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Autonome Feministinnen in Lateinamerika und der
Karibik riefen in diesem Jahr erstmals zu einem kontinentalen Treffen auf, das in
diesen Tagen stattfindet.
Der Entschluá zu diesem Aufruf fiel während des VII.Feministischen Treffens
Lateinamerikas und der Karibik in Chile. Lanciert wurde er im Februar dieses Jahres
von der für die Organisation verantwortlichen bolivianischen Gruppe Mujeres
Creando, die bei dieser Gelegenheit gleich drei Ausschluákriterien nannte: Nicht dabei
sein bei diesem Treffen dürfen Frauen, die Mitglied einer Partei sind, weibliche
Militärs, Frauen, die eine Funktion innerhalb des Staatsapparats haben und die
an Prozessen teilnehmen, welche patriarchale Politik legitimieren.
Ebensowenig Frauen aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die an den
Vorbereitungen für die UN-Frauenkonferenz in Peking teilgenommen haben und
im Post-Peking-Prozeá aktiv sind. Und schlieálich auch nicht Frauen, die in
internationalen regierungsabhängigen Hilfwerken arbeiten, in transnationalen
Unternehmen sowie Kirchen.
Das VII.Feministinnentreffen wurde auch das Encuentro de los Desencuentros, das
"Treffen der gescheiterten Treffen" zwischen den Autonomen und den
Institutionellen genannt. Bei dem Treffen in El Salvador, dem sechsten in der
Geschichte der kontinentalen feministischen Treffen, waren bereits die Differenzen
zwischen den selbsternannten "Institutionellen" und den
"Autonomen" aufgebrochen. An den Stränden von Cartagena in
Chile dann explodierten diese Differenzen vollends wie die Wellen des Pazifik, die
hoch aufschäumend an die Felsen schlugen. Und so bekamen alle
Teilnehmerinnen des Treffens der gescheiterten Treffen ihre Spritzer ab.
Warum aber ist der Begriff der Differenz, die doch eine der grundlegenden
Eigenschaften des lateinamerikanischen und karibischen Feminismus war, nicht mehr
in der Lage, unter seinem Hut unterschiedliche Kräfte zu einer Einheit
zusammenzubringen?
Der autonome Feminismus, so Ximena Bedregal in ihrem Artikel "Auf neue
Weise denken", geht aus von einer Kritik und einem neuen analytischen Ansatz
angesichts der Bürokratisierung und Institutionalisierung der feminstischen
Bewegung: "In vielen Ländern existiert gar keine soziale Bewegung mehr.
Was es noch gibt, ist lediglich eine Ansammlung von Frauen-NGOs ... Aber das
institutionelle Geschäft und seine jeweiligen Zielsetzungen sind nicht zu
verwechseln mit dem Werden und der Entwicklung unserer politischen Bewegung
insgesamt, weil beide unterschiedliche Logiken, Zeiten, Rhythmen und Dynamiken
haben und weil Ziele und Interessen an Lebensrealitäten und
Zukunftsperpektiven nicht übereinstimmen."
Im Hinblick auf die Kooptierung feministischer Politik durch deren Finanzierung weist
dieselbe Autorin auf folgendes hin: "Die Verwechslung der feministischen
Bewegung mit der Gesamtheit arbeitsbeschaffender Fraueninstitutionen (z.B.NGOs)
führt nicht nur dazu, daá die politischen Interessen der Bewegung unter die
Interessen der Institutionen und die Arbeitsbedürfnisse und beruflichen
Wünsche ihrer Beschäftigten bzw. Mitglieder subsumiert werden, sondern
sie führt auch dazu, daá die Führung der Bewegung nunmehr in solchen
Institutionen zentralisiert ist, die die Entwicklungshilfe als die 'effizientesten' ansieht
und die daher ihre wirtschaftliche Unterstützung 'verdienen'. Daraus folgt: Alles
wird anders, wegen dieser neuen Notwendigkeit, eine gute Fassade aufzubauen, eine,
die dem patriarchalen System gefällt. Denn dann darf frau auch verhandeln, auch
Lobby treiben."
Die autonomen Feministinnen nehmen auch Stellung zu einer tendenziösen
Auslegung dessen, was sie "Gendertechnokratie" nennen. Genau deswegen
nämlich, so Bedregal, "beginnt ein bedeutender Teil der Feministinnen zu
glauben, die Unterordnung der Frauen sei nichts als eine Art Störfall des Systems
und nicht die Basis und Nährboden für diesen ganzen Mist ... Sie glauben,
Ziel des Feminismus sei, die Mängel der symbolischen und materiellen Ordnung
des Patriarchats zu beheben, und nicht, die Natur der Beziehungen zwischen den
Geschlechtern radikal zu ändern. Sie halten es für unvermeidlich, daá wir
Frauen lernen, Öffentlichkeit innerhalb der Strukturen und der Logik des
bestehenden Systems aufzubauen ... Von daher richten sich auch alle ihre Spielchen auf
den Staat und seine Institutionen in dem Glauben, hier seien die privilegierten
Räume für die Bildung von Identität und Einheit des
Geschlechts."
Ein Jahr vor dem letzten Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik in
diesem Jahrtausend, von dem frau durchaus einen neuen Ansatz und neue Perspektiven
für den Feminismus des Jahres 2000 erwarten dürfte, sind viele
feministische Knoten noch fest gebunden, haben die Feministinnen mit und ohne
Mitgliedsausweis noch viele offene Fragen, die Eingeschlossenen wie die
Ausgeschlossenen, diejenigen, die in NGOs arbeiten, und solche, die das nicht tun, die
Politikerinnen und die Nichtpolitikerinnen ... Sollte die Utopie des
lateinamerikanischen Feminismus einer "Einheit in der Vielfalt" nur ein
Traum gewesen sein?
Wo ist die Kraft jener verrückten Feministinnen geblieben, die vorgeprescht sind
und in 20 Jahren das erreicht haben, was andere Bewegungen nicht einmal in 200
Jahren geschafft haben? Wird es auch ein Erstes Treffen des Institutionalisierten
Feminismus geben? Und schlieálich: Welche werden sich beim VIII.Teffen in der
Dominikanischen Republik tatsächlich treffen?
Lawray
Den Artikel haben wir der ila (Nr.220, November 1998) entnommen und leicht
gekürzt.