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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 4

Säkularismus als Grundprinzip

Von Giyas Sayan

In einem säkularen Staat ist Religionsunterricht problematisch, widerspricht er doch dem Gebot der Trennung von Religion und Staat. Auf Vorbehalte stöát er jedoch in aller Regel nicht, wenn der christliche Glaube gelehrt werden soll, wohl aber, wenn es um den Islam geht.
  Das Berliner Oberverwaltungsgericht hat am 4.November verfügt, die Islamische Föderation als Religionsgemeinschaft anzuerkennen; damit hat es den Weg frei gemacht für die Einführung von islamischem Religionsunterricht an Berliner Schulen.
  Das Urteil ist umstritten. In der BRD sind Ordnung und Durchführung des Religionsunterrichts eine staatliche Aufgabe, doch entscheiden die Glaubensgemeinschaften nach Maágabe ihrer Grundsätze über seine Ziele und Inhalte. Das staatlich garantierte Recht auf Religionsausübung steht auch Angehörigen fremder Kulturen zu.
  Die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts ist eine alte Forderung vor allem von Minderheiten aus der Türkei. Sie wird sowohl von religiösen Verbänden, vor allem sunnitischen Glaubensgemeinschaften, aber auch von säkularen Gruppen erhoben. Es ist zu unterscheiden zwischen religionskundlicher Unterweisung, die überkonfessionell ist, und Religionsunterricht, der grundsätzlich konfessionell gebunden ist. Die (nichtislamischen) Befürworter eines islamischen Religionsunterrichts wollen fundamentalistische Einflüsse vermeiden, indem sie die staatliche Schulaufsicht zwischenschalten; die Gegner glauben, den Fundamentalismus dadurch abwehren zu können, daá islamischer Religionsunterricht nicht erteilt werden darf.
  Die meisten Bundesländer haben zu Beginn der 80er Jahre die Möglichkeit zu einer religiöse Unterweisung im Islam im Rahmen des muttersprachlichen Ergänzungsunterrichts geschaffen. Die Verantwortung für diesen Unterricht liegt teils bei den diplomatischen Vertretungen der Türkei, teils bei den Kultusministerien. Der Unterricht wird von türkischen Lehrerinnen und Lehrern erteilt. In NRW hat eine Kommission aus türkischen Lehrerinnen und Lehrern, Islamwissenschaftlern und zwei evangelischen Religionspädagogen entsprechende Curricula ausgearbeitet.
  In Berlin wurde im Gegensatz dazu bislang kein islamischer Religionsunterricht erteilt; hier ist nur christlicher Religionsunterricht vorgesehen. Es entspricht also dem Gebot der Gleichbehandlung von christlichen und nicht-christlichen Gläubigen - damit Art.3 (3) GG, der eine Benachteiligung aufgrund des Glaubens verbietet -, daá auch Angehörigen nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften Religionsunterricht erteilt werden kann. Allerdings besteht hier das Problem, daá es eine offizielle Organisation des Islam in Deutschland nicht gibt.
  Seit 1983 wird an Berliner Schulen islamisch-religionskundliche Unterweisung angeboten. Diese Unterweisung wird von der staatlichen Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) erteilt. Dies ist eine bundesweite Organisation; ihr Vorsitzender ist laut Satzung Direktor der Anstalt für religiöse Angelegenheiten in Ankara. Trotz Bezuschussung durch den Berliner Senat mangelt es an einer demokratischen Kontrolle seiner Aktivitäten. So wird auch die Trennung zwischen religionskundlicher Unterweisung und Religionsunterricht nicht immer eingehalten. Daneben werden inzwischen ca. 16000 Kinder in von den Moscheen getragenen sog. Koranschulen unterrichtet, wo hauptsächlich Intoleranz gegenüber anderen Religionen gelehrt wird.
  Ob diesen Entwicklungen durch die Anerkennung der Islamischen Föderation als Religionsgemeinschaft entgegengewirkt werden kann, ist fraglich. Zunächst plant die Islamische Föderation einen Modellversuch an einigen Kreuzberger Schulen. Später soll das Angebot ausgebaut werden. Ziel ist, den ca. 30000 Berliner Schülerinnen und Schülern muslimischer Herkunft Religionsunterricht anzubieten. Wie auch beim christlichen Religionsunterricht ist die Teilnahme freiwillig; auch hier werden die Gehälter der Lehrer zu 90 Prozent vom Land Berlin übernommen. Die Lehrpläne werden jedoch nur einmal der Schulverwaltung zur Prüfung vorgelegt.
  Genau hier setzt die Kritik vor allem von Migrantenverbänden ein, die der Islamischen Föderation Kontakte zur verbotenen rechtsextremen Wohlfahrtspartei und personelle Verflechtungen mit Milli Görüs vorwerfen und eine antidemokratische Beeinflussung ihrer Kinder befürchten.
  Meiner Ansicht nach hat die Schule die Aufgabe, interreligiösen Unterricht zu ermöglichen - dies leitet sich aus der multikulturellen Situation der deutschen Gesellschaft ab. Er soll die Schülerinnen und Schüler anregen, sich in religiösen Fragen offen zu verhalten und die Inhalte der eigenen Religion nicht zu idealisieren. Die Eltern müssen in den Prozeá der Festlegung der Unterrichtsinhalte einbezogen werden. Dabei ist es notwendig, daá alle Religionen gleichwertig behandelt werden. Das bedeutet im Kern die Ersetzung des Fachs Religion durch ein konfessionsübergreifendes Fach Ethik oder Philosophie nach dem Vorbild des Brandenburgischen Fachs "Lebensgestaltung, Ethik, Religion" (LER). Ein solches Angebot würde auch der Manipulation den Boden entziehen. Bislang ist es unqualifizierten Personen möglich, sich als Hodschas, Religionsgelehrte, auszugeben.
  Einer politischen Antwort auf die Frage nach einem islamischen Religionsunterricht, möglichst auf Bundesebene, wäre aber auf jeden Fall der Vorzug vor gerichtlichen Entscheidungen zu geben.
 


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