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Anti-Slavery International, die älteste
Menschenrechtsorganisation der Welt, wurde 1839 gegründet. An ihrer Spitze
Thomas Clarkson, von 1785 bis zur formellen Emanzipation britischer Sklaven 1834
die treibende Kraft der Anti-Sklaverei-Kampagne Großbritanniens.
Hinter seinem Engagement stand nicht nur der unerschütterliche Glaube,
daß jeder Mensch frei sein sollte, er argumentierte auch mit ökonomischen
Berechnungen und war ein Verfechter der freien Marktwirtschaft. Seine feste
Überzeugung, daß der freie Handel mit Afrika viel lukrativer sein
würde als Afrikanerinnen und Afrikaner zu verkaufen und umzubringen, setzte
sich schließlich durch.
Im Jahr 1807 wurde der Sklavenhandel unter britischer Krone offiziell beendet, im
August 1834 die Sklaven in den britischen Kolonien befreit. Den Sklavenbesitzern
wurden Entschädigungen gezahlt. Viele AktivistInnen der
Antisklavereibewegung fragten lautstark, warum nicht die in eine sehr ungewisse
Freiheit entlassenen Sklavinnen und Sklaven das Geld bekämen. Thomas
Clarkson aber war mit dem Erfolg der Kampagne zufrieden. Zu diesem Zeitpunkt war
die Befreiung der Sklaven in den französichen Kolonien (1848) noch nicht in
Sicht, Nordamerika stand der "Bürgerkrieg" noch bevor.
Von überall wurden die erfolgreichen Abolitionisten aus Großbritannien
von den Antisklavereibewegungen aus anderen Ländern um Rat gefragt. Und so
gründete sich 1839 unter der Präsidentschaft von Thomas Clarkson die
Anti-Slavery International (ASI).
Heute hat ASI beratende Funktion bei der UNO. Sie arbeitet mit Basisbewegungen in
vielen Ländern der Welt zusammen, um die verschiedenen Formen der Sklaverei
in deren Ländern zu bekämpfen. ASI weist darauf hin, daß
Sklaverei auch in Europa nicht ausgerottet ist. Sowohl in Großbritannien, als
auch in Frankreich und Deutschland wurden Fälle von Hausangestellten aus
Drittweltländern bekannt, die unter den Begriff der Sklaverei zu fassen
sind.
1998, im Jubiläumsjahr der UN-Menschenrechtserklärung, hat ASI ihren
Schwerpunkt auf die Bekämpfung der schlimmsten Formen von Kinderarbeit
gelegt. Ihre Prioritäten legt sie dabei auf für Kinder gefährliche und
erniedrigende Formen der Arbeit und auf Fälle von Kinderhandel und Sklaverei,
wohl wissend, daß Kinderarbeit in vielen Ländern
überlebensnotwendige Realität ist.
Im folgenden sind einige Fälle dokumentiert, die ASI aktuell
anprangert.
Pakistan
Sakina ist 12 Jahre alt und arbeitet mit ihrer Familie als versklavte Arbeiterin für
einen Gutsbesitzer in der Provinz Sindh im südlichen Pakistan. Ihre Familie hatte
dringend Geld gebraucht und deshalb einen Vorschuß von ihrem zamindar, dem
Gutsbesitzer, akzeptiert. Seitdem arbeiten sie für eine Schuld, die jedes Jahr
wächst und die sie nie zurückzahlen können.
"Ich zupfe Baumwolle und Chilis, ernte Weizen und andere Getreide, eben alles,
was der zamindar will ... Sie schlagen mich und lassen mich hungern. Sie sagen, wenn
wir nicht arbeiten, kriegen wir nichts zu essen ... Ich kann nicht weglaufen, meine
Eltern würden geschlagen werden – und wo soll ich hingehen?"
Nicht nur im industriellen Sektor Pakistans, auch auf dem Land existieren Formen von
Sklavenarbeit. Tausende von Kindern arbeiten unter Zwang auf Farmen im
südlichen Pakistan. Viele von ihnen gehören zu ethnischen Minderheiten,
häufig traditionell als Hirten lebenden Hindus, die vielen Diskriminierungen
ausgesetzt sind. Ganze Familien können für Generationen gefangen
gehalten werden. Sie haben einmal ein Darlehen von ihrem zamindar erhalten und
arbeiten nun ihre inflationär steigenden Schulden ab.
Benötigen sie z.B. einen Arzt, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als wieder
Geld vom zamindar zu leihen. Wenn der zamindar wiederum Geld braucht, kassiert er
die Schulden von einem anderen Gutsbesitzer; die Sklaven werden verkauft. Die
Schulden werden weitervererbt. Die Kinder dürfen nicht zur Schule gehen, sie
kennen kein anderes Leben.
Wer in Sklaverei geboren ist, bleibt Sklave, oft ein Leben lang. Aus Pakistan sind sogar
Fälle bekannt, in denen Kinder und Erwachsene in Ketten gehalten
werden.
Unter der früheren Regierung der Moslemliga wurde 1992 ein Gesetz gegen
Sklaverei erlassen. Alle unter Zwang arbeitenden Kinder und Erwachsenen sollten
befreit werden. Bis heute, fast zwei Jahre nach der erneuten Machtübernahme
der Liga, kann von der Umsetzung dieses Gesetzes keine Rede sein.
Indonesien
Ungefähr 1500 handgezimmerte, wacklige Holzplattformen schaukeln auf dem
Meer, 5–10 Kilometer von der Nordostküste Sumatras entfernt. Diese
Plattformen dienen zum Fischen. Sie sind Heim einiger tausend Kinder, die dort unter
hochgefährlichen Bedingungen arbeiten. Unter den Plattformen werden Fische in
große Netze getrieben, die an Deck geleert werden.
Bis zu zehn Arbeiter sind auf jeder Plattform, ein Aufseher und zumeist drei bis vier
Kinder unter 14 Jahren, normalerweise Jungen. Die Arbeit beginnt um 6 Uhr morgens,
die Netze werden eingeholt, der Fisch gekocht, getrocknet und sortiert. Der Tag endet
um Mitternacht, der Schlaf wird durch verschiedene Aufgaben unterbrochen. In der
Hauptsaison beginnt der Arbeitstag um 1 Uhr nachts. Die Jungen arbeiten sieben Tage
die Woche für mindestens drei Monate, einige bleiben bis zu acht Monaten am
Stück auf der Plattform, ohne ein einziges Mal an Land gehen zu können.
Der einzige Kontakt zur Außenwelt ist ein Versorgungsboot, das alle zwei
Wochen kommt.
Die Arbeit ist extrem gefährlich. Viele Kinder, chronisch
übermüdet, fallen von den Plattformen und ertrinken. Es gibt Berichte von
Plattformen, die bei stürmischer See zerbrachen – Männer und Kinder
ertranken. Die Jungen sind darüber hinaus der Männergewalt, sexuellem
Mißbrauch und Vergewaltigung ausgeliefert.
Auch nach indonesischem Recht ist diese Form der Kinderarbeit illegal. ASI stuft sie
als moderne Form der Sklaverei ein, weil die Kinder unter totaler Abhängigkeit
von ihren Chefs leben, daran gehindert werden, die Plattformen zu verlassen, und
Löhne, wenn sie überhaupt gezahlt werden, bis zum Ende der drei Monate
zurückgehalten werden. Die Kinder werden unter falschen Versprechungen zu
ihnen unbekannten Orten, den Plattformen, gebracht, ihre materielle Not wird
rücksichtslos ausgenutzt.
Westafrika
1996 wurde ein illegales Arbeitslager für Kinder in Lagos (Nigeria) entdeckt.
Nachbarn hatten von dem fünfstöckigen Gebäude als einem
"Kindermarkt" oder "Sklavenlager" berichtet. Die
verstörten, unterernährten Kinder im Alter von 7 bis 17 Jahren, kamen
größtenteils aus Togo. Über Benin waren sie nach Nigeria gebracht
worden. Untersuchungsbeamte fanden heraus, daß alle zwei Monate etwa 30
Kinder von Händlern aus Benin und Togo geliefert worden waren.
Leute, die nach billigen Arbeitskräften suchten, kamen zum Lager in Lagos und
wählten die Kinder aus, die sie haben wollten. Die meisten wurden in der
Hausarbeit angestellt, als Markt- oder Ladenverkäuferinnen. Einige arbeiteten
als Wagenwäscherinnen oder kassierten Fahrgelder in Minibussen.
Die Mehrzahl der gehandelten Kinder besteht aus Mädchen. Als Hausangestellte
leben sie bei ihren Arbeitsgebern in totaler Abhängigkeit.
Eine gemeinsame Studie von ASI und WAO-Afrique von 1994 zeigt, daß 95
Prozent aller kindlichen Hausangestellten Mädchen sind. Die Hälfte von
ihnen waren unter 15 Jahren. Während einige die Grundschule besucht hatten,
waren nur wenige in der Hauptschule gewesen, und 45 Prozent hatten überhaupt
nie eine Schule besucht. Die Mädchen sind aufgrund ihres Geschlechts, Alters,
ihrer Gefangenschaft und der dadurch entstehenden Unsichtbarkeit für die
Außenwelt, sehr leicht dem Mißbrauch ausgesetzt.
Die Kinder stammen aus sehr armen Familien und wurden ihren Eltern unter falschen
Versprechungen abgekauft. Der Preis liegt bei 21 Dollar je Kind. Kinder für
Geld in andere Familien zu geben und sie so häufig vor dem Verhungern zu
bewahren ist in Westafrika nicht selten. Der organisierte Kinderhandel über
Ländergrenzen hinweg, so wie er hier beschrieben wurde, ist ein neueres
Phänomen und gleichzeitig ein rapide wachsender Sektor.