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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 11

Kein allein seligmachender Kampf

Interview mit Mercedes Umaa

Sie schienen zufrieden mit dem, was sie erreicht haben. Jedenfalls muckte in den letzten Jahren kaum eine Frau aus der bundesdeutschen Politik mehr auf, wenn es um Postenverteilung ging. Bis nach den Wahlen am 27.September. Da sind sie gerade noch rechtzeitig aufgewacht, um nicht ganz leer auszugehen.
  Während in Deutschland weithin keine Frauenbewegung massiv die weibliche Besetzung (offizieller) Politik fordert, setzen die Feministinnen in El Salvador sich genau dies zum Ziel. MERCEDES UMAA von den Mujeres por la dignidad y la vida (Frauen für die Würde und das Leben), kurz "Dignas" genannt, erklärt warum.
  Ein wesentliches Ziel der Frauenbewegung in El Salvador Anfang der 90er Jahre war, sich von den machistischen Strukturen der Parteien und der Guerilla zu lösen und eigene Anliegen zu formulieren. In diesem Frühjahr habt ihr euch entschlossen, die Kandidatur einer Frau, der ehemaligen Menschenrechts-Ombudsfrau Victoria (Vicky) Marina de Avils, für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr zu unterstützen, und zwar auf der Liste der FMLN. Begebt ihr euch damit nicht wieder in die Strukturen, die ihr bislang als männlich dominiert abgelehnt habt?
  Mercedes Umaa: Für mich macht es durchaus einen Sinn, Vicky zu unterstützen. Das war keine Reaktion auf eine Vorgabe, sondern wir haben die Initiative ergriffen. Unser Vorschlag hat natürlich auch direkt etwas mit Vickys bisheriger Arbeit und ihrem Einsatz für Frauenrechte zu tun. Als Menschenrechtsbeauftragte hat sie sich immer geweigert, die gleichen Prioritäten zu setzen wie die Männer.
  Kannst du ein Beispiel nennen?
  Sie hat während ihrer Amtszeit zum Beispiel die Forderung von Frauenorganisationen nach einer Unterhaltspflicht für Väter aufgegriffen und das Gesetz gegen die "unverantwortliche Vaterschaft" mit durchgesetzt. Oder eine andere Initiative, sogar eine sehr radikale: Sie hat sich mit den Prostituierten der Organisation Flor de Piedra getroffen und sich dabei unumwunden für die Grundsätze der Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung ausgesprochen.
  Um das Bild zu vervollständigen, sollte ich unbedingt noch erwähnen, da Vicky de Avils während ihrer gesamten Amtszeit immer wieder Drohungen von der Rechten erhielt, weil sie sich uneingeschränkt für die Menschenrechte eingesetzt hat. Bevor sie diese Funktion übernahm, spielte diese staatliche Stelle (eine Errungenschaft der Friedensverträge von 1992) eine ziemlich armselige Rolle. Schon damals, 1995, unterstützte die Frauenbewegung ihre Kandidatur.
  Vicky veränderte dann das Profil dieses Amtes vollkommen. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, Menschenrechtsverletzungen der Zivilen Nationalpolizei anzuprangern. Sie hat sich dabei auch nicht durch den Druck einflureicher Kreise einschüchtern lassen. Mit anderen Worten, Vicky hat eine ganz eindeutige Position und ergreift auerdem klar Partei für die Rechte der Frauen.
 
  Gehörte sie damals einer Partei an?
 
  Nein, bis vor kurzem gehörte sie keiner Partei an. Sie ist erst jetzt in die FMLN eingetreten, um sich parteiintern für die Präsidentschaftskandidatur bewerben zu können.
  Viele Parteien sehen die sozialen Bewegungen allein als Transmissionsriemen für ihre eigenen Zwecke an. Glaubst du nicht, da die salvadorianischen Feministinnen mit ihrer Kampagne Gefahr laufen, gleichfalls mibraucht zu werden?
  Ich fände es sehr richtig, wenn man sich für unabhängige Kandidaturen einsetzen könnte. Aber nach der derzeitigen Verfassung können nur anerkannte politische Parteien KandidatInnen aufstellen. Es bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als diesen Raum zu nutzen, sofern er sich uns bietet. Aus diesem Blickwinkel heraus glaube ich nicht, da wir unsere Autonomie aufgeben.
  Im Gegenteil, mit der Kampagne für Vicky Avils setzten wir uns nicht nur für sie als Person ein, sondern auch für eine Plattform mit Forderungen, die die mögliche Präsidentin dann in ihrer Regierung umsetzen sollte. Natürlich wäre es auch dann wichtig geblieben, weiterhin Druck von auen ausüben zu können und auszuüben. Mit Vicky als Präsidentin wäre das für uns sicherlich einfacher. Aber es bleibt klar, da wir von auen und von unten agieren.
  In Deutschlad gibt es die Erfahrung, da viele Frauen auf dem Weg zur Karriere ihren Feminismus verloren haben. Sie haben sich einerseits vom System absorbieren lassen. Andererseits ist auch eine Frauenbewegung, die solche Frauen unterstützt, korrigiert und ihnen Ideen gibt, verschwunden. Glaubst du, da die Frauenbewegung in El Salvador stark genug wäre, da ähnliches nicht passiert?
  Tja, was heit das, stark genug? Auch unter uns kursiert die These, da wir als Bewegung den weiblichen Abgeordneten und den Frauen in den Stadträten nicht genug helfen. Wir von den "Dignas" versuchen mit einem eigenen Arbeitsbereich, ständig in Kontakt mit den Stadträtinnen zu bleiben und sie zu unterstützen.
  Aber zweifellos ist für so etwas eine autonome Frauenbewegung notwendig, kein technisches Team. Zur Zeit, denke ich, ist die Frauenbewegung diesbezüglich viel einiger, als das vor den letzten Präsidentschafstwahlen 1994 der Fall war. Damals hatten wir gerade die Friedensabkommen hinter uns. Viele Frauen waren noch mit der Integration ins Zivilleben beschäftigt. Heute machen wir viel gemeinsam und wir sind uns der Notwendigkeit bewut, immer wieder von auen mit Vorschlägen in die Politik einzugreifen.
  Nach einer Serie unsäglicher Mauscheleien hat sich die FMLN Ende September gegen Vicky de Avils entschieden. Welchen Schlu zieht ihr aus dem Gerangel?
  Wir haben gemeinsam mit Vicky Bilanz gezogen und sind zu dem Schlu gekommen, da sich der Einsatz gelohnt hat. Die Kandidatur hat das Thema "Frauenpräsenz bei der Verteilung der obersten Staatsämter" auf die politische Tagesordnung gesetzt. Daran kommt jetzt niemand mehr vorbei. Innerhalb der Frauenbewegung wird jetzt eine ganze Palette von Fragen neu diskutiert, angefangen von dem Verhältnis zwischen Parteien, Frauen- und anderen Bewegungen bis hin zu den (Macht-)Verhältnissen innerhalb der Parteien.
 
  Vor zwei Jahren fand das sehr kontroverse Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik in Chile statt, wo einiges an vormaliger Harmonie in die Brüche ging. Welche Konsequenzen hast du persönlich daraus gezogen?
  Bei dem Treffen haben sich drei Fraktionen herausgebildet, die "Autonomen", die "Institutionalisierten" und eine dritte Gruppe, die sich "Weder die einen noch die anderen" nannte.
  Ich bin zu den Workshops dieser letzten Gruppe gegangen, denn ich glaube, wir müssen die Unterschiede zwischen uns aushalten. Ich finde es einen richtigen Ansatz, sich nicht abhängig zu machen von den Geldgebern, wie es die autonome feministische Bewegung fordert, denn allzu leicht kommt es dabei zur Cousinenwirtschaft. Hochrangiges Lobbying mit Aircondition und Teppichen kann dich tatsächlich leicht von der Lebenswirklichkeit der Frauen, für die du eigentlich kämpfen willst, entfernen.
  Trotzdem ist Lobbying notwendig. Vom Ghetto aus kannst du die Welt nicht verändern und der Neoliberalismus fördert ja gerade die Ghettobildung und die Vereinzelung. Deswegen halte ich die Forderung nach Autonomie für richtig und bin gleichzeitig dagegen, alle anderen Ansätze abzulehnen. Wir sind nicht nur Frauen, sondern auch Angehörige einer Klasse und einer Ethnie, da gibt es keinen allein selig machenden Kampf.
  Damit sind wir wieder am Anfang: Solange wir in El Salvador keine unabhängige Kandidatin vorschlagen können, müssen wir uns auf die existierenden Strukturen einlassen und versuchen, diese zu verändern. Ich selbst bin Mitglied der FMLN - wo wir übrigens eine Frauenquote für Parteiämter von 33 Prozent haben -, aber die Kampagne für Vicky wurde genauso von zahlreichen Frauen ohne Parteibuch getragen.
  Das Interview führte Gaby Küppers. Wir entnehmen es gekürzt der ila (Nr.220, November 1998).
 


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