalition Hören und Sehen vergehen wird«.
Trotz einiger Gemeinsamkeiten mit der 68er
Bewegung gab es aber auch auffällige Unterschiede: Auf der Frankfurter Konferenz sprachen die
Teilnehmenden kaum über Visionen und Utopien, aber viel über Grundeinkommen, Mindestlohn,
Steuerpolitik und Bürgerversicherung, mit denen sie die neoliberale Doktrin angehen wollen. Das ist
pragmatisch, aber nicht offensiv und trotzdem verständlich.
Denn anders als zur Zeit der rebellischen
Studenten Ende der 60er Jahre, als der Arbeitsmarkt und die Sozialsysteme noch flächendeckend die
materielle Existenz sicherten, scheint im bestehenden System der Weg in die Verarmung für viele
vorgezeichnet. Damals gehörte es zum guten Ton, mit unterschiedlichen Gesellschaftsentwürfen dem
Kapitalismus eine Alternative vorzuhalten. In Frankfurt ging es um kleine Schritte, die ein
menschenwürdiges Leben im Hier und Jetzt ermöglichen sollen.
Das ist traditionell auch das Terrain von
gewerkschaftlicher Politik. Deshalb werden heute im Unterschied zu 1968 die außerparlamentarischen
Bewegungen von den Gewerkschaften umworben. Beim Hauptvorstand der IG Metall gibt es seit mehr als einem
Jahr sogar einen Verbindungsmann zu den sozialen Bewegungen, Horst Schmitthenner. Der kantige Mittsechziger
ist wie geschaffen für dieses Publikum, er gilt als linkes Aushängeschild der IG Metall.
Aber wenn es um konkrete Zusagen geht
wie die von vielen Konferenzteilnehmern geforderte zentrale Demonstration gegen die Große
Koalition im kommenden Frühjahr winkt er ab. Auch wenn Schmitthenner selbst keinen Zweifel
daran lässt, was er von der neuen Regierung und ihrem Placebo einer Reichensteuer hält die
Mehrheit des Vorstandes seiner Gewerkschaft klebt immer noch an der SPD. Und ein Schwergewicht wie die IG
Metall lässt sich trotz aller Rhetorik auch heute nicht von der APO den Bruch mit der
Großen Koalition vorschreiben.
Anders als 1968 gibt es heute auch eine
Oppositionspartei im Bundestag, die die Anliegen der Bewegungen aufgreifen will. Die Vertreter der
Linkspartei und der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), deren Aufstieg ohne die
Protestwelle gegen Hartz IV und Agenda 2010 undenkbar gewesen wäre, gaben sich in Frankfurt die Klinke
in die Hand. Vorstandsmitglieder und Bundestagsabgeordnete ließen sich blicken und erklärten sich
solidarisch mit den Anliegen der Bewegungen.
Einige Mitglieder der WASG und der PDS
arbeiten auch aktiv mit. Aber dennoch sind viele skeptisch gegenüber den Parteien, und nicht nur wegen
der Erfahrungen mit den Grünen. Auch die Politik der PDS, die in Berlin mitregiert, ist für die
meisten Teilnehmer der Konferenz nur eine Variante des Sozialabbaus.
Zurück zu 1968: Damals war Politik im
Allgemeinen und Sozialpolitik im Besonderen weitgehend nationalstaatlich determiniert. Das ist heute
anders: Die Einflüsse der EU-Bürokratie und der Druck der Globalisierung lassen keinen Platz
für nationale Alleingänge auch nicht für die Opposition. Deswegen schweifte der Blick
mancher Teilnehmer ins europäische Ausland, nach Belgien, Italien oder Frankreich.
Besonderes Augenmerk galt dabei dem
französischen Nein zur EU-Verfassung. Nun wird in Frankreich und anderen Ländern über eine
Charta für ein anderes Europa diskutiert. Sie soll im Laufe des kommenden Jahres als Gegenentwurf zur
neoliberalen EU-Verfassung einer breiten Öffentlichkeit in ganz Europa präsentiert werden.
In Deutschland steckt diese Diskussion noch
in den Kinderschuhen. Aber wenn sie geführt wird, wird sie wie 1968 auch wieder Visionen und Utopien
in die Debatte bringen. Diese Visionen und Utopien könnten das mittlerweile hegemoniale Modell des
Neoliberalismus, das in der Praxis längst versagt hat, auch auf ideologischer Ebene unter Druck
setzen.
Gerhard Klas
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