Artikel SoZ


SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 11

Autonomie neu denken

Autonomes Feministinnentreffen Lateinamerikas

Autonome Feministinnen in Lateinamerika und der Karibik riefen in diesem Jahr erstmals zu einem kontinentalen Treffen auf, das in diesen Tagen stattfindet.
  Der Entschluá zu diesem Aufruf fiel während des VII.Feministischen Treffens Lateinamerikas und der Karibik in Chile. Lanciert wurde er im Februar dieses Jahres von der für die Organisation verantwortlichen bolivianischen Gruppe Mujeres Creando, die bei dieser Gelegenheit gleich drei Ausschluákriterien nannte: Nicht dabei sein bei diesem Treffen dürfen Frauen, die Mitglied einer Partei sind, weibliche Militärs, Frauen, die eine Funktion innerhalb des Staatsapparats haben und die an Prozessen teilnehmen, welche patriarchale Politik legitimieren.
  Ebensowenig Frauen aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die an den Vorbereitungen für die UN-Frauenkonferenz in Peking teilgenommen haben und im Post-Peking-Prozeá aktiv sind. Und schlieálich auch nicht Frauen, die in internationalen regierungsabhängigen Hilfwerken arbeiten, in transnationalen Unternehmen sowie Kirchen.
  Das VII.Feministinnentreffen wurde auch das Encuentro de los Desencuentros, das "Treffen der gescheiterten Treffen" zwischen den Autonomen und den Institutionellen genannt. Bei dem Treffen in El Salvador, dem sechsten in der Geschichte der kontinentalen feministischen Treffen, waren bereits die Differenzen zwischen den selbsternannten "Institutionellen" und den "Autonomen" aufgebrochen. An den Stränden von Cartagena in Chile dann explodierten diese Differenzen vollends wie die Wellen des Pazifik, die hoch aufschäumend an die Felsen schlugen. Und so bekamen alle Teilnehmerinnen des Treffens der gescheiterten Treffen ihre Spritzer ab.
  Warum aber ist der Begriff der Differenz, die doch eine der grundlegenden Eigenschaften des lateinamerikanischen und karibischen Feminismus war, nicht mehr in der Lage, unter seinem Hut unterschiedliche Kräfte zu einer Einheit zusammenzubringen?
  Der autonome Feminismus, so Ximena Bedregal in ihrem Artikel "Auf neue Weise denken", geht aus von einer Kritik und einem neuen analytischen Ansatz angesichts der Bürokratisierung und Institutionalisierung der feminstischen Bewegung: "In vielen Ländern existiert gar keine soziale Bewegung mehr. Was es noch gibt, ist lediglich eine Ansammlung von Frauen-NGOs ... Aber das institutionelle Geschäft und seine jeweiligen Zielsetzungen sind nicht zu verwechseln mit dem Werden und der Entwicklung unserer politischen Bewegung insgesamt, weil beide unterschiedliche Logiken, Zeiten, Rhythmen und Dynamiken haben und weil Ziele und Interessen an Lebensrealitäten und Zukunftsperpektiven nicht übereinstimmen."
  Im Hinblick auf die Kooptierung feministischer Politik durch deren Finanzierung weist dieselbe Autorin auf folgendes hin: "Die Verwechslung der feministischen Bewegung mit der Gesamtheit arbeitsbeschaffender Fraueninstitutionen (z.B.NGOs) führt nicht nur dazu, daá die politischen Interessen der Bewegung unter die Interessen der Institutionen und die Arbeitsbedürfnisse und beruflichen Wünsche ihrer Beschäftigten bzw. Mitglieder subsumiert werden, sondern sie führt auch dazu, daá die Führung der Bewegung nunmehr in solchen Institutionen zentralisiert ist, die die Entwicklungshilfe als die 'effizientesten' ansieht und die daher ihre wirtschaftliche Unterstützung 'verdienen'. Daraus folgt: Alles wird anders, wegen dieser neuen Notwendigkeit, eine gute Fassade aufzubauen, eine, die dem patriarchalen System gefällt. Denn dann darf frau auch verhandeln, auch Lobby treiben."
  Die autonomen Feministinnen nehmen auch Stellung zu einer tendenziösen Auslegung dessen, was sie "Gendertechnokratie" nennen. Genau deswegen nämlich, so Bedregal, "beginnt ein bedeutender Teil der Feministinnen zu glauben, die Unterordnung der Frauen sei nichts als eine Art Störfall des Systems und nicht die Basis und Nährboden für diesen ganzen Mist ... Sie glauben, Ziel des Feminismus sei, die Mängel der symbolischen und materiellen Ordnung des Patriarchats zu beheben, und nicht, die Natur der Beziehungen zwischen den Geschlechtern radikal zu ändern. Sie halten es für unvermeidlich, daá wir Frauen lernen, Öffentlichkeit innerhalb der Strukturen und der Logik des bestehenden Systems aufzubauen ... Von daher richten sich auch alle ihre Spielchen auf den Staat und seine Institutionen in dem Glauben, hier seien die privilegierten Räume für die Bildung von Identität und Einheit des Geschlechts."
  Ein Jahr vor dem letzten Feministinnentreffen Lateinamerikas und der Karibik in diesem Jahrtausend, von dem frau durchaus einen neuen Ansatz und neue Perspektiven für den Feminismus des Jahres 2000 erwarten dürfte, sind viele feministische Knoten noch fest gebunden, haben die Feministinnen mit und ohne Mitgliedsausweis noch viele offene Fragen, die Eingeschlossenen wie die Ausgeschlossenen, diejenigen, die in NGOs arbeiten, und solche, die das nicht tun, die Politikerinnen und die Nichtpolitikerinnen ... Sollte die Utopie des lateinamerikanischen Feminismus einer "Einheit in der Vielfalt" nur ein Traum gewesen sein?
  Wo ist die Kraft jener verrückten Feministinnen geblieben, die vorgeprescht sind und in 20 Jahren das erreicht haben, was andere Bewegungen nicht einmal in 200 Jahren geschafft haben? Wird es auch ein Erstes Treffen des Institutionalisierten Feminismus geben? Und schlieálich: Welche werden sich beim VIII.Teffen in der Dominikanischen Republik tatsächlich treffen?
  Lawray
  Den Artikel haben wir der ila (Nr.220, November 1998) entnommen und leicht gekürzt.
 


zum Anfang