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Vor zehn Jahren, am 23.November 1988, sendete Radio
Dreyeckland erstmals legal auf einer eigenen Frequenz aus seinem Freiburger Studio.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das erste Freie Radio der Bundesrepublik schon elf Jahre
lang Geschichte gemacht. Die Legalisierung war ein Sieg, ein Neuanfang, aber nicht
der Beginn von Radio Dreyeckland.
Der Beginn waren zwölf Minuten Knattern und Rauschen über einen
kleinen Sender am 4.Juni 1977. Die Antenne befand sich auf einem besetzten
Strommast, berichtet wurde vom Kampf gegen das französische Atomkraftwerk
Fessenheim im Elsaá. So entstand "Radio Verte Fessenheim", vorerst ein
Sprachrohr der Anti-AKW-Bewegung auf französisch, alemannisch und
hochdeutsch.
Von Anfang an machen Polizei und Post Jagd auf den Sender. Erfolglos. Das Radio
entwickelt sich weiter, greift andere Themen auf, spielt z.B. während der heiáen
Phase des Häuserkampfs in Freiburg 1981 eine wichtige Rolle der
Gegenöffentlichkeit. In dieser Phase bilden sich feste Redaktionen im
elsässisch-schweizerisch-badischen Grenzgebiet, aus Radio Verte Fessenheim
wird Radio Dreyeckland.
Im Mai 1981 wird Fran‡ois Mitterrand französischer Staatspräsident; in
Frankreich wird die Verfolgung von Piratenradios eingestellt. Von nun an kann Radio
Dreyeckland Freiburg aus dem sicheren Exil im Elsaá senden. Und das markiert den
Anfang einer neuen Phase. Denn von Anfang an war es nicht das Ziel gewesen, mit
wackeligen Sendern im Wald herumzuschleichen und Räuber und Gendarm zu
spielen.
Die RadiomacherInnen wollten mehr: ein Hörerradio, das von allen gemacht
wird, in das sich alle live einschalten können, anrufen und mitreden, hingehen
und ins Mikro sprechen, ein Radio als Teil der linken Bewegungen. Also werden
öffentliche Redaktionssitzungen eingerichtet, 1982 wird der Freundeskreis Radio
Dreyeckland gegründet, der fortan gegen die Kriminalisierung Freier Radios
eintritt und erste Legalisierungsvorstöáe unternimmt, die von der
Landesregierung abgeschmettert werden. Das zieht sich bis 1985, zu diesem Zeitpunkt
sendet die badische Redaktion wöchentlich mehrere Stunden aus dem
Elsaá.
Den Äther kann man
nicht räumen
Im April 1985 reicht es den ÄtherpiratInnen. Sie rufen den
"Radiofrühling" aus, verlassen ihr Exil, kündigen eine
"Frequenzbesetzung" an und senden fortan live aus Freiburg. Fünf
Tage lang, dann wird das Gelände von einem Sondereinsatzkommando der
Polizei gestürmt und alles mitgenommen, was irgendwie nach Radio aussieht.
Ziemlich erfolglos. Der Sender wird nicht gefunden und die Polizei muá mit
anhören, wie Radio Dreyeckland die Razzia live überträgt und
fleiáig für eine Demo am nächsten Tag mobilisiert.
3000 Menschen kommen zu dieser Spontandemo und fordern lautstark die
Legalisierung Radio Dreyecklands. Das gibt den Ausschlag. Von jetzt an wird immer
wieder live aus Freiburg gesendet. Und trotz mehrerer gewalttätiger
Polizeirazzien, Hausdurchsuchungen,Verhaftungen, Drohungen: Der Sender wird nie
gefunden und die Zahl der UnterstützerInnen von Radio Dreyeckland
wächst.
Ende 1985 verabschiedet der baden-württembergische Landtag ein Gesetz, das
den Privatradios den Weg ebnen soll. Bis dahin hatte es nur öffentlich-
rechtlichen Rundfunk gegeben. Von nichtkommerziellen Radios ist in dem Gesetz nicht
die Rede. Im Gegenteil, längst haben sich Mythen um die aufmüpfigen
ÄtherstürmerInnen im kleinen Freiburg gebildet: RDL sende
"verschlüsselte Nachrichten an die RAF", rufe zu Straftaten auf und
fungiere auáerdem als "Drahtzieher zwischen Hausbesetzern und
Punkerszene". Dennoch, für Radio Dreyeckland ergibt sich durch das
Gesetz, das eigentlich für den privaten Kommerzfunk geschneidert ist, die
Möglichkeit, den Kampf um die Legalisierung auf den Rechtsweg auszudehnen.
Am 23.November 1988 ist es so weit. Die Frequenz 102,3 Megahertz in Freiburg
gehört Radio Dreyeckland, 24 Stunden täglich.
Kein Kommerz auf Megahertz
Zehn Jahre später hat sich der Radioalltag eingeschlichen. Radio Dreyeckland
befindet sich immer noch in den Räumen der selbstverwalteten
"Gretherschen Fabrik" und sendet auf der 102,3 in und ca. 50 km um
Freiburg. Werbung gibt es keine, weiterhin gilt: "Kein Kommerz auf
Megahertz". Zwei Sende- und drei Vorproduktionsstudios kann das Projekt
mittlerweile sein eigen nennen. BesucherInnen aus "professionellen"
Radios schlagen angesichts der technischen Ausstattung entsetzt die Hände
über dem Kopf zusammen, BesucherInnen von anderen Freien Radios in Europa
oder der Dritten Welt klatschen begeistert in dieselbigen. Alles ist relativ.
Die Verwendung einfachster Mittel erleichtert vielen den Medienzugang. Die Technik
ist keine Hürde. Über 150 MitarbeiterInnen machen Sendungen bei Radio
Dreyeckland. Unbezahlt. Entlohnt werden nur ungeliebte Koordinierungsarbeiten. Die
Einschaltquoten haben sich auf dem Niveau von Deutschlandfunk oder "S2
Kultur" eingependelt. Der Staatsschutz ist zurückhaltend geworden. Nur
noch in Einzelfällen macht er sich die Mühe, Radio Dreyeckland des
übertriebenen Gebrauchs der Meinungsfreiheit zu beschuldigen.
Anfang der 90er Jahre wurde Radio Dreyeckland zum Beispiel wegen Verdachts auf
Pornografie angezeigt. Ein Safer-Sex-Spot der Schwulen Welle hatte die Phantasien der
Sittenschützer gar zu sehr erregt. Beleidigung der Polizei stand auch schon zur
Anklage und 1994 wurde ein ß129a-Verfahren eingeleitet, weil das
FrauenLesben-Info die Rote-Zora-Version des Pippi-Langstrumpf-Liedchens
trällerte: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung! Alle Verfahren
wurden eingestellt. Im groáen und ganzen geht die Tendenz heute aber dahin, selbst vor
den Kadi zu ziehen.
Im März 1996 verlangte die Landesanstalt für Kommunikation (LFK) -
das ist die baden-württembergische Version einer Landesmedienanstalt - die
Herausgabe aller Sendungsmitschnitte einer ganzen Woche: 128 Stunden. Radio
Dreyeckland stand unter Verdacht, zu einer verbotenen PKK-Demo aufgerufen zu
haben. Prophylaktisch wurde auch gleich noch die Herausgabe zukünftiger
Sendungen der nächsten zwei Tage verlangt. Zensur und Vorzensur.
Aus lauter Trotz wiederholte Radio Dreyeckland die verdächtigen Sendungen
über Äther - eine Qual für die HörerInnen, denn die
technische Qualität der Dokumentationsbänder lieá zu wünschen
übrig. Die LFK bekam sie aber nicht. Daraufhin sperrte die Landesanstalt Radio
Dreyeckland die Gelder aus den Rundfunkgebühren. RDL zog vor Gericht und
bekam Recht: Die Vorzensur wurde als unzulässig anerkannt, die Verweigerung
der Zahlungen ebenfalls. Die geforderten Sendungen aus dem Vorfeld der Demo
muáten allerdings herausgerückt werden, da half auch die
Verfassungsbeschwerde 1997 nichts mehr.
Legal aber arm
Gegen die LFK befindet sich Radio Dreyeckland im Grunde ständig im
Rechtsstreit. Vorrangig geht es um Geld, denn RDL balanciert zur Zeit - und das ist
nicht das erste Mal - am Rande des finanziellen Abgrunds.
Die Medienanstalten in den Bundesländern handhaben den Umgang mit den
ungeliebten Nichtkommerziellen sehr unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen flieát
z.B. Geld in die Bürgerfunks, die allerdings mit selbstverwalteten Freien Radios
wenig zu tun haben. Niedersachsen ist der realpolitische Traum aller Freien Radios.
600000 Mark kriegen die Nichtkommerziellen dort jährlich von der
Landesmedienanstalt, ein Betrag, mit dem ein Freies Radio einigermaáen wirtschaften
kann.
Und im Ländle? Laut Landesmediengesetz haben die acht freien Radios in
Baden Württemberg seit 1996 Anspruch auf 10% der Fördermittel der
LFK und somit auf 0,01% der Rundfunkgebühren. Das wären etwa
175000 Mark pro Radio. Bereits 1996 klappte die Auszahlung dieser Gelder aber
nicht. Die LFK stellte eine komplizierte Rechnung auf und kam zu dem Schluá, den
Radios stünden jeweils nur 42500 Mark zu. Im gleichen Jahr verzeichnete die
Landesanstalt einen Überschuá von 750000 Mark, den sie unter groáem
Getöse dem Südwestfunk zukommen lieá.
Seitdem marschiert Radio Dreyeckland durch die Instanzen, beantragt erfolglos
einstweilige Anordnungen und erwägt im Moment eine Klage vor dem
Stuttgarter Verwaltungsgericht. Das allerdings ist eine Geldfrage. Die Landesanstalt
für Kommunikation würde vermutlich mehr als eine Sektflasche
köpfen, wenn Radio Dreyeckland zwischenzeitlich Pleite machte.
Macht es aber nicht, schlieálich war RDL bisher auch nicht auf Staatsknete
angewiesen. Fast nicht, denn indirekt, über den Umweg politischer Stiftungen
z.B., floá schon länger staatliches Geld in die Radiokassen. Allerdings immer
für besondere Projekte und in Gröáenordnungen, für die bei
kommerziellen Radios kaum jemand ins Mikro husten würde. Trotzdem
veranlassen solche Zuwendungen - man kann das sympathisch finden oder daran
verzweifeln - Radio Dreyeckland regelmäáig zu
Höhenflügen.
Das Gerücht, Geld sei genug da, verbreitet sich in Windeseile. Plötzlich
telefonieren wieder alle wie wild, die Technik wird repariert, Computer
aufgemöbelt, Honorare bezahlt, und dann, ganz plötzlich, ist das Geld
weg. Katastrophenstimmung. Hilferufe, Werbekampagnen, Kapuzenshirts mit der
Aufschrift "Linkes Pack" werden als Lockmittel für potentielle
Mitglieder benutzt, Löhne werden gestundet, Lokaljournalismus ist angesagt -
telefonieren auáerhalb Freiburgs ist zu teuer.
Die Mitgliederkampagnen wirken meist nur kurzfristig, ansonsten ist die Tendenz eher
rückläufig. Die rund 2600 Mitglieder bröckeln. Mit ihnen die
Mitgliedsbeiträge, einzige Garanten einer unabhängigen Finanzierung.
Die Leute haben weniger Geld, Freie Radios haben ihre Relevanz verloren, Radio
Dreyeckland ist zu beliebig, das Programm zu unpolitisch, zu politisch, zu holprig, zu
glatt?
Musik und Wort
19 Stunden sendet Radio Dreyeckland jeden Tag, die restlichen Nachtstunden werden
mit einem Endlosband überbrückt. Das Programm setzt sich zusammen
aus meist hochspezialisierten Musiksendungen, die über eine ebenso
hochspezialisierte Fangemeinde verfügen, und aus dem Wortprogramm. Das
wiederum wird von weitgehend autonomen Redaktionen bestritten. Am Wochenende
z.B. senden Radio Ech auf russisch, Aria Fritta auf italienisch, Denge Kurdistane auf
kurdisch - Sendungen in zwölf verschiedenen Sprachen erfreuen sich reger
Beteiligung ihrer HörerInnen. Davon können die meisten
deutschsprachigen Programme nur träumen, es sei denn, sie verlosen CDs mittels
hirnloser Quizfragen. Gibt es auch bei Radio Dreyeckland.
Es gibt aber auch die Redaktionen, die es einfach schon immer gab, was nicht heiáen
soll, daá sie sich im Laufe der Jahre nicht auch gewandelt hätten. Radio
International z.B. oder das FrauenLesben-Radio das sich vor Jahren nach einem
Sexismusstreit von Radio Dreyeckland losgesagt hat und seitdem dienstags als
autonome feministische Redaktion sendet, die dem Gesamtradio nicht verpflichtet
ist.
Die Schwule Welle am Donnerstagabend ist ebenso zu einer Institution geworden wie
das kritisch-gewerkschaftsorientierte Arbeitsweltradio am Mittwoch oder der
Knastfunk am Sonntag. Montags bis freitags von 18 bis 19 Uhr ist das politische
Tagesinfo zu hören. Wenn es eins gibt. Immer öfter dudelt auf der
Infoschiene eine flugs eingeworfene CD vor sich hin, oder das Programm kommt einem
merkwürdig bekannt vor - weil es schon zum dritten Mal wiederholt wird.
Tatsache ist: Das Wortprogramm schrumpft, kaum eine Redaktion, die nicht unter
Personalmangel leidet.
Wen wundert's? Radio Dreyeckland hat sich einst aus politisch aktiven Menschen
zusammengesetzt. Daá es davon immer weniger gibt, ist ein offenes Geheimnis. Die
HörerInnen sind dennoch frustriert, wenigstens das Radio könnte doch
weiter überall dabei sein, kritische Analysen liefern, über die Demos und
Aktionen berichten, zu denen sie selbst nicht mehr hingehen...
Anti-Identität
Auch die Streite sind kraftloser geworden bei Radio Dreyeckland. Während einst
der Sexismusstreit (ein hirnloser Macho meinte, für seine Musiksendung mit dem
Bild einer nackten Frau in Ketten werben zu müssen) oder der
Antisemitismusstreit (das Sendestudio wurde während des Golfkriegs 1991
besetzt, weil die irakischen Giftgasangriffe auf Israel zum antiimperialistischen
Befreiungsakt geschönt wurden) noch die Wände wackeln lieáen und zu
heftigen Spaltungen führte, wird heute eher ein biáchen
zusammengerückt.
Zwar sind die Meinungen darüber, wie Radio zu machen ist, was
Gegenöffentlichkeit bedeutet und was links heiát, so verschieden wie eh und je.
Aber weil es so wenige geworden sind, die sich dafür überhaupt noch
interessieren und die Vollversammlungen spärlich besucht sind, wird nur noch
im Notfall diskutiert und gestritten.
Wenn es dann doch mal hart auf hart kommt, gibt es zum guten Glück die
berühmten Antis, auf die sich dann gern berufen wird: Antisexismus,
Antikapitalismus, Antifaschismus, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiklerikalismus,
Antiimperialismus und seit 1997 auch Antiantisemitismus und Antinationalismus.
Radio Dreyeckland definiert sich politisch tatsächlich nur über Antis.
Vielleicht ist es diese Anti-Identität, die es letztendlich doch immer wieder
möglich macht, einer Vielzahl unterschiedlichster Menschen unter einem Dach
(und auf einer Frequenz) Raum zu bieten. Manche nennen es Demokratie, manche
Vielfalt, manche Beliebigkeit.
Böse Zungen behaupten, der Ruf von Radio Dreyeckland werde besser, je weiter
man vom Sendegebiet entfernt sei. Das stimmt. Aber es ist nicht immer
begründet. Denn es gibt auch ganz begnadete Sendungen bei Radio
Dreyeckland, Töne, die noch nie gehört wurden, Stimmen, die man schon
immer mal hören wollte, Musik, die sonst nirgends zu hören ist,
Menschen, die sonst selten zu Wort kommen, und Meinungen, die wenig Platz finden in
anderen Medien.
Und es gibt immer wieder Radiotinnen und Radioten, die ganz plötzlich in
Begeisterung verfallen, zur Höchstform auflaufen, Sendereihen initiieren, den
tragbaren Livesender herumschleppen, Kampagnen unterstützen, internationale
Radiokongresse besuchen oder gar selbst organisieren und Soliaufrufe für
verfolgte Radios im Baskenland oder in Uruguay verfassen.
Nach über 20 Jahren Ätherrauschen und zehn Jahren legalem Radioalltag
ist Radio Dreyeckland nicht langweilig geworden. Die groáe Offenheit für neue
MitarbeiterInnen mischt die Ober-, Zwischen- und Untertöne im Äther
ständig neu, medienpolitische Angriffe lassen auf die eigene Relevanz hoffen,
stets wiederkehrende finanzielle Grenzerfahrungen halten die Strukturen auf Trab. Am
Rande des Abgrunds rostet es sich nicht so leicht.
Birgit Huber