SoZSozialistische Zeitung |
Eine Epidemie jagt die andere, ein Lebensmittelskandal den anderen: Wer sich in
den letzten Jahren noch eine gewisse Resistenz gegen die um sich greifende Katastrophenmüdigkeit bewahren
konnte, der sollte zu diesem Buch greifen.
Mike Davis jüngstes Werk widmet sich
der ausgesprochen aktuellen Geschichte und Problematik der Vogelgrippe. Er entführt uns in die Geschichte
der großen Epidemien des Zwanzigsten Jahrhunderts, zeigt auf, wie und vor allem unter welchen
gesellschaftlichen Bedingungen vermeintlich harmlose Grippewellen einen tödlichen Massencharakter
annehmen. Es ist eine Geschichte von Armut und Krieg, von Urbanisierung und Slumbildung, von gestiegenem
Fleischverbrauch und fallender Biodiversität, die er hier skizziert. Und nun haben wir es mit der
»nächsten großen Pestilenz der Globalisierung« zu tun, mit dem als Vogelgrippe bekannt
gewordenen H5N1-Virus, einer Influenzamutation, »die sich in vom globalen Agrokapitalismus geschaffenen
Nischen ausgebildet hat und sich dort verschanzt«.
Wie bereits weiland Marx vor
hundertfünfzig Jahren vorhersagte, rächt sich die Natur für jede ihr vom Menschen angetane
Schweinerei. In diesem Falle handelt es sich um genetisch mutierte Grippenviren, die sich im Kontext der
industriellen Revolution der Massentierhaltung und der in den letzten beiden Jahrzehnten um sich greifenden
Verstädterung der Dritten Welt, v.a. im expansiv aufstrebenden Südchina, explosiv vermehrt haben. Von
Wildenten aufs Geflügel, u.a. die Hongkonger Krickente, übergesprungen und via Zugvögeln und den
neuen globalisierten Transportketten des Agrarkapitalismus in alle Teile der Welt verstreut, sind die
aggressiven Viren und das ist ein historisches Novum nun auch auf die Menschen
übergesprungen und haben die ersten Menschenopfer gefordert. Alle führenden
Weltgesundheitsorganisationen sind sich mittlerweile über die massive pandemische Bedrohung einig. Die WHO
bspw. geht von 100 Millionen möglichen Toten aus, die schlimmsten Hororszenarien gar von einer Million.
Mit beeindruckendem Sachverstand auch in Fragen
der Naturwissenschaft geht Davis vor allem den gesellschaftlichen Bedingungen und Aspekten dieser globalen
Krankheitsökologie nach. Er zeigt die Verantwortung »des Menschen« auf, verdeutlicht die
unheilige Allianz von ökonomischen Profitinteressen und politischer Korruption, und schreibt en passant
eine kleine Wissenschaftsgeschichte der Epedemieforschung. Doch die von dieser bereits entwickelten Impfstoffe
und Antibiotika versprechen eben wenig Profit. Und so kommt es, dass auf der heutigen Titanic »viele der
Passagiere der ersten Klasse und sogar einige der Crew ertrinken [werden], weil die Schifffahrtsgesellschaft
aus Geiz an den Sicherheitsvorkehrungen gespart hat, aber die armen Paddies im Zwischendeck haben nicht einmal
ein einziges Rettungsboot für sich und sind ausnahmslos verdammt, im eisigen Wasser zu schwimmen«.
Selbst die New York Times spricht bereits von
der »chronischen Unvereinbarkeit von Bedürfnissen im öffentlichen Gesundheitswesen und der
privaten Kontrolle bei der Produktion von Impfstoffen und Medikamenten«. Gesundheit ist, wie uns Gegner
des herrschenden Neoliberalismus und Freunde der Menschheit immer wieder eintrichtern, eben keine Ware. Und, so
Davis, »wenn die Nachfrage als Marktanreiz zur billigen Herstellung dieser Arzneimittel nicht ausreicht,
sollten die Regierungen und Non-Profit-Organisationen die Verantwortung für Herstellung und Verteilung
übernehmen. Dem Überleben der Armen muss zu jedem Zeitpunkt höhere Priorität
eingeräumt werden als den Profiten der großen Pharmakonzerne. Ebenso ist die Schaffung einer wirklich
globalen Infrastruktur der öffentlichen Gesundheitsversorgung im wahrsten Sinne des Wortes zu einem
Projekt auf Leben und Tod sowohl für die reichen wie für die armen Länder geworden. Der erste
Schritt dahin … ist ein ernsthaftes Hilfsprogramm, um die Kampagne zur Pandemiekontrolle in Vietnam und
Südostasien zu retten.«.
Christoph Jünke
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04