SoZSozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2005, Seite 8

Energiepolitik

Bsirske und Co. fordern neuen ›Realismus‹

Ende Oktober veröffentlichten die vier größten Energieversorgungsunternehmen und die Gewerkschaften Ver.di und IGBCE eine gemeinsame Erklärung in Richtung Koalitionsverhandlungen, in dem sie eine gemeinsame Energiepolitik und »mehr Realismus« einfordern.
Wen schon das Zusammengehen der beiden Gewerkschaften mit den Energieversorgungsunternehmen (EVU) auf einer Linie wundert, hat vergessen, dass beide Gewerkschaften ständig ihre politische Rolle in der Mitgestaltung der Elektrizitätsversorgung, der Bergbau- und Atomaktivitäten gesehen haben. Trotzdem ist es immer wieder erstaunlich, zu welchen Aussagen sich Gewerkschaftsvorstände hinreißen lassen, wenn sie mit den Unternehmen an einem Tisch sitzen. Eine Unterscheidung zwischen den Interessen der Beschäftigten und der Konzerne gibt es dabei nicht mehr.
Eine Kernaussage ist das Lob der Liberalisierung des Energiemarkts, die den EVUs eine ökonomisch und ökologisch erfolgreiche und sozial ausgleichende Rolle zubilligt. Nun haben vor kurzem Untersuchungen gezeigt, dass von den zehn umweltschädlichsten Kraftwerken in Europa fünf in Deutschland stehen und hauptsächlich vom RWE betrieben werden, die selbstverständlich Hauptautor des Papiers sind.
In jüngster Zeit sind alle EVUs vor allem durch steigende Energiepreise aufgefallen, d.h. die Rohstoffpreise beim Erdöl wurden in klingende Münze für die Energieversorger umgesetzt, vor allem beim Gas, was in der Öffentlichkeit nicht gerade für soziales Verhalten gesehen wird. Dass solche Selbstwerbung von den Gewerkschaften mit unterschrieben wird, ist eine Provokation der Bevölkerung, die die Folgen zu bezahlen hat.
Der daraufhin aufgekommenen Forderung nach Kontrolle der Energiepreise setzen die Autoren des Papiers den Satz entgegen: »Eingriffe in die Preisbildung würden diese Investitionen (d.h. den geplanten Ausbau der Kraftwerke und Netze) behindern und sind deshalb abzulehnen.« Warum sollten die Gewerkschaften auch dafür sorgen, dass die notwendigen Interessen der Verbraucher gewahrt werden? Sind ihre Mitglieder keine Strom- und Gaskunden?
Des weiteren gilt die Sorge der Unternehmen und der beiden Gewerkschaften der Wettbewerbsfähigkeit. Nachdem der nationale Strommarkt zwischen den vier Beteiligten EVUs bestens aufgeteilt ist und ein Wettbewerb kaum noch stattfindet, wird nun eine Ausdehnung der Emissionsrechte und ein Sinken der Preise für die Zertifikate gefordert, zusätzlich sollen einige Kraftwerke davon befreit werden.
Dazu wird die ökologische und preisdämpfende Rolle der Kernenergie hervorgehoben — sie habe keine Emissionen und sei nicht an Importpreissteigerungen gebunden. Es wird gefordert, »den Einsatz der Kernenergie allein auf den Sicherheitsnachweis der Anlagen abzustellen«. Das wäre nichts anderes als die Forderung nach Ausstieg im Interesse der EVUs. »Einzelne Energieträger dürfen nicht aus ideologischen Gründen aufgegeben werden«, lautet das zusammengefasste Ziel des Papiers.
Die Wettbewerbsfähigkeit ist nach Meinung der sechs beteiligten Organisationen auch durch Ausweitung europäischer Vorschriften im nationalen Rahmen gefährdet sowie dadurch, dass ökologische Ziele nicht genügend mit wirtschaftlichen Zielen verbunden würden. Wettbewerbsfähigkeit über alles — solange sie den Zielen der EVUs nützt, und dafür sollte die Politik »langfristig stabile Rahmenbedingungen« setzen.
Dieses neoliberale Papier, das mit »Mehr Realismus in der Energie- und Umweltpolitik erforderlich« betitelt ist, zeigt einen völligen Mangel an eigenständigen sozialen oder gewerkschaftlichen Forderungen, die bei gleichberechtigter Autorenschaft womöglich zu erwarten gewesen wäre.
IGBCE- und Ver.di-Vorstand haben einfach unterschrieben, was sowieso gängige Form und Politik von E.on, EnBW, RWE und Vattenfall sind. Nicht nur kein Wort zur Sorge der Bevölkerung über steigende Energiepreise, kein Wort zu den Wettbewerbsverzerrungen, die der deutsche Strommarkt inzwischen aufweist, kein Wort zu den Arbeitsplätzen oder eine Erklärung zu sozialen Fragen, kein Wort zu den tatsächlichen Notwendigkeiten des Weges weg von fossilen Energien.
Der Ver.di-Vorsitzende Bsirske sah sich aufgrund von Protesten in der Mitgliedschaft gezwungen, eine maue Klarstellung hinterher zu reichen, dass Ver.di an der bisherigen Politik festhalte. Das mag dann die höchste Form des »Realismus« sein, zu der er fähig ist. Aus der IGBCE ist noch nicht mal dies zu hören.
Eine Allianz aus Unternehmen und Gewerkschaften wird vorgezeigt, die sich auch nicht mit einem Wort um Klima- oder Strahlungsschäden und deren menschliche und soziale Folgen sorgt, deren Politik einzig und allein der Wettbewerbsposition und damit den wahrlich nicht niedrigen Profiten der Energieerzeuger dient.
Die Mitglieder der beteiligten Gewerkschaften sollten im eigenen Interesse den Auszug aus einer solchen unheiligen Allianz fordern.

Rolf Euler

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang