Artikel SoZ


SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 15

Sri Lanka

Nicht nur die Reichen verdienen am Krieg

Bereits seit Jahren ist der Ausnahmezustand in den zwischen der Zentralregierung von Sri Lanka und der nationalen Befreiungsbewegung der Tamilen LTTE umkämpften Regionen im Norden und Osten der Insel in Kraft. Am 4.August wurde er nun von der Volksfrontregierung der Präsidentin Chandrika Kumaratunga Bandaranaike auf das ganze Land ausgedehnt. Der offizielle Grund: die Aufrechterhaltung der "Ordnung" und die Versorgung der Bevölkerung. Allgemein wird jedoch davon ausgegangen, daá es viel mehr darum geht, die anstehenden Provinzialwahlen zu verhindern, weil die Regierung diese womöglich verlieren würde.
  In der Tat befindet sich die vor vier Jahren an die Macht gekommene Volksfrontregierung in der für diese Form von bürgerlichen "Linksregierungen" üblichen Zwickmühle und Krise. Von den wirtschaftlichen Hoffnungen der arbeitenden Bevölkerung, die ihre Wählerbasis bildet, nicht zu trennen war ihr Wahlversprechen, den damals schon seit zwölf Jahren andauernden Krieg gegen die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) zu beenden. Die neue Regierung machte denn auch ein Angebot an die "Tigers". Sie bot ein Föderationsstatut an, daá der LTTE aber eindeutig zu wenig war. Die LTTE möchte das nationale Selbstbestimmungsrecht der Tamilen in Form eines eigenen Staates wahrnehmen.
  Die Regierung hat darauf mit den bis dahin gröáten Offensiven in der gesamten Geschichte dieses Krieges geantwortet. Diese haben zwar dazu geführt, daá die LTTE die Hauptstadt des Tamiliengebiets, Jaffna, aufgeben muáte, das Ende des auf beiden Seiten äuáerst verlustreichen Krieges aber keineswegs in Reichweite gebracht.
  Im Gegenteil ist es der LTTE Anfang Oktober gelungen, die Stadt Kilinochchi zu erobern, die an der einzigen gröáeren Straáe, die den singhalesischen mit dem tamilischen Teil Sri Lankas verbindet und den Zugang nach Jaffna darstellt. Brigadegeneral Tennakoon zufolge war der Verlust von Kilinochchi "der schlimmste Schlag" für die lankesische Armee nach dem Verlust der östlich davon gelegenen Küstenstadt Mullaittivu 1996.
  Die Regierung hat sich mit ihrer halbherzigen Politik gewissermaáen zwischen alle Stühle gesetzt. Die Fortdauer des Krieges in Verbindung mit der neoliberalen Wirtschaftspolitik hat das tägliche Leben der breiten Volksmassen in allen Teilen des Landes noch schwerer gemacht. Gleichzeitig hat der Konföderationsplan der Regierung auch den singhalesischen Chauvinismus erneut mobilisiert.
  An dessen Spitze steht der buddhistische Klerus - die Tamilen sind Hindus und teilweise Moslems -, der hier auch von der parlamentarischen rechten Opposition unterstützt wird. Auch die wohl stärkste Organisation links von den Volksfrontparteien, die "Volksbefreiungsfront Sri Lankas" (JVP), die sich als Kern der proletarischen Avantgardepartei des Landes sieht und die Regierung der "Volksallianz" als eine kapitalistische und neokoloniale bekämpft, erkennt zwar die Existenz nationaler Unterdrückung im Land an, bekämpft aber die staatliche Abtrennung der tamilischen Gebiete.
  Steht die Regierung schon von daher unter Druck, das LTTE- Projekt mit allen Mitteln zunichte zu machen, und das um so mehr, als sich etwa in Gestalt des stellvertretenden Verteidigungsministers singhalesisch-chauvinistische Hardliner in ihren Reihen befinden, so gibt es überdies eine Reihe sozialpolitischer Erwägungen, die nicht nur gegen den Krieg sprechen.
  Zwar hat der Krieg inzwischen über 50000 Menschenleben gekostet, und allein das für ihn offiziell bereitgestellte Budget beläuft sich auf 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und ein Drittel der Einnahmen der Regierung. Aber gerade die Ärmsten des Landes scheinen in ihrer Haltung ihm gegenüber hin und her gerissen zu sein.
  Auf der einen Seite ist da die Effizienz der LTTE und entsprechend der hohe Blutzoll, der von den Soldaten der Regierung in Colombo gezahlt werden muá. So hat etwa General Amuraddha Ratwatte, der erwähnte stellvertretende Verteidigungsminister und Angehöriger einer der schon immer dem Bandaranaike-Clan der Präsidentin verbundenen führenden Clans im Land, zwar schon mehrfach versprochen, der LTTE nun endgültig der Garaus zu machen. Die Offensive unter dem Namen "Sicherer Sieg", die die Straáe nach Jaffna öffnen soll, hatte selbst vor dem Rückschlag in Kilinochchi jedoch nur dazu geführt, daá die Armee in 15 Monaten auf einer als strategisch bezeichneten Straáe 46 km vorgerückt ist und dabei 1600 Tote und 12500 Verletzte zu beklagen hatte. Die LTTE sprach von 1300 Gefallenen auf ihrer Seite.
  Von der am 28.Mai begonnenen jüngsten Offensive wurde bis zur Verhängung der absoluten Zensur am 5.Juni bekannt, daá zwischen 400 und 500 Soldaten gefallen seien. Es verwundert so nicht, daá die inzwischen auf 165000 Mann - d.h. mehr als zehnmal so viel wie zu Beginn des Krieges - angeschwollene Armee die höchste Desertionsrate der Welt hat. Das jedenfalls stellte jüngst der ehemalige Chef der Luftwaffe, Harry Goonethileke, fest, der bei dieser Gelegenheit mitteilte, daá an die 500000 Mann nötig seien, allein um die LTTE in den Dschungel zurückzutreiben. Die sechs Amnestien, die jüngst für Deserteure verkündet wurden, haben aber wenig dazu beigetragen, einen erneuten Run auf die Armee auszulösen.
  Dieser schlechte Zustand, in dem sich die srilankische Armee, die sich im übrigen ja durchaus mannigfacher imperialistischer Unterstützung erfreut, befindet, ist um so bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daá es eine Reihe ökonomischer Gründe gibt, die sie attraktiv machen sollten. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 12% der arbeitsfähigen Bevölkerung dieses 18- Millionen-Landes.
  Das Gros der in den letzten Jahren neu rekrutierten Soldaten stammt aus armen ländlichen Gegenden im Süden der Insel. Mit ihrem Sold ernähren sie heute dort an die 720000 Menschen. Auáerdem hat der Krieg direkt und indirekt etwa 400000 neue Jobs geschaffen, darunter etwa 150000 bei den Sicherheitsfirmen, die Wachen für die von Attentaten bedrohten Firmen und Bodyguards zur Verfügung stellen. Diese werden zum groáen Teil bei den Armen der Städte angeworben. Die Hauptstadt Colombo und andere Städte waren in den letzten Jahren des öfteren Schauplatz verheerender Bombenanschläge, die der LTTE zugeschrieben wurden.
  Abgesehen von den in jedem Krieg üblichen Kriegsgewinnlern aus der Bourgeoisie hat sich also noch eine weitere Kriegsökonomie entwickelt. Die hier betroffenen Armen sind gleichzeitig Opfer wie Nutznieáer.
  Im Ergebnis scheint sich in Sri Lanka eine Atmosphäre krankhafter Hoffnungslosigkeit auszubreiten. Das Land hat eine der höchsten Selbstmordraten. Seit Kriegsbeginn hat es nach offiziellen Zahlen 70000 Suizide gegeben, 20000 mehr als im Krieg gefallen sind.
  Trotzdem sieht allerdings die Situation auch für die LTTE absolut nicht rosig aus. Für ihre taktischen Erfolge muá sie nämlich einen Blutzoll zahlen, der relativ viel höher als der der srilankischen Armee ist. Nach Darstellung der Armee verfügen die "Tigers" über bis zu 5000 Partisanen. Die Kämpfe um Kilinochchi und um den südlich davon gelegenen und gleichzeitig von der Armee eroberten Mankulam haben die Armee nach eigener Darstellung rund 700 Tote und 400 Verwundete gekostet, die LTTE aber 520 Tote.
  Selbst wenn die Verluste der LTTE in der regierungsamtlichen Darstellung übertrieben wären, bleibt die Tatsache, daá die Armee eine Stärke von nach unterschiedlichen Berechnungen zwischen 120000 und den erwähnten 165000 Mann hat und damit relativ wesentlich geringere Verluste als die LTTE. Unter all diesen Umständen ist nicht zu sehen, wie die LTTE, die offensichtlich keine rein militärische Lösung erzwingen kann, einen Beitrag dazu leisten könnte, in Colombo eine andere Regierung an die Macht zu bringen, die ihren Zielen gegenüber offener als die gegenwärtige wäre.
  Anton Holberg
 


zum Anfang