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Nicht gerade klein waren die Hürden, die die geneigte Zuhörerschaft
nehmen musste, um zum Berliner Kongress »Kapitalismus reloaded. Imperialismus, Empire und
Hegemonie« vorzustoßen.
Ein Computer allein reichte bspw. nicht, es
musste schon einer der neuesten Bautypen sein, um die technisch aufwändige und ästhetisch
anspruchsvolle Homepage (»www.kapitalismus-reloaded.de«) laden zu können, auf der alle
wichtigen Vorabinformationen (das umfangreiche Programm, Texte, Bilder und andere Infos) zu finden waren.
Hatte man dies entweder geschafft oder gelassen ignoriert, hatte man es schließlich mit dem für
die deutsche Linke ebenfalls eher ungewöhnlichen Sprachproblem zu tun, denn bereits auf dem
Eröffnungsplenum wurde mehr englisch als deutsch gesprochen.
Beeindruckend war deswegen zuallererst, wie
wenige dies abgeschreckt hat. Immerhin 700 Menschen kamen zur Humboldt-Uni und zur TU, um sich politisch-
theoretische Diskussionen auf zum Teil hohem Niveau anzuhören und mitzudiskutieren.
Doch nicht nur die Zahl der Besucher war
beeindruckend, sondern auch ihre Zusammensetzung. Hier war so ziemlich alles vertreten: Altlinke
»68er«, mittelalte und ganz junge Gesichter, männlich wie weiblich, Leute im Anzug und Leute
mit Dreadlocks, auffallend viele Raucher, die rauchten, wo sie standen und saßen, und noch viel mehr,
die das offensichtlich gar nicht gut fanden.
Und sie alle diskutierten über die
großen Themen unserer Zeit, allen voran über »den Imperialismus«: Was dieser
Imperialismus eigentlich sei und inwiefern sich der neue vom alten unterscheidet (den die einen noch aus
längst vergangenen SDS-Zirkeln kennen und mit Vietnam verbinden, während die anderen unweigerlich
an Schröder und den Irak denken müssen); ob man nicht eher vom »Empire« reden sollte,
wenn man das Neue dieses Imperialismus zu fassen versuche; wie denn das Verhältnis vom führenden
zum scheinbar untergeordneten Imperialismus, das Verhältnis von den USA zu Europa oder zu Asien zu
verstehen ist; was die neuen Kriege mit dem neuen Kapitalismus zu tun haben; was das ganze eigentlich mit
den Subjekten und ihren Bedürfnissen macht; und wie man sich gegen diesen ganzen Dreck wirksam zur
Wehr setzen kann.
Schaute man genauer hin, so fielen
natürlich zum Teil empfindliche Leerstellen auf. Vor allem fehlten politische und intellektuelle
Vertreter Ostdeutschlands und der zumeist dort verwurzelten »hegemonialen« linken Partei. Die
Frauen waren auf den Podien zwar präsent, aber deutlich unterrepräsentiert. Die
französischsprachige Welt fehlte ebenso wie die osteuropäische. Und es fehlten die meisten
derjenigen Meinungsführer, die in den späten 80ern und während der 90er Jahre die deutsche
Linke prägten. Auch wenn Thomas Seibert (Fantomas) nicht zu Unrecht vermerkte, dass ihn freue, hier so
viele alte Weggenossen zu treffen, und dass dies schon ein Gut an sich sei, so machte sich in Berlin
nichtsdestotrotz eine neue Generation bemerkbar, politisch wie theoretisch gleichermaßen
aufgeklärt wie interessiert und bemerkenswert radikal.
Standen im quantitativen Vordergrund des
Publikumsinteresses vor allem solche Workshops und Veranstaltungen, in denen Vertreter aus Venezuela oder
Mexiko von den sozialen Kämpfen aus ihren Ländern und Regionen berichteten oder der afrikanische
Wirtschaftswissenschaftler Yash Tandon von den gescheiterten WTO-Verhandlungen in Cancún, so ragten
qualitativ vor allem die Beiträge der zumeist englischsprachigen Intellektuellen heraus. Die
spezifische Mischung aus gelehrtem Inhalt und politisch zupackender Form, mit der ein Alex Callinicos
(Großbritannien) die Grundlagen der marxistischen Imperialismustheorie referiert und zum Kampf gegen
den weltweiten Gegner aufruft; mit der ein Peter Gowan (Großbritannien) verdeutlicht, warum das
kapitalistische Marktsystem von politisch-staatlichen Formen der Durchsetzung und Regulierung weder in der
Praxis noch in der Theorie zu trennen sind; mit der ein Giovanni Arrighi (USA) darauf hinweist, dass zwei
Drittel der weltweiten Ungleichheiten noch immer zwischen Norden und Süden bestehen und
»nur« ein Drittel innerhalb der Metropolenländer all das sucht auf der deutschen
Linken noch nach vergleichbarem.
Und als der Holländer Kees van der
Pijl beim Eröffnungspodium aus dem Publikum heraus die Frage stellte, warum hier denn nicht mehr
über Deutschland geredet werde, legte er den Finger in eine der entscheidenden Wunden des Kongresses.
Der u.a. angesprochene Frank Deppe wusste nicht viel zu antworten, er hatte sich in seinem Beitrag eher
akademisch gegeben und war im Kontrast zu Callinicos und Arrighi etwas blass geblieben.
Dass Deppe auch anders kann, zeigte er am
zweiten Tag in einem Workshop mit dem in Berlin lebenden, aus dem Libanon kommenden und in Paris
Politikwissenschaft lehrenden Gilbert Achcar. Verglich Achcar das neue imperiale Weltsystem mit dem
mittelalterlichen Feudalsystem von Lehnsherrn und Vasallen und betonte am Beispiel des militärisch-
industriellen Komplexes, dass von einer wirklichen Herausforderung der US-Schutzmacht durch einen
vermeintlichen Euroimperialismus nicht die Rede sein könne, insistierte Deppe darauf, dass
nichtsdestotrotz von einem solchen euroimperialistischen Projekt als realer politischer Tendenzen
gesprochen werden könne. Was er hier über die Rolle der »rot-grünen«
Außenpolitik bspw. in der Türkeifrage und die Bedeutung der vorerst gescheiterten
europäischen Verfassung zu erzählen wusste, war schon eine Diskussion wert. Auch dies nicht
untypisch: Je tiefer man in kleiner Runde ins Detail kam, desto stärker der Aufklärungs- und
Lerneffekt.
Nicht nur analytische, auch politische
Differenzen bspw. in der Haltung zum bewaffneten Widerstand im Irak oder in der Frage, ob es zu
einem Kampf »des Südens« gegen »den Norden« kommen wird oder kommen sollte
wurden immer wieder sichtbar, arteten aber niemals in verbale Pöbeleien aus.
Der gelegentlich auftretende Unmut war
dabei nicht selten den Widersprüchen des Kongresskonzeptes geschuldet. Deutlich wurde, dass es unter
den diversen, den Kongress tragenden Strömungen und Fraktionen (neben radikal linken
Zeitschriftenprojekten von AK und Das Argument bis Sozialismus und SoZ, und linken Gruppen wie Attac,
Linksruck oder »Kritik und Praxis« auch die PDS-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung, die
gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung oder die grüne Heinrich-Böll-Stiftung) verschiedene
Herangehensweisen gab. Wollten die einen mehr Analyse bieten und der Frage nachgehen, wie der Feind
eigentlich beschaffen ist, den man an anderem Ort, zu anderer Zeit bekämpfen will, drängten
andere auf politische Aufbruchssignale hier und jetzt.
Anstatt jedoch diese offensichtlich bereits
im Vorfeld deutlich unterschiedenen Bedürfnisse und Konzeptionen in unterschiedlichen Diskussionsforen
und -formen sich entfalten zu lassen, packte man sie allzu häufig auf ein gemeinsames Podium. Dass
sich da manches widersprechen, gelegentlich sogar blockieren musste, hätte vorausgesehen werden
können. Der Kongress machte jedoch, alles in allem, den Eindruck, dass es sich hierbei mehr um
Wachstumsschwierigkeiten handelt als um tiefer liegende Blockaden.
Christoph Jünke
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
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