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Im Streben um die weltweite Durchsetzung der
Menschenrechte können Fehler passieren. Das hat nun auch die amerikanische
Außenministerin Madeleine Albright zugegeben. "Viele von uns blicken
zurück und stellen fest, daß wir in Lateinamerika schwere Fehler begangen
haben", gestand die Lady in einem Vortrag vor Studenten in Atlanta. Im Zeichen
der Buße will Washington nun bislang geheime Akten über
Pinochets Gewaltherrschaft freigeben.
Daß späte Reue besser sei als gar keine, muß in diesem
Fall bezweifelt werden. Denn selbst die plötzlich geäußerten
Skrupel der amerikanischen Supermacht sind Ausdruck eines skrupellosen
Kalküls. Zur Fortsetzung ihrer globalistischen Gewaltpolitik bedürfen die
USA der menschenrechtlichen Legitimation.
Doch die Schweinereien, die Washington heute verurteilt, galten gestern gestern noch
als unabdingbare Voraussetzungen zur Eindämmung des Kommunismus und
damit zur Durchsetzung der Freiheit, die sie meinten und immer noch meinen. Diese
Freiheit sah der US-Konzern ITT massiv gefährdet, als die Volksfrontregierung
in Chile einen neuen Entwicklungsweg einschlug, der das Land aus der
Abhängigkeit von den US-Trusts führen sollte. Bereits 1970 waren 400
CIA-Agenten ins Andenland eingeschleust worden, die Chiles reaktionäre
Medien lehrten, wie man eine hemmungslose Hetz- und Destabilisierungskampagne
entfaltet. Unter dem Datum vom 1.Oktober 1971 legte der Telefonmulti
schließlich dem Weißen Haus einen 18-Punkte-Putschplan für Chile
vor. Er trug den Stempel "Made in USA".
Der Staatsstreich mit amerikanischem Qualitätssiegel wurde von
chilenischen Spezialisten ausgeführt, seine "menschenrechtliche"
Legitimation lieferte das westliche Medienkartell: war nach gängigem
Interpretationsmuster im September 1973 den totalitären Weltverbesserern doch
eine entscheidende Niederlage zugefügt worden. Gälte die damalige
Lesart auch heute, dann wäre Pinochet wohl der Mann, der die erste
Bresche in die Berliner Mauer geschlagen hat.
So aber sollen die Geheimpapiere wohl beweisen, daß Pinochet des Guten
etwas zuviel getan hat. Der General hat seine Schuldigkeit getan, der
General kann zur Hölle gehen. Dokumente aber, die beweisen
könnten, daß Pinochet ein US-amerikanischer Auftragsmörder war,
wird Mrs Albright wohl nicht verhökern wollen. Denn das wäre
dem weiteren Vormarsch der Menschenrechts-Kreuzritter und der Abschaffung des
Völkerrechts zwecks Installierung einer neuen Weltrechtsordnung "Made
in USA" nicht unbedingt förderlich. (Der Beitrag erschien
zuerst in der jungenWelt vom 5./6.Dezember 1998.)