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Von Karl dem Großen wird berichtet, daß er
den Plan zu einem Kanal zwischen Main und Donau betrieb. Das Projekt mußte
abgebrochen werden wegen zu großer technischer Schwierigkeiten und weil die
Finanzierung aus dem Ruder lief.
Im Jahre 1516 sicherten Kaiser Maximilian und der spanische König Karl I. (der
wenig später zum Kaiser Karl V. gewählt wurde) Franz von Taxis gegen
kostenlose Beförderung kaiserlicher Briefe das erbliche Recht auf alle sonstigen
Einnahmen aus dem Postbetrieb zu - Grundlage der Reichtums der Familie von Thurn
und Taxis in den folgenden Jahrhunderten.
Die erste öffentliche Eisenbahn wurde auf Betreiben des britischen
Kriegsministeriums gebaut, um in den napoleonischen Kriegen eine bessere
Verbindung zwischen London und dem Marinehafen Portsmouth zu haben. Nach
Eröffnung erster Teilstrecken 1803 und 1805 wurde das Unternehmen nicht
weiter verfolgt, da inzwischen Napoleon bei Trafalgar geschlagen und eine Invasion in
Großbritannien nicht mehr zu befürchten war. Der von der Gegenseite zu
solchem Behufe angedachte Kanaltunnel kam über das Planungsstadium nicht
hinaus.
Drei Beispiele aus verschiedenen Jahrhunderten, die zeigen, wie unterschiedlich
staatliche Instanzen an Infrastruktur und Kommunikationswesen interessiert waren.
Zugleich werden entscheidende Triebkräfte für solches Engagement
sichtbar: staatliche Verantwortung für die Förderung von Handel und
Gewerbe; Erleichterung (und Verbilligung) der Verwaltung; der Krieg.
Alle diese Kräfte wirkten auch auf die Entstehung und Ausgestaltung der
Eisenbahnnetze im 19. und 20.Jahrhundert. Eine der umstrittensten Entscheidungen
war dabei die zwischen Staatsbahn und Privatbahn. Die Antworten fielen, je nach Zeit
und Ort, recht unterschiedlich aus. Einige Länder, allen voran Baden und
Braunschweig, setzten von Anfang an auf die Staatsbahn, andere bevorzugten das
private Unternehmertum.
Doch trotz manchem Hin und Her war der historische Trend eindeutig: Seit 1852
wurden in Deutschland mehr Strecken unter Staatsregie betrieben als privat. Manche
Länder leisteten sich auch Kapriolen. Braunschweig verkaufte 1870 seine
Eisenbahnen, 1885 dann wurden sie in die preußischen Staatsbahnen
eingegliedert. Mecklenburg, das mit Privatbahnen begonnen hatte, setzte seit 1870 auf
staatliche Initiative, verkaufte 1873 seine Anteile, und leitete ein Jahrzehnt
später die endgültige Verstaatlichung ein.
Ein besonderes System erfanden Italien und die Niederlande: Hier waren die Bahnen in
Staatseigentum, der Betrieb aber wurde an Privatunternehmen verpachtet.
Um die Jahrhundertwende schien der jahrzehntelange Streit entschieden; in
Deutschland befanden sich weniger als 10% des Eisenbahnnetzes in privater Hand,
Tendenz weiter sinkend. Ein Großteil davon waren seit etwa 1890
neugegründete Kleinbahnen, die wenig Gewinn versprachen und gerade deshalb
findigen Unternehmern eine Nischenexistenz ermöglichten.
Der Brockhaus faßte um 1900 die Diskussion wie folgt zusammen: "Die
Gegner der Staatsbahnen berufen sich auf die allgemeinen Nachteile staatlicher
Betriebe und behaupten, der Staat baue und verwalte teurer als Privatunternehmer.
Durch die Vereinigung der Eisenbahnen in der Hand des Staates würde die
belebende Privattätigkeit lahmgelegt und die Macht des Staates bedenklich
erweitert; es liege die Gefahr vor, daß die wichtigsten Verkehrsfragen nicht im
allgemeinen wirtschaftlichen Interesse des Landes, sondern nach einseitigen
bureaukratischen Rücksichten entschieden würden …
Demgegenüber wird von den Verteidigern der Staatsbahnen darauf hingewiesen,
daß eine wirtschaftliche Verwendung des Kapitalvermögens, das durch die
Anlage und den Betrieb von Eisenbahnen in so großartigem Maße in
Anspruch genommen werde, nur bei dem Staatseisenbahnsystem möglich sei.
Die Verwaltung der Eisenbahnen, deren gewinnwirtschaftliche Interessen mit den
Interessen der Gemeinwirtschaft vielfach, insbesondere auf dem wichtigen Gebiete des
Tarifwesens, in Widerspruch ständen, könne niemals von auf Erwerb
bedachten Privatgesellschaften, sondern nur allein vom Staate in einer dem
Gemeinwohl entsprechenden Weise geleitet werden."
Bleibt noch zu erwähnen, daß auch militärische Interessen eine
Rolle spielten. Mehrere Bahnstrecken, die als "Kanonenbahn" bekannt
wurden, waren unter maßgeblichem Einfluß des Generalstabs angelegt
worden. Aber auch die Eigentumsfrage wurde davon berührt: 1866 verkaufte
Preußen für 13 Millionen Taler seine Aktien an der Köln-Mindener
Eisenbahn, um den Krieg gegen Österreich zu finanzieren.
Die letzte deutsche Privatbahn von überregionaler Bedeutung, die
Lübeck-Büchener Eisenbahn, wurde 1938 verstaatlicht; nach dem
Zweiten Weltkrieg übernahm die Deutsche Reichsbahn in der SBZ,
späteren DDR, fast ausnahmslos auch die zahlreichen Kleinbahnen. Der Sieg des
Staatsbahnsystems schien so vollkommen, daß zum 150jährigen
Jubiläum der deutschen Eisenbahnen der Ausstellungsband Zug der Zeit – Zeit
der Züge feststellen konnte: "Von den vielen hundert
Privatbahngesellschaften blieben nur einige wenige übrig – als Zeugen einer
längst vergangenen Zeit."
International gab es nur zwei wichtige Industriestaaten, die eisern am Privatbahnsystem
festhielten: Großbritannien und die USA. Im Mutterland des Kapitalismus
wurden die Eisenbahnen im Ersten Weltkrieg unter Staatsregie gestellt; danach
mußten die rund 120 britischen Bahngesellschaften (bis auf einige wenige von
lokaler Bedeutung) zwangsweise zu vier großen Gebietsmonopolen fusionieren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg (und erneuter Zwangsverwaltung durch den Staat) siegte
auch hier das Gemeinwirtschaftsprinzip: unter der neuen Labour-Regierung wurden die
Eisenbahnen 1948 zum Staatsunternehmen British Rail
zusammengefaßt.
In den USA wäre der große Landraub, der die Staaten im Laufe des
19.Jahrhunderts quer über den nordamerikanischen Kontinent führte, ohne
die Eisenbahn nicht möglich gewesen – aber auch nicht ohne massive Kumpanei
zwischen Staat und Eisenbahnunternehmern. Die Armee sicherte Bau und Betrieb der
Eisenbahnen im Territorium unterworfener Völker, der Staat schenkte den
Bahnunternehmen riesige Ländereien aus dem Besitz ebenjener
Völker.
Mit Beginn der 20er und verstärkt seit den 50er Jahren des 20.Jahrhunderts
machte sich eine neue Kapitalfraktion (Auto, Öl und Gummi) daran, die alte
Fraktion (Eisenbahn, Kohle und Stahl) aufzufressen. Die Methoden waren dabei oft
nicht weniger rüde als die, mit denen sich einst die Eisenbahn gegen ihre
Konkurrenten durchgesetzt hatte. Als in den 70er Jahren der völlige
Zusammenbruch des Eisenbahnsystems bevorstand, sah sich selbst in diesem
erzkapitalistischen Land der Staat zum Eingreifen genötigt. Halbstaatliche
Auffanggesellschaften sicherten zuerst im Güterverkehr (Conrail), dann auch im
Personenverkehr (Amtrak) das Fortbestehen eines Rumpfbetriebs.
Daß die neoliberale Welle eines Tages auch die Welt der deutschen Bahn
heimsuchen würde, war zu erwarten. Richtig ins Rollen kam dies in Deutschland
jedoch erst mit der Ausverkaufsstimmung nach dem Zusammenbruch der DDR. Wie
alles Volksvermögen stand auch die heruntergewirtschaftete Deutsche
Reichsbahn zum Verscherbeln an; im gleichen Atemzug sollte auch die Deutsche
Bundesbahn daran glauben, allerdings mußte sie erst noch entsprechend
heruntergewirtschaftet werden. Bis dato war der Betrieb der Bundesbahn immer noch
weitgehend kostendeckend gewesen, die Zinslast der aufgelaufenen Schulden sorgte
aber jedes Jahr für beeindruckende Defizite. Für den gemeinsamen
Vorstand von Bundes- und Reichsbahn gewann die Bundesregierung einen Manager
aus der Automobilbranche: den Chef der Autolackierautomatenfirma Heinz
Dürr, Aufsichtsratsmitglied bei Daimler-Benz und bereits im Fall AEG als
erfolgreicher Kaputtsanierer aufgetreten. Die Schuldenlast der Bahn erhöhte sich
nun dramatisch: von 42,8 Mrd. DM Ende 1991 auf 66,2 Mrd. Ende 1993.
Nun sind hohe Schulden nichts Neues. Im Privatisierungswahn der 90er Jahre wurden
die Schulden aber zum entscheidenden Hebel für die Zerschlagung der
Staatsbahn. Erfolgreich wurde der Eindruck vermittelt, die alte
"Behördenbahn" sei unfähig, einen attraktiven Bahnbetrieb zu
gewährleisten. Dabei hatte die Behörde Bahn doch nur jahrzehntelang die
politischen Vorgaben ihres Dienstherren befolgt. Und die hießen seit den 30er
Jahren: Alles für das Auto! Ein erfolgreich mit der Straße konkurrierender
Bahnbetrieb war – jedenfalls im Westen – nicht gewünscht; die Eisenbahn wurde
nur als Beförderungsmittel für den Restverkehr betrachtet, den die
Straße noch nicht übernehmen konnte. Eine ganze Generation von
Eisenbahnern wurde geprägt von Abbau, Betriebseinschränkungen und
Rückzug aus der Fläche.
Dementsprechend erwies sich die Bahnprivatisierung als Fortsetzung der bisherigen
Politik mit neuen Mitteln. Die Bahn sollte von "bürokratischen
Fesseln" und "schädlichen politischen Einflußnahmen"
befreit werden. Das gelang insbesondere bei Streckenstillegungen. Konnte früher
jedes Landratsamt das langwierige Stillegungsverfahren hinauszögern, reicht
heute im wesentlichen eine Anmeldung bei der Aufsichtsbehörde. Die
Stillegungswelle hat demzufolge auch ein dramatisches Ausmaß erreicht. Der
staatlich finanzierte, planwirtschaftlich betriebene Straßenbau geht derweil
ungebremst weiter.
Neu ist auch der Grundstücksschacher mit Bahngelände. Die Eisenbahn
gehört auch in Deutschland zu den größten
Grundeigentümern überhaupt, darauf richten sich die Begehrlichkeiten der
Finanzpolitiker. Das Ausschlachten der Bahnimmobilien soll die nötigen Gelder
zur Tilgung der Altschulden locker machen. Die Zukunft des Bahnverkehrs spielte
dabei nur eine untergeordnete Rolle. Daß die Vermögenswerte nicht
einmal bei der vorgesehenen Stelle im Bundeshaushalt ankommen, sondern auf dubiose
Weise bei privatrechtlichen Immobilienverwertungsfirmen landen, setzt dem Ganzen
nur noch das i-Tüpfelchen auf.
Derweil erklären die Bahnmanager landauf, landab: "Daß wir
ständig Marktanteile verlieren, ist gut und zeigt nur, daß wir ständig
besser werden, denn jetzt haben wir ja echte Konkurrenz." So haben wir die
Marktwirtschaft doch gern.
Bernhard Strowitzki