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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 3

Mrs Albrights späte Einsichten

von WERNER PIRKER

Im Streben um die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte können Fehler passieren. Das hat nun auch die amerikanische Außenministerin Madeleine Albright zugegeben. "Viele von uns blicken zurück und stellen fest, daß wir in Lateinamerika schwere Fehler begangen haben", gestand die Lady in einem Vortrag vor Studenten in Atlanta. Im Zeichen der Buße will Washington nun bislang geheime Akten über Pinochets Gewaltherrschaft freigeben.
  Daß späte Reue besser sei als gar keine, muß in diesem Fall bezweifelt werden. Denn selbst die plötzlich geäußerten Skrupel der amerikanischen Supermacht sind Ausdruck eines skrupellosen Kalküls. Zur Fortsetzung ihrer globalistischen Gewaltpolitik bedürfen die USA der menschenrechtlichen Legitimation.
  Doch die Schweinereien, die Washington heute verurteilt, galten gestern gestern noch als unabdingbare Voraussetzungen zur Eindämmung des Kommunismus und damit zur Durchsetzung der Freiheit, die sie meinten und immer noch meinen. Diese Freiheit sah der US-Konzern ITT massiv gefährdet, als die Volksfrontregierung in Chile einen neuen Entwicklungsweg einschlug, der das Land aus der Abhängigkeit von den US-Trusts führen sollte. Bereits 1970 waren 400 CIA-Agenten ins Andenland eingeschleust worden, die Chiles reaktionäre Medien lehrten, wie man eine hemmungslose Hetz- und Destabilisierungskampagne entfaltet. Unter dem Datum vom 1.Oktober 1971 legte der Telefonmulti schließlich dem Weißen Haus einen 18-Punkte-Putschplan für Chile vor. Er trug den Stempel "Made in USA".
  Der Staatsstreich mit amerikanischem Qualitätssiegel wurde von chilenischen Spezialisten ausgeführt, seine "menschenrechtliche" Legitimation lieferte das westliche Medienkartell: war nach gängigem Interpretationsmuster im September 1973 den totalitären Weltverbesserern doch eine entscheidende Niederlage zugefügt worden. Gälte die damalige Lesart auch heute, dann wäre Pinochet wohl der Mann, der die erste Bresche in die Berliner Mauer geschlagen hat.
  So aber sollen die Geheimpapiere wohl beweisen, daß Pinochet des Guten etwas zuviel getan hat. Der General hat seine Schuldigkeit getan, der General kann zur Hölle gehen. Dokumente aber, die beweisen könnten, daß Pinochet ein US-amerikanischer Auftragsmörder war, wird Mrs Albright wohl nicht verhökern wollen. Denn das wäre dem weiteren Vormarsch der Menschenrechts-Kreuzritter und der Abschaffung des Völkerrechts zwecks Installierung einer neuen Weltrechtsordnung "Made in USA" nicht unbedingt förderlich. (Der Beitrag erschien zuerst in der jungenWelt vom 5./6.Dezember 1998.)
 


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