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Wir müssen feststellen, daß
ungeschützte, prekäre Beschäftigungsverhältnisse in
Deutschland und der Europäischen Union an Bedeutung zunehmen.
Verstöáe gegen gesetzliche Bestimmungen gehören zum Alltag in der
Arbeitswelt. Menschen werden unter Tarif entlohnt, die Arbeitsschutzbestimmungen
werden nicht eingehalten, Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen werden
nicht gezahlt, Menschen wird ihr Lohn vorenthalten, sie werden unter inhumanen
Bedingungen untergebracht. Besonders betroffen sind Migrantinnen und Migranten, die
mit den örtlichen Verhältnissen am Beschäftigungsort nicht vertraut
sind, die die Sprache im Land ihrer Arbeit nicht kennen. Sie sind Täter und
Opfer." Die Beschreibung des DGB-Vorsitzenden Dieter Schulte benennt
prägnant die aktuelle Situation auf den deutschen Arbeitsmärkten. Zur
Duchsetzung gesetzlicher Bestimmungen und tariflicher Standards greifen Tarifpartner
und staatliche Stellen zunehmend auf repressive Instrumente wie Kontrollen und
Razzien zurück. Ausgehend von der Kritik an diesem Ansatz entwickelt
NORBERT CYRUS vom Polnischen Sozialrat e.V. in Berlin ein alternatives Konzept,
mit dem gesetzlichen Schutzbestimmungen und tarifliche Standards durchgesetzt
werden könnten. Er nennt es den "unterstützenden Ansatz".
Damit schlägt er zugleich einen anderen Blick auf die vorschriftswidrige und
illegale Beschäftigung vor: In den Mittelpunkt rückt die Frage, wie die
bestehenden sozialen Standards für alle Arbeitnehmer/innen tatsächlich
verwirklicht werden können.
Die erste Kritik am repressiven Ansatz bezieht sich auf seine beschränkten
Reichweite. Obwohl er mit hohem finanziellen und personellen Aufwand verbunden ist,
kann er nicht alle, sondern nur die unmittelbar überprüften
Arbeitsverhältnisse behandeln. Im Frühjahr 1997 waren bei der
Bundesanstalt für Arbeit 2462 Stellen und bei den Hauptzollämtern 1074
Stellen bundesweit zuständig für die Bekämpfung illegaler
Beschäftigung und Leistungsmiábrauch.
Zusätzlich werden bei Bedarf Kräfte anderer Behörden,
insbesondere von Polizei und Ausländerämtern, herangezogen. Trotz des
erheblichen Personalaufwands können nur ein Bruchteil der
Arbeitsverhältnisse überprüft werden. Deshalb argumentieren die
Befürworter des repressiven Ansatzes auch, damit solle eine abschreckende,
präventive Wirkung erzielt werden.
Die für die Kontrollen zuständigen Behörden (wie die
Bundesanstalt für Arbeit) konzentrieren sich darüberhinaus vor allem auf
die Baubranche, wo sich nach allgemeiner Auffassung vorschriftswidrige und illegale
Beschäftigung besonders breit gemacht hat. In anderen Branchen werden nur
stichpunktartige Kontrollen durchgeführt.
Aber selbst mit dieser Konzentration bleibt der Anteil der überprüften
Arbeitsverhältnisse im Baugewerbe relativ gering. So konnten bspw. in Berlin,
wo es mindestens 80000 Baustellen geben soll, 1995 von der zuständigen
Gemeinsamen Ermittlungsgruppe Schwarzarbeit (GES) insgesamt 1034 Baustellen-
und Betriebsstätten überprüft werden. Das Landesarbeitsamt
Berlin-Brandenburg führte im selben Jahr weitere 6141 Auáenprüfungen
in Berlin durch. Die im August 1995 neu eingerichtete Prüfgruppe AD-Bau mit
150 Stellen nahm 216 Baustellenüberprüfungen vor. Eine
flächendeckende und lückenlose Kontrolle konnte trotz der Konzentration
nicht erreicht werden und ist auch nicht vorstellbar.
Eine weiteres Manko des repressiven Ansatzes ist, daá illegal beschäftigende
Arbeitgeber aufgrund "undichter Stellen" bei Behörden im voraus
von einer bevorstehenden Kontrolle erfahren und die betreffenden Arbeitnehmer aus
dem Bereich abziehen. Auf diesen Aspekt geht die öffentliche Debatte bisher gar
nicht ein, weil es bislang keine konkret nachgewiesenen Fälle von Korruption
gibt. In informellen Gesprächen mit Beschäftigten im Baugewerbe wurde
mir allerdings mehrfach die Beobachtung mitgeteilt, daá Unternehmer kurz vor einer
Kontrolle illegal Beschäftigte von einer Baustelle abgezogen haben.
"Vorschriftswidrig"
und "illegal"
Vorschriftswidrige Beschäftigung liegt dann vor, wenn alle erforderlichen
Genehmigungen vorhanden sind, aber die damit verbundenen Auflagen - z.B.
ortsübliche oder tarifliche Standards - nicht eingehalten werden. In solchen
Fällen lassen sich nur selten Beweise für eine vorschriftswidrige
Beschäftigung finden. "Soweit Unterlagen vorgefunden werden, sind diese
meistens manipuliert", heißt es in einem Bericht der Bundesregierung von 1996.
So machen z.B. Werkvertragsunternehmen falsche Angaben über
Lohnhöhe und Arbeitszeiten, um eine vorschriftswidrige Beschäftigung
vor den kontrollierenden Behörden zu verschleiern.
Die Mitarbeiter der Arbeitsämter betonen immer wieder, daá es eigentlich darum
geht, vorschriftswidrig oder illegal handelnde Arbeitgeber aufzudecken:
"Hauptverantwortlich für die illegale Ausländerbeschäftigung
ist der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer ohne erforderliche Arbeitserlaubnis
beschäftigt."
Im Unterschied zur vorschriftswidrigen Beschäftigung ist die illegale
Beschäftigung leichter durch Kontrollen aufzudecken, denn es ist leicht
feststellbar, ob erforderliche Genehmigungen (Arbeitserlaubnisse bei der
Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer) oder Dokumente
(Sozialversicherungsausweis bzw. Anmeldung bei der Sozialversicherung und den
Finanzbehörden) fehlen. Schnell habhaft wird man dabei der
Beschäftigten, die bei einer Kontrolle angetroffen werden.
Weitaus schwieriger ist es jedoch, die illegalen Arbeitgeber zweifelsfrei festzustellen.
Es ist nicht immer möglich, Arbeitnehmer, die man auf Baustellen antrifft,
einwandfrei einem Gewerk und damit einem auf der Baustelle tätigen
Unternehmen zuzuordnen. Die Befragung der Arbeitnehmer bringt meist wenig, weil
sie keine Angaben über Beschäftigung und Arbeitgeber
machen.
Durch die aktuelle Rechtslage besteht eine "ungleiche
Interessensübereinstimmung", so daß Ausmaß und Hintergründe der
illegalen Beschäftigung nicht bekannt werden: Sowohl Arbeitgeber als auch
ausländische Arbeitnehmer sind wegen ihres illegalen Handelns mit nachteiligen
Rechtsfolgen bedroht.
Es trifft die Falschen
Ein weiterer Kritikpunkt besteht darin, daß durch solche Kontrollen nur die
vorschriftswidrig oder illegal beschäftigten Arbeitnehmer, nicht aber die
"hauptverantwortlichen" Arbeitgeber belangt werden. Bisher hat es kaum
Sanktionen gegen Arbeitgeber gegeben, bei denen der Rahmen der Strafandrohung
ausgeschöpft worden wäre.
Im Verhältnis dazu sind die Sanktionen für die aufgegriffenen
Arbeitnehmer härter. Inländische Arbeitnehmer bekommen ein
Buágeldverfahren. Ausländische Arbeitnehmer hingegen verlieren sofort ihre
Arbeitserlaubnis; sie müssen ausreisen.
Der repressive Ansatz vergröáert die Schutzlosigkeit der Arbeitnehmer und
bildet Anreize zur betrügerischen und ausbeuterischen Beschäftigung.
Sowohl bei der vorschriftswidrigen als auch bei der illegalen Beschäftigung kann
der Arbeitgeber ausbeuterische Beschäftigungsbedingungen durchsetzen, weil er
im Gegensatz zu den Beschäftigten in der Regel über die rechtlichen
Bestimmungen informiert ist und seine Risiken besser abschätzen kann als die
oft von ihm abhängigen und falsch informierten Arbeitnehmer.
Darüber hinaus führt die vorübergehende Festnahme und
anschlieáende Ausweisung der illegal beschäftigten ausländischen
Arbeitnehmer häufig genug dazu, daá illegale Arbeitgeber sogar die Auszahlung
erworbener Lohnansprüche hinauszögern und verweigern.
Der repressive Ansatz wirkt im Sinne einer "sich selbst erfüllenden
Prophezeiung", weil mit mehr Kontrollen selbstverständlich auch mehr
Unregelmäßigkeiten aufgedeckt werden, woraus wiederum die Notwendigkeit
der Ausweitung von Kontrollen und Aufstockung des Kontrollpersonals abgeleitet wird
- ohne daß die qualitativen Ergebnisse dieses Vorgehens berücksichtigt
würden. Vom demokratischen Standpunkt bedenklich ist die ungleiche
Behandlung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, die schließlich in der
Einschränkung bürgerlicher Freiheitsrechte mündet.
Zusammenfassend läát sich sagen: Der repressive Ansatz hat, gemessen an den
selbstgesteckten Zielen, wenig Erfolge vorzuweisen. Die Arbeitgeber als die
"Hauptverantwortlichen" werden nicht aufgedeckt. Schwarzarbeit wird
nicht verhindert. Die Kontrollen wirken ausschlieálich gegen die abhängig
Beschäftigten und sind kontraproduktiv, die Ansprüche der
Beschäftigten spielen dabei keine Rolle.
Der unterstützende Ansatz
Aus der kritischen Darstellung des repressiven Ansatzes ergeben sich Argumente
für die Notwendigkeit, neue Wege zur Durchsetzung tariflicher und sozialer
Standards zu finden, um die sozialen und grundrechtlichen Ansprüche aller
Beschäftigten angemessen zu berücksichtigen.
Der unterstützende Ansatz richtet sich an alle abhängig
Beschäftigten, es werden keine Branchen bevorzugt oder ausgespart. Der Ansatz
besagt: Wenn die Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller abhängig
beschäftigten Arbeitnehmer gestärkt werden, lassen sich tarifliche und
soziale Standards durchsetzen.
Korruption ist dann ausgeschlossen. Vorschriftswidrige
Beschäftigungsbedingungen und/
oder illegale Arbeitgeber werden beweissicher und gerichtsverwertbar aufgedeckt.
Aufgrund der besseren Beweislage können gegen die verantwortlichen
Arbeitgeber Sanktionen verhängt werden. Für die Arbeitgeber
erhöht sich das Risiko vorschriftswidriger oder illegaler Beschäftigung, ihr
Anreiz verringert sich.
Rechtssicherheit bietet Arbeitnehmern einen besseren Schutz vor vorschriftswidriger
bzw. ausbeuterischer oder betrügerischer Beschäftigung. Sie trägt
somit dazu bei, die Unterbietungskonkurrenz und den weiteren Verfall der sozialen und
tariflichen Standards zu stoppen. Indem die Konfliktfähigkeit der Arbeitnehmer
erhöht wird, wächst für gewerbsmäáige illegale Arbeitgeber
das Risiko der illegalen Beschäftigung. Unternehmer können dann aus der
illegalen Beschäftigung auch keinen Profit mehr schlagen. Bürgerliche
Freiheitsrechte werden beachtet, denn staatliche Ermittlungsbehörden
können zielgerichtet auf konkrete Verdachtsmomente hin tätig
werden.
Selbst unter den gegebenen arbeits- und aufenthaltsrechtlich fatalen Bedingungen
konnten vom Polnischen Sozialrat e.V in Berlin mit dem skizzierten
unterstützenden Ansatz in Einzelfällen beachtliche Ergebnisse erzielt
werden:
Im Jahr 1996 wurden polnische Werkvertragsarbeitnehmer aus zehn
Entsendeunternehmen betreut. In einigen Fällen führte die
Zusammenarbeit mit den Werkvertragsarbeitnehmern zur Meldung vorschriftswidriger
Beschäftigungsbedingungen bei den zuständigen deutschen
Kontrollbehörden. In diesen Fällen, wo eine Kontrolle von den
Beschäftigten gefordert wurde, erhielten die Mitarbeiter des Arbeitsamtes
wahrheitsgemäáe Aussagen über die wirklichen
Beschäftigungsbedingungen. In einigen Fällen entschlossen sich polnische
Werkvertragsarbeitnehmer, vorenthaltene Löhne vor polnischen Arbeitsgerichten
einzuklagen.
Auch bei illegaler Beschäftigung hat die unterstützende Arbeit des
Polnischen Sozialrat in einem Fall zu einem bemerkenswerten Ergebnis geführt:
Im April 1997 wurde ein illegaler Arbeitgeber vom Amtsgericht Köln wegen
ausbeuterischer illegaler Beschäftigung zu zehn Monaten Haftstrafe ohne
Bewährung verurteilt. Der Polnische Sozialrat hatte Arbeitnehmer
unterstützt, die von einem deutschen Staatsangehörigen mit falschen
Versprechungen angeworben und mit gefälschten Papieren ausgestattet worden
waren. Die betroffenen Arbeitnehmer waren bei einer
Baustellenüberprüfung festgenommen und anschlieáend ausgewiesen
worden. Die Repression hatte in diesem Falle die Opfer zu Tätern
gemacht!
Ein betrogener Arbeitnehmer sammelte daraufhin belastendes Material gegen den
Arbeitgeber und wandte sich schließlich schriftlich - er unterlag dem Einreiseverbot -
an den Polnischen Sozialrat mit der Bitte um Unterstützung. Von dessen
Anlaufstelle wurden die Beweismaterialien übersetzt und zusammen mit einer
Anzeige an die zuständige Staatsanwaltschaft geleitet.
Der Ansatz läßt sich durch Verstärkung bestehender Möglichkeiten
und Strukturen noch deutlich erhöhen: dazu gehört vor allem die
personelle Aufstockung bestehender und die Einrichtung zusätzlicher
Anlaufstellen zur Beratung und Unterstützung ausländischer
Arbeitnehmer. Da die Betroffenen in der Muttersprache angesprochen werden
müssen und die Mitarbeiter der Schweigepflicht unterliegen, ist es
zweckmäáig, die Anlaufstellen behördenfern und in Zusammenarbeit mit
Eigenorganisationen der Zuwanderer einzurichten.
Ein erster Schritt in diese Richtung könnte das seit dem 1.Juni 1991 in der
Trägerschaft des Polnischen Sozialrats arbeitende ABM-Projekt ZAPO (Zentrale
integrierte Anlaufstelle für Pendlerinnen und Pendler aus Osteuropa) werden.
Mit diesem Projekt wurden erstmals Stellen zur Information, Betreuung und
Unterstützung osteuropäischer Wanderarbeiter/innen mit offizieller
Förderung eingerichtet.
Um den unmittelbaren Erfolg des unterstützenden Ansatzes
flächendeckend zu gewährleisten, müssen aber auch unbedingt die
Arbeitsgerichte personell besser ausgestattet werden, damit das Einklagen ausstehender
Löhne oder tariflicher Ansprüche zeitnah zur Klage beschieden werden
kann.
Auch eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen wäre hilfreich.
An erster Stelle ist dabei der Verzicht auf die Statusfeststellung bei Anzeigen und
Klagen vor Arbeitsgerichten zu nennen.
Die Stärkung der Rechtssicherheit und Konfliktfähigkeit aller
Arbeitnehmer bildet einen vielversprechenden Ansatz, um Sozial- und Lohndumping in
Grenzen zu halten; damit werden soziale und tarifliche Standards stabilisiert. Dieser
Ansatz entspricht im Kern der von den Gewerkschaften geleisteten Beratungspraxis und
Unterstützungsarbeit, allerdings mit der konsequenten Ausweitung auf alle
Gruppen abhängig Beschäftigter, unabhängig von ihrem arbeits-
und aufenthaltsrechtlichen Status. Der unterstützende Ansatz befindet sich in
unmittelbarer Nähe zur Auffassung des Vorsitzenden des Deutschen
Gewerkschaftsbundes, Dieter Schulte: "Auch illegal Beschäftigte
verdienen Schutz gegen Ausbeutung."
Norbert Cyrus
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