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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.24 vom 26.11.1998, Seite 20

Im Äther rauscht es ganz legal

Radio Dreyeckland in Freiburg seit zehn Jahren auf eigener Frequenz

Vor zehn Jahren, am 23.November 1988, sendete Radio Dreyeckland erstmals legal auf einer eigenen Frequenz aus seinem Freiburger Studio. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das erste Freie Radio der Bundesrepublik schon elf Jahre lang Geschichte gemacht. Die Legalisierung war ein Sieg, ein Neuanfang, aber nicht der Beginn von Radio Dreyeckland.
  Der Beginn waren zwölf Minuten Knattern und Rauschen über einen kleinen Sender am 4.Juni 1977. Die Antenne befand sich auf einem besetzten Strommast, berichtet wurde vom Kampf gegen das französische Atomkraftwerk Fessenheim im Elsaá. So entstand "Radio Verte Fessenheim", vorerst ein Sprachrohr der Anti-AKW-Bewegung auf französisch, alemannisch und hochdeutsch.
  Von Anfang an machen Polizei und Post Jagd auf den Sender. Erfolglos. Das Radio entwickelt sich weiter, greift andere Themen auf, spielt z.B. während der heiáen Phase des Häuserkampfs in Freiburg 1981 eine wichtige Rolle der Gegenöffentlichkeit. In dieser Phase bilden sich feste Redaktionen im elsässisch-schweizerisch-badischen Grenzgebiet, aus Radio Verte Fessenheim wird Radio Dreyeckland.
  Im Mai 1981 wird Fran‡ois Mitterrand französischer Staatspräsident; in Frankreich wird die Verfolgung von Piratenradios eingestellt. Von nun an kann Radio Dreyeckland Freiburg aus dem sicheren Exil im Elsaá senden. Und das markiert den Anfang einer neuen Phase. Denn von Anfang an war es nicht das Ziel gewesen, mit wackeligen Sendern im Wald herumzuschleichen und Räuber und Gendarm zu spielen.
  Die RadiomacherInnen wollten mehr: ein Hörerradio, das von allen gemacht wird, in das sich alle live einschalten können, anrufen und mitreden, hingehen und ins Mikro sprechen, ein Radio als Teil der linken Bewegungen. Also werden öffentliche Redaktionssitzungen eingerichtet, 1982 wird der Freundeskreis Radio Dreyeckland gegründet, der fortan gegen die Kriminalisierung Freier Radios eintritt und erste Legalisierungsvorstöáe unternimmt, die von der Landesregierung abgeschmettert werden. Das zieht sich bis 1985, zu diesem Zeitpunkt sendet die badische Redaktion wöchentlich mehrere Stunden aus dem Elsaá.
  Den Äther kann man
  nicht räumen
  Im April 1985 reicht es den ÄtherpiratInnen. Sie rufen den "Radiofrühling" aus, verlassen ihr Exil, kündigen eine "Frequenzbesetzung" an und senden fortan live aus Freiburg. Fünf Tage lang, dann wird das Gelände von einem Sondereinsatzkommando der Polizei gestürmt und alles mitgenommen, was irgendwie nach Radio aussieht. Ziemlich erfolglos. Der Sender wird nicht gefunden und die Polizei muá mit anhören, wie Radio Dreyeckland die Razzia live überträgt und fleiáig für eine Demo am nächsten Tag mobilisiert.
  3000 Menschen kommen zu dieser Spontandemo und fordern lautstark die Legalisierung Radio Dreyecklands. Das gibt den Ausschlag. Von jetzt an wird immer wieder live aus Freiburg gesendet. Und trotz mehrerer gewalttätiger Polizeirazzien, Hausdurchsuchungen,Verhaftungen, Drohungen: Der Sender wird nie gefunden und die Zahl der UnterstützerInnen von Radio Dreyeckland wächst.
  Ende 1985 verabschiedet der baden-württembergische Landtag ein Gesetz, das den Privatradios den Weg ebnen soll. Bis dahin hatte es nur öffentlich- rechtlichen Rundfunk gegeben. Von nichtkommerziellen Radios ist in dem Gesetz nicht die Rede. Im Gegenteil, längst haben sich Mythen um die aufmüpfigen ÄtherstürmerInnen im kleinen Freiburg gebildet: RDL sende "verschlüsselte Nachrichten an die RAF", rufe zu Straftaten auf und fungiere auáerdem als "Drahtzieher zwischen Hausbesetzern und Punkerszene". Dennoch, für Radio Dreyeckland ergibt sich durch das Gesetz, das eigentlich für den privaten Kommerzfunk geschneidert ist, die Möglichkeit, den Kampf um die Legalisierung auf den Rechtsweg auszudehnen. Am 23.November 1988 ist es so weit. Die Frequenz 102,3 Megahertz in Freiburg gehört Radio Dreyeckland, 24 Stunden täglich.
  Kein Kommerz auf Megahertz
  Zehn Jahre später hat sich der Radioalltag eingeschlichen. Radio Dreyeckland befindet sich immer noch in den Räumen der selbstverwalteten "Gretherschen Fabrik" und sendet auf der 102,3 in und ca. 50 km um Freiburg. Werbung gibt es keine, weiterhin gilt: "Kein Kommerz auf Megahertz". Zwei Sende- und drei Vorproduktionsstudios kann das Projekt mittlerweile sein eigen nennen. BesucherInnen aus "professionellen" Radios schlagen angesichts der technischen Ausstattung entsetzt die Hände über dem Kopf zusammen, BesucherInnen von anderen Freien Radios in Europa oder der Dritten Welt klatschen begeistert in dieselbigen. Alles ist relativ.
  Die Verwendung einfachster Mittel erleichtert vielen den Medienzugang. Die Technik ist keine Hürde. Über 150 MitarbeiterInnen machen Sendungen bei Radio Dreyeckland. Unbezahlt. Entlohnt werden nur ungeliebte Koordinierungsarbeiten. Die Einschaltquoten haben sich auf dem Niveau von Deutschlandfunk oder "S2 Kultur" eingependelt. Der Staatsschutz ist zurückhaltend geworden. Nur noch in Einzelfällen macht er sich die Mühe, Radio Dreyeckland des übertriebenen Gebrauchs der Meinungsfreiheit zu beschuldigen.
  Anfang der 90er Jahre wurde Radio Dreyeckland zum Beispiel wegen Verdachts auf Pornografie angezeigt. Ein Safer-Sex-Spot der Schwulen Welle hatte die Phantasien der Sittenschützer gar zu sehr erregt. Beleidigung der Polizei stand auch schon zur Anklage und 1994 wurde ein ß129a-Verfahren eingeleitet, weil das FrauenLesben-Info die Rote-Zora-Version des Pippi-Langstrumpf-Liedchens trällerte: Unterstützung einer terroristischen Vereinigung! Alle Verfahren wurden eingestellt. Im groáen und ganzen geht die Tendenz heute aber dahin, selbst vor den Kadi zu ziehen.
  Im März 1996 verlangte die Landesanstalt für Kommunikation (LFK) - das ist die baden-württembergische Version einer Landesmedienanstalt - die Herausgabe aller Sendungsmitschnitte einer ganzen Woche: 128 Stunden. Radio Dreyeckland stand unter Verdacht, zu einer verbotenen PKK-Demo aufgerufen zu haben. Prophylaktisch wurde auch gleich noch die Herausgabe zukünftiger Sendungen der nächsten zwei Tage verlangt. Zensur und Vorzensur.
  Aus lauter Trotz wiederholte Radio Dreyeckland die verdächtigen Sendungen über Äther - eine Qual für die HörerInnen, denn die technische Qualität der Dokumentationsbänder lieá zu wünschen übrig. Die LFK bekam sie aber nicht. Daraufhin sperrte die Landesanstalt Radio Dreyeckland die Gelder aus den Rundfunkgebühren. RDL zog vor Gericht und bekam Recht: Die Vorzensur wurde als unzulässig anerkannt, die Verweigerung der Zahlungen ebenfalls. Die geforderten Sendungen aus dem Vorfeld der Demo muáten allerdings herausgerückt werden, da half auch die Verfassungsbeschwerde 1997 nichts mehr.
  Legal aber arm
  Gegen die LFK befindet sich Radio Dreyeckland im Grunde ständig im Rechtsstreit. Vorrangig geht es um Geld, denn RDL balanciert zur Zeit - und das ist nicht das erste Mal - am Rande des finanziellen Abgrunds.
  Die Medienanstalten in den Bundesländern handhaben den Umgang mit den ungeliebten Nichtkommerziellen sehr unterschiedlich. In Nordrhein-Westfalen flieát z.B. Geld in die Bürgerfunks, die allerdings mit selbstverwalteten Freien Radios wenig zu tun haben. Niedersachsen ist der realpolitische Traum aller Freien Radios. 600000 Mark kriegen die Nichtkommerziellen dort jährlich von der Landesmedienanstalt, ein Betrag, mit dem ein Freies Radio einigermaáen wirtschaften kann.
  Und im Ländle? Laut Landesmediengesetz haben die acht freien Radios in Baden Württemberg seit 1996 Anspruch auf 10% der Fördermittel der LFK und somit auf 0,01% der Rundfunkgebühren. Das wären etwa 175000 Mark pro Radio. Bereits 1996 klappte die Auszahlung dieser Gelder aber nicht. Die LFK stellte eine komplizierte Rechnung auf und kam zu dem Schluá, den Radios stünden jeweils nur 42500 Mark zu. Im gleichen Jahr verzeichnete die Landesanstalt einen Überschuá von 750000 Mark, den sie unter groáem Getöse dem Südwestfunk zukommen lieá.
  Seitdem marschiert Radio Dreyeckland durch die Instanzen, beantragt erfolglos einstweilige Anordnungen und erwägt im Moment eine Klage vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht. Das allerdings ist eine Geldfrage. Die Landesanstalt für Kommunikation würde vermutlich mehr als eine Sektflasche köpfen, wenn Radio Dreyeckland zwischenzeitlich Pleite machte.
  Macht es aber nicht, schlieálich war RDL bisher auch nicht auf Staatsknete angewiesen. Fast nicht, denn indirekt, über den Umweg politischer Stiftungen z.B., floá schon länger staatliches Geld in die Radiokassen. Allerdings immer für besondere Projekte und in Gröáenordnungen, für die bei kommerziellen Radios kaum jemand ins Mikro husten würde. Trotzdem veranlassen solche Zuwendungen - man kann das sympathisch finden oder daran verzweifeln - Radio Dreyeckland regelmäáig zu Höhenflügen.
  Das Gerücht, Geld sei genug da, verbreitet sich in Windeseile. Plötzlich telefonieren wieder alle wie wild, die Technik wird repariert, Computer aufgemöbelt, Honorare bezahlt, und dann, ganz plötzlich, ist das Geld weg. Katastrophenstimmung. Hilferufe, Werbekampagnen, Kapuzenshirts mit der Aufschrift "Linkes Pack" werden als Lockmittel für potentielle Mitglieder benutzt, Löhne werden gestundet, Lokaljournalismus ist angesagt - telefonieren auáerhalb Freiburgs ist zu teuer.
  Die Mitgliederkampagnen wirken meist nur kurzfristig, ansonsten ist die Tendenz eher rückläufig. Die rund 2600 Mitglieder bröckeln. Mit ihnen die Mitgliedsbeiträge, einzige Garanten einer unabhängigen Finanzierung. Die Leute haben weniger Geld, Freie Radios haben ihre Relevanz verloren, Radio Dreyeckland ist zu beliebig, das Programm zu unpolitisch, zu politisch, zu holprig, zu glatt?
  Musik und Wort
  19 Stunden sendet Radio Dreyeckland jeden Tag, die restlichen Nachtstunden werden mit einem Endlosband überbrückt. Das Programm setzt sich zusammen aus meist hochspezialisierten Musiksendungen, die über eine ebenso hochspezialisierte Fangemeinde verfügen, und aus dem Wortprogramm. Das wiederum wird von weitgehend autonomen Redaktionen bestritten. Am Wochenende z.B. senden Radio Ech auf russisch, Aria Fritta auf italienisch, Denge Kurdistane auf kurdisch - Sendungen in zwölf verschiedenen Sprachen erfreuen sich reger Beteiligung ihrer HörerInnen. Davon können die meisten deutschsprachigen Programme nur träumen, es sei denn, sie verlosen CDs mittels hirnloser Quizfragen. Gibt es auch bei Radio Dreyeckland.
  Es gibt aber auch die Redaktionen, die es einfach schon immer gab, was nicht heiáen soll, daá sie sich im Laufe der Jahre nicht auch gewandelt hätten. Radio International z.B. oder das FrauenLesben-Radio das sich vor Jahren nach einem Sexismusstreit von Radio Dreyeckland losgesagt hat und seitdem dienstags als autonome feministische Redaktion sendet, die dem Gesamtradio nicht verpflichtet ist.
  Die Schwule Welle am Donnerstagabend ist ebenso zu einer Institution geworden wie das kritisch-gewerkschaftsorientierte Arbeitsweltradio am Mittwoch oder der Knastfunk am Sonntag. Montags bis freitags von 18 bis 19 Uhr ist das politische Tagesinfo zu hören. Wenn es eins gibt. Immer öfter dudelt auf der Infoschiene eine flugs eingeworfene CD vor sich hin, oder das Programm kommt einem merkwürdig bekannt vor - weil es schon zum dritten Mal wiederholt wird. Tatsache ist: Das Wortprogramm schrumpft, kaum eine Redaktion, die nicht unter Personalmangel leidet.
  Wen wundert's? Radio Dreyeckland hat sich einst aus politisch aktiven Menschen zusammengesetzt. Daá es davon immer weniger gibt, ist ein offenes Geheimnis. Die HörerInnen sind dennoch frustriert, wenigstens das Radio könnte doch weiter überall dabei sein, kritische Analysen liefern, über die Demos und Aktionen berichten, zu denen sie selbst nicht mehr hingehen...
  Anti-Identität
  Auch die Streite sind kraftloser geworden bei Radio Dreyeckland. Während einst der Sexismusstreit (ein hirnloser Macho meinte, für seine Musiksendung mit dem Bild einer nackten Frau in Ketten werben zu müssen) oder der Antisemitismusstreit (das Sendestudio wurde während des Golfkriegs 1991 besetzt, weil die irakischen Giftgasangriffe auf Israel zum antiimperialistischen Befreiungsakt geschönt wurden) noch die Wände wackeln lieáen und zu heftigen Spaltungen führte, wird heute eher ein biáchen zusammengerückt.
  Zwar sind die Meinungen darüber, wie Radio zu machen ist, was Gegenöffentlichkeit bedeutet und was links heiát, so verschieden wie eh und je. Aber weil es so wenige geworden sind, die sich dafür überhaupt noch interessieren und die Vollversammlungen spärlich besucht sind, wird nur noch im Notfall diskutiert und gestritten.
  Wenn es dann doch mal hart auf hart kommt, gibt es zum guten Glück die berühmten Antis, auf die sich dann gern berufen wird: Antisexismus, Antikapitalismus, Antifaschismus, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiklerikalismus, Antiimperialismus und seit 1997 auch Antiantisemitismus und Antinationalismus. Radio Dreyeckland definiert sich politisch tatsächlich nur über Antis. Vielleicht ist es diese Anti-Identität, die es letztendlich doch immer wieder möglich macht, einer Vielzahl unterschiedlichster Menschen unter einem Dach (und auf einer Frequenz) Raum zu bieten. Manche nennen es Demokratie, manche Vielfalt, manche Beliebigkeit.
  Böse Zungen behaupten, der Ruf von Radio Dreyeckland werde besser, je weiter man vom Sendegebiet entfernt sei. Das stimmt. Aber es ist nicht immer begründet. Denn es gibt auch ganz begnadete Sendungen bei Radio Dreyeckland, Töne, die noch nie gehört wurden, Stimmen, die man schon immer mal hören wollte, Musik, die sonst nirgends zu hören ist, Menschen, die sonst selten zu Wort kommen, und Meinungen, die wenig Platz finden in anderen Medien.
  Und es gibt immer wieder Radiotinnen und Radioten, die ganz plötzlich in Begeisterung verfallen, zur Höchstform auflaufen, Sendereihen initiieren, den tragbaren Livesender herumschleppen, Kampagnen unterstützen, internationale Radiokongresse besuchen oder gar selbst organisieren und Soliaufrufe für verfolgte Radios im Baskenland oder in Uruguay verfassen.
  Nach über 20 Jahren Ätherrauschen und zehn Jahren legalem Radioalltag ist Radio Dreyeckland nicht langweilig geworden. Die groáe Offenheit für neue MitarbeiterInnen mischt die Ober-, Zwischen- und Untertöne im Äther ständig neu, medienpolitische Angriffe lassen auf die eigene Relevanz hoffen, stets wiederkehrende finanzielle Grenzerfahrungen halten die Strukturen auf Trab. Am Rande des Abgrunds rostet es sich nicht so leicht.
  Birgit Huber
 


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