Artikel


SoZ

SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.18 vom 3.09.1998, Seite 10

Neues "Bündnis für Arbeit"?

Kernpunkt der sozialdemokratischen "Alternative"

Angesichts der anhaltenden hohen Erwerbslosigkeit, ihrer bedrueckendenAuswirkung auf eine Vielzahl von Menschen und des Stimmungsumschwungs inder Bevoelkerung beeilen sich die Parteien, vor den Wahlen Versprechungenzu machen, wie diesem Uebel beizukommen ist. Nun hat zum ersten Mal in derGeschichte der Bundesrepublik die SPD Aussichten, direkt aus derOpposition heraus die Mehrheit zu erobern.
Die Politikversprechen des SPD-
K anzlerkandidaten Schroeder muenden in der Formel von einem "Buendnis fuerArbeit". Im Wahlkampf werden oftmals nur noch simple Botschaftentransportiert. Deshalb ist nicht zu erkennen, wie Schroeder nach dem27.September Arbeitsplaetze schaffen will. Vor allem hat er einenGrossteil des sozialdemokratischen Regierungsprogramms durch das Wort vom"Finanzierungsvorbehalt" zur Makulatur erklaert.
Aber eine Neuauflage eines bundesweiten Buendnisses fuer Arbeit fordernauch die Gewerkschaften, obwohl die bisherigen Versuche am Widerstand derUnternehmer gescheitert waren. "Buendnis fuer Arbeit" klingt in vielenOhren gut, aber fuer die meisten ist voellig unklar, was dabei verhandeltwerden soll, und wie daraus Arbeitsplaetze entstehen sollen.
Weil sich aber nach dem 27.September -- egal wie die Wahl ausgeht -- dieMenschen in den Betrieben und Verwaltungen mit den Folgen eines solchenBuendnisses auseinanderzusetzen haben, ist es sinnvoll, die bisherigenAnstrengungen der Gewerkschaften in diese Richtung kritisch zu beleuchten.
Die Benennung von Walter Riester zum Arbeits- und Sozialminister einer vonder SPD gefuehrten Bundesregierung signalisiert den Abschied vomtraditionellen ueberlieferten Gewerkschaftsdenken und ist der Versuch, dieGewerkschaftsspitzen in die neoliberalen Wirtschaftsvorstellungen vonGerhard Schroeder einzubinden.
    Sie erinnert aber auch daran, dass es "Tradition" bei der SPD ist, mit denGewerkschaften der BRD Hand in Hand zu arbeiten. Was von vielenTraditionalisten in der Gewerkschaftsbewegung gerade als Vorteil gepriesenwird und was heute auch dazu fuehrt, dass in allen SPD-nahen Gruppenlieber nicht ueber die durchaus vorhandenen Vorbehalte zum Schroeder-Kursgeredet wird, sondern ueber die angeblich guten Aussichten fuer die KollegInnen, falls er die Wahl gewinnt.
     Riesters Kuer zum Schattenminister erinnert auch daran, dass es schonmehrere Male in der Geschichte der BRD solche Personalentscheidungengegeben hat. So bei Walter Arendt, dem IG-Bergbau-Vorsitzenden der 60erJahre. Er hatte entscheidenden Anteil daran, dass in den 60er JahrenStreiks der Bergleute behindert und die Krise im Steinkohlenbergbau mitGruendung der Ruhrkohle AG zugunsten der ehemaligen Zechenbesitzer"sozialvertraeglich" abgewickelt wurde. Eine seiner ersten Massnahmen alsArbeits- und Sozialminister war die Kuerzung der Knappschaftsrenten! OderHans Matthoefer, der Finanzminister Helmut Schmidts, des SPD-Kanzlers, derAnfang der 80er Jahre nach seinen eigenen Worten die Periode der "sozialenGrausamkeiten" einleitete. Oder Georg Leber, vor seiner Zeit alsVerteidigungsminister der SPD/FDP-Regierung Vorsitzender der IG Bau.
In welche Fussstapfen tritt damit Walter Riester? Seine Vorstellungen zurAltersteilzeit waren so, dass er das Gesetz zugunsten der Arbeitgeberlockern wollte, weil es kaum in Anspruch genommen wurde. Also sollte diestrenge Wiedereinstellungsklausel fallen. Offensichtlich sind selbst diekleinsten Schritte in Richtung Erhalt von Arbeitsplaetzen -- selbst aufKosten der aelteren Beschaeftigten und der Sozialkassen -- den Unternehmern schon nicht "zuzumuten": Da muessen von Bluem mit heisserNadel gestrickte Gesetze dann von Riester wieder gelockert werden.
Waehrend einige Sozialdemokraten hoffen, dass nach einem Wahlsieg imSeptember ein "Buendnis fuer Arbeit und Gerechtigkeit" auf den Weggebracht wird, haben die Spitzenvertreter der Wirtschaft Anfang Augustwidersprochen. Arbeitgeberpraesident Dieter Hundt sagte der Welt amSonntag, eine Ruecknahme der Kuerzung der Lohnfortzahlung imKrankheitsfall und bestimmter Reformen des Renten- und Arbeitsrechtskoenne keinesfalls Grundlage fuer gemeinsame Gespraeche sein. Der Praesident des Bundesverbands der Deutschen Industrie Olaf Henkel wie auchHandwerkspraesident Dieter Philipp schlossen im gleichen Blatt festeZusagen der Wirtschaft fuer zusaetzliche Arbeitsplaetze aus. Dieter Hundtmeinte dazu, auch der vom DGB geforderte åberstundenabbau sowie kollektiveArbeitsplatzzusagen seien keien Grundlage fuer ein Buendnis.
Das war auch damals Ende 1995 so, als der Vorsitzende der IG Metall, KlausZwickel, die Idee vom "Buendnis fuer Arbeit" aufbrachte. Auf demGewerkschaftstag im November 1995, auf dem die Arbeitszeitverkuerzungdiskutiert werden sollte, hatte Zwickel seinen Vorschlag gemacht, wie esheisst, ohne wenigstens andere Vorstandsmitglieder vorher zu informieren,und erst nachdem er wieder zum 1.Vorsitzenden gewaehlt worden war. SeineVorschlaege sahen so aus: Drei Jahre Verzicht auf betriebsbedingteKuendigungen in der Metallindustrie -- drei Jahre lang je 100.000 neueArbeitsplaetze -- zusaetzlich 10.000 Neueinstellungen von Langzeitarbeitslosen pro Jahr -- Steigerung der Ausbildungsplaetze umjaehrlich 5% -- Selbstverpflichtung der Regierung, auf weitereVerschlechterungen bei Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zu verzichten.Dafuer werde die IG Metall sich bei den Lohnverhandlungen 1997 mit demAusgleich der Preissteigerungsrate begnuegen und zudem ihre"Schmerzgrenze" ueberschreiten und zeitlich befristetenEinarbeitungsabschlaegen bei den Loehnen fuer neu eingestellteLangzeitarbeitslose zustimmen.
Das Thema "Buendnis fuer Arbeit" war danach in aller Munde, die Initiativegegen die Erwerbslosigkeit anzugehen, schien wie Mitte der 80er Jahre --in der Zeit der Kampagne fuer die 35-Stunden-Woche -- wieder bei denGewerkschaften zu liegen. In den Medien wurden die Unternehmerverbaendeaufgefordert, dem guten Beispiel zu folgen und nun auch Kreide zu fressen.
Doch zeitgleich stand massive Arbeitsplatzvernichtung in allen grossenKonzernen auf der Tagesordnung. Betriebliche Vereinbarungen enthielten imbesten Fall -- siehe VW -- eine Sicherung gegen betriebsbedingteKuendigungen und ansonsten viele Verschlechterungen fuer die Belegschaften. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld, uebertarifliche Zulagenstanden im Westen zur Disposition, in Ostdeutschland setzte sich dieTarifflucht mit untertariflicher Bezahlung immer mehr durch. 1994/95 hattesich auch durch das VW-Modell und die Vereinbarungen im Bergbau dieArbeitszeitverkuerzung ohne Lohnausgleich, d.h. mit empfindlichenKuerzungen fuer die Belegschaften, als tariffaehig erwiesen. Aufbetrieblicher Ebene gab es ein "Buendnis fuer Arbeit", das fuerArbeitslose keinerlei positive Folgen hatte, da keine Neueinstellungenerfolgten.
Tatsaechlich war das Jahr 1997 -- also die Zeit nach dem gescheitertenBuendnis -- das Jahr mit der hoechsten Erwerbsarbeitslosigkeit derBundesrepublik. Die grossartigen Ankuendigungen, die in den KanzlerrundenAnfang 1996 verbreitet wurden, wie die Halbierung der Arbeitslosenzahlenbis zum Jahr 2000, waren aber eben nicht nur Wahlkampfgetuemmel Kohlscherbzw. Bluemscher Art, sondern trugen auch die Unterschrift des DGB-
Vorsitzenden Schulte, der sich zu dem "Buendnis fuer Arbeit undStandortsicherung" (dazu mit deutschnationalem Zungenschlag stattinternationaler Solidaritaet) nach Art von Kohl bereit erklaerte.
    Auf der gesamtpolitischen Ebene hatte sich dann aber bald gezeigt, dassmit der Regierung Kohl und mit dieser Art von Kanzlerrunden kein Abbau derErwerbslosigkeit erreicht werden konnte. Heraus kam ein Sparpaket, und dasKonzept "Buendnis fuer Arbeit" war eindeutig diskreditiert.
Die Arbeitgeber hielten sich an keine Vorgaben, die Regierung setzteKuerzungen bei Erwerbslosen und SozialhilfeempfaengerInnen, RentnerInnenund VorruhestandsbewerberInnen durch, und die Lohnfortzahlung imKrankheitsfall wurde gesetzlich gekuerzt. Aber waehrend der damalige IG-
Chemie-Vorsitzende Schmoldt zu Recht beklagte, "man hat uns den Stuhl vordie Tuer gesetzt", bestanden er und andere Gewerkschaftsvorsitzende aufweiteren Versuchen. Die IG Chemie liess sich auf niedrigereEinstiegsloehne fuer Arbeitslose ein. In Unternehmen wie Bayer, Ford oderOpel gab es "Standortvereinbarungen", deren Wirkungen auf den Arbeitsmarkteine Verschaerfung bedeuten: Es wurden nur betriebsbedingte Kuendigungenfuer drei oder vier Jahre ausgeschlossen, bei weiterem Personalabbau undLohneinschraenkungen fuer die Beschaeftigten.
VW sagte 1000 neue Stellen zu, baute aber Lehrstellen und 3000Vorruhestaendler ab -- und so lief es auch in allen anderen grossenBranchen. Das "Buendnis Ost" -- von Schulte im Mai 1997 vorgestellt --musste auch eingestellt werden: Gemeinsame Anstrengungen gegen die Arbeitsplatzvernichtung im Osten gab es nur auf dem Papier, die inAussicht gestellten 100.000 zusaetzlichen Arbeitsplaetze ab 1998 sindSchall und Rauch. Dennoch band Schulte sich und anderen erneut die Haendefuer das Erarbeiten und Erkaempfen eigenstaendiger Forderungen und Ziele.
In Hunderten von Einzelbetrieben aller Branchen sind Vereinbarungengetroffen worden, die keine neuen Arbeitsplaetze bringen, sondern weiterenVerzicht und Rueckschritt bedeuten. Die Beispiele aus den Betriebenzeigen, dass die abhaengig Beschaeftigten staendig in die Defensivegerieten. Allein durch die Umwandlung von Vollzeitarbeitsplaetzen inmehrere versicherungsfreie Jobs wurden Tausende von Frauen bei ihrerRentenversicherung schlechter gestellt. Meist kam der oeffentliche Hohndazu, Frauen wollten das ja so. Die Rationalisierung setzte weitereMenschen frei, und die Unternehmensgewinne stiegen mitsamt denAktienkursen.
Rolf Euler


zum Anfang