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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 9

Unterstützung statt Kontrollen

Ein Konzept für die Durchsetzung tariflicher Standards auf den deutschen Arbeitsmärkten

Wir müssen feststellen, daß ungeschützte, prekäre Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland und der Europäischen Union an Bedeutung zunehmen. Verstöáe gegen gesetzliche Bestimmungen gehören zum Alltag in der Arbeitswelt. Menschen werden unter Tarif entlohnt, die Arbeitsschutzbestimmungen werden nicht eingehalten, Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen werden nicht gezahlt, Menschen wird ihr Lohn vorenthalten, sie werden unter inhumanen Bedingungen untergebracht. Besonders betroffen sind Migrantinnen und Migranten, die mit den örtlichen Verhältnissen am Beschäftigungsort nicht vertraut sind, die die Sprache im Land ihrer Arbeit nicht kennen. Sie sind Täter und Opfer." Die Beschreibung des DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte benennt prägnant die aktuelle Situation auf den deutschen Arbeitsmärkten. Zur Duchsetzung gesetzlicher Bestimmungen und tariflicher Standards greifen Tarifpartner und staatliche Stellen zunehmend auf repressive Instrumente wie Kontrollen und Razzien zurück. Ausgehend von der Kritik an diesem Ansatz entwickelt NORBERT CYRUS vom Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin ein alternatives Konzept, mit dem gesetzlichen Schutzbestimmungen und tarifliche Standards durchgesetzt werden könnten. Er nennt es den "unterstützenden Ansatz". Damit schlägt er zugleich einen anderen Blick auf die vorschriftswidrige und illegale Beschäftigung vor: In den Mittelpunkt rückt die Frage, wie die bestehenden sozialen Standards für alle Arbeitnehmer/innen tatsächlich verwirklicht werden können.
  Die erste Kritik am repressiven Ansatz bezieht sich auf seine beschränkten Reichweite. Obwohl er mit hohem finanziellen und personellen Aufwand verbunden ist, kann er nicht alle, sondern nur die unmittelbar überprüften Arbeitsverhältnisse behandeln. Im Frühjahr 1997 waren bei der Bundesanstalt für Arbeit 2462 Stellen und bei den Hauptzollämtern 1074 Stellen bundesweit zuständig für die Bekämpfung illegaler Beschäftigung und Leistungsmiábrauch.
  Zusätzlich werden bei Bedarf Kräfte anderer Behörden, insbesondere von Polizei und Ausländerämtern, herangezogen. Trotz des erheblichen Personalaufwands können nur ein Bruchteil der Arbeitsverhältnisse überprüft werden. Deshalb argumentieren die Befürworter des repressiven Ansatzes auch, damit solle eine abschreckende, präventive Wirkung erzielt werden.
  Die für die Kontrollen zuständigen Behörden (wie die Bundesanstalt für Arbeit) konzentrieren sich darüberhinaus vor allem auf die Baubranche, wo sich nach allgemeiner Auffassung vorschriftswidrige und illegale Beschäftigung besonders breit gemacht hat. In anderen Branchen werden nur stichpunktartige Kontrollen durchgeführt.
  Aber selbst mit dieser Konzentration bleibt der Anteil der überprüften Arbeitsverhältnisse im Baugewerbe relativ gering. So konnten bspw. in Berlin, wo es mindestens 80000 Baustellen geben soll, 1995 von der zuständigen Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Schwarzarbeit (GES) insgesamt 1034 Baustellen- und Betriebsstätten überprüft werden. Das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg führte im selben Jahr weitere 6141 Auáenprüfungen in Berlin durch. Die im August 1995 neu eingerichtete Prüfgruppe AD-Bau mit 150 Stellen nahm 216 Baustellenüberprüfungen vor. Eine flächendeckende und lückenlose Kontrolle konnte trotz der Konzentration nicht erreicht werden und ist auch nicht vorstellbar.
  Eine weiteres Manko des repressiven Ansatzes ist, daá illegal beschäftigende Arbeitgeber aufgrund "undichter Stellen" bei Behörden im voraus von einer bevorstehenden Kontrolle erfahren und die betreffenden Arbeitnehmer aus dem Bereich abziehen. Auf diesen Aspekt geht die öffentliche Debatte bisher gar nicht ein, weil es bislang keine konkret nachgewiesenen Fälle von Korruption gibt. In informellen Gesprächen mit Beschäftigten im Baugewerbe wurde mir allerdings mehrfach die Beobachtung mitgeteilt, daá Unternehmer kurz vor einer Kontrolle illegal Beschäftigte von einer Baustelle abgezogen haben.
  "Vorschriftswidrig"
  und "illegal"
  Vorschriftswidrige Beschäftigung liegt dann vor, wenn alle erforderlichen Genehmigungen vorhanden sind, aber die damit verbundenen Auflagen - z.B. ortsübliche oder tarifliche Standards - nicht eingehalten werden. In solchen Fällen lassen sich nur selten Beweise für eine vorschriftswidrige Beschäftigung finden. "Soweit Unterlagen vorgefunden werden, sind diese meistens manipuliert", heißt es in einem Bericht der Bundesregierung von 1996. So machen z.B. Werkvertragsunternehmen falsche Angaben über Lohnhöhe und Arbeitszeiten, um eine vorschriftswidrige Beschäftigung vor den kontrollierenden Behörden zu verschleiern.
  Die Mitarbeiter der Arbeitsämter betonen immer wieder, daá es eigentlich darum geht, vorschriftswidrig oder illegal handelnde Arbeitgeber aufzudecken: "Hauptverantwortlich für die illegale Ausländerbeschäftigung ist der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer ohne erforderliche Arbeitserlaubnis beschäftigt."
  Im Unterschied zur vorschriftswidrigen Beschäftigung ist die illegale Beschäftigung leichter durch Kontrollen aufzudecken, denn es ist leicht feststellbar, ob erforderliche Genehmigungen (Arbeitserlaubnisse bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer) oder Dokumente (Sozialversicherungsausweis bzw. Anmeldung bei der Sozialversicherung und den Finanzbehörden) fehlen. Schnell habhaft wird man dabei der Beschäftigten, die bei einer Kontrolle angetroffen werden.
  Weitaus schwieriger ist es jedoch, die illegalen Arbeitgeber zweifelsfrei festzustellen. Es ist nicht immer möglich, Arbeitnehmer, die man auf Baustellen antrifft, einwandfrei einem Gewerk und damit einem auf der Baustelle tätigen Unternehmen zuzuordnen. Die Befragung der Arbeitnehmer bringt meist wenig, weil sie keine Angaben über Beschäftigung und Arbeitgeber machen.
  Durch die aktuelle Rechtslage besteht eine "ungleiche Interessensübereinstimmung", so daß Ausmaß und Hintergründe der illegalen Beschäftigung nicht bekannt werden: Sowohl Arbeitgeber als auch ausländische Arbeitnehmer sind wegen ihres illegalen Handelns mit nachteiligen Rechtsfolgen bedroht.
  Es trifft die Falschen
  Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, daß durch solche Kontrollen nur die vorschriftswidrig oder illegal beschäftigten Arbeitnehmer, nicht aber die "hauptverantwortlichen" Arbeitgeber belangt werden. Bisher hat es kaum Sanktionen gegen Arbeitgeber gegeben, bei denen der Rahmen der Strafandrohung ausgeschöpft worden wäre.
  Im Verhältnis dazu sind die Sanktionen für die aufgegriffenen Arbeitnehmer härter. Inländische Arbeitnehmer bekommen ein Buágeldverfahren. Ausländische Arbeitnehmer hingegen verlieren sofort ihre Arbeitserlaubnis; sie müssen ausreisen.
  Der repressive Ansatz vergröáert die Schutzlosigkeit der Arbeitnehmer und bildet Anreize zur betrügerischen und ausbeuterischen Beschäftigung. Sowohl bei der vorschriftswidrigen als auch bei der illegalen Beschäftigung kann der Arbeitgeber ausbeuterische Beschäftigungsbedingungen durchsetzen, weil er im Gegensatz zu den Beschäftigten in der Regel über die rechtlichen Bestimmungen informiert ist und seine Risiken besser abschätzen kann als die oft von ihm abhängigen und falsch informierten Arbeitnehmer.
  Darüber hinaus führt die vorübergehende Festnahme und anschlieáende Ausweisung der illegal beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer häufig genug dazu, daá illegale Arbeitgeber sogar die Auszahlung erworbener Lohnansprüche hinauszögern und verweigern.
  Der repressive Ansatz wirkt im Sinne einer "sich selbst erfüllenden Prophezeiung", weil mit mehr Kontrollen selbstverständlich auch mehr Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden, woraus wiederum die Notwendigkeit der Ausweitung von Kontrollen und Aufstockung des Kontrollpersonals abgeleitet wird - ohne daß die qualitativen Ergebnisse dieses Vorgehens berücksichtigt würden. Vom demokratischen Standpunkt bedenklich ist die ungleiche Behandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die schließlich in der Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte mündet.
  Zusammenfassend läát sich sagen: Der repressive Ansatz hat, gemessen an den selbstgesteckten Zielen, wenig Erfolge vorzuweisen. Die Arbeitgeber als die "Hauptverantwortlichen" werden nicht aufgedeckt. Schwarzarbeit wird nicht verhindert. Die Kontrollen wirken ausschlieálich gegen die abhängig Beschäftigten und sind kontraproduktiv, die Ansprüche der Beschäftigten spielen dabei keine Rolle.
  Der unterstützende Ansatz
  Aus der kritischen Darstellung des repressiven Ansatzes ergeben sich Argumente für die Notwendigkeit, neue Wege zur Durchsetzung tariflicher und sozialer Standards zu finden, um die sozialen und grundrechtlichen Ansprüche aller Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen.
  Der unterstützende Ansatz richtet sich an alle abhängig Beschäftigten, es werden keine Branchen bevorzugt oder ausgespart. Der Ansatz besagt: Wenn die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller abhängig beschäftigten Arbeitnehmer gestärkt werden, lassen sich tarifliche und soziale Standards durchsetzen.
  Korruption ist dann ausgeschlossen. Vorschriftswidrige Beschäftigungsbedingungen und/
  oder illegale Arbeitgeber werden beweissicher und gerichtsverwertbar aufgedeckt. Aufgrund der besseren Beweislage können gegen die verantwortlichen Arbeitgeber Sanktionen verhängt werden. Für die Arbeitgeber erhöht sich das Risiko vorschriftswidriger oder illegaler Beschäftigung, ihr Anreiz verringert sich.
  Rechtssicherheit bietet Arbeitnehmern einen besseren Schutz vor vorschriftswidriger bzw. ausbeuterischer oder betrügerischer Beschäftigung. Sie trägt somit dazu bei, die Unterbietungskonkurrenz und den weiteren Verfall der sozialen und tariflichen Standards zu stoppen. Indem die Konfliktfähigkeit der Arbeitnehmer erhöht wird, wächst für gewerbsmäáige illegale Arbeitgeber das Risiko der illegalen Beschäftigung. Unternehmer können dann aus der illegalen Beschäftigung auch keinen Profit mehr schlagen. Bürgerliche Freiheitsrechte werden beachtet, denn staatliche Ermittlungsbehörden können zielgerichtet auf konkrete Verdachtsmomente hin tätig werden.
  Selbst unter den gegebenen arbeits- und aufenthaltsrechtlich fatalen Bedingungen konnten vom Polnischen Sozialrat e.V in Berlin mit dem skizzierten unterstützenden Ansatz in Einzelfällen beachtliche Ergebnisse erzielt werden:
  Im Jahr 1996 wurden polnische Werkvertragsarbeitnehmer aus zehn Entsendeunternehmen betreut. In einigen Fällen führte die Zusammenarbeit mit den Werkvertragsarbeitnehmern zur Meldung vorschriftswidriger Beschäftigungsbedingungen bei den zuständigen deutschen Kontrollbehörden. In diesen Fällen, wo eine Kontrolle von den Beschäftigten gefordert wurde, erhielten die Mitarbeiter des Arbeitsamtes wahrheitsgemäáe Aussagen über die wirklichen Beschäftigungsbedingungen. In einigen Fällen entschlossen sich polnische Werkvertragsarbeitnehmer, vorenthaltene Löhne vor polnischen Arbeitsgerichten einzuklagen.
  Auch bei illegaler Beschäftigung hat die unterstützende Arbeit des Polnischen Sozialrat in einem Fall zu einem bemerkenswerten Ergebnis geführt: Im April 1997 wurde ein illegaler Arbeitgeber vom Amtsgericht Köln wegen ausbeuterischer illegaler Beschäftigung zu zehn Monaten Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt. Der Polnische Sozialrat hatte Arbeitnehmer unterstützt, die von einem deutschen Staatsangehörigen mit falschen Versprechungen angeworben und mit gefälschten Papieren ausgestattet worden waren. Die betroffenen Arbeitnehmer waren bei einer Baustellenüberprüfung festgenommen und anschlieáend ausgewiesen worden. Die Repression hatte in diesem Falle die Opfer zu Tätern gemacht!
  Ein betrogener Arbeitnehmer sammelte daraufhin belastendes Material gegen den Arbeitgeber und wandte sich schließlich schriftlich - er unterlag dem Einreiseverbot - an den Polnischen Sozialrat mit der Bitte um Unterstützung. Von dessen Anlaufstelle wurden die Beweismaterialien übersetzt und zusammen mit einer Anzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft geleitet.
  Der Ansatz läßt sich durch Verstärkung bestehender Möglichkeiten und Strukturen noch deutlich erhöhen: dazu gehört vor allem die personelle Aufstockung bestehender und die Einrichtung zusätzlicher Anlaufstellen zur Beratung und Unterstützung ausländischer Arbeitnehmer. Da die Betroffenen in der Muttersprache angesprochen werden müssen und die Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen, ist es zweckmäáig, die Anlaufstellen behördenfern und in Zusammenarbeit mit Eigenorganisationen der Zuwanderer einzurichten.
  Ein erster Schritt in diese Richtung könnte das seit dem 1.Juni 1991 in der Trägerschaft des Polnischen Sozialrats arbeitende ABM-Projekt ZAPO (Zentrale integrierte Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler aus Osteuropa) werden. Mit diesem Projekt wurden erstmals Stellen zur Information, Betreuung und Unterstützung osteuropäischer Wanderarbeiter/innen mit offizieller Förderung eingerichtet.
  Um den unmittelbaren Erfolg des unterstützenden Ansatzes flächendeckend zu gewährleisten, müssen aber auch unbedingt die Arbeitsgerichte personell besser ausgestattet werden, damit das Einklagen ausstehender Löhne oder tariflicher Ansprüche zeitnah zur Klage beschieden werden kann.
  Auch eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wäre hilfreich. An erster Stelle ist dabei der Verzicht auf die Statusfeststellung bei Anzeigen und Klagen vor Arbeitsgerichten zu nennen.
  Die Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller Arbeitnehmer bildet einen vielversprechenden Ansatz, um Sozial- und Lohndumping in Grenzen zu halten; damit werden soziale und tarifliche Standards stabilisiert. Dieser Ansatz entspricht im Kern der von den Gewerkschaften geleisteten Beratungspraxis und Unterstützungsarbeit, allerdings mit der konsequenten Ausweitung auf alle Gruppen abhängig Beschäftigter, unabhängig von ihrem arbeits- und aufenthaltsrechtlichen Status. Der unterstützende Ansatz befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Auffassung des Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte: "Auch illegal Beschäftigte verdienen Schutz gegen Ausbeutung."
  Norbert Cyrus
  E-Mail: , Fon (030) 6151717; Fax: (030) 6159219.
 


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