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In (der heutigen) Situation sind solidarische, kollektive Aktionen des
sozialen Widerstands selten und erlangen eine besondere Bedeutung, unabhängig davon, wie erfolgreich
sie sind. Die Verständigung über gemeinsame Interessen von Lohnabhängigen, das gemeinsame
Handeln wider die ökonomische Vernunft, die Durchbrechung einer Logik, die alles Soziale privatisieren
will, ermöglichen ein soziales Erlebnis und Lernprozesse, ohne die jede Aussicht auf soziale
Emanzipation von den Zwängen und verheerenden Folgen der Kapitalverwertung aufgegeben werden muss.
Heute kann man jede Woche in Zeitungen und
anderen Medien davon lesen, dass Unternehmensführungen damit drohen, ein Werk zu schließen. Die
Aktion geht vom Kapital aus. Die meisten Drohungen zielen darauf ab, Lohnkürzungen, längere
Arbeitszeiten, Verzicht auf Urlaub, Verzicht auf Weihnachtsgeld usw. durchzusetzen. Einen allgemeinen,
solidarischen Widerstand der Lohnabhängigen dagegen gibt es nicht, allenfalls den Widerstand einzelner
Belegschaften. Die ökonomische Logik der Marktwirtschaft wird weitgehend akzeptiert.
Die Logik der Geldvermehrung bestimmt die Vorgänge in jedem einzelnen Unternehmen. Je stärker
der Druck der angeblich so nützlichen und selig machenden Konkurrenz, je ungehinderter sie sich
entfalten kann, desto schmerzhafter die Maßnahmen zur Kostensenkung (Entlassungen, Lohnkürzungen
usw.). Im Kapitalismus ist die Existenz der Lohnabhängigen grundsätzlich an die Vermehrung der
Geldvermögen gebunden.
Die Geldbesitzer haben trotz aller
gegenteiligen Bekundungen nicht primär ein soziales Interesse an der Erhaltung von
Lohnarbeitsplätzen, sondern sie haben nur ein ökonomisches Interesse an solchen
Lohnarbeitsplätzen, die ihr eingesetztes Geld vermehren. Lohnarbeit, die das angelegte Geld nicht
vermehrt, oder nicht genug vermehrt, fällt den Kostensenkungsprogrammen zum Opfer. Soll die
lohnabhängige Existenz in einem Unternehmen trotz ungenügender Rendite erhalten werden, so stellt
das die Logik der Geldvermehrung, die ökonomische Funktion der Geldbesitzer und ihre Macht in Frage
und wirft damit die Frage nach der Verfügungsmacht über die Produktionsmittel auf.
Die lohnabhängige Existenz in einem
Einzelbetrieb trotz ungenügender Rendite sichern, das würde verlangen, dass die Geldbesitzer sich
mit niedrigerer Rendite zufrieden geben oder gar bereit wären, ihr Geld für soziale Zwecke
herzugeben, ohne es zu vermehren. Das könnte allenfalls durch politische, staatliche
Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden, widerspräche aber sowohl der ökonomischen Logik wie dem
individuellen Freiheitsgrundsatz der Verfassung. Illusionär wäre das somit in einem doppelten
Sinn: Erstens könnte es niemals von einer Belegschaft durchgesetzt werden und zweitens würde es
im Sinne einer allgemeinen, politischen Lösung die Vermehrung des vorgeschossenen Geldes, den Zweck
von Geldanlage und Investition, und damit den ökonomischen, durch Geld vermittelten gesellschaftlichen
Reproduktionsprozess blockieren.
Die Gesellschaft kann angeblich nur
funktionieren und das Wohl aller gemehrt werden, wenn das Streben nach persönlicher Bereicherung als
Grundprinzip der Produktionsverhältnisse (Ökonomie) anerkannt und geschützt wird. Obwohl die
Wirklichkeit diesem Wunderglauben an die Mehrung des Gemeinwohls durch das Streben von Privatpersonen nach
persönlicher Bereicherung täglich widerspricht, werden die Menschen damit gnadenlos von
geschwätzigen Politikern bombardiert und für dumm verkauft.
Die Insellösung eines Unternehmens,
das keinen ausreichenden Profit abwirft oder eines von einer Belegschaft übernommenen Unternehmens
könnte allenfalls eine Lösung auf Zeit sein. Sie wäre auf gar keinen Fall eine Lösung
für alle Unternehmen, die in die Krise geraten. Unter den Bedingungen eines allgemeinen
Verdrängungswettbewerbs in Folge sinkender Renditen, der zunehmenden Staatsverschuldung, ist die
dauerhafte Subventionierung von Unternehmen keine realistische Variante. Und auch hier gilt, dass eine
einzelne Belegschaft so etwas niemals erzwingen könnte.
War also die tagelange »Informationsveranstaltung« der Bochumer Opelbelegschaft im Herbst 2004
nichts als eine Illusion? Ohne jede Perspektive?
Zunächst: Das Bochumer Opelwerk wurde
(noch) nicht geschlossen. Den Preis, den die Beschäftigten dafür zu zahlen hatten war hoch
(Lohneinbußen etc.). Angebot und Annahme der Abfindungen in beachtlicher Höhe lagen ganz auf der
Linie der »Privatisierung des Sozialen«. Solche Angebote sprechen die Einzelnen an, sollen sie
für die vorgeschlagene Lösung der Schwierigkeiten der Kapitalverwertung empfänglich machen,
sollen die einzelnen Lohnabhängigen dazu bringen, zu Hause zu rechnen, statt mit den Kolleginnen und
Kollegen darüber zu beraten, für welche gemeinsamen Ziele man wie kämpfen kann. Ein fetter
Köder, in den eine ganze Anzahl von Leuten aus sehr verständlichen und nachvollziehbaren
Gründen gebissen hat.
Das individuelle Durchrechnen eines
Abfindungsangebots ist ein Stück individueller Lebensplanung und bedeutet die Akzeptanz des
ökonomischen Sachzwangs, der kapitalistischen Lösung des Konflikts. Das individuelle Durchrechnen
des Abfindungsangebots bedeutet auch, dass mitten in der Gemeinschaftsaktion die Einzelnen bereits
darüber nachdenken, was diese Gemeinschaftsaktion für sie als Einzelne und nicht etwa für
die Gemeinschaft bringt. Eine wirkungsvolle Waffe zur Entsolidarisierung!
Trotzdem gilt es festzuhalten:
Etwa eine Woche lang wurde die Ware
Opelauto nicht produziert und folglich konnte Opel diese nicht produzierte Ware auch nicht verhökern
und in Geld umwandeln.
Damit stockte und stoppte für
etwa eine Woche die Verwertung eines Einzelkapitals, das ökonomische Gesetz der Verwertung von Wert
war einen Moment lang und einem Ort durch die Aktion der Belegschaft außer Kraft gesetzt.
Die Menschen verweigerten einen Moment
lang nicht nur dem abstrakten, ökonomischen Sachzwang ihre Gefolgschaft, sondern auch den
Funktionären des Kapitals. Sie folgten nicht dem fremden Kommando über ihre Arbeitskraft. Sie
wurden »vertragsbrüchig« und stellten damit auch das Rechtsgefüge der kapitalistischen
Warenproduktion in Frage.
Was hier gesagt ist, gilt natürlich
für jede Streikaktion: Sie durchbricht den ökonomischen Sachzwang und setzt zumindest für
einen Moment an die Stelle des ökonomisch-sachlichen Funktionierens der beteiligten Individuen die
solidarische, bewusste Aktion der Gemeinschaft. Ohne solche Aktionen sind die Lohnabhängigen nichts
weiter als Verkäufer der Ware Arbeitskraft und damit vollständig der Marktlogik und der
Willkür des Einzelkapitals ausgeliefert. Ohne solche Aktionen kann es auch keine gesellschaftliche
Perspektive zur Überwindung des Systems der Lohnarbeit geben und damit keine Perspektive zur
Überwindung von Mangel, Armut und existentieller Unsicherheit.
In solchen solidarischen
Gemeinschaftsaktionen wird der Status »Verkäufer von Ware Arbeitskraft«, der immer ein
Status der Vereinzelung ist, für einen Moment aufgehoben. Solche solidarischen Gemeinschaftsaktionen
sind die einzige Möglichkeit, die Vereinzelung der Einzelnen aufzuheben und soziale Fähigkeiten
zu erlernen, die benötigt werden, um den Kapitalismus überwinden zu können. Besonders jetzt,
unter den Bedingungen der neoliberalen Offensive, der um sich greifende Ohnmacht, können solche
Aktionen gar nicht hoch genug bewertet werden!
Festzuhalten bleibt aber auch: Die bestehende Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung kann sich auf
weitgehende Akzeptanz der Lohnabhängigen stützen. Will sagen, auch bei Opel akzeptiert die
Mehrheit der Beschäftigten
die eigene lohnabhängige
Existenz,
die gesellschaftliche Produktion von
Waren für den Markt durch eigentumsrechtlich voneinander unabhängige Unternehmen,
die Notwendigkeit des
Einzelunternehmens, Profit zu erwirtschaften,
die Anhäufung von privatem
Geldreichtum, dessen einziger Zweck es ist, sich selbst zu vermehren.
Diese Akzeptanz erstreckt sich nicht
vollständig auf die sozialen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Will sagen:
Die Menschen leiden unter dem Kommando
anderer über ihre Arbeitskraft, wenn es als ungerecht oder willkürlich empfunden wird und dieses
Kommando eine Verschlechterung der eigenen Lage mit sich bringt.
Die Menschen leiden unter Mangel oder
Einschränkung im Angesicht des überschießenden Reichtums.
Die Menschen leiden unter
Arbeitsbedingungen (Stress, Überanstrengung, schlechte Luft, Nacht- und Schichtarbeit usw.).
Die Menschen leiden inzwischen vor
allem und zunehmend unter der existenziellen Unsicherheit, drohender Lohnarbeitslosigkeit und Armut, die
sich einstellt, wenn die Geldvermehrung nicht funktioniert, das Kapital sich nicht erfolgreich verwertet.
Wer gegen drohende Lohnarbeitslosigkeit
kämpft, die Lohnabhängigkeit und die damit verbundenen Produktionsverhältnisse aber
akzeptiert, hat die Denkverbote schon im eigenen Kopf. Die Perspektiven des Kampfes sind von vornherein
sehr eingeschränkt und eine Vernunft ist schon verankert, die die Niederlage akzeptiert und die
Menschen beugt. Ein gesellschaftlicher Sachzwang, der wie eine Naturnotwendigkeit empfunden wird, setzt
sich als Einsicht und Resignation durch und bestimmt letztlich das Handeln der Einzelnen. Die
allgegenwärtige Lösung des Widerspruchs besteht in einer vorprogrammierten Niederlage. Einzelne
Belegschaften können sicher Zugeständnisse von Seiten des Kapitals ertrotzen, aber die Niederlage
nicht vermeiden.
Eine Perspektive für die Zukunft
entsteht nur dann, wenn die Erkenntnis sich breit macht, dass das System der Lohnarbeit selbst die Ursache
von Lohnarbeitslosigkeit und existenzieller Unsicherheit ist. Die herrschende ökonomische Vernunft ist
asozial. Je mehr sie das Denken der Menschen beherrscht, desto mehr werden wir alle den Wechselfällen
von Kapitalverwertung ausgeliefert sein und uns abhängig machen von der Bereicherung der Geldbesitzer.
Wer die bestehende Ordnung akzeptiert, darf sich über deren Folgen nicht wundern. Wenn
Lohnabhängige existenzielle Unsicherheit und Armut vermeiden und überwinden wollen, müssen
sie sich wieder als Solidargemeinschaft organisieren, um das Privateigentum an Produktionsmitteln und damit
das System der Lohnarbeit selbst abzuschaffen.
Robert Schlosser
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