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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 8

Moderne Zeiten – Elende Arbeit

Die Menschenrechtsorganisation Anti-Slavery International bekämpft weltweit extreme Formen der Kinderarbeit

Anti-Slavery International, die älteste Menschenrechtsorganisation der Welt, wurde 1839 gegründet. An ihrer Spitze Thomas Clarkson, von 1785 bis zur formellen Emanzipation britischer Sklaven 1834 die treibende Kraft der Anti-Sklaverei-Kampagne Großbritanniens.
  Hinter seinem Engagement stand nicht nur der unerschütterliche Glaube, daß jeder Mensch frei sein sollte, er argumentierte auch mit ökonomischen Berechnungen und war ein Verfechter der freien Marktwirtschaft. Seine feste Überzeugung, daß der freie Handel mit Afrika viel lukrativer sein würde als Afrikanerinnen und Afrikaner zu verkaufen und umzubringen, setzte sich schließlich durch.
  Im Jahr 1807 wurde der Sklavenhandel unter britischer Krone offiziell beendet, im August 1834 die Sklaven in den britischen Kolonien befreit. Den Sklavenbesitzern wurden Entschädigungen gezahlt. Viele AktivistInnen der Antisklavereibewegung fragten lautstark, warum nicht die in eine sehr ungewisse Freiheit entlassenen Sklavinnen und Sklaven das Geld bekämen. Thomas Clarkson aber war mit dem Erfolg der Kampagne zufrieden. Zu diesem Zeitpunkt war die Befreiung der Sklaven in den französichen Kolonien (1848) noch nicht in Sicht, Nordamerika stand der "Bürgerkrieg" noch bevor.
  Von überall wurden die erfolgreichen Abolitionisten aus Großbritannien von den Antisklavereibewegungen aus anderen Ländern um Rat gefragt. Und so gründete sich 1839 unter der Präsidentschaft von Thomas Clarkson die Anti-Slavery International (ASI).
  Heute hat ASI beratende Funktion bei der UNO. Sie arbeitet mit Basisbewegungen in vielen Ländern der Welt zusammen, um die verschiedenen Formen der Sklaverei in deren Ländern zu bekämpfen. ASI weist darauf hin, daß Sklaverei auch in Europa nicht ausgerottet ist. Sowohl in Großbritannien, als auch in Frankreich und Deutschland wurden Fälle von Hausangestellten aus Drittweltländern bekannt, die unter den Begriff der Sklaverei zu fassen sind.
  1998, im Jubiläumsjahr der UN-Menschenrechtserklärung, hat ASI ihren Schwerpunkt auf die Bekämpfung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit gelegt. Ihre Prioritäten legt sie dabei auf für Kinder gefährliche und erniedrigende Formen der Arbeit und auf Fälle von Kinderhandel und Sklaverei, wohl wissend, daß Kinderarbeit in vielen Ländern überlebensnotwendige Realität ist.
  Im folgenden sind einige Fälle dokumentiert, die ASI aktuell anprangert.
 
  Pakistan
  Sakina ist 12 Jahre alt und arbeitet mit ihrer Familie als versklavte Arbeiterin für einen Gutsbesitzer in der Provinz Sindh im südlichen Pakistan. Ihre Familie hatte dringend Geld gebraucht und deshalb einen Vorschuß von ihrem zamindar, dem Gutsbesitzer, akzeptiert. Seitdem arbeiten sie für eine Schuld, die jedes Jahr wächst und die sie nie zurückzahlen können.
  "Ich zupfe Baumwolle und Chilis, ernte Weizen und andere Getreide, eben alles, was der zamindar will ... Sie schlagen mich und lassen mich hungern. Sie sagen, wenn wir nicht arbeiten, kriegen wir nichts zu essen ... Ich kann nicht weglaufen, meine Eltern würden geschlagen werden – und wo soll ich hingehen?"
  Nicht nur im industriellen Sektor Pakistans, auch auf dem Land existieren Formen von Sklavenarbeit. Tausende von Kindern arbeiten unter Zwang auf Farmen im südlichen Pakistan. Viele von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten, häufig traditionell als Hirten lebenden Hindus, die vielen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Ganze Familien können für Generationen gefangen gehalten werden. Sie haben einmal ein Darlehen von ihrem zamindar erhalten und arbeiten nun ihre inflationär steigenden Schulden ab.
  Benötigen sie z.B. einen Arzt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als wieder Geld vom zamindar zu leihen. Wenn der zamindar wiederum Geld braucht, kassiert er die Schulden von einem anderen Gutsbesitzer; die Sklaven werden verkauft. Die Schulden werden weitervererbt. Die Kinder dürfen nicht zur Schule gehen, sie kennen kein anderes Leben.
  Wer in Sklaverei geboren ist, bleibt Sklave, oft ein Leben lang. Aus Pakistan sind sogar Fälle bekannt, in denen Kinder und Erwachsene in Ketten gehalten werden.
  Unter der früheren Regierung der Moslemliga wurde 1992 ein Gesetz gegen Sklaverei erlassen. Alle unter Zwang arbeitenden Kinder und Erwachsenen sollten befreit werden. Bis heute, fast zwei Jahre nach der erneuten Machtübernahme der Liga, kann von der Umsetzung dieses Gesetzes keine Rede sein.
 
  Indonesien
  Ungefähr 1500 handgezimmerte, wacklige Holzplattformen schaukeln auf dem Meer, 5–10 Kilometer von der Nordostküste Sumatras entfernt. Diese Plattformen dienen zum Fischen. Sie sind Heim einiger tausend Kinder, die dort unter hochgefährlichen Bedingungen arbeiten. Unter den Plattformen werden Fische in große Netze getrieben, die an Deck geleert werden.
  Bis zu zehn Arbeiter sind auf jeder Plattform, ein Aufseher und zumeist drei bis vier Kinder unter 14 Jahren, normalerweise Jungen. Die Arbeit beginnt um 6 Uhr morgens, die Netze werden eingeholt, der Fisch gekocht, getrocknet und sortiert. Der Tag endet um Mitternacht, der Schlaf wird durch verschiedene Aufgaben unterbrochen. In der Hauptsaison beginnt der Arbeitstag um 1 Uhr nachts. Die Jungen arbeiten sieben Tage die Woche für mindestens drei Monate, einige bleiben bis zu acht Monaten am Stück auf der Plattform, ohne ein einziges Mal an Land gehen zu können. Der einzige Kontakt zur Außenwelt ist ein Versorgungsboot, das alle zwei Wochen kommt.
  Die Arbeit ist extrem gefährlich. Viele Kinder, chronisch übermüdet, fallen von den Plattformen und ertrinken. Es gibt Berichte von Plattformen, die bei stürmischer See zerbrachen – Männer und Kinder ertranken. Die Jungen sind darüber hinaus der Männergewalt, sexuellem Mißbrauch und Vergewaltigung ausgeliefert.
  Auch nach indonesischem Recht ist diese Form der Kinderarbeit illegal. ASI stuft sie als moderne Form der Sklaverei ein, weil die Kinder unter totaler Abhängigkeit von ihren Chefs leben, daran gehindert werden, die Plattformen zu verlassen, und Löhne, wenn sie überhaupt gezahlt werden, bis zum Ende der drei Monate zurückgehalten werden. Die Kinder werden unter falschen Versprechungen zu ihnen unbekannten Orten, den Plattformen, gebracht, ihre materielle Not wird rücksichtslos ausgenutzt.
 
  Westafrika
  1996 wurde ein illegales Arbeitslager für Kinder in Lagos (Nigeria) entdeckt. Nachbarn hatten von dem fünfstöckigen Gebäude als einem "Kindermarkt" oder "Sklavenlager" berichtet. Die verstörten, unterernährten Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, kamen größtenteils aus Togo. Über Benin waren sie nach Nigeria gebracht worden. Untersuchungsbeamte fanden heraus, daß alle zwei Monate etwa 30 Kinder von Händlern aus Benin und Togo geliefert worden waren.
  Leute, die nach billigen Arbeitskräften suchten, kamen zum Lager in Lagos und wählten die Kinder aus, die sie haben wollten. Die meisten wurden in der Hausarbeit angestellt, als Markt- oder Ladenverkäuferinnen. Einige arbeiteten als Wagenwäscherinnen oder kassierten Fahrgelder in Minibussen.
  Die Mehrzahl der gehandelten Kinder besteht aus Mädchen. Als Hausangestellte leben sie bei ihren Arbeitsgebern in totaler Abhängigkeit.
  Eine gemeinsame Studie von ASI und WAO-Afrique von 1994 zeigt, daß 95 Prozent aller kindlichen Hausangestellten Mädchen sind. Die Hälfte von ihnen waren unter 15 Jahren. Während einige die Grundschule besucht hatten, waren nur wenige in der Hauptschule gewesen, und 45 Prozent hatten überhaupt nie eine Schule besucht. Die Mädchen sind aufgrund ihres Geschlechts, Alters, ihrer Gefangenschaft und der dadurch entstehenden Unsichtbarkeit für die Außenwelt, sehr leicht dem Mißbrauch ausgesetzt.
  Die Kinder stammen aus sehr armen Familien und wurden ihren Eltern unter falschen Versprechungen abgekauft. Der Preis liegt bei 21 Dollar je Kind. Kinder für Geld in andere Familien zu geben und sie so häufig vor dem Verhungern zu bewahren ist in Westafrika nicht selten. Der organisierte Kinderhandel über Ländergrenzen hinweg, so wie er hier beschrieben wurde, ist ein neueres Phänomen und gleichzeitig ein rapide wachsender Sektor.
 


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