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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr.25 vom 10.12.1998, Seite 13

"Kommunisten" kapitulieren vor dem Antisemitismus

Rußland

Die Szene hätte in Deutschland in den 30er Jahren spielen können. Während eines Zeitraums von etwa einem Monat behauptete ein bekannter Parlamentsabgeordneter, daß die Juden verantwortlich seien für die Wirtschaftsprobleme des Landes; vor Reportern brüstete er sich damit, daß er "alle Juden ins Jenseits schicken" wolle, er rief: "Ins Grab mit allen Juden!", und drückte seinen Wunsch aus, bei seinem Tod "mindestens ein Dutzend Juden mitzunehmen".
  Das Land jedoch ist Rußland im Oktober und frühen November 1998, und der Betreffende ist der frühere General Albert Makaschow, ein Mitglied der Parlamentsfraktion der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF).
  Wenn es noch irgendeinen schwachen Rest von Marxismus in der Führung der KPRF gegeben hätte, wäre Makaschow umgehend aus der Partei ausgeschlossen worden. Die KPRF-Abgeordneten hätten außerdem für die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität gestimmt, so daß er nach dem noch aus der sowjetischen Ära stammenden Gesetz, das die "Entfachung ethnischer Spannungen" verbietet, unter Anklage hätte gestellt werden können.
  Es geschah jedoch etwas ganz anderes. Makaschow erhielt seitens der Partei intern einen milden Tadel. "Wir haben die unzulässige Form seiner Bemerkungen zur Kenntnis genommen und seine Maßlosigkeit verurteilt", äußerte sich der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow später.
  Im Parlament stellten die Gegner der KPRF am 4.November im Parlament einen Antrag, der Makaschows Äußerungen, die "Besorgnis in weiten Teilen der Gesellschaft" hervorriefen, als "kraß und am Rande des Vulgären" verurteilte. Der Antrag kam nicht durch, da nahezu alle Abgeordneten der KPRF dagegen stimmten oder sich enthielten.
  Bis zu diesem Punkt hätten die KPRF-Führer noch einen gewissen Spielraum gehabt, Makaschows Stellungnahmen als Ausrutscher eines isolierten Parteiekzentrikers abzutun. Doch durch die Weigerung, seine Äußerungen öffentlich zu verurteilen, übernahm die KPRF die Verantwortung dafür.
  Die Rechten nahmen dieses politische Geschenk an. Der Öl- und Medienmagnat Boris Beresowski erklärte: "Die Kommunisten sollten als die Träger einer Idee, die zum Auseinanderbrechen Rußlands führen könnte, verboten werden." Der frühere Ministerpräsident Jegor Gaidar beschuldigte die KPRF, sich in Nazis zu verwandeln, und meinte: "Wenn Rußland ein demokratisches Land bleiben will, sollte es die Kommunistische Partei verbieten."
  Was Beresowski und Gaidar vorschlagen - die Unterdrückung der politischen Partei mit der bei weitem größten Anzahl von Sitzen im Parlament - würde das Ende jeder ernsthaften Demokratie in Rußland bedeuten. Doch mit ihrer Idee eines Verbots stehen Beresowski und Gaidar nun nicht als Vertreter des Totalitarismus da, sondern als zornige Beschützer der Rechte von Minderheiten.
  Wenn sich die KP-Führer so leicht ausmanövrieren lassen, so sind sie schlichtweg nicht besonders klug. Aber ihr Debakel war nicht bloß das Resultat einer taktischen Dummheit.
  Die KPRF-Führer haben auch deswegen Makaschow nicht diszipliniert, weil sie, zumindest bis zu einem bestimmten Punkt, mit ihm übereinstimmen. Auch Sjuganow stört sich an der Präsenz von Juden, wenngleich er dabei bisher zurückhaltender war als der Ex-General. "Es gibt heute kein Publikum", erklärte Sjuganow im Oktober in der Fernsehsendung Akuli Politpera, "das nicht Fragen zum Thema Juden stellt. Dies sollte uns alle beunruhigen. Es ist kein Geheimnis, daß die von Jelzin vertretene Personalpolitik das Prinzip der nationalen Repräsentation unseres Landes im Bereich der Exekutive, der Wirtschaft, der Finanzen und der Medien verletzt ... Heute fühlt sich das russische Volk bedrängt."
  Von Sjuganow sind auch Stellungnahmen belegt, laut denen er davon spricht, daß "zu viele ethnische Nichtrussen" die Fernsehnachrichten präsentieren, in der Regierung sitzen und andere wichtige Posten besetzt halten. Der Staat solle Regelungen treffen, um zu sichern, daß die ethnischen Russen (etwa 80 Prozent der Bevölkerung) nicht von den Juden (etwa 0,5 Prozent) und anderen Angehörigen ethnischer Minderheiten verdrängt werden.
  Solche Auffassungen stehen im völligen Gegensatz zum proletarischen Internationalismus, für den Marx eingetreten ist. Aber auch sonst würde Marx Probleme haben, irgendeine seiner Ideen in der Praxis der heutigen russischen "kommunistischen" Führer wiederzufinden.
  Während die neue kapitalistische Elite des Landes das Konzept des Klassenkampfs mit Elan und Rücksichtslosigkeit verfolgt - so weit, daß Millionen Arbeiter keinen Lohn ausgezahlt bekommen -, haben Sjuganow und Co. die Idee vom Klassenkampf stillschweigend ad acta gelegt. Sie streben eine bequeme Anpassung an den Kapitalismus an - eine Anpassung, zu der nun auch Ministerposten in einer Regierung gehören, die der privaten Geschäftemacherei alles andere als feindlich gegenüber steht.
  Ein solches Projekt erfordert eine gewisse politische Basis. Die findet man nicht unter politisch aktiven Arbeitern, von denen nur wenige etwas anderes als Haß für die neue Elite empfinden, mit der sich die KP-Führer arrangieren möchten. Statt dessen haben Sjuganow und Co. versucht die Partei auf nationalistische Gefühle zu gründen, indem sie behaupten, daß die KPRF "russischer" und besorgter um den Status der Russen im Verhältnis zu anderen ethnischen Gruppen sei als ihre Gegner.
  Ist erst einmal so ein Kurs eingeschlagen, ist es nur konsequent, wenn sie verrückte Chauvinisten wie Makaschow fördern, die einen breiten Anhang unter den russischen Nationalisten haben. Wenn Makaschow dazu aufruft, durch Massaker an Juden die Würde der Russen zu verteidigen, fällt es den Parteiführern äußerst schwer, entschieden gegen ihn vorzugehen: Sjuganow selbst sieht in der Präsenz von Juden in Rußland einen Grund zur "Besorgnis".
  Die jüdischen Mitglieder der neuen Elite sind verständlicherweise abgestoßen von dem zunehmend offeneren Rassismus der Führer der größten Partei des Landes. Aber die weitaus meisten russischen Kapitalisten sind keine Juden, und sie haben keinen besonderen Grund, sich über die Aussicht, daß jüdische Konkurrenten gewaltsam von der Bühne entfernt werden, zu beklagen. Wenn die "kommunistischen" Führer die Arbeitenden ermutigt, ihre Energien im Kampf untereinander - Russen gegen Juden, Russen gegen Tataren, Russen gegen Tschetschenen - zu verschwenden, so ist das etwas, womit die Kapitalisten leicht leben können.
  Die Entscheidung der KPRF-Führer, Makaschow zu verteidigen, ist somit nicht nur eine unheilvolle Entwicklung für die Angehörigen ethnischer Minderheiten in Rußland, sondern für die Werktätigen des Landes im allgemeinen. Seit Jahren haben politisch bewußte Arbeiter in Rußland verstanden, daß Sjuganow und seine Kumpane ein historische Ruine repräsentieren, über die man hinwegschreiten oder die man einfach beiseite räumen muß. Es ist kaum zu vermeiden, nun eine weitergehende Schlußfolgerung zu ziehen: daß die KPRF-Führer Feinde geworden sind, die bekämpft werden müssen.
  Renfrey Clarke
  Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.342, 25.11.1998. (Übersetzung: hgm.)
 


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