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Otto Schily, der amtierende Innenmininister und
frühere Verteidiger der Roten Armee Fraktion, ist schon im letzten
Bundestagswahlkampf mit der überall lauernden Bedrohung auf Stimmenfang
gegangen: der "Organisierten Kriminalität". Auch seit seiner
Amtszeit dient sie ihm wie schon seinen Vorgängern als Begründung
für neue Sicherheitskonzepte, der Projektion von Feindbildern und der
Differenzierung zwischen legaler und illegaler Bereicherung. Vor allem
Ausländer werden gerne mit der OK in Verbindung gebracht. Dabei weiß
eigentlich niemand so genau, was OK eigentlich ist. Selbst ein Präsident des
Bundeskriminalamts mußte vor dem Rechtsausschuß des Bundestags
gestehen, daß die Definition von OK "selbst Eingeweihten nur in
glücklichen Stunden verständlich ist".
Wer trotzdem diesem Synonym für die Bedrohung von Recht und Freiheit durch
Schwerstkriminalität begegnen will, sollte sich mit dem vor kurzem erschienenen
Buch Der OK-Komplex von Norbert Püttner wappnen. Nicht, um in effektivere
Methoden der polizeilichen Bekämpfung von Schwerstkriminalität
eingewiesen zu werden, sondern um die "OK" nicht nur als politschen
Kampfbegriff in Wahlprogrammen, sondern vor allem als Offensive der
Sicherheitsexperten begreifen zu können.
Püttner zeichnet das Bild einer Waage: Während die Befugnisse der
Polizei immer schwerer wiegen, kommt dem "Schutz der Bürgerrechte
kaum noch Bedeutung zu. Die OK-Bekämpfung erfolgt geheim und ist damit
schwer kontrollierbar. Um weitere gesetzliche Maßnahmen zu legitimieren,
behaupten die Sicherheitsexperten, sie hätten es mit "neuen Formen des
Verbrechens" zu tun. Ein Teufelskreis, der nach Ansicht von Püttner dazu
führt, daß die "programmierte Erfolgslosigkeit" herhalten
muß, um immer wieder "Kompetenzen und Mittel zu verlangen, deren
Vergeblichkeit erneut programmiert wäre".
Auch wenn die innere Logik der OK nicht besonders stimmig ist, sind doch die
Nebenwirkungen beträchtlich. Die im Zuge der OK-Debatte installierten
Privilegien sprechen den OK-Abteilungen besondere Rechte zu: Informationen
über potentielle OK-Belange müssen zu ihr transferiert werden; das
Legalitätsprinzip, das schon immer im polizeilichen Alltagsbetrieb Ausnahmen
kannte, wird durch opportune polizeiliche Handlungen beseitigt. Innerhalb der
Sicherheitsapparate wird von allen Abteilungen Vertrauen zur OK-Polizei verlangt,
"das vorab und jenseits aller Kontrollierbarkeit gegeben werden
soll".
Der Beschäftigung mit dem Thema "OK in der BRD" ist ein
erkenntnistheoretisches Problem immanent: es stehen nur Informationen aus einer
Quelle zur Verfügung, und deshalb beschäftigt sich Püttner
zunächst mit der Quelle selbst. Sein Resümé ist kaum beruhigend:
"Rechtsstaatlich im herkömmlichen Sinne läßt sich die OK-
Bekämpfung nicht mehr nennen." Und diese Entwicklung ist nicht neu, sie
wird seit den 70er Jahren kontinuierlich betrieben. Eines der wesentlichen Merkmale ist
die Wende von der prinzipiell reaktiven Strafverfolgung hin zur präventiven
Verbrechensbekämpfung, die überall Verdachtsmomente
wittert.
Püttner dreht den Spieß um. Wenn, so der Autor, die normalen
Institutionen als die "Brutstätten" neuer Kriminalitätsformen
anzunehmen sind, dann sind die "normalen" institutionellen Bedingungen
und Prozeduren zur Disposition zu stellen.
Gerhard Klas
Norbert Püttner, Der OK-Komplex, Münster (Westfälisches
Dampfboot) 1998; 450 Seiten, 62 Mark.