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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 01.10.1998, Seite 3

Gewerkschaften nach Kohl

Bilanzierungsvorbehalt fuer neue Regierung



Kohl ist weg -- und das sollte Mut machen. Nach 16 Jahren einer Politik, die zielstrebig die Massenarbeitslosigkeit gefoerdert und ausgenutzt hat, um wesentliche Verschlechterungen auf allen gewerkschaftlichen Aufgabengebieten durchzudruecken, ist eine wichtige -- keineswegs entscheidende -- Vorbedingung fuer den politischen Richtungswechsel erfuellt. Nicht mehr und nicht weniger. Auch eine Regierung Schroeder wird die Grundlagen der neoliberalen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik uebernehmen und weiterfuehren, aber hier und da "modernisieren". Er steht fuer nichts andres und er hat auch nichts andres versprochen. Die schnell wachsenden Verluste im Rahmen der heraufziehenden Weltwirtschaftskrise, die bevorstehende Waehrungsunion in der EU und der Druck des Kapitals werden ein uebriges tun, um die neue Bundesregierung "auf Kurs" zu halten.Mit weiteren Angriffen auf die soziale Situation der Mehrheit der Bevoelkerung und weiterem Abbau der verbliebenen demokratischen Substanz muss deshalb gerechnet werden. "Wir werden nicht alles anders machen, aber vieles besser" -- der Sinn dieses Wahlversprechens der Schroeder-SPD wird sich bald herausstellen.
Die Gewerkschaftsvorstaende haben -- lassen wir die Rhetorik der Kampagne fuer Arbeit und soziale Gerechtigkeit beiseite -- keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich in eine derartige "standort- und zukunftssichernde" Politik einbinden lassen werden. Die einen mit der Hoffnung, durch eine bessere Beteiligung und mehr Einfluss auf die neue Regierung wieder Boden gut machen zu koennen, die anderen aus sozialpartnerschaftlicher Staatsraeson a la Schmoldt. Der rechte DGB- Fluegel um die Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie favorisiert offen eine grosse Koalition, aber auch der kuenftige Arbeitsminister und IG- Metall-Vize Riester fuehlt sich zwischen "Rot-Gruen und Rot-Schwarz hin- und hergerissen".
Sozialpolitisches Kernstueck der neuen Regierung wird eine Wiederbelebung des "Buendnisses fuer Arbeit (und Ausbildung)" sein. Die gescheiterte Generalprobe von 1995/96 hat gezeigt, wie weit die Mehrheit der DGB- Gewerkschaften dabei gehen wird. Noch ehe sie irgendetwas Positives in der Hand hatten, liess man eine Bedingung nach der anderen fallen. Mit ihrer Zustimmung wurde die Arbeitslosenhilfe verschlechtert, die Zumutbarkeitsregeln verschaerft, ja ein ganzes Credo neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unterschrieben.
Dass das Buendnis schliesslich scheiterte, lag nicht an ihrer Prinzipienfestigkeit, sondern an der von Regierung und Unternehmern. Fuer ein neues "Buendnis fuer Arbeit" liegt -- entgegen offizieller Gewerkschaftsrhetorik -- ein entscheidender Grundkonsens vor: die Akzeptanz der neoliberalen Umverteilung. Die Gewerkschaften haben ihren Beitrag dazu mit jahrelanger "massvoller Lohnpolitik" bereits geliefert und sind offenbar bereit, dies weiter zu tun. Selbst Zwickel ist soeben nach wochenlangen Gespraechen mit den Metallarbeitgebern zur alten Bescheidenheit zurueckgekehrt und verortet eine "neue Partnerschaft" mit der Kapitalseite. Fuer die IG Metall soll die anstehende Entgelttarifrunde offenbar nicht der Aufbruch zur Umverteilung "von oben nach unten" werden, sondern moeglichst schnell und geraeuschlos ueber die Buehne gehen. Verkauft wird das ganze mit dem Verzicht auf unnoetige "Kampfrituale" (die uebrigens an der Basis schon laengst kritisiert und von den Vorstaenden schon des oefteren versprochen worden sind).Doch der Sinn liegt ganz woanders: Man will der neuen Regierung den Ruecken freihalten, eine harte Tarifrunde vermeiden und das Gespraechsklima mit Hundt, Stihl und Henkel fuer ein neues "Buendnis fuer Arbeit" nicht belasten. Eine Mobilisierungsdynamik in der wichtigsten Branche koennte sich angesichts des Erwartungsdrucks auf eine neue Politik naemlich schnell entwickeln und Schule machen. Genau daran hat auch die Kapitalseite keinerlei Interesse. Hinzu kommen wirtschaftspolitische Gruende. Die bereits laufenden Einbrueche im Export muessen durch eine gewisse Ankurbelung der schleppenden Binnennachfrage kompensiert werden. Was sich hier bereits klar andeutet, ist der Weg in eine Art Konzertierte Aktion -- wie sie die Grosse Koalition Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre mit sich brachte -- allerdings unter voellig veraenderten wirtschaftlichen Bedingungen und wesentlich schlechteren Kraefteverhaeltnissen fuer die Gewerkschaften.
Ob diese Manoever aufgehen -- und auch die deutschen Gewerkschaften am Ende noch schwaecher dastehen als heute, das wird sich zeigen. Viel wird von den verbliebenen kaempferischen Stroemungen in den Gewerkschaften abhaengen. Sie sind stark geschwaecht, aber nicht unfaehig zu Initiativen. Es ist kaum zu erwarten, dass die Politik der Regierung Schroeder widerspruchslos an der Gewerkschaftsbasis und in anderen Bereichen der Gesellschaft hingenommen wird. Die kommenden Konflikte muessen auch genutzt werden, um eine politische Linke zu rekonstruieren, die wieder Perspektiven hat, zu kaempfen weiss und wieder Gehoer findet. Die PDS kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Organisieren wir in den Gewerkschaften eine energische Diskussion um unsere Bedingungen fuer ein "Buendnis fuer Arbeit". Stellen wir die Regierung Schroeder unter einen "Bilanzierungsvorbehalt" -- schnell und massiv.
HERMANN DIERKES


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