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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 3

Fairer Interessenausgleich?

von GERHARD KLAS

Erlaßjahr 2000 - Entwicklung braucht Entschuldung" nennt sich eine Kampagne, deren mittlerweile 400 Unterstützergruppen - Eine-Welt-Läden, Kirchengemeinden und Nichtregierungsorganisationen - von Banken, der Bundesregierung und den internationalen Finanzinstitutionen "einen umfassenden Erlaß der untragbaren Schulden armer Länder für das Jahr 2000" fordern. Adressat des Appells im Rahmen der internationalen "Jubilee 2000"- Initiative wird der kommende Weltwirtschaftsgipfel (oder G8) Juni '99 in Köln sein. Motiviert durch ihren diesjährigen Erfolg anläßlich des G8- Gipfels in Birmingham, erwarten die Organisatoren der Kampagne mindestens ebensoviele Teilnehmer: 70000.
 Auch wenn die Initiatoren der Erlaßjahrkampagne in einer erläuternden Broschüre die guten Absichten ihres Appells darlegen und Berechnungen anstellen, wie vielen Kindern das Leben gerettet werden könnte: Der politische Gebrauchswert der Kampagne ist äußerst gering. Den Adressaten der allgemein gehaltenen Forderungen wird Tür und Tor offengehalten, sie in ihrem Sinne zu interpretieren. Und auch der Appell, die durch den Schuldenerlaß frei werdenden Mittel zu nutzen, um "die Möglichkeiten der Armen zur Selbsthilfe zu stärken" ist durchaus mit multilateralen Verträgen kompatibel, die Drittweltländer mitsamt ihrer Bevölkerung dem "freien Weltmarkt" überantworten wollen.
 Ein "internationales Insolvenzrecht" soll darüberhinaus die Zahlungsfähigkeit der Drittweltländer "im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen Schuldnern und Gläubigern" wiederherstellen. Im Kontext der Verschuldung von Fairneß zu sprechen, muß in den Ohren der darbenden Zivilbevölkerung wie Hohn klingen: 500 Jahre Kolonialgeschichte und Imperialismus werden nicht einmal erwähnt. Für die Erlaßjahrkampagne beginnt die "Geschichte der Verschuldung" erst mit der Ölkrise und dem Kalten Krieg. Die Kampagne ignoriert, daß Verschuldung zu einem der konstituierenden Elemente der Weltwirtschaftsordnung gehört. Solch schwache Forderungen werden selbst bei einer massiven Mobilisierung kaum dazu beitragen können, die Lebensbedingungen der ärmsten Teile der Weltbevölkerung nachhaltig zu verbessern.
 Zu Recht haben Kritiker schon 1988 anläßlich der Demonstration gegen die Tagung des IWF in Berlin angemerkt, daß auch eine Forderung nach unverzüglicher und direkter Schuldenstreichung das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Erster und Dritter Welt nicht auflösen würde. Von dieser Forderung abzuweichen, nachdem sich der Schuldenberg der sog. Entwicklungsländer seither mit 2177 Milliarden US- Dollar fast verdoppelt hat, kann nur als Rückschritt verstanden werden. Bleibt zu hoffen, daß sich die kritischen Stimmen in den eigenen Reihen mehren. Das belgische "Komitee für die Aufhebung der Schulden in der Dritten Welt" (COCAD), Teil einer in Gläubiger- und Schuldnerländern verankerten Initiative, hat den Anfang gemacht und fordert eine "unverzügliche und komplette Schuldenstreichung".
 


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