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SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.20 vom 01.10.1998, Seite 5

"Intimschutz" für Reichtum bleibt gewahrt

Jakob Moneta

Das Statistische Bundesamt kann zwar genaue Auskunft über die Zahl der Rebstöcke für deutschen Wein geben, oder über den Schweinebestand, paßt aber bei der Auskunft über Reichtumsverhältnisse. Reichtum in Deutschland genießt "Intimschutz". So die beiden Soziologen Peter Bartelheimer und Thomas Freyberg, deren Frankfurter "Armutsbericht" weithin Aufsehen erregte.
Diesmal haben sie sich den vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) erstellten "Reichtumsbericht Deutschland" vorgeknöpft, der vorgibt, ein "Beitrag zur Versachlichung der aufgeregten Verteilungsdiskussion" zu sein. Ihr ausführlich begründetes Urteil über diese Untersuchung ist vernichtend.
Dieser erste Reichtumsbericht, so stellen sie fest, "mißbraucht die schwierige und unklare Situation der wissenschaftlichen und öffentlichen Debatte über Reichtum und Armut, um seine ideologischen Vorentscheidungen durchzusetzen — ohne sie auszuweisen". Das den Arbeitgeberinteressen verpflichtete IW geht nicht darauf ein, "was die Quellen von Reichtum in privater Hand" sind und "welche Zusammenhänge es etwa zwischen Armut und Reichtum gibt". Ganz zu schweigen davon, wie sich "privater Reichtum in demokratisch nicht legitimierte Macht verwandelt". Oder aber die Frage, "welche Chancen die Entwicklung bürgerlicher, politischer und sozialer Grund- und Menschenrechte angesichts zunehmender Spaltung in Arm und Reich hat".
Genau diese Spaltung wird kunstvoll aus der Untersuchung herausoperiert, indem schlicht festgestellt wird, die deutsche Gesellschaft sei reicher geworden, das Gesamtvermögen der privaten Haushalte abzüglich aller Schulden betrage rund 20 Billionen DM. Das sind 500000 DM im Durchschnitt. "Wer sich jetzt freut", schreiben die kritischen Soziologen, "tut dies aber zu früh. Denn mit Ausnahme des Geldvermögens (1996 4,6 Billionen DM) handelt es sich bei der Rechnung des IW um in volkswirtschaftlicher Betrachtung völlig fiktive Vermögenswerte: geschätzte Barwerte von Rentenanwartschaften, Immobilien und Gebrauchsgütern (Autos, Möbel, Teppiche), die sich auf keinem Markt überhaupt in dieser Höhe beleihen, geschweige realisieren ließen."
Da wird doch tatsächlich in diesem Reichtumsbericht behauptet, in den zehn Jahren zwischen 1983 und 1993 habe sich das durchschnittliche Nettohaushaltseinkommen aller Haushaltstypen deutlich verbessert. "Insgesamt hat sich der Einkommensanstieg über alle sozialen Gruppen damit recht gleichmäßig vollzogen." Daß die Zahl der Sozialhilfeabhängigen in Westdeutschland zwischen 1980 und 1997 von weniger als eine Million auf 2,9 Millionen Menschen (ohne Asylbewerber) gestiegen ist, daß die "verdeckte Armut" von Menschen mit Einkommen unter der Sozialhilfeschwelle auf 2,8 Millionen Menschen geschätzt wird, daß sich die Zahl der Arbeitslosen in Westdeutschland im gleichen Zeitraum von einer Million auf das Dreifache erhöhte und sich, die "stille Reserve" hinzugenommen, die "Beschäftigungslücke" vervierfacht hat und heute allein im Westen Deutschlands 5,5 Millionen beträgt, an all das müssen Thomas Freyberg und Peter Bartelheimer die Verfasser des "Reichtumsberichts" erinnern.
Aber auch daran, daß die Zahl der "unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen natürlichen Personen mit einem Jahreseinkommen über 100000 DM allein in den neun Jahren zwischen 1983 und 1992 auf 2,4 Millionen (auf das 3,5fache) stieg und sich die Anzahl derer mit einem Jahreseinkommen von über 250000 DM verdoppelte".
Daß gut 5 Prozent aller Haushalte in Gesamtdeutschland ein Drittel des Gesamtvermögens auf sich konzentriert, während sich die ärmere Hälfte aller Haushalte etwa 10% des Reichtums teilt, entzieht sich offenbar auch der Kenntnis der Wissenschaftler, die den Reichtumsbericht verfaßten. Dafür liegt er völlig auf der ideologischen Ebene des "Neoliberalismus", der davon ausgeht, daß die absolut freie Marktwirtschaft letzten Endes zur Glückseligkeit aller Menschen auf dem Erdball führen wird.

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