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SoZ SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 01 vom 05.01.1999, Seite 4

Wie kommt die Q aufs Bahnhofsdach?

von Bernd Herzog-Schlagk

(Bernd Herzog-Schlagk ist Mitglied des Fußgängerschutzvereins FUSS e.V.)

Wenn irgendwo eine Vertreterin oder ein Vertreter der Bahn auftaucht, wird es schon bei der ersten Anrede oft furchtbar lustig: Mit einem schalkhaften und leicht eingefrorenen Lächeln wird richtiggestellt, daß es nicht mehr "Deutsche Bundesbahn" heißt, sondern "Deutsche Bahn AG" und das es diese ja auch eigentlich so richtig nicht mehr gibt. Noch mehr Lacher hat derjenige auf seiner Seite, der versehentlich das Wort "Reichsbahn" benutzt. Dabei bemüht sich das DB-Management nachhaltig darum, moderne Begriffe einzuführen. Unterstützt wird dies durch die Fachwelt. Schluß mit der Insidersprachregelung von "Pufferküssern"; heute wird auch in diesem Bereich eine Sprache gesprochen, die alle verstehen.
  Zum Beispiel befindet sich dort, wo noch im letzten Jahr ein kleiner Bahnhof vor sich hindödelte, heutzutage eine wunderschöne "Schnittstelle zwischen dem SPNV und dem übrigen ÖV". Das eingängige an dem Wort "Schnittstelle" ist, daß dort die verschiedenen Verkehrsträger verknüpft werden sollen. Da kommt z.B. eine Fußgängerin die Bahnhofsstraße entlang und – Schnitt – geht als Benutzerin des öffentlichen Personennah- oder Fernverkehrs die Bahnhofstreppe empor. Sie befindet sich im Bereich der "Station & Service AG" (eine Namensänderung erfolgt nach Redaktionsschluß) und kann nun vom "WC-Center" bis hin zur "Gastronomiespange" diverse "Serviceleistungen" in Anspruch nehmen. Sie muß nicht wissen, welche Welten zwischen dem "E-Imm" (Eisenbahn Immobilien Management GmbH) und dem "DB-Imm" (Deutsche Bahn Immobilien GmbH) liegen; die Vermarktung des Bahnhofs ist gelaufen und sie darf schlendern und möglichst ihre Rolle als Konsumentin ernst nehmen. Da sie eigentlich nur mal eben wegfahren wollte, erwartet sie möglicherweise eine "Mobilitätsberatung", das erwartet jedenfalls das "Mobilitätsmanagement" von ihr. Bevor sich dann für sie an der Bahnsteigkante entscheidet, ob sie die Leistungen der Firma "Regio AG" oder der Firma "Reise & Touristik AG" beanspruchen wird oder gar ihr kostbares aber unhandliches Reisegepäck der Firma "Cargo AG" anvertraut, fällt ihr unbeabsichtigerweise ein Papiertaschentüchlein auf das Gelände der Firma "Netz AG".
  Hier nun machen wir einen Schnitt direkt innerhalb der Schnittstelle, denn das Problem mit dem Papiertaschentüchlein kann die Frau natürlich nicht alleine lösen. Hier setzt das "3-S"-Programm "Service + Sicherheit + Sauberkeit" der DB AG ein. Zur Zeit ist die Zuständigkeit für das Stück Müll noch nicht ganz geklärt, das gerade das Firmengelände wechselte. Mit dem "3-S"-Programm, von Mitarbeitern nun altmodisch auch als "Wohlfühl-Programm" bezeichnet, will die Bahn ab 1999 voll auf Touren kommen. Dann nämlich läuft das intensive Schulungsprogramm für die "Bahnmanager" an.
  Mit Hilfe des neu entwickelten "Bahnhofs-Qualitäts-Barometer BQB" und seiner Checkliste wird der Bahnhofsmanager sehr schnell auf besagtes Papiertüchlein stoßen, und solange es dort noch liegt, wird der Bahnhof in der Rubrik "Sauberkeit" kaum seine Höchstpunktzahl erreichen. Die Bahn steigt damit in das "Qualitäts-Management" ein und das für die Überschrift mißbrauchte "Q" wird sicher der Zentralbegriff der auslaufenden 90er und der einlaufenden 2000er Jahre werden. Möglicherweise werden wir uns auch an "DQB AG" gewöhnen müssen, falls sich einst die "Deutsche Qualitäts- Bahn Aktiengesellschaft" so nennen wird. Aber das ist Zukunftsmusik.
  Die letzte sichtbarste Innvovation des Unternehmens waren die im Volksmund als "Verspätungstafeln" bezeichneten Anzeigen auf den Bahnhöfen. Eine Idee, wirklich vom Feinsten. Sie zeigen nicht etwa an, daß die Konkurrenz mal wieder im Stau steckt und des Bürgers liebste Verspätungsentschuldigung sind ja nun mal die "uneinschätzbare Fahrzeit beim Stopp and Go" sowie die mühsame Suche eines Parkplatzes.
  Das Unternehmen stellt sich auch nicht selbst als das dar, was es in der Tat ist, nämlich das zeitlich zuverlässigste Fernverkehrsmittel zu Lande. Das Bahnmanagement hat es doch tatsächlich geschafft, daß alle Welt über die Unpünktlichkeit der Bahn diskutiert. Während die Autofahrer ihren Stau lieben lernen, ist das Bahnpublikum dank der Bahn-PR erzürnt über jeden auch nur um Minuten verlängerten Halt. Mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand wurden alle Erfolge der Bahn von der Schiene geputzt. Man sollte dem Erfinder der "Pünktlichkeitstafel" wenigstens einen Aufsichtsratsposten bei einem Autounternehmen zubilligen, wenn er nicht ohnehin schon da sitzt.
  Die "Funktionsfelder der Jufi" (Juniorfirma der DB AG) kamen in diesem Jahr noch gänzlich ohne "drei Dinsgbums" aus, hier darf noch chaotisch formuliert werden, z.B. "Im Team arbeiten, Schnittstellen erkennen, gezielt kommunizieren". Mal abgesehen von diesem Wortedurcheinander scheint "Jufi" bei allen Wortneuschöpfungen der DB AG momentan ein herausragendes Modell zu sein, weil es ein praxisorientiertes Ausbildungsprogramm darstellt. Was dann über die AZUBI-Zeiten hineinreichen wird in die Praxis der großen DB, oder wie sie dann auch heißen mag, ist natürlich noch nicht absehbar. Aber immerhin, es bleibt ein wenig Hoffnung.
 


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