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Sie schienen zufrieden mit dem, was sie erreicht haben.
Jedenfalls muckte in den letzten Jahren kaum eine Frau aus der bundesdeutschen
Politik mehr auf, wenn es um Postenverteilung ging. Bis nach den Wahlen am
27.September. Da sind sie gerade noch rechtzeitig aufgewacht, um nicht ganz leer
auszugehen.
Während in Deutschland weithin keine Frauenbewegung massiv die weibliche
Besetzung (offizieller) Politik fordert, setzen die Feministinnen in El Salvador sich
genau dies zum Ziel. MERCEDES UMAA von den Mujeres por la dignidad y la vida
(Frauen für die Würde und das Leben), kurz "Dignas"
genannt, erklärt warum.
Ein wesentliches Ziel der Frauenbewegung in El Salvador Anfang der 90er Jahre war,
sich von den machistischen Strukturen der Parteien und der Guerilla zu lösen
und eigene Anliegen zu formulieren. In diesem Frühjahr habt ihr euch
entschlossen, die Kandidatur einer Frau, der ehemaligen Menschenrechts-Ombudsfrau
Victoria (Vicky) Marina de Avils, für die Präsidentschaftswahlen im
nächsten Jahr zu unterstützen, und zwar auf der Liste der FMLN. Begebt
ihr euch damit nicht wieder in die Strukturen, die ihr bislang als männlich
dominiert abgelehnt habt?
Mercedes Umaa: Für mich macht es durchaus einen Sinn, Vicky zu
unterstützen. Das war keine Reaktion auf eine Vorgabe, sondern wir haben die
Initiative ergriffen. Unser Vorschlag hat natürlich auch direkt etwas mit Vickys
bisheriger Arbeit und ihrem Einsatz für Frauenrechte zu tun. Als
Menschenrechtsbeauftragte hat sie sich immer geweigert, die gleichen Prioritäten
zu setzen wie die Männer.
Kannst du ein Beispiel nennen?
Sie hat während ihrer Amtszeit zum Beispiel die Forderung von
Frauenorganisationen nach einer Unterhaltspflicht für Väter aufgegriffen
und das Gesetz gegen die "unverantwortliche Vaterschaft" mit
durchgesetzt. Oder eine andere Initiative, sogar eine sehr radikale: Sie hat sich mit den
Prostituierten der Organisation Flor de Piedra getroffen und sich dabei unumwunden
für die Grundsätze der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung
ausgesprochen.
Um das Bild zu vervollständigen, sollte ich unbedingt noch erwähnen, da
Vicky de Avils während ihrer gesamten Amtszeit immer wieder Drohungen von
der Rechten erhielt, weil sie sich uneingeschränkt für die Menschenrechte
eingesetzt hat. Bevor sie diese Funktion übernahm, spielte diese staatliche Stelle
(eine Errungenschaft der Friedensverträge von 1992) eine ziemlich armselige
Rolle. Schon damals, 1995, unterstützte die Frauenbewegung ihre
Kandidatur.
Vicky veränderte dann das Profil dieses Amtes vollkommen. Sie nahm kein Blatt
vor den Mund, wenn es darum ging, Menschenrechtsverletzungen der Zivilen
Nationalpolizei anzuprangern. Sie hat sich dabei auch nicht durch den Druck
einflureicher Kreise einschüchtern lassen. Mit anderen Worten, Vicky hat eine
ganz eindeutige Position und ergreift auerdem klar Partei für die Rechte der
Frauen.
Gehörte sie damals einer Partei an?
Nein, bis vor kurzem gehörte sie keiner Partei an. Sie ist erst jetzt in die FMLN
eingetreten, um sich parteiintern für die Präsidentschaftskandidatur
bewerben zu können.
Viele Parteien sehen die sozialen Bewegungen allein als Transmissionsriemen
für ihre eigenen Zwecke an. Glaubst du nicht, da die salvadorianischen
Feministinnen mit ihrer Kampagne Gefahr laufen, gleichfalls mibraucht zu
werden?
Ich fände es sehr richtig, wenn man sich für unabhängige
Kandidaturen einsetzen könnte. Aber nach der derzeitigen Verfassung
können nur anerkannte politische Parteien KandidatInnen aufstellen. Es bleibt
uns also gar nichts anderes übrig, als diesen Raum zu nutzen, sofern er sich uns
bietet. Aus diesem Blickwinkel heraus glaube ich nicht, da wir unsere Autonomie
aufgeben.
Im Gegenteil, mit der Kampagne für Vicky Avils setzten wir uns nicht nur
für sie als Person ein, sondern auch für eine Plattform mit Forderungen,
die die mögliche Präsidentin dann in ihrer Regierung umsetzen sollte.
Natürlich wäre es auch dann wichtig geblieben, weiterhin Druck von
auen ausüben zu können und auszuüben. Mit Vicky als
Präsidentin wäre das für uns sicherlich einfacher. Aber es bleibt
klar, da wir von auen und von unten agieren.
In Deutschlad gibt es die Erfahrung, da viele Frauen auf dem Weg zur Karriere ihren
Feminismus verloren haben. Sie haben sich einerseits vom System absorbieren lassen.
Andererseits ist auch eine Frauenbewegung, die solche Frauen unterstützt,
korrigiert und ihnen Ideen gibt, verschwunden. Glaubst du, da die Frauenbewegung in
El Salvador stark genug wäre, da ähnliches nicht passiert?
Tja, was heit das, stark genug? Auch unter uns kursiert die These, da wir als
Bewegung den weiblichen Abgeordneten und den Frauen in den Stadträten nicht
genug helfen. Wir von den "Dignas" versuchen mit einem eigenen
Arbeitsbereich, ständig in Kontakt mit den Stadträtinnen zu bleiben und
sie zu unterstützen.
Aber zweifellos ist für so etwas eine autonome Frauenbewegung notwendig, kein
technisches Team. Zur Zeit, denke ich, ist die Frauenbewegung diesbezüglich
viel einiger, als das vor den letzten Präsidentschafstwahlen 1994 der Fall war.
Damals hatten wir gerade die Friedensabkommen hinter uns. Viele Frauen waren noch
mit der Integration ins Zivilleben beschäftigt. Heute machen wir viel gemeinsam
und wir sind uns der Notwendigkeit bewut, immer wieder von auen mit
Vorschlägen in die Politik einzugreifen.
Nach einer Serie unsäglicher Mauscheleien hat sich die FMLN Ende September
gegen Vicky de Avils entschieden. Welchen Schlu zieht ihr aus dem
Gerangel?
Wir haben gemeinsam mit Vicky Bilanz gezogen und sind zu dem Schlu gekommen,
da sich der Einsatz gelohnt hat. Die Kandidatur hat das Thema
"Frauenpräsenz bei der Verteilung der obersten Staatsämter"
auf die politische Tagesordnung gesetzt. Daran kommt jetzt niemand mehr vorbei.
Innerhalb der Frauenbewegung wird jetzt eine ganze Palette von Fragen neu diskutiert,
angefangen von dem Verhältnis zwischen Parteien, Frauen- und anderen
Bewegungen bis hin zu den (Macht-)Verhältnissen innerhalb der
Parteien.
Vor zwei Jahren fand das sehr kontroverse Feministinnentreffen Lateinamerikas und
der Karibik in Chile statt, wo einiges an vormaliger Harmonie in die Brüche
ging. Welche Konsequenzen hast du persönlich daraus gezogen?
Bei dem Treffen haben sich drei Fraktionen herausgebildet, die
"Autonomen", die "Institutionalisierten" und eine dritte
Gruppe, die sich "Weder die einen noch die anderen" nannte.
Ich bin zu den Workshops dieser letzten Gruppe gegangen, denn ich glaube, wir
müssen die Unterschiede zwischen uns aushalten. Ich finde es einen richtigen
Ansatz, sich nicht abhängig zu machen von den Geldgebern, wie es die autonome
feministische Bewegung fordert, denn allzu leicht kommt es dabei zur
Cousinenwirtschaft. Hochrangiges Lobbying mit Aircondition und Teppichen kann
dich tatsächlich leicht von der Lebenswirklichkeit der Frauen, für die du
eigentlich kämpfen willst, entfernen.
Trotzdem ist Lobbying notwendig. Vom Ghetto aus kannst du die Welt nicht
verändern und der Neoliberalismus fördert ja gerade die Ghettobildung
und die Vereinzelung. Deswegen halte ich die Forderung nach Autonomie für
richtig und bin gleichzeitig dagegen, alle anderen Ansätze abzulehnen. Wir sind
nicht nur Frauen, sondern auch Angehörige einer Klasse und einer Ethnie, da
gibt es keinen allein selig machenden Kampf.
Damit sind wir wieder am Anfang: Solange wir in El Salvador keine
unabhängige Kandidatin vorschlagen können, müssen wir uns auf
die existierenden Strukturen einlassen und versuchen, diese zu verändern. Ich
selbst bin Mitglied der FMLN - wo wir übrigens eine Frauenquote für
Parteiämter von 33 Prozent haben -, aber die Kampagne für Vicky wurde
genauso von zahlreichen Frauen ohne Parteibuch getragen.
Das Interview führte Gaby Küppers. Wir entnehmen es gekürzt der
ila (Nr.220, November 1998).