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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 3

Privat oder staatlich?

Der Schacher mit der Bahn

Von Karl dem Großen wird berichtet, daß er den Plan zu einem Kanal zwischen Main und Donau betrieb. Das Projekt mußte abgebrochen werden wegen zu großer technischer Schwierigkeiten und weil die Finanzierung aus dem Ruder lief.
  Im Jahre 1516 sicherten Kaiser Maximilian und der spanische König Karl I. (der wenig später zum Kaiser Karl V. gewählt wurde) Franz von Taxis gegen kostenlose Beförderung kaiserlicher Briefe das erbliche Recht auf alle sonstigen Einnahmen aus dem Postbetrieb zu - Grundlage der Reichtums der Familie von Thurn und Taxis in den folgenden Jahrhunderten.
  Die erste öffentliche Eisenbahn wurde auf Betreiben des britischen Kriegsministeriums gebaut, um in den napoleonischen Kriegen eine bessere Verbindung zwischen London und dem Marinehafen Portsmouth zu haben. Nach Eröffnung erster Teilstrecken 1803 und 1805 wurde das Unternehmen nicht weiter verfolgt, da inzwischen Napoleon bei Trafalgar geschlagen und eine Invasion in Großbritannien nicht mehr zu befürchten war. Der von der Gegenseite zu solchem Behufe angedachte Kanaltunnel kam über das Planungsstadium nicht hinaus.
  Drei Beispiele aus verschiedenen Jahrhunderten, die zeigen, wie unterschiedlich staatliche Instanzen an Infrastruktur und Kommunikationswesen interessiert waren. Zugleich werden entscheidende Triebkräfte für solches Engagement sichtbar: staatliche Verantwortung für die Förderung von Handel und Gewerbe; Erleichterung (und Verbilligung) der Verwaltung; der Krieg.
  Alle diese Kräfte wirkten auch auf die Entstehung und Ausgestaltung der Eisenbahnnetze im 19. und 20.Jahrhundert. Eine der umstrittensten Entscheidungen war dabei die zwischen Staatsbahn und Privatbahn. Die Antworten fielen, je nach Zeit und Ort, recht unterschiedlich aus. Einige Länder, allen voran Baden und Braunschweig, setzten von Anfang an auf die Staatsbahn, andere bevorzugten das private Unternehmertum.
  Doch trotz manchem Hin und Her war der historische Trend eindeutig: Seit 1852 wurden in Deutschland mehr Strecken unter Staatsregie betrieben als privat. Manche Länder leisteten sich auch Kapriolen. Braunschweig verkaufte 1870 seine Eisenbahnen, 1885 dann wurden sie in die preußischen Staatsbahnen eingegliedert. Mecklenburg, das mit Privatbahnen begonnen hatte, setzte seit 1870 auf staatliche Initiative, verkaufte 1873 seine Anteile, und leitete ein Jahrzehnt später die endgültige Verstaatlichung ein.
  Ein besonderes System erfanden Italien und die Niederlande: Hier waren die Bahnen in Staatseigentum, der Betrieb aber wurde an Privatunternehmen verpachtet.
  Um die Jahrhundertwende schien der jahrzehntelange Streit entschieden; in Deutschland befanden sich weniger als 10% des Eisenbahnnetzes in privater Hand, Tendenz weiter sinkend. Ein Großteil davon waren seit etwa 1890 neugegründete Kleinbahnen, die wenig Gewinn versprachen und gerade deshalb findigen Unternehmern eine Nischenexistenz ermöglichten.
  Der Brockhaus faßte um 1900 die Diskussion wie folgt zusammen: "Die Gegner der Staatsbahnen berufen sich auf die allgemeinen Nachteile staatlicher Betriebe und behaupten, der Staat baue und verwalte teurer als Privatunternehmer. Durch die Vereinigung der Eisenbahnen in der Hand des Staates würde die belebende Privattätigkeit lahmgelegt und die Macht des Staates bedenklich erweitert; es liege die Gefahr vor, daß die wichtigsten Verkehrsfragen nicht im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse des Landes, sondern nach einseitigen bureaukratischen Rücksichten entschieden würden … Demgegenüber wird von den Verteidigern der Staatsbahnen darauf hingewiesen, daß eine wirtschaftliche Verwendung des Kapitalvermögens, das durch die Anlage und den Betrieb von Eisenbahnen in so großartigem Maße in Anspruch genommen werde, nur bei dem Staatseisenbahnsystem möglich sei. Die Verwaltung der Eisenbahnen, deren gewinnwirtschaftliche Interessen mit den Interessen der Gemeinwirtschaft vielfach, insbesondere auf dem wichtigen Gebiete des Tarifwesens, in Widerspruch ständen, könne niemals von auf Erwerb bedachten Privatgesellschaften, sondern nur allein vom Staate in einer dem Gemeinwohl entsprechenden Weise geleitet werden."
  Bleibt noch zu erwähnen, daß auch militärische Interessen eine Rolle spielten. Mehrere Bahnstrecken, die als "Kanonenbahn" bekannt wurden, waren unter maßgeblichem Einfluß des Generalstabs angelegt worden. Aber auch die Eigentumsfrage wurde davon berührt: 1866 verkaufte Preußen für 13 Millionen Taler seine Aktien an der Köln-Mindener Eisenbahn, um den Krieg gegen Österreich zu finanzieren.
  Die letzte deutsche Privatbahn von überregionaler Bedeutung, die Lübeck-Büchener Eisenbahn, wurde 1938 verstaatlicht; nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die Deutsche Reichsbahn in der SBZ, späteren DDR, fast ausnahmslos auch die zahlreichen Kleinbahnen. Der Sieg des Staatsbahnsystems schien so vollkommen, daß zum 150jährigen Jubiläum der deutschen Eisenbahnen der Ausstellungsband Zug der Zeit – Zeit der Züge feststellen konnte: "Von den vielen hundert Privatbahngesellschaften blieben nur einige wenige übrig – als Zeugen einer längst vergangenen Zeit."
  International gab es nur zwei wichtige Industriestaaten, die eisern am Privatbahnsystem festhielten: Großbritannien und die USA. Im Mutterland des Kapitalismus wurden die Eisenbahnen im Ersten Weltkrieg unter Staatsregie gestellt; danach mußten die rund 120 britischen Bahngesellschaften (bis auf einige wenige von lokaler Bedeutung) zwangsweise zu vier großen Gebietsmonopolen fusionieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg (und erneuter Zwangsverwaltung durch den Staat) siegte auch hier das Gemeinwirtschaftsprinzip: unter der neuen Labour-Regierung wurden die Eisenbahnen 1948 zum Staatsunternehmen British Rail zusammengefaßt.
  In den USA wäre der große Landraub, der die Staaten im Laufe des 19.Jahrhunderts quer über den nordamerikanischen Kontinent führte, ohne die Eisenbahn nicht möglich gewesen – aber auch nicht ohne massive Kumpanei zwischen Staat und Eisenbahnunternehmern. Die Armee sicherte Bau und Betrieb der Eisenbahnen im Territorium unterworfener Völker, der Staat schenkte den Bahnunternehmen riesige Ländereien aus dem Besitz ebenjener Völker.
  Mit Beginn der 20er und verstärkt seit den 50er Jahren des 20.Jahrhunderts machte sich eine neue Kapitalfraktion (Auto, Öl und Gummi) daran, die alte Fraktion (Eisenbahn, Kohle und Stahl) aufzufressen. Die Methoden waren dabei oft nicht weniger rüde als die, mit denen sich einst die Eisenbahn gegen ihre Konkurrenten durchgesetzt hatte. Als in den 70er Jahren der völlige Zusammenbruch des Eisenbahnsystems bevorstand, sah sich selbst in diesem erzkapitalistischen Land der Staat zum Eingreifen genötigt. Halbstaatliche Auffanggesellschaften sicherten zuerst im Güterverkehr (Conrail), dann auch im Personenverkehr (Amtrak) das Fortbestehen eines Rumpfbetriebs.
  Daß die neoliberale Welle eines Tages auch die Welt der deutschen Bahn heimsuchen würde, war zu erwarten. Richtig ins Rollen kam dies in Deutschland jedoch erst mit der Ausverkaufsstimmung nach dem Zusammenbruch der DDR. Wie alles Volksvermögen stand auch die heruntergewirtschaftete Deutsche Reichsbahn zum Verscherbeln an; im gleichen Atemzug sollte auch die Deutsche Bundesbahn daran glauben, allerdings mußte sie erst noch entsprechend heruntergewirtschaftet werden. Bis dato war der Betrieb der Bundesbahn immer noch weitgehend kostendeckend gewesen, die Zinslast der aufgelaufenen Schulden sorgte aber jedes Jahr für beeindruckende Defizite. Für den gemeinsamen Vorstand von Bundes- und Reichsbahn gewann die Bundesregierung einen Manager aus der Automobilbranche: den Chef der Autolackierautomatenfirma Heinz Dürr, Aufsichtsratsmitglied bei Daimler-Benz und bereits im Fall AEG als erfolgreicher Kaputtsanierer aufgetreten. Die Schuldenlast der Bahn erhöhte sich nun dramatisch: von 42,8 Mrd. DM Ende 1991 auf 66,2 Mrd. Ende 1993.
  Nun sind hohe Schulden nichts Neues. Im Privatisierungswahn der 90er Jahre wurden die Schulden aber zum entscheidenden Hebel für die Zerschlagung der Staatsbahn. Erfolgreich wurde der Eindruck vermittelt, die alte "Behördenbahn" sei unfähig, einen attraktiven Bahnbetrieb zu gewährleisten. Dabei hatte die Behörde Bahn doch nur jahrzehntelang die politischen Vorgaben ihres Dienstherren befolgt. Und die hießen seit den 30er Jahren: Alles für das Auto! Ein erfolgreich mit der Straße konkurrierender Bahnbetrieb war – jedenfalls im Westen – nicht gewünscht; die Eisenbahn wurde nur als Beförderungsmittel für den Restverkehr betrachtet, den die Straße noch nicht übernehmen konnte. Eine ganze Generation von Eisenbahnern wurde geprägt von Abbau, Betriebseinschränkungen und Rückzug aus der Fläche.
  Dementsprechend erwies sich die Bahnprivatisierung als Fortsetzung der bisherigen Politik mit neuen Mitteln. Die Bahn sollte von "bürokratischen Fesseln" und "schädlichen politischen Einflußnahmen" befreit werden. Das gelang insbesondere bei Streckenstillegungen. Konnte früher jedes Landratsamt das langwierige Stillegungsverfahren hinauszögern, reicht heute im wesentlichen eine Anmeldung bei der Aufsichtsbehörde. Die Stillegungswelle hat demzufolge auch ein dramatisches Ausmaß erreicht. Der staatlich finanzierte, planwirtschaftlich betriebene Straßenbau geht derweil ungebremst weiter.
  Neu ist auch der Grundstücksschacher mit Bahngelände. Die Eisenbahn gehört auch in Deutschland zu den größten Grundeigentümern überhaupt, darauf richten sich die Begehrlichkeiten der Finanzpolitiker. Das Ausschlachten der Bahnimmobilien soll die nötigen Gelder zur Tilgung der Altschulden locker machen. Die Zukunft des Bahnverkehrs spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Daß die Vermögenswerte nicht einmal bei der vorgesehenen Stelle im Bundeshaushalt ankommen, sondern auf dubiose Weise bei privatrechtlichen Immobilienverwertungsfirmen landen, setzt dem Ganzen nur noch das i-Tüpfelchen auf.
  Derweil erklären die Bahnmanager landauf, landab: "Daß wir ständig Marktanteile verlieren, ist gut und zeigt nur, daß wir ständig besser werden, denn jetzt haben wir ja echte Konkurrenz." So haben wir die Marktwirtschaft doch gern.
  Bernhard Strowitzki
 


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