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Grell, laut und bunt kommt der TV-Werbespot des Saatgut-Multis Monsanto
daher. In der Regionalsprache Telugu, die im südindischen Bundesstaat Andhra Pradesh gesprochen wird,
wirbt der Zeichentrickspot für das gentechnisch veränderte Baumwollsaatgut »Bollgard«,
das Monsanto zusammen mit seinem indischen Partner Mahyco vertreibt. Grüne Baumwollkapselwürmer
attackieren die ausgereiften Baumwollpflanzen. Doch deren Früchte, die Baumwollkapseln, verwandeln
sich während der Attacke plötzlich in bewaffnete Geister, die mit ihren Säbeln die
Würmer zerhacken. Gegen Ende des Spots taucht dann ein Bauer auf, gekleidet in einen traditionellen
Lungi, der die Vorzüge der BT-Baumwolle von Mahyco-Monsanto anpreist. Die Bauern, sagt er,
bräuchten keine teuren Pestizide mehr und hätten höhere Erträge, wenn sie das BT-
Saatgut kaufen.
BT steht für Bacillus thuringiensis,
ein Bakterium, das die Baumwollpflanze gegen den Kapselwurm, den ärgsten Feind der Pflanze, resistent
machen soll. In Indien hat das Genetic Engineering Approval Committee, das der Zentralregierung in Neu-
Delhi untersteht, im April 2002 drei Sorten BT-Baumwollsaatgut des Herstellers Mahyco-Monsanto freigegeben
zunächst begrenzt auf einen Zeitraum von drei Jahren. Damit entspricht die indische Regierung
den Wünschen der globalen Hersteller von grüner Gentechnik und erfüllt außerdem die
Vorgaben zahlreicher Abkommen der Welthandelsorganisation.
»Die Biotechnologie erzielt in der
Landwirtschaft der Entwicklungsländer die höchsten Zuwachsraten, dort konnten wir unsere
Umsätze um 28% steigern, in den entwickelten Ländern nur um 11%«, erklärte Peter
Welters, dessen Unternehmen »Phytowelt« Ende des vergangenen Jahres eine internationale
Biotechnologiekonferenz in Köln ausgerichtet hatte. An die Adresse der Kritiker fügte er hinzu:
»Auch die Kleinbauern in diesen Ländern können ihre Einkommen verbessern, weil dieses
Saatgut die Technologie mitliefert, um die Pflanze vor Schädlingen zu schützen.« Teure
Pestizide würden dann nicht mehr gebraucht. Grüne Gentechnologie als »Win-Win-
Situation« alle können nur gewinnen.
Davon ist in vielen Entwicklungsländern wenig zu spüren. Auch nicht in Agrarländern wie
Indien, wo von den mehr als eine Milliarde Einwohnern mehr als zwei Drittel von der Landwirtschaft leben.
Im Bundesstaat Andhra Pradesh hat der Monsun weniger Regen gebracht als sonst. Zum Dorf Dasru Thanda im
Distrikt Warangal führt ein kilometerlanger, staubiger Sandweg vorbei an schier endlosen
Baumwollfeldern. Im Dorf leben etwa 300 Menschen, sie sind entweder Kleinbauern oder Landarbeiter, die sich
in der Erntesaison verdingen.
Die Stimmung ist bedrückt. Hathya
Bhanothu, die mit ihrer Schwiegermutter, ihrem Ehemann und zwei Kleinkindern in einer 20 m2 großen
Hütte lebte, hat sich vor wenigen Tagen das Leben genommen.
»Morgens ist sie aufs Feld gegangen,
irgendwoher, wir wissen es nicht genau, hat sie sich eine Flasche mit Pestiziden besorgt und sie auf dem
Feld ausgetrunken«, erinnert sich Schwiegermutter Balama Laxmi, »sie hat dann noch versucht, nach
Hause zu kommen. Aber auf der Hälfte des Weges ist sie zusammengebrochen. Jemand aus unserem Dorf hat
sie gefunden, als sie dort auf dem Boden lag, und hat uns informiert.« Hathya Bhanotu wurde noch in
ein privates Krankenhaus in der nahegelegenen Stadt Narsampeta gebracht. Dort versuchte ein Arzt, das Gift
aus ihr herauszubringen. Aber währenddessen versagte ihre Atmung.
Hathya Banothu, die Schwiegertochter, hatte
ihre zwei Kinder mit einem Kaiserschnitt zur Welt gebracht. 10000 Rupien, das sind 180 Euro, haben die
Operationen gekostet. Dafür hat sie Kredite bei einem privaten Geldverleiher aufgenommen, zu einem
zweistelligen Zinssatz. Im Laufe der Jahre wuchsen die Schulden immer weiter, obwohl die Familie versuchte,
so viel wie möglich abzuzahlen. »Hathya und Balu haben immer wieder über die Schulden
geredet«, berichtet Balama Laxmi. »Irgendjemand hat ihnen dann erzählt, wenn ihr diese BT-
Baumwolle sät, braucht ihr keine riesige Summe zu investieren, weil ihr die Baumwolle ohne
Kunstdünger und Pestizide aufziehen könnt, mit wenig Geld könnt ihr einen guten Gewinn
machen.« Hathya und Balu kauften sich das Saatgut und pachteten zwei Morgen Land. Dafür nahmen
sie weitere Kredite auf. Aber die Saat ging nicht einmal auf.
Selbstmord, begangen aus materieller Not,
gilt im Hinduismus als Schande. Für Selbstmörder gibt es keine Erlösung. Bis in die 90er
Jahre war der Selbstmord in Indien deshalb ein rares Phänomen. Dann kam die erste größere
Selbstmordwelle in der Erntesaison 1997/98. Die meisten vergifteten sich mit Pestiziden, dem einstigen
Symbol des landwirtschaftlichen Fortschritts, der sog. »Grünen Revolution«. Sie waren in
einen Kreislauf aus Schulden und falschen Versprechungen geraten, aus dem sie keinen Ausweg fanden.
»Alles begann Anfang der 80er Jahre«, sagt Murali Ramisetti, »viele Bauern in Warangal waren
auf den Anbau von Baumwolle umgestiegen, bei dem im Vergleich zu anderen Pflanzen sehr viele Pestizide
ausgebracht werden müssen.«
Ramisetti ist im Distrikt Warangal
aufgewachsen und arbeitet heute für die Nichtregierungsorganisation MARI (Modern Architects for Rural
India). Nach einem Studium in Haiderabad, der Hauptstadt des Bundesstaats, ist er als einer der wenigen
Hochschulabsolventen wieder aufs Land zurückgekehrt, um den Bauern mit Rat und Tat zur Seite zu
stehen. »Früher, bis in die 70er Jahre hinein, haben die meisten Menschen, die auf dem Land
lebten, die natürlichen Ressourcen, Land, Wasser und die Pflanzenwelt genutzt, um vor allem für
ihre eigenen Bedürfnisse zu produzieren, sie haben sich kaum Gedanken über die Vermarktung ihrer
landwirtschaftlichen Produkte gemacht«, so der Sozialwissenschaftler. Die Landwirtschaft diente
hauptsächlich der Selbstversorgung. Nur ein kleiner Teil der Landbevölkerung bestand aus
Großgrundbesitzern mit 50 oder 60 Morgen Land, die für die Märkte produzierten. »Heute
wollen alle Farmer, auch die kleinen und mittleren, das produzieren, was auf den Märkten nachgefragt
wird«, erklärt Ramisetti. Dieser Wandel vollzog sich, weil die Landbevölkerung heute
unbedingt Bargeld braucht. »Früher sind die Kinder in die staatlichen Schulen gegangen; wenn
jemand krank war, ging er in ein staatliches Krankenhaus, es gab viel Unterstützung von der Regierung.
Sie mussten nicht private Dienstleistungsanbieter aufsuchen.« Das ist heute anders, »sogar
Trinkwasser, das damals ausreichend zur Verfügung stand, ist heute zu einer knappen Ware
geworden«, bedauert Ramisetti.
Auf mehr als der Hälfte des Ackerlands
im Distrikt Warangal wird heute Baumwolle angebaut. Pestizide, Kunstdünger und Saatgut finanzierten
die Bauern über Bankkredite. Im Laufe der Jahre entwickelten die Schädlinge jedoch Resistenzen
gegen die eingesetzten Pestizide. Beinahe in jeder Saison mussten die Bauern neue und vor allem
teurere Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen. Die neuen Breitbandpestizide befielen auch
Nutzorganismen und verminderten die Ernteerträge. Oft deckten die Einnahmen aus der verkauften
Baumwolle nicht mehr die Investitionen.
Unerbittlich waren die Gesetze des Marktes:
Auch wenn die Ernte gut war, fielen die Preise, weil das Angebot dann größer war als die
Nachfrage. Die Bauern liehen sich mehr und mehr Geld, gerieten in Zahlungsverzug und die Banken
verweigerten weitere Kredite. Der Weg zu den privaten Geldverleihern, meistens identisch mit den Pestizid-
und Saatguthändlern, war unausweichlich. Ihre Zinssätze betrugen bis zu 40%. Viele der 3,2
Millionen Bewohner Warangals gerieten in einen Teufelskreis. Die Suizidrate stieg steil an. Allein im
Distrikt Warangal setzten mehr als hundert Menschen in einer Erntesaison ihrem Leben ein Ende. Seit drei
Jahren gibt es nun die BT-Baumwolle und das Versprechen, damit den Pestizideinsatz erheblich reduzieren zu
können. Hathya Banothu und ihrer Familie hat das nicht geholfen.
Ihr Tod hat das ganze Dorf
erschüttert, sagt Bhukya Kishan Singh, der 33-jährige Dorfvorsteher. Er ist einer der wenigen in
Dasru Thanda, der lesen und schreiben kann.
Auch er hat die BT-Baumwolle von Monsanto
auf seinen vier Morgen Land angepflanzt. Die Pflanzen sehen kümmerlich aus. Hat es an den
ausgebliebenen Regenfällen gelegen, wie die Saatguthändler behaupten? »Ich habe meine
Pflanzen ausreichend gewässert«, antwortet Bhukya Kishan empört, »ich versuche es sogar
mit Kunstdünger und Pestiziden, habe viel investiert, aber die BT-Baumwolle will nicht so wachsen wie
die herkömmlichen Sorten.«
Bhukya Kishan Singh hat sich bei seinem
Saatgutverkäufer beschwert. Aber der hat nicht reagiert. Auch andere Saatgutverkäufer nicht, von
denen viele in der Distrikthauptstadt Warangal ansässig sind.
»Nach dem Tod von Hathya haben wir
beschlossen, dass kein Bauer in unserem Dorf mehr BT-Baumwolle kaufen soll. Dann sind wir, zusammen mit
Bauern aus anderen Dörfern, in die Distrikthauptstadt nach Warangal gefahren und haben dort
demonstriert. Wir fordern Entschädigung für unsere Verluste«, so Kishan Singh. Einige
Fernsehkanäle berichteten über die Proteste der wütenden Bauern. Mehrere tausend reisten in
die Hauptstadt Warangal, mit der Eisenbahn, Bussen, auf Fahrrädern, Ochsenkarren oder zu Fuß. Nur
ein, zwei Händler stellten sich den Fragen der Bauern. Einige Lokalpolitiker versuchten die
aufgebrachten Kleinbauern zu beschwichtigen. Die wenigen Polizeibeamten, bewaffnet mit Bambusstöcken,
konnten den spontanen Protest der Kleinbauern nicht kontrollieren. Am späten Nachmittag entlud sich
der Zorn der Kleinbauern und sie demolierten einige Geschäfte, bevor sie wieder den Heimweg antraten.
Die Stadt Haiderabad, 150 Kilometer entfernt von der Distrikthauptstadt Warangal, ist Regierungssitz von
Andhra Pradesh, des mit 80 Millionen Einwohnern fünftgrößten indischen Bundesstaats. Der
Regierung stand lange Jahre Chandrababu Naidu vor. Er wurde von der renommierten Zeitschrift Time Magazine
zum »Südasiaten des Jahres« gekürt und hat Tony Blair als Besucher empfangen.
Chandrababu Naidu, dessen Regionalpartei der hindunationalistischen BJP nahe steht, beauftragte die
internationale Beratungsagentur McKinsey damit, das Programm »Vision 2020« als politisches
Leitbild für Andhra Pradesh zu verfassen. Die Umsetzung des Programms wird vom britischen
Entwicklungsministerium und der Weltbank mit knapp einer Milliarde US-Dollar unterstützt. Die Weltbank
bezeichnet das Programm als wichtige Absichtserklärung, mit der wirtschaftliches Wachstum erreicht,
Humankapital entwickelt und Armut bekämpft werden könne. »Vision 2020« setzt auf
Hightech und Software, auf Biotechnologie, auf Agrarexporte, den privaten Dienstleistungssektor und den
Ausbau des Straßennetzes für den motorisierten Verkehr.
Chandrababu Naidu, der Verfechter der
»Vision 2020« und Vorzeigereformer, wurde im Mai 2004 von der Landbevölkerung
abgewählt. Aber auch die neue Regierung der Kongresspartei will die Grundsätze des Programms
Vision 2020 nicht ad acta legen. Unter der Überschrift »Die Landwirtschaft wiederbeleben«
beschreibt das Programm die sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche, die Andhra Pradesh verkraften
soll.
»Der Anteil der Beschäftigung in
der Landwirtschaft wird von derzeit 70% auf 4045% reduziert … In dem Maße, wie sich die
Wirtschaft von Andhra Pradesh entwickelt … wird es eine Wende weg von der vormaligen Agrarwirtschaft
hin zu einer Industrie- und Dienstleistungswirtschaft geben … die Landwirtschaft wird produktiver,
effizienter und technologie-intensiver … Weg von der Produktion für den Eigenbedarf, hin zur
Produktion für den Markt.«
Die Folgen dieser Politik sind nicht nur
auf dem Lande, sondern auch in der Stadt sichtbar: Auf den Straßen von Haiderabad, die dem
täglich wachsenden Verkehr kaum noch standhalten können, verkaufen junge Männer Zeitungen.
Allen voran die Tageszeitungen, die in der Regionalsprache Telugu publizieren, denn nur ein Bruchteil der
Bevölkerung Indiens meistens die Angehörigen der Mittel- und Oberschicht spricht
Englisch. Fast täglich berichten die Tageszeitungen über einen Selbstmord auch über
den in Dasru Thanda. Diejenigen, die vor dem Elend in die Stadt fliehen, um hier Arbeit und Auskommen zu
finden, landen fast immer in einem der Slums, die sich entlang der großen Ausfallstraßen der
Stadt befinden. Ihr Markenzeichen sind blaue Plastikplanen, mit denen die Bewohner notdürftig ihre
Unterkünfte bedecken.
Weit weg von den Slums, am Rand des
Stadtzentrums, liegt das Regierungsviertel. Umzäunt von hohen Steinmauern versucht die neue von der
Kongresspartei angeführte Regierung, den Interessen der Investoren nachzukommen, ohne die der Bauern
offen zu brüskieren. »Es ist ein freier Markt. Jeder kann kommen und seine Geschäfte machen.
Die Globalisierung macht alles möglich«, sagt Agrarminister Shree Raguveera Reddy. Er gesteht,
dass für mehr als 12000 Familien in dieser Saison die Ernte komplett ausgefallen ist. Dennoch sieht er
wenig Handlungsspielraum. »Was unsere Regierung und auch die Zentralregierung tun könnten: Wir
sollten sehr vorsichtig damit sein, Unternehmen zuzulassen. Wenn, dann sollten wir es gründlich auf
seinen Ruf prüfen, ebenso wie die Garantien und Sicherheiten, die es uns gibt. Aber ihre Anwesenheit
können wir nicht verhindern.«
Vor allem in Andhra Pradesh häuften
sich in den letzten zwei Jahren die wütenden Proteste gegen die BT-Baumwolle. Das Genetic Engineering
Approval Commitee hat daraufhin und nach mehr als 2000 Selbstmorden innerhalb eines Jahres in Andhra
Pradesh die Verkaufsgenehmigung für das Bollgard-Saatgut von Mayhco-Monsanto nicht
verlängert. In anderen Bundesstaaten darf es jedoch weiter gehandelt werden. Aber auch in Andhra
Pradesh geht der Verkauf weiter: Monsanto hat 20 indische Unternehmen als Lizenznehmer für seine BT-
Baumwolle gefunden und zudem angekündigt, eine »BT-Baumwolle II« auf den Markt zu bringen.
Gerhard Klas
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
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